„Gib Gas-den schnappen wir uns!“ feuerte Semir Gerkhan seinen Partner Ben Jäger an, der das Gaspedal nun noch ein Stück weiter durchtrat. Vor Aufregung hing Semir beinahe vorne an der Windschutzscheibe. Wenn der Gurt ihn nicht gehalten hätte, wäre dort sicher ein Nasenabdruck entstanden, aber so wurde er doch noch wenigstens halbwegs auf dem Sitz fixiert, obwohl er unbewusst beinahe das Bodenblech durchtrat.
Er und sein Kollege Ben waren erst seit Kurzem wieder im Dienst, nachdem ein Wellnessurlaub im Bayerischen Wald verdammt schief gegangen war. Sie waren zwar beide wieder gesundgeschrieben, aber so völlig wiederhergestellt waren sie noch nicht, allerdings hatten Andrea und Sarah-Ben´s im letzten Schwangerschaftsdrittel brütende Freundin-den Tag herbeigesehnt, wann die beiden wieder auf die Autobahn konnten, denn sie waren zuhause nicht mehr zu ertragen gewesen.
Nach einem Brand wohnten Semir und seine Familie momentan noch in einer Übergangswohnung unweit ihres Hauses und konnten so die Renovierungsarbeiten beaufsichtigen. In Ben´s stylischen Wohnung war inzwischen das Arbeitszimmer ausgeräumt und hatte einem entzückenden Kinderzimmer, das ganz in Weiß gehalten war, Platz gemacht. Der Schreibtisch stand nun im Wohnzimmer und viele Dinge, die man nicht ständig brauchte, waren in Kartons im Keller verstaut. „Meinst du nicht, wir sollten umziehen und uns ein nettes Häuschen im Grünen kaufen, damit wir und das Kind mehr Platz haben?“ hatte Ben vorgeschlagen, aber Sarah hatte den Kopf geschüttelt. „Nein, denn ich habe überhaupt keine Lust, mir jetzt die Schwangerschaft mit so einem Umzugsstress zu vermiesen!“ hatte Sarah ihm klar Bescheid gegeben „und außerdem genügt für den Augenblick der Platz durchaus für uns drei!“ und damit war die Sache momentan vom Tisch.
War es Zufall gewesen, oder doch die langjährige Routine-auf jeden Fall waren sie an einem großen Rastplatz auf ihrer Streifenfahrt auf zwei Fahrzeuge aufmerksam geworden, die nebeneinander geparkt hatten. Zwei Männer waren ausgestiegen und vielleicht war es der verstohlene Blick gewesen, mit dem sich der eine der beiden umgesehen hatte, auf jeden Fall war das Interesse von Semir und Ben geweckt worden. Wie zufällig hatte Ben den silbernen Mercedes hinter einem geparkten LKW abgestellt und sie waren ausgestiegen und leise und vorsichtig näher ran gegangen. Ein kleines Päckchen wechselte den Besitzer und der Mann, der sich so furchtsam umgesehen hatte, ging nun zügig zu den Toiletten, während der andere sich gelangweilt mit dem Rücken an seinen Mercedes Vito mit getönten Scheiben lehnte und sich eine Zigarette anzündete. Mit einem kurzen Blick verständigten sich Semir und Ben und Ben folgte dem einen Mann zum Toilettenhäuschen, während Semir den anderen aus der Deckung heraus im Blick behielt. Gerade sah Ben den einen in einer der Kabinen verschwinden und weil das daneben liegende Häuschen frei war, ging Ben da hinein, verriegelte die Tür hinter sich und stieg dann auf die Schüssel, um über die Trennwand einen Blick in das Nachbarkabäuschen zu werfen. Wie er erwartet hatte, war der Mann dort gerade damit beschäftigt, eine Probe eines weißen Pulvers zu prüfen und nun zog Ben seine Waffe, richtete sie auf den Mann und rief. „Polizei, nehmen sie die Hände hoch!“ woraufhin Bewegung in den wieselflinken Mann kam. Blitzschnell warf er das Päckchen in die Toilette und während er noch abzog, drehte er sich auf dem Absatz um und ergriff die Flucht.
Ben fluchte verhalten, denn er war einen Augenblick aus dem Gleichgewicht gekommen und hatte so den Moment verpasst. Er entriegelte seine Tür, die just in diesem Augenblick klemmte und raste an der verdutzten Toilettenfrau vorbei, die anklagend auf ihren Teller mit den Münzen sah, in den keiner der beiden Männer etwas hineingelegt hatte, hinter dem Mann mit den unruhigen Augen her. Der hatte schon einen kleinen Vorsprung, aber durch die wilde Flucht achtete er nicht auf den, in den Rastplatz einfahrenden Verkehr und so wurde er von einem PKW erfasst, der ihn zu Boden schleuderte und wie das Schicksal es so wollte, genau vor die Reifen eines gerade anfahrenden LKW. Ben musste einen Moment die Augen schließen, aber eines war klar-für diesen Mann kam jede Hilfe zu spät!
Der Mann am anderen Ende des Rastplatzes war inzwischen auch auf den Unfall aufmerksam geworden und mit einem Fluch sprang er in seinen Bus und startete den Motor. Semir kam aus seiner Deckung und wollte mit gezogener Waffe die Flucht verhindern, aber der Fahrer gab einfach Gas und raste direkt auf ihn zu. Wenn Semir nicht in gekonnter Manier einen Hechtsprung zur Seite gemacht hätte, mit nachfolgendem Abrollen, wäre er von ihm niedergemäht worden. Er zielte noch auf den Reifen der fliehenden Fahrzeugs, aber da waren so viele Fahrzeuge und entsetzt schreiende Menschen auf dem Rastplatz, dass er davon absah-nicht dass noch ein Unschuldiger getroffen wurde. Ben hatte im Bruchteil einer Sekunde entschieden, dass für das Wiesel, wie er den Verunglückten nannte, jede Hilfe zu spät kommen würde, er hatte aber trotzdem sein Telefon gezückt und Susanne, während er schon zu Semir und ihrem Wagen zurück rannte, aufgefordert, alles Nötige in die Wege zu leiten. Er würde sich jetzt mit Semir um den Lieferanten kümmern!
Gerade sah er noch, wie Semir beinahe von dem Kleinbus überrollt wurde, da sprang er auch schon in seinen Mercedes und startete aufheulend den Motor. „Nun komm schon, oder willst du hier übernachten?“ rief er und Semir spurtete nun zum Wagen, riss die Beifahrertür auf und war noch gar nicht richtig drin, als Ben mit quietschenden Reifen vom Rastplatz jagte.