Die Chefin war sofort ans Telefon gegangen, als sie sah, dass Semir sich meldete. „Herr Gerkan, wie geht es ihnen denn?“ fragte sie. Natürlich hatte Susanne, als sie die morgendliche Übergabe gemacht hatte, detailliert von den Geschehnissen der Nacht erzählt und Kim Krüger hatte sowieso vorgehabt, im Laufe des Tages im Krankenhaus vorbeizufahren, um sich nach ihren Männern und deren Familien zu erkundigen. „Wissen sie denn schon Bescheid, was heute Nacht los war?“ erkundigte sich Semir und die Chefin bestätigte das. „Mir und meiner Familie geht es soweit gut, was man von Ben und seiner Partnerin nicht behaupten kann!“ erklärte Semir. „Ich habe hier das Beweismittel, mit dem Sarah niedergestochen wurde, habe aber keinen Wagen zur Hand, der steht nämlich vor meinem Haus-oder viel mehr, was davon noch übrig ist!“ sagte Semir bitter. „Wissen sie was, Gerkan, ich würde gerne selber kommen, habe aber erst nachmittags Zeit. Ich schicke ihnen aber Bonrath, der soll sie zu sich nach Hause fahren, damit sie wenigstens ihren Wagen haben und dort nach dem Rechten sehen können. Wissen sie denn schon wo sie in der nächsten Zeit wohnen können?“ fragte Kim Krüger aber Semir war gerade dabei den Kopf zu schütteln, als ihm einfiel, dass die Chefin das ja gar nicht sehen konnte. „Nein, darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht!“ sagte er und die Krüger sagte daraufhin: „Wir haben so viele Schutzwohnungen in Köln, da werden wir schon etwas Passendes für sie finden, bis sie wissen, wie´s weitergeht!“ und Semir bedankte sich erst einmal.
Es dauerte gar nicht lange und Dieter bog mit dem Streifenwagen vors Krankenhaus. „Mensch Semir, was hört man von euch denn für Sachen?“ fragte er betroffen, als Semir zu ihm in den Wagen stieg. Der zuckte mit den Schultern. „Die vergangene Nacht war ein einziger Alptraum, ich hätte beinahe Alles verloren, meine Frau, meine Kinder und meine besten Freunde, ganz zu schweigen von meinem Besitz!“ sagte er und lehnte sich im Beifahrersitz zurück. Je näher sie seinem Wohnviertel kamen, desto schweigsamer wurden sie. Als sie in die Straße einbogen, hatte sich Semir fast darauf eingestellt, dass sein Haus bis zu den Grundmauern niedergebrannt sei, aber er war dann ganz überrascht, als das von außen gar nicht so schlimm aussah. Ein einziges Feuerwehrfahrzeug stand noch vor dem Haus, bei dem drei Feuerwehrleute sich aufhielten. Als Semir ausstieg, kam der eine der Männer auf ihn zu. „Wir haben uns noch nicht kennengelernt!“ sagte er. „Sie sind sicher der Hausbesitzer! Wir, bzw. meine Kollegen von der Nachtschicht haben heute Nacht hier Feuerwache gehalten, damit es nicht zum Aufflackern eventueller Glutnester kommt, die wird auf jeden Fall noch über den Tag fortgeführt“ erklärte er. „Außerdem achten wir immer darauf, dass sich keine Unbefugten Zutritt zu den Häusern verschaffen. Wir haben auch gerade Pumpen laufen, die das Löschwasser aus dem Keller pumpen, um weitere Schäden am Gebäude zu verhindern!“ erklärte er und Semir sah eine Elektroleitung vom Nachbargrundstück herüberlaufen, klar, der Strom und das Gas waren sicher in der Nacht sofort abgestellt worden. „Ich würde ihnen raten, sich nun sofort mit ihrer Brandversicherung in Verbindung zu setzen, damit der Schaden schnellstmöglich geschätzt wird und die Sanierungsarbeiten beginnen können.“ sagte er und Semir, dem der Schock noch in den Gliedern saß, sah ihn beinahe fassungslos an. Er wusste im Augenblick noch gar nicht, wie es weitergehen sollte und ob sie nach diesem Erlebnis überhaupt noch in das Haus zurückwollten-das musste er erst mit Andrea entscheiden. Dann rief er sich allerdings ins Gedächtnis, dass das für den Feuerwehrmann, wie für ihn die Polizeiarbeit, ein gewohnter Ablauf war, dem der mit Routine begegnete und das war wohl auch gut so!
In diesem Augenblick stürzte eine Nachbarin, deren Kinder im gleichen Alter wie Ayda und Lilly waren, aus dem Haus und kam auf ihn zu gerannt: „Semir, wie geht es Andrea und den Kindern-und natürlich dir? Als wir heute Nacht wach geworden sind, waren die Löscharbeiten schon in vollem Gange und wir haben nur noch gesehen, wie ihr weggebracht wurdet! Wenn ich euch irgendwie helfen kann-sag es nur!“ bot sie ihm an und Semir beantwortete nun erst ihre Frage. „Uns geht es allen miteinander gar nicht so schlecht. Andrea und die Kinder sind noch zur Überwachung in der Uniklinik, aber sie sind eher leicht verletzt!“ sagte er und die Nachbarin sagte herzlich: „Wenn du nichts dagegen hast, besuche ich sie mit meinen Kindern heute Nachmittag!“ und Semir beteuerte, dass die sich sicher darüber freuen würden.
Voller Bangen betrat Semir nun in Begleitung des Feuerwehrmannes und Bonrath´s das Haus. Unten stank es fürchterlich nach Rauch, aber außer den schmutzigen Wasserspuren auf dem Boden war es hier gar nicht so schlimm. Langsam ging Semir die Treppe hinauf. Oben klaffte ihm an der Stelle, wo einst das Kinderzimmer gewesen war, eine ausgebrannte schwarze Höhle entgegen. Das Fenster war geborsten und innen war alles verkohlt, außerdem roch es nach verbranntem Fleisch. Semir musste sich beinahe übergeben. Ihm war zwar klar, wessen Körper man da aus dem Schutt geborgen hatte-die Umrisse konnte man quer vor der Stelle, wo einmal ein Kinderbett gestanden hatte, noch erkennen und der hatte es mehr als verdient, aber genauso könnte dieser typische Gestank auch von seinen Kindern und seiner Frau kommen. Wenn Josef nicht gewesen wäre, wäre hier das Grab seiner Familie gewesen! Josef-das würde das Nächste sein, was er tat, sich nach dem Retter seiner Familie erkundigen-hoffentlich ging es dem so einigermaßen!
Semir ging nun nacheinander durch alle Räume. Oben war das Meiste verrußt, aber vielleicht konnte man einen Teil der Möbel sogar noch sanieren. Seine und Andrea´s Kleidung war völlig unversehrt, nur stank sie eben nach Rauch, nur von den beiden nebeneinanderliegenden Kinderzimmern war fast nichts mehr übrig. Von dort konnte man durch den Dachstuhl ins Freie blicken und die Feuerwehrleute hatten die Isolierung auch teilweise aufgemacht, um keine verborgenen Brände zu übersehen. Im Keller war das Wasser mehrere Zentimeter hoch gestanden-dort liefen gerade Pumpen, die es nach draußen beförderten. Gut, sie hatten Betondecken, die waren nicht beschädigt, aber das würden Fachleute entscheiden, was hier zu machen war. Gut war, dass alle wichtigen Papiere, die er im Arbeitszimmer im Keller aufbewahrt hatte, in einem dichten Metallschrank waren und daher nichts abgekriegt hatten. Mit zitternden Fingern holte er den Versicherungsordner hervor und ging mit diesem nun nach draußen. Im Wohnzimmer sah er in der Ecke noch zwei Puppen seiner Mädchen liegen-es waren ihre Lieblingspuppen-gut dass sie die gestern wohl nicht aufgeräumt hatten! Er holte auch die noch und dann war er froh, dass er diesen Ort momentan verlassen konnte.
Anscheinend war er so weiß im Gesicht, dass Bonrath ihn sogar besorgt unterhakte. Draußen atmete er erst mal tief durch und aus den Augenwinkeln sah er ein ganzes Grüppchen besorgter Nachbarn, die gerade ihre Informationen ausgetauscht hatten. Er wählte nun zuerst die Schadenshotline der Brandversicherung und die Sachbearbeiterin versprach sofort einen Gutachter zu schicken. Dann bat er Dieter, doch für ihn herauszufinden, in welchem Krankenhaus Hintersteiner gelandet war, was dieser auch sofort erledigte.
Aus der Menge der Nachbarn hatte sich ein Anlieger gelöst, mit dem Semir schon öfter mal ein Bierchen gezwitschert hatte. „Semir, wir sind sehr froh, dass ihr dieses Inferno überlebt habt! Als die heute Nacht eine Leiche abtransportiert haben, haben wir das Schlimmste befürchtet. Ich möchte euch unsere Wohnung im ersten Stock unseres Hauses anbieten. Da sind die Vormieter gerade ausgezogen. Wenn ihr da einziehen wollt, bis euer Haus wieder saniert ist-ihr seid herzlich willkommen!“ sagte er und Semir war sehr gerührt wegen der Besorgnis seiner Nachbarn. Er versprach, sich das durch den Kopf gehen zu lassen und als Dieter nun mit der Adresse des Krankenhauses zurückkam, in dem Hintersteiner lag, atmete er tief durch. Er würde jetzt nach vorne sehen-es war eh nicht zu ändern, was geschehen war.
Mit dem Feuerwehrmann sprach er sich noch ab-der würde den Sachverständigen herumführen und ihm Bescheid sagen, damit der sich nach dem Rundgang bei Semir meldete. Dann tastete er nach dem BMW-Schlüssel in seiner Tasche und ging dann mit langsamen Schritten zu seinem Wagen. Im Kofferraum lag eine Plastiktüte mit Wechselklamotten für ihn und Ben, er hatte also im Augenblick etwas Sauberes zum Anziehen und das legte er in der Garage auch an. „Dieter, du kannst jetzt fahren-ich schaue jetzt erst nach dem Lebensretter meiner Familie und bringe nachher die Tatwaffe, mit der Sarah niedergestochen wurde, zu Hartmut in die KTU. Danke dass du mich abgeholt hast!“ sagte er und Dieter lächelte ihn an: „Ach Semir, falls ihr nicht wisst, wo ihr bleiben sollt, bis euer Haus wieder bewohnbar ist: Ihr seid herzlich eingeladen, du weißt, ich habe Platz genug!“ sagte er noch und Semir musste nun lächeln. Mit solchen Freunden, Nachbarn und Kollegen würde es weitergehen!