Konrad hatte sich aufgerichtet, aber anstatt seine Fußfesseln zu lösen, griff er sich mit beiden Händen an die Brust. Ihm war, als würde sich eine Eisenklammer um seinen Brustkorb schließen und ihm die Luft zum Atmen nehmen! Es waren so unsägliche Vernichtungsschmerzen, die er gerade auszuhalten hatte, dass ein Keuchen seinen Mund verließ, bevor er ohnmächtig wurde. Der Polizist, der Hartmut Erste Hilfe geleistet hatte, blickte auf. Er hatte nebenbei eine gute Ausbildung zum Sanitäter und als er sah, dass Konrad, grau im Gesicht, zusammenbrach, bedeutete er einem Kollegen, weiter das Verbandpäckchen auf Hartmut´s Wunde zu drücken. Er erhob sich, beugte sich über den älteren Mann und prüfte dessen Puls. Kein geregeltes Schlagen war tastbar, sondern er spürte ein unbestimmtes Wabern unter seinen tastenden Fingern an Konrad´s Hals. „Mist, ich glaube, er hat einen Herzinfarkt mit Kammerflimmern!“ rief er und begann sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen.
Alle Anwesenden starrten entsetzt auf die Szenerie. Der eine zog Hartmut ein wenig vom Bett weg, zwei weitere packten die beiden Forenbetreiber und zerrten sie auf die Füsse und nach draußen, damit man mehr Platz in der Hütte hatte und ein zweiter Polizist trat wie selbstverständlich ans Kopfende des Bettes und begann mit der Atemspende. „Ich brauche was zum Unterlegen!“ rief der Polizist, der die Herzdruckmassage durchführte und ein anderer brachte von draußen ein breites Holzbrett, das man unter Konrad´s Oberkörper legte, um einen Widerstand bei der Herzdruckmassage zu haben.
Als Semir und die Chefin mit ihrem Gefangenen die Hütte erreichten, bekamen sie gleich die Auskunft: „Die reanimieren gerade die Geisel!“ sagte der Polizist, der draußen die gefesselten Forenbetreiber bewachte und nun stürzte Semir entsetzt in den Raum. Es kam ihm vor, wie in einem Horrorszenario, wie seine beiden Kollegen Ben´s Vater bearbeiteten. „Wie lange schon?“ fragte er ängstlich und übernahm nun die Herzdruckmassage, denn das war auf Dauer sehr anstrengend für den Reanimierenden. „Kurz nachdem du raus bist, hatte er vermutlich einen Infarkt!“ erklärte der Polizist, der immer noch vor Anstrengung keuchte. Semir, der kräftig drückte-und zwar dreissig Mal in relativ flottem Tempo und dann eine kurze Pause machte, währenddessen der andere Polizist zweimal eine Atemspende gab, meinte plötzlich eine Bewegung unter sich zu spüren und tatsächlich! Konrad schlug die Augen auf! Er war zwar noch verwirrt und kannte sich überhaupt nicht aus und die starken Schmerzen in seiner Brust waren nach wie vor vorhanden, aber er hatte wieder einen Puls, wie der erfahrene Polizist feststellte.
„Habt ihr die Rettung schon verständigt?“ fragte Semir und bekam die Auskunft, dass Susanne von der Zentrale aus schon alles organisiert hatte. Einer der Polizisten war im Laufschritt zum Waldrand unterwegs, um die Autos beiseite zu fahren und die Rettungskräfte einzuweisen. Es dauerte nun auch gar nicht lange und dann standen zwei Krankenwagen mit einem Notarzt vor der Hütte. „Er hatte schonmal was mit dem Herzen!“ sagte Semir, der sich noch gut an den Fall erinnern konnte, bei dem er Ben´s Vater näher kennengelernt hatte. Der Notarzt nickte und während man bei Konrad ein EKG schrieb, ihm Sauerstoff mit einer Maske verabreichte und ihm einen Zugang legte, um die grausamen Schmerzen mit Morphium zu lindern, wurde auch Hartmut nun professionell versorgt. Auch er bekam einen Zugang, eine Infusion und ein Schmerzmittel und wenig später waren die beiden Patienten auf die Krankenwagen verteilt. Auch Hartmuts Wunde hatte vermehrt zu bluten begonnen und so rasten die beiden Rettungswagen nun mit Höchstgeschwindigkeit nach Köln.
„Wir brauchen sofort einen Platz im Katheterlabor, wir haben einen akuten Vorderwandinfarkt und für unseren zweiten Patienten, der aber noch stabil ist, einen OP!“ meldete der Notarzt, der Konrad begleitete, an und in der Kölner Uniklinik stand beides zur Verfügung, deshalb dirigierte die Leitstelle sie dorthin.
Ben hatte genau zu dem Zeitpunkt in der PASt angerufen, als der Zugriff im Wald ablief. Gerade setzte er an, um Susanne die Sachlage zu erklären, da unterbrach sie ihn: „Ben, ich habe jetzt keine Zeit, ich muss einen Einsatz koordinieren. Semir und die anderen befreien gerade eine Geisel in einer Waldhütte!“ erklärte sie und legte das Gespräch kurz beiseite. Ben blieb in der Leitung und hörte nun, wie Susanne zwei Rettungswagen anforderte und einen Notarzt, dann, wie sie Semir durch den Wald leitete und nun hoffte und bangte er gleichzeitig, dass die befreite Geisel, von der Susanne gesprochen hatte, sein Vater wäre. Atemlos lauschte er den Worten Susanne´s, er konnte nämlich nur immer deren Teil des Gesprächs verstehen, da sie mit Headset telefonierte. Nach einer Weile wurde es ruhiger und Susanne wandte sich nun wieder ihrem zweiten Gesprächspartner in der Leitung zu. Oh mein Gott, wie sollte sie Ben nur beibringen, was sie gerade erfahren hatte? Aber dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und sagte: „Ben, die Geisel, die Semir und die anderen befreit haben, ist dein Vater. Wie sie mir gerade gesagt haben, hat er wohl während dem Einsatz einen Herzinfarkt erlitten und wird gerade reanimiert!“ und nun ließ Ben fassungslos den Telefonhörer sinken und die Tränen schossen in seine Augen. Oh mein Gott! Wenn sein Vater starb, war es alleine seine Schuld, weil er eigenmächtig gehandelt hatte! Mit einem Aufschluchzen rief er nur noch ins Telefon: „Susanne, halt mich auf dem Laufenden!“ und die notierte seine Telefonnummer und versprach ihm das. Als er das Gespräch beendet hatte, starrte Ben verzweifelt an die Decke und so fand ihn wenig später auch die Nachtschwester vor, die gerade ihren Dienst angetreten hatte und nach ihrem neuen Patienten sehen wollte.