„Wenn wir jetzt nichts unternehmen, könnte Ben an Austrocknung sterben!“ sagte Sarah bedrückt. „Dann bringen wir ihn ins Krankenhaus-es ist sowieso fragwürdig, ob seine –und meine-Polizeikarriere noch zu retten ist!“ erwiderte Semir. „Oder ich rufe in der Klinik an und du holst mir Infusionen und wir behandeln ihn hier!“ schlug Sarah vor. Der ältere Polizist sah sie überrascht an. „Meinst du das geht?“ fragte er und Sarah nickte. „Er bekommt auch keinerlei verschreibungspflichtigen Medikamente, das dürfte ich auch nicht, ohne dass ein Arzt die angeordnet hat-außerdem würde das sozusagen den kalten Entzug boykottieren und könnte definitiv nur im Krankenhaus unter Überwachung gemacht werden. Aber ich darf mit Ben´s Einverständnis-und das setze ich voraus- eine Infusion legen und die Austrocknung bekämpfen.“ erklärte sie Semir und der nickte nachdenklich. „Das wäre eine Möglichkeit-versuchen können wir´s!“ sagte er ein wenig optimistischer als vorher, denn gerade hatte er gedacht, dass ja sowieso der ganze Aufwand umsonst sei.
Sarah griff nach ihrem Telefon und rief ihre Nachtdienstkollegen an. „Leute-ich habe hier einen Notfall. Mein Freund hat fürchterlichen Brechdurchfall, möchte aber auf gar keinen Fall ins Krankenhaus. Könntet ihr mir mehrere Liter Vollelektrolytlösung, Infusionsbesteck und alles zum Zugang legen zusammenpacken? Und ach ja-ein paar Krankenunterlagen, Erwachsenenwindeln und Mirfulansalbe könnte ich auch noch brauchen. Schreibt alles auf, ich bezahle das dann im Mitarbeiterverkauf, ein Freund von uns holt das nachher ab!“ bat sie ihre Kollegen. Es war nämlich für Krankenhausmitarbeiter möglich, Verbrauchsartikel und auch Medikamente-wenn sie rezeptpflichtig waren, dann eben mit Privatrezept-zum Einkaufspreis zuzüglich Steuer zu erwerben und das war dann etwa zwei Drittel billiger, als wenn sie die Dinge in einer regulären Apotheke, oder im Sanitätshaus kauften. Sowas war üblich und die Haus-und Reiseapotheken wohl sämtlicher Mitarbeiterangehörigen wurden auf diese Weise aufgefüllt. Sarah´s Kollegin versprach, alles zusammenzupacken und erkundigte sich dann noch, wie es Sarah und dem Baby ging. „Wir sind soweit fit, aber du weisst ja selber, wie das ist, einen kranken Mann zuhause zu haben!“ sagte die harmlos und die Kollegin verabschiedete sich freundlich.
„Semir-du kannst starten, du kennst ja meine Station, da wird alles für dich hergerichtet!“ informierte ihn Sarah und wenig später fuhr Semir durchs nächtliche Köln, um die verlangten Dinge abzuholen. Sarah´s Kollegin hatte alles in eine große Kunststoffkiste verpackt, die zur Medikamentenlieferung vorgesehen war. „Die Kiste bräuchten wir irgendwann wieder, aber das weiss Sarah eigentlich!“ informierte sie Semir, als sie ihm an der Intensivtür den blauen Kunststoffbehälter in die Hand drückte. Der trug den Kasten, der ein beträchtliches Gewicht aufwies, zum Auto und war wenig später wieder vor seinem Haus.Sarah war derweil erneut zu Ben gegangen. Als sie vorher routinemäßig das Bild der Webcam auf ihrem Laptop musterte, sah sie entsetzt, dass er auf dem Boden vor dem Bett lag. Schnell betrat sie den Kellerraum und bemerkte, was geschehen war. Ben hatte in seiner Verzweiflung versucht, den Eimer zu benutzen, war aber dabei kollabiert. Das Bett war zwar sauber, aber Ben und der Boden waren mit Stuhlgang und Erbrochenem verunreinigt und Ben wälzte sich gerade in Krämpfen in seinen Exkrementen. Es war ein fürchterlicher Anblick und Sarah hatte zwar Mitleid, griff aber trotzdem erst einmal zu ihrem Smartphone und machte ein Foto. Das rieten sie im Krankenhaus den Angehörigen ihrer Patienten auch immer-so konnte man den Süchtigen nach dem Entzug vorführen, welche Belastung das Ganze auch für alle anderen war-die selber hatten daran oft keine Erinnerung mehr. Als Krankenhausmitarbeiter durfte man das nicht, da waren Fotodokumentationen nicht mit dem Persönlichkeitsrecht des Patienten vereinbar, außer es wurde eine Wunde oder ein OP-Befund fotografiert, da wurde dann aber das Gesicht unkenntlich gemacht. Dann holte Sarah frische Wäsche, füllte einen dritten Eimer mit warmem Wasser und begann Ben abzuwaschen und frisch anzuziehen. Er war inzwischen wieder ein wenig bei Sinnen, aber ihm ging es so schlecht, dass er mit Sicherheit gerade keine Gefahr für sie und das Baby darstellte. Nachdem Sarah ihn auch nicht heben wollte, um das Kind nicht zu gefährden, rollte sie ihn ziemlich weit zur Seite und legte ihn vorrübergehend auf eine Wolldecke am Boden. Dann wischte sie den Boden auf und ließ auch die Tür weit offen, damit wenigstens ein wenig frische Luft reinkam. Irgendwo auf einem Kellerregal fand sie ein Raumspray und nebelte dann den Raum mit diesem ein. Puh-Rosenduft-aber immer noch besser, als die Gerüche vorher!
Als wenig später-es war inzwischen drei Uhr geworden-Semir schwer bepackt eintraf, war seine erste Bemerkung: „Hier riechts ja nach Scheiße im Rosenbeet!“ und nun musste Sarah bei aller psychischer Belastung doch ein wenig lachen. Semir half ihr nun, Ben wieder aufs Bett zu wuchten und als Sarah die Kiste öffnete, musste sie lächeln-ihre Kollegin hatte wirklich an alles gedacht-zuvorderst eine Packung Einmalhandschuhe in ihrer Größe. Bei Ben war es schon wieder in die Hose gegangen, er hatte nun überhaupt keine Kontrolle mehr über seine Ausscheidungen und war schon halb bewusstlos, darum machte ihn Sarah im Bett sauber, zog ihm eine Erwachsenenwindel an und breitete eine leichte Decke über ihn. Semir bekam nun den Auftrag, einen Nagel in passender Höhe in die Wand zu schlagen, um dort die Infusion aufzuhängen. Sarah desinfizierte ihre Hände-auch daran hatte die Kollegin gedacht-und bereitete erst einmal die Infusion vor. Dann legte sie Ben routiniert einen Zugang am Unterarm-sie nahm bewusst seinen rechten Arm, denn der linke war von seinen eigenen Injektionen völlig entzündet und an einer Stelle auch fürchterlich dick-das musste sie sich später genauer anschauen-aber der rechte wies nur den Stich der Blutabnahme in der Arztpraxis auf. Sie verklebte das dünne Plastikschläuchlein gut und drehte dann die Vollelektrolytlösung auf, die nun zügig in den Kranken tropfte. Ben war nun fürs Erste versorgt und Sarah sagte: „Semir, geh nach Hause und leg dich auch noch ein wenig hin-ich komme jetzt alleine zurecht und wenn etwas ist, rufe ich dich an!“ wies sie ihn an und nach kurzer Überlegung stimmte Semir ihr zu. Er musste noch versuchen wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu erhaschen, damit er am nächsten Tag die Jagd nach den Dealern aufnehmen konnte. Als er gegen 3.30 Uhr neben Andrea ins Bett schlüpfte, war er einerseits aufgewühlt, aber dann doch wieder hundemüde und konnte tatsächlich noch ein wenig schlafen.