Wie der Notarzt untersuchte der Aufnahmearzt Ben erst einmal von oben bis unten. Als man das Tuch über seine Lenden wegnahm, wurde Sarah blass und musste sich abwenden. Semir, der ja schon wusste, wie das darunter aussah, war zu seinem Freund getreten und hatte dessen Hand wieder fest in die Seine genommen.
„Kann mir bitte jemand das Ultraschallgerät bringen?“ fragte der Arzt und Sarah nickte mit trockenem Mund und stürzte auf den Flur der Notaufnahme, erstens um das Gerät zu suchen und zweitens, um ihre Fassung wiederzuerlangen. Als sie das Gerät gefunden hatte, atmete sie mehrmals tief durch und betrat wenig später erneut den Behandlungsraum. Sie musste jetzt für Ben stark sein, alles andere musste sie zur Seite schieben.
„Wie lange war er in Gefangenschaft?“ hörte sie den Arzt fragen und Semir antwortete wahrheitsgemäß: „Seit vergangenen Samstag!“ und der Arzt nickte. „So alt dürften in etwa die Wunden am Rücken sein, ein Tag hin oder her!“ erklärte er.“Herr Jäger, wie lange haben sie schon nichts mehr getrunken?“ fragte er und Ben antwortete schwach: „Ich weiß nicht genau, so zwei, drei Tage vielleicht?“ antwortete er. Obwohl nun schon zwei Liter Infusion in Ben´s Organismus verschwunden waren, blieb an seiner Haut eine Falte stehen, wenn man sie hochzog, ein Zeichen der immer noch bestehenden Austrocknung. Trotzdem nahm der Arzt kurzentschlossen einen Stauschlauch und legte an einem Arm eine Stauung an. Zwar schwach, aber doch tastbar konnte er eine Vene erahnen und tatsächlich gelang es ihm, die zu punktieren. Er nahm mehrere Blutröhrchen und Blutkulturen ab, damit man wusste, wo man stand und schloss dann eine weitere Infusion mit einer Vollelektrolytlösung an, die im Schuss in Ben tropfen durfte.
Mit einem Lächeln bedankte er sich bei Sarah für das Sonographiegerät und schallte dann Ben´s Bauch. „Es liegt, Gott sei Dank, kein Anhalt für innere Verletzungen vor!“ erklärte er, nachdem er die Untersuchung abgeschlossen hatte. Ben´s Blutdruck war inzwischen bei akzeptablen 90/60 mm/Hg angekommen, während der Puls allerdings immer noch bei 120 lag.
"Gut, dann können wir es wagen, die Eisenklammer zu entfernen!“ sagte der Arzt und die Aufnahmeschwester hatte den Spezialsägefaden schon nähergebracht. „Bitte geben sie noch 2,5 g Metamizol in die Infusion!“ bat sie der Arzt, denn Ben konnte durchaus noch Schmerzmittel vertragen. Nur ging das Opiat natürlich auch auf den Kreislauf und deswegen war man da einigermaßen zurückhaltend und einen Atemstillstand wollte man auch nicht provozieren.
„Das wird jetzt vermutlich trotz allem etwas weh tun, aber um den Fuß zu retten, können wir nicht länger warten!“ erklärte der Arzt und zog auch schon den mit Diamanten besetzten Faden durch den Ring der Eisenklammer. Die Schwester versuchte noch eine Kunststoffplatte darunter zu schieben, aber da war leider überhaupt kein Platz mehr. So begann der Arzt den Faden hin-und her zu bewegen und dadurch das Eisen durchzusägen. Sarah hatte Ben´s andere Hand genommen, dem nun der Schweiß in Strömen von der Stirn floss. Erstens wirkte das Schmerzmittel fiebersenkend und zweitens tat jede Sägebewegung an seinem Knöchel fürchterlich weh und riss dort auch die Haut auf. Er jammerte laut und Sarah meinte, die Minuten, in denen der Arzt so vor sich hin sägte, dehnten sich zu Stunden. „Bei den Eheringen, bei denen wir das normalerweise machen, dauert das nicht solange, aber da müssen wir auch nicht so viel Material durchdringen!“ bemerkte der Arzt gerade, als plötzlich der Ring aufsprang und das Blut nun wieder ungehindert in den blauschwarzen Fuß strömen und vor allem, das mit Stoffwechselgiften belastete alte Blut in den Organismus zurücklaufen konnte. Ben brüllte auf, wie ein Stier, so unsäglich schmerzhaft war das gerade, um dann die Augen zu verdrehen und plötzlich schlaff zu werden.