Kiosk - 02:00 Uhr
Peter fielen immer wieder die Augen zu, und er erschrak immer selbst, sobald er bemerkte dass sein Kopf sich langsam nach unten senkte. Verdammt, warum hatte er diesen blöden Aushilfsjob eigentlich angenommen? Ein Kiosk am Rande der Kölner Innenstadt, der noch dazu 24 Stunden geöffnet war. Seit er um 22 Uhr gestern abend seine Schicht angetreten hatte, waren gerade mal 2 Leute in der ersten Stunde da um Kippen und Bier zu kaufen. Wenn er sich nicht vertan hatte, war es sogar schon eineinhalb Stunden her, seitdem er zuletzt überhaupt jemanden hier vorbei hat gehen sehen.
Peter war 18, groß und schlaksig gebaut und passte in dieses Kiosk mit seiner Hornbrille und pubertärem Gesicht irgendwie gar nicht rein. Statt, wie es viele in seiner Klasse taten, sich nebenher mit Pokerstars, Betandwin oder Drogenhandel was dazu zu verdienen, ließ er sich von einem Klassenfreund für den Aushilfsjob in diesem Kiosk überreden. Keinerlei Erfahrung mit Schichtjobs waren dann schuld daran, dass er vorher nicht schlief, und jetzt hundemüde war... und noch 4 Stunden ausharren musste. Der Junge nahm sich eine Zeitschrift aus der Auslage und begann, mehr desinteressiert, darin rumzublättern. Der Regen trommelte auf den Asphalt vor seinem Häuschen, es war Mitte März, aber über den Tag schon frühlingshaft warm. Nur jetzt, mitten in der Nacht, fühlte er sich unbehaglich und es war ungemütlich, als er den Kragen seines Hemdes nach oben schlug und nochmal einen Blick über den glitzernden Asphalt schweifen ließ. "Eine blöde Idee...", murmelte er nochmals missmutig.
Plötzlich vernahm er ein lautes Krachen hinter sich, und einen Moment später wurde die Eingangstür aufgerissen, die hinter die Theke führte. Drei Gestalten, mit Baseballkappen und Schals im Gesicht kamen herein gestürmt, und bevor Peter sich überhaupt erheben oder protestieren konnte, langte eine der Gestalten bereits kräftig hin. Kurzzeitig sah der blasse Junge den Schlagring aufblitzen, der ihn hart im Gesicht traf und sofort zu Boden gehen ließ. Die ersten beiden, recht kräftig erscheinen Gestalten traten mehrmals auf den am Boden liegenden Jungen ein, bis dieser sich nicht mehr rührte. "Hat der genug?", fragte die knarzige Stimme hinter dem Schal, als die dritte, recht schlanke und zierliche Person in das Kiosk hereinkam, und mit einer mädchenhaften Frauenstimme antwortete: "Der hatte schon nach dem ersten Schlag genug." Als wolle einer der beiden Kerle das Mädchen ärgern, trat er nochmals gegen den Kopf von Peter, der bewusstlos und blutüberströmt auf dem schmutzigen Kioskboden lag. Die beiden jungen Schläger, Thomas und Andreas sahen sich im Kiosk um, rissen ihre mitgebrachten Tüten auf und verstauten darin Zigaretten und Alkohol. Jessica, die dritte im Bunde, hantierte an der Kasse herum und ließ diese mit einigen Tastendrücken aufspringen. "Das lohnt sich ja mal wieder gar nicht...", murrte sie und nahm den Inhalt heraus. Danach verließen die drei Gestalten im Schutz der Dunkelheit das Kiosk, wo sie den schwerverletzten Peter einfach liegen ließen, der sich nicht mehr rührte.
Dienststelle - 09:00 Uhr
Semir kratzte mit den Fingernägeln über die Oberfläche seines Schreibtisches. Er war alleine im Büro, sein Partner Ben hatte sich mal wieder verspätet und so musste er mit der morgendlichen Autobahn-Tour noch warten. Der türkische Kommissar betrachtete das Telefon, als würde es von sich aus erheben und ihm Antwort geben... auf die Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten. Als würde es von selbst klingeln und ihm alles sagen, was er wissen wolle, als würde es alles gutmachen was vor anderthalb Monaten kaputt ging.
Neben dem Telefon lag ein weißer Zettel, auf dem ein Name, und eine Handynummer stand. Seit Wochen starrte er auf den Namen und die Nummer, seit Wochen nahm er den Hörer in die Hand und wählte die ersten 4 Ziffern, bevor der Hörer wieder auf die Station fiel. Er schaffte es nicht, seinen Ex-Partner André anzurufen. Ihn damit zu konfrontieren, was er auf den Fotos getan hatte, die, seit Semir sie zu Gesicht bekam, sicher in einem Bankschließfach lagen und ausser Ben und Kevin niemald zu Gesicht bekamen.
André war vor anderthalb Monaten plötzlich auferstanden... Semir hatte 14 Jahre vermutetet, dass sein Freund bei einem Einsatz ums Leben kam. Doch der wurde gerettet von einem Verbrecher, der ihn daraufhin zwang, für ihn zu arbeiten. André ging das Spiel ein, vergass sein altes Leben, bis er von dem Verbrecher unter einem Vorwand nach Deutschland geschickt wurde, um sich an Semir zu retten, der Carlos Berger vor 14 Jahren auf Mallorca erschossen hatte. Der Plan misslang, André und Semir brachten Horn, mit Hilfe von Ben und dem Polizisten Kevin Peters hinter Gittern. Semir kostete der Kampf, der Zweifel an Andrés Glaubwürdigkeit viel Kraft, doch es schien sich alles zum Guten zu wenden, bis zu Andrés Abschied und dem Auftauchen von Fotos auf Mallorca, auf denen zu sehen ist, wie André einen unbekannten Fremden exekutiert. Semir hatte es nicht über sich gebracht, André am Flughafen zu verhaften, seitdem hatte er versucht, die Sache zu verdrängen. Doch der Gedanke daran kehrte immer wieder zurück. Ben hatte mehrmals versucht, mit seinem besten Freund darüber zu reden, doch der blockte immer wieder ab. "Ich will es vergessen, okay?", hatte er immer wieder gesagt, doch sein junger Kollege verbiss sich ebenso in einem Gewissenskonflikt, einen Mörder laufen zu lassen... auch wenn er letztendes mit André zusammenarbeitete, als sie Semir und Kevin das Leben gerettet hatten.
Wieder nahm Semir den Hörer in die Hand, er musste einfach anrufen und mit ihm reden... wieder kam er nur bis zur fünften Ziffer, als der Hörer zurücksank. Nein, er konnte André nicht verraten. Soviel hatten sie zusammen durchgemacht, gerade das Abenteuer vor anderthalb Monaten, als dem ehemaligen Polizisten erst wirklich bewusst wurde, wie tiefgehend die Freundschaft zu Semir war. Nein, er konnte ihn nicht verraten. Aber konnte er so als Polizist noch ernsthaft weitermachen?
Er hörte die eiligen Schritte seines Partners im Großraumbüro, ein typisches "Sorry Chefin!", wegen seiner Verspätung und schob den Zettel unter die Tastatur. Er verstand es, seine Zerissenheit vor Ben zu verbergen, der die Sache mittlerweile offenbar tatsächlich verdrängt hatte. "Hey Partner!", begrüßte der Kommissar mit dem Wuschelkopf seinen Freund und lächelte unschuldig. "Na super, kommst du auch schon, du Schlafmütze.", beschwerte Semir sich, halb im Scherz, halb im Ernst. "Wer weiß, wieviele Temposünder uns schon durch die Lappem gegangen sind. Los, auf! Zur Strafe zahlst du heute Kaffee UND Schoko-Crossaints!"