„Ben-was ist los?“ drang plötzlich eine besorgte Stimme in sein Bewusstsein und eine Hand schüttelte ihn. Als er die Augen öffnete, beugte Semir sich über ihn und fragte: „Ist dir nicht gut?“ denn Ben war ein wenig in seinem Bürostuhl zusammengesackt. Ben lächelte ihn mit einem breiten Grinsen an und lallte. „Wie kommst du drauf?“ antwortete er „Mir geht´s sehr gut, ich weiss gar nicht, was du hast?“ und nun dachte Semir erst, sein Freund hätte, als er draußen war, eine Schnapsflasche geleert. Sein Atem roch zwar nicht nach Alkohol, aber Ben war, wie man mit ein wenig Erfahrung sofort erkennen konnte, breit. Nun reihte sich in Semir´s Kopf eins ans andere. Ben´s Unkonzentriertheit, die Schweißausbrüche, seine wechselnden Stimmungslagen, die erhöhte Aggressivität, die private Unzuverlässigkeit, irgendwie passte nun alles zusammen. Mit einer raschen Bewegung schob er Ben´s linken Sweatshirtärmel nach oben und sah, was er erwartet hatte. Lauter Einstiche in unterschiedlichen Heilungszuständen präsentierten sich seinen Augen und nun wurde es Semir beinahe übel vor Entsetzen. Das konnte doch nicht wahr sein? Wie kam sein bester Freund darauf, Drogen zu nehmen? Dann griff er noch nach der kleinen Plastiktüte, die Ben nachlässig zu Boden hatte sinken lassen und warf einen prüfenden Blick hinein. Wie er fast schon erwartet hatte, befand sich darin Fixerwerkzeug und schnell schloss Semir die Tüte wieder.
Ben hatte ihn mit Entsetzen im Gesichtsausdruck beobachtet. Verdammt, er war aufgeflogen? Was würde Semir jetzt tun? Wenn die Chefin, oder auch nur irgendeiner der Kollegen das mitbekam, war seine Karriere bei der Polizei vorbei. Dabei hatte er gerade heute Vormittag, als das Adrenalin bei der Verfolgung der Bankräuber durch seine Adern geschossen war, wieder festgestellt, wie sehr er seinen Beruf doch liebte und dass er nichts anderes würde machen wollen. Durch die verdammten Drogen hatte er die wichtigsten Dinge in seinem Leben vernachlässigt, seine Familie, seine Freunde und den Beruf! So konnte es nicht weitergehen, das war ihm im tiefsten Inneren schon klar gewesen und es hatte ihm gestern auch unendlich weh getan, als Sarah seinetwegen so geweint hatte. Nur war er im Augenblick zu schwach gewesen, um sich zu offenbaren, dabei hätte ihm doch klar sein müssen, dass er das auf Dauer vor niemandem, der ihm nahe stand verbergen konnte.
Als Semir jetzt in Ben´s Gesicht sah, der ihn voller Verzweiflung betrachtete, überkam ihn bei aller Wut und aller Erschütterung ein großes Mitleid. „Verdammt noch mal, Ben-wie bist du denn in so ne Scheiße hineingeraten?“ flüsterte er „und wie lange geht das schon?“ aber Ben konnte oder wollte ihm gerade nicht antworten. Er sah seinen Freund nur an wie ein waidwundes Reh und bat mit unendlicher Not in der Stimme: „Semir, bitte sag der Chefin nichts-ich versprech dir, ich höre auf, aber ich will doch meinen Job nicht verlieren!“ und nun begann es in Semir´s Kopf zu rattern. Er musste seinen Freund hier raus schaffen, ohne dass jemand bemerkte, dass der nicht ganz bei Sinnen war. Alles Weitere würde man sich in Ruhe überlegen. Klar war auch, dass Ben da wohl schon lange keine Kontrolle mehr darüber hatte und dieses Versprechen: „Ich höre auf!“ das war etwas, was ein Süchtiger ohne Hilfe von außen nur selten wahr machen konnte. Wenn es schon so schwer war mit dem Rauchen oder Trinken aufzuhören, um wie viel schwerer war es dann erst, wenn echte Drogen ins Spiel kamen und wenn Semir sich das Fixerwerkzeug so besah, dann sah das glasklar nach Heroin aus.
Allerdings würde das auffallen, wenn er Ben in diesem Zustand hier raus schaffte und außerdem wartete die Chefin ja auch auf das zweite Verhör und den Bericht. Wenn sie beide jetzt einfach so verschwanden, würde das Ben erst recht verdächtig machen, wenn er zum Beispiel schwankte oder lallte und so sagte Semir: „Ben, wenn du mitspielst werde ich dir helfen. Wir werden nachher gemeinsam zu Sarah fahren und überlegen, wie´s weitergehen soll, aber du musst dich jetzt noch eine Weile zusammen reißen. Du legst dich jetzt hier aufs Sofa und wenn dich irgendjemand fragt, was los ist, sagst du einfach, dir wäre nicht gut und ich würde dich nachher nach Hause fahren!“ und Ben erhob sich nun ohne Protest von seinem Stuhl und rollte sich auf dem Ledersofa, das in der Ecke ihres Büros stand, zusammen. Semir ließ nach kurzer Überlegung das Fixerwerkzeug in Ben´s Schreibtisch verschwinden und machte sich dann auf, um das zweite Verhör durchzuführen. Obwohl er eigentlich andere Dinge im Kopf hatte, zog er es durch und hatte wenig später auch von dem anderen Täter ein Geständnis. „Wo steckt Jäger?“ fragte die Chefin verwundert, als sie Semir alleine das Verhör abschließen sah. „Dem ist nicht gut-der klagt schon die ganze Zeit über Magenschmerzen und hat vorhin erbrochen. Ich werde ihn nicht alleine nach Hause fahren lassen, nicht dass noch was passiert und darum hat er sich jetzt ein wenig in unserem Büro hingelegt. Ich werde nur den Bericht noch fertig machen und ihn dann zu seiner Lebensgefährtin bringen!“ erklärte Semir harmlos und hoffte, dass die Chefin jetzt nicht nachhakte, oder darauf bestand, einen Arzt zu rufen. „Gut, bringen sie mir den Bericht, sobald er fertig ist und dann schauen sie, dass sie ihren Kollegen ins Bett bringen, nicht dass uns der noch die ganze PASt ansteckt!“ beschied ihm Frau Krüger und Semir verschwand erleichtert wieder in seinem Büro und setzte sich an den PC. Ben war inzwischen eingeschlafen und während Semir wie wild auf der Tastatur umeinander hämmerte, tönte ein leises Schnarchen durch den Raum.