Wenig später bog Semir um die Ecke. Als er Sarah bei seinem Freund sah, überzog ein Lächeln sein Gesicht. „Na, wieder alles in Butter?“ fragte er, aber dann registrierte er Sarah´s ernsten Gesichtsausdruck und war mit zwei Schritten bei Ben. „Was ist los?“ fragte er und nun fiel ihm auch auf, dass Ben eine andere, viel dickere Magensonde hatte und unten am Bett ein Beutel hing, der mit mindestens einem Liter merkwürdig aussehender Flüssigkeit hing.Ben wandte den Kopf und ein leichtes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Zu deiner ersten Frage: Ja wir haben uns ausgesprochen, bzw. Sarah hat mir bewiesen, dass sie mich immer noch mag und zu deiner zweiten Frage: Frag Sarah-ich kapier das auch nicht genau, was mit mir los ist-ich weiß nur, dass ich gekotzt habe, wie selten in meinem Leben und jetzt haben die mir diese neue Sonde in den Hals geschoben, was nicht angenehm war!“ beantwortete er Semir´s Fragen aus seiner Sicht.
Da bog auch schon der Intensivarzt mit einem in einer Plastikfolie eingetüteten Schriftstück um die Ecke. „Gut dass sie gekommen sind, Herr Gerkan! Stellen sie sich vor, so ein windiger Anwalt hat sich Zutritt zu ihrem Kollegen verschafft und wollte ihn dieses Schriftstück hier unterschreiben lassen!“ sagte er und reichte das Papier Semir, der es verwundert musterte und versuchte, durch die Folie und die Verschmutzung hindurch zu lesen, was darauf stand. Vor Empörung fiel ihm dann schier die Kinnlade herunter-mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich noch, dass da auch keine Unterschrift Ben´s darunter stand und als er dann aufsah und fragte: „Wo ist der Anwalt jetzt?“ denn er wusste genau, wer da bei Ben aufgetaucht war, antwortete sein Kollege: „Ich denke zuhause beim Umziehen!“ sagte Ben-„ich fand ihn nämlich zum Kotzen!“ Nun konnte sich auch Semir ein Grinsen nicht verkneifen. „Gut gemacht, ich denke, wir werden dem mal eine Anzeige wegen versuchter Nötigung aufbrummen, ich weiß nicht, was diesen Typen nur immer einfällt!“ sagte er. „die denken, sie können mit Geld alles kaufen!“ und alle Anwesenden nickten bestätigend.
In dem Moment bog die Schwester, beladen mit allerlei Utensilien um die Ecke. „Dürfte ich den Besuch bitten, jetzt wieder zu gehen, ich hätte da noch so verschiedene Sachen mit Herrn Jäger zu erledigen!“ sagte sie und Semir verabschiedete sich schnell: „Tschüss und gute Besserung, bis morgen Früh, da komme ich wieder. Wir haben übrigens Hartmut in das Vergangenheitsforum eingeschleust-der hat heute Abend schon das erste Treffen!“ informierte er ihn noch kurz und machte sich dann auf den Weg nach draußen. Sarah blieb einfach bei Ben sitzen, aber ihre Kollegin sagte energisch zu ihr: „Du bist hier auch nur Besuch, Sarah, also erst mal raus hier, ich hole dich später wieder rein, wenn wir fertig sind!“ Völlig perplex erhob sich Sarah und folgte Semir nach draußen, der überrascht war, dass Ben´s Freundin ihm nun auf dem Fuße folgte. Sie blieben auf dem Intensivflur stehen und Semir wollte nun doch wissen: „Was hat denn Ben nun eigentlich und warum musste er so speien?“ Sarah blickte ernst und sagte dann: „Er hat eine Darmlähmung und das ist gar nicht so harmlos, außerdem stehen ihm nun ein paar Dinge bevor, die ihm gar nicht gefallen werden!“ erklärte sie und überlegte kurz wo sie nun hingehen sollte. Sie beschloss Semir noch nach draußen zu begleiten und sich dann im Stationszimmer einen Kaffee zu genehmigen. „Wenn was ist, ruf mich an und ich freu mich, dass ihr wieder zusammen seid!“ sagte Semir noch und brach dann auf, um zuerst nach Hause und später wieder in die PASt zu fahren.
Andrea war hoch erfreut, ihn so früh zuhause zu sehen. „Mensch klasse, dann kann ich ja heute Abend um 19.00 Uhr doch zu der Tupperparty gehen, zu der ich eingeladen bin!“ sagte sie. Es war so ätzend, nie zu wissen, wann Semir Feierabend hatte, aber das passte ihr sehr gut heute, dass er schon so früh war, es war nämlich gerade 16.00 Uhr. Semir druckste ein wenig herum. „Andrea, es tut mir ja sehr leid, aber ich muss nachher nochmal dienstlich weg und kann auch nicht sagen, wann ich da wiederkomme. Ich wollte nur wenigstens mit dir und den Kindern zu Abend essen, bevor ich wieder fahren muss!“ erklärte er und Andrea drehte sich nun mit versteinerter Miene um und sagte kein Wort mehr. Semir spielte ein wenig mit seinen Kindern, deckte den Abendbrottisch, aber kaum hatten sie gegessen, erhob er sich und sagte: „Ich muss dann wieder!“ und ließ seine Familie alleine zurück. Andrea sah ihm mit trauriger Miene nach. So sehr sie ihn immer noch mochte, aber das hier war kein Zustand. Erst kam immer Semir´s Beruf, dann lange nichts und erst dann kamen seine Familie und andere Dinge, die im Leben eben auch wichtig waren. Vielleicht war es an der Zeit, da mal etwas grundlegend zu ändern!
Als Semir bei der Krüger im Büro ankam war er ganz froh, seinen Gedanken entfliehen zu können. Andrea war gerade so merkwürdig! Im Urlaub war es so schön und harmonisch gewesen, aber seitdem war irgendwie der Wurm in ihrer Beziehung, dabei tat er doch auch nichts anderes als arbeiten und Geld verdienen! Natürlich hatte in der vergangenen Woche sein Augenmerk der Befreiung Ben´s und der Überführung der Täter gegolten, aber das würde doch wieder anders werden! Er nahm sich fest vor, nach Abschluss des Falls seine angesammelten Überstunden abzubauen und mal einen schönen Tag mit seiner Familie zu verbringen, sozusagen als Entschädigung!
Hartmut saß schon bei der Chefin im Büro. Semir musste gestehen, dass er sich in dem Narrenkostüm völlig sicher und ungezwungen bewegte. Kurz erklärte er gerade der Chefin, welche Vita sie ersonnen hatten und die sah auch gleich im Internet nach, wie überzeugend Hartmuts Background gelungen war, aber da gab es nichts zu rütteln. Er hatte sogar daran gedacht, einen amerikanischen Pass so zu fälschen, so dass sein fiktiver Name darauf stand, dazu eine gefakte American Express-Karte. Er würde später zufällig seinen Geldbeutel verlieren, damit die Personalien für die Forenbetreiber erst mal klar waren. Als sie nach kurzer Lagebesprechung vor die PASt traten, entfuhr Semir ein anerkennendes Schnalzen, als er das Fahrzeug sah, das die Chefin aufgetrieben hatte. Ein relativ neuer Jaguar in dunkelgrün stand mit blitzenden Felgen vor der Station. Hartmut nahm beinahe andächtig den Schlüssel entgegen. „Fahren sie bloß vorsichtig, Herr Freund!“ warnte ihn die Chefin, aber Hartmut drehte sich mit strahlendem Lächeln um: „Ich heiße doch nicht Gerkan oder Jäger!“ sagte er frech und saß dann auch schon in der Luxuskarosse.
Im Krankenhaus hatte die Schwester inzwischen die Dinge abgeladen, die sie mitgebracht hatte. Auf einem kleinen Tablett war ein Medikament in einer Spritze aufgezogen, das sie ihm gleich nach Händedesinfektion in den ZVK injizierte. „Das ist MCP, ein Mittel, das die Peristaltik anregt!“ erklärte sie dazu. Dann zog sie sich Handschuhe an, nahm in aller Ruhe die Schiene aus dem Bett und eine Einmalunterlage zur Hand. „Drehen sie sich bitte zur Seite, sie bekommen jetzt einen Einlauf!“ kündigte sie an und nun fiel Ben das Gesicht herunter. Oh nein, das durfte nicht wahr sein, aber trotzdem legte er sich mit schamrotem Kopf auf die Seite und starrte die Wand an.