Am nächsten Morgen wurde Ben von der Frühdienstschwester gewaschen. Es war ein schwieriges Unterfangen, vor allem das Zähneputzen, das aber immens wichtig war, weil die Mundhöhle so eine Keimverminderung erfuhr. Ben bekam den Mund durch die Verdrahtung gerade so weit auf, dass die schmale Zahnbürste durchpasste, aber nichtsdestotrotz war das sehr schmerzhaft und die nachfolgende antibakterielle Mundspülung mit Chlorhexidin schmeckte widerlich. Allerdings, obwohl man es nicht für möglich hielt, hatte er trotzdem Hunger und sein Magen knurrte vernehmlich. Er hatte nachts immer wieder einen Schluck Wasser genommen und die Schwester erzählte ihm: „Sobald wir mit dem Waschen fertig sind, hänge ich ihnen Sondenkost an, dass sie das vertragen haben sie ja bewiesen mit dem Wasser!“ und Ben nickte.Geduldig ließ er sich herunter waschen, er hatte ja geschwitzt und so tat das sehr wohl. Als die Schwester allerdings nacheinander die Pflaster an den genähten, sauberen Wunden, außer der hauttransplantierten Brandwunde ablöste, dieselben desinfizierte und anschließend neu verklebte, musste er die Zähne zusammen beissen, so ziepte das, trotz Schmerzmittel. „Die Unterleibsverbände lasse ich im Moment. Der Urologe hat angeordnet, dass wir einen Teil der Wunden durch die Drainagen spülen, ich finde aber leider nirgends aufgeschrieben, welche das sind. Das soll er uns selber zeigen und markieren, das machen wir später!“ sagte sie und Ben war ehrlich gesagt recht froh darüber, denn im Augenblick langte es ihm.
Das kreislaufstützende Medikament hatte man weiter reduzieren können, allerdings waren die Blutgase nicht so berauschend und Ben´s Brustkorb schmerzte bei jedem Hustenstoß, er hatte sich in der Kälte eine saubere Erkältung eingefangen. „Normalerweise würde ich mit ihnen Atemgymnastik machen!“ sagte die Schwester, aber mir fällt gerade keine Atemmaske ein, die man mit dem Kieferbruch anbringen könnte. Versuchen sie bitte immer wieder stark auszuatmen und später probieren wir, sie mal an den Bettrand zu setzen!“ Ben nickte und zu guter Letzt holte sich die Schwester noch eine Kollegin, die ihr half den Rücken zu waschen und die Wunden dort zu versorgen. Als das Desinfektionsmittel brannte, hielt Ben die Luft an und endlich war auch das und der Leintuchwechsel geschafft. Durch die Metallbeschichtung war er wenigstens nicht so stark an seiner Unterlage angeklebt, wie das sonst sicher der Fall gewesen war.Aufatmend ließ Ben sich wieder zurücksinken, inzwischen konnte er sich wenigstens minimal bewegen, aber gegen den Schmerz in seiner Seele half das leider auch nicht. Die Schwester hängte nun mit einer Sondenpumpe eine bräunliche Nährlösung an die Magensonde. „Da ist alles drin, was man zum Leben braucht!“ erklärte sie und Ben nickte geistesabwesend.Als man ihn wieder alleine ließ, hing er seinen Gedanken nach. Was Sarah wohl gerade machte? Hatte sie ihm gestern abgekauft, dass er sie nicht mehr liebte? Obwohl, so eindeutig hatte er das ja gar nicht gesagt, aber sie war gegangen, also war er wohl überzeugend gewesen. Wieder schlich sich eine vereinzelte Träne in seinen Augenwinkel und er starrte deprimiert die Wand an und wartete, was weiter passierte.
Semir hatte gut geschlafen. Als er nach dem Duschen mit seiner Familie am Frühstückstisch saß, erklärte er, dass er erst bei Ben vorbeischauen und danach ins Revier gehen würde. Er würde der Chefin kurz Bescheid geben, dass er ein wenig später kam, aber er brannte darauf, die beiden anderen Verbrecher, die für Ben´s Qualen verantwortlich waren, hinter Gitter zu bringen.„Und Schatz-denk dran, was wir gestern besprochen haben-versuche bitte herauszufinden, was in Ben gefahren ist, dass er mit Sarah Schluss gemacht hat!“ wies ihn Andrea an, woraufhin Lilly fragte: „Was ist Schluss machen?“ und Ayda ihr daraufhin altklug erklärte: „Wenn jemand seinen Freund nicht mehr mag, dann macht er Schluss, ach bist du dumm, Lilly!“ woraufhin die zu heulen anfing und Semir und Andrea alle Hände voll zu tun hatten, den Streit zwischen den Geschwistern zu schlichten und dafür zu sorgen, dass sie rechtzeitig in Schule und Kindergarten kamen.
Sarah war nach dreistündigem Erschöpfungsschlaf wieder aufgewacht. Als sie in den Spiegel sah, blickte ihr zwar ein hohläugiges Gespenst entgegen, aber sie beschloss trotzdem auf ihrer Station anzurufen, dass sie ab heute wieder in den Spätdienst kommen würde. Ihre Sachen aus Ben´s Wohnung zu holen, brachte sie mit Sicherheit noch nicht fertig, aber das hatte ja auch Zeit, er würde so bald nicht nach Hause kommen. Gut, dass sie auf einer anderen Intensivstation arbeitete, als die, wo Ben lag, ihr würde es das Herz zerreissen, wenn sie ihn sehen müsste, aber so war Arbeit vermutlich die beste Ablenkung.Ihre Pflegedienstleitung fragte verwundert: „Sind sie wirklich schon wieder bereit zu arbeiten, ich dachte, ihrem Freund geht es nicht so gut?“ aber als Sarah ihr daraufhin antwortete: „Ich habe keinen Freund-ich bin solo!“ dachte die sich ihren Teil und rief die Kollegin an, die Sarah´s Dienst übernommen hätte, dass sie nun doch nicht zu kommen brauchte.
Der Anwalt hatte eine ruhige Nacht hinter sich. Er war überzeugt davon, dass seine Strategie aufgehen würde und er Florian bald wieder frei hatte. Er würde später ins Krankenhaus marschieren und diesem Polizisten ein Angebot machen, dass dieser nicht ausschlagen konnte. Sehr zufrieden mit sich, machte er sich erst mal auf den Weg in seine Kanzlei, um zu sehen, was sonst heute anstand.