Der routinierte Blick der Hebamme, wie auch der von Gynäkologin und Kinderarzt ging zur großen Uhr im Kreißsaal. „Der Geburtszeitpunkt ist 4.43 Uhr!“ wurde gemeinschaftlich festgestellt und der Kinderarzt, der die passende Seite im Mutterpass schon aufgeschlagen hatte trug die ersten Daten ein. Dann trat er an das Entbindungsbett und warf nur einen orientierenden Blick auf die Hautfarbe des Babys. Anfangs war die durch den Druck und den Stress immer etwas dunkel, aber im Augenblick wurde das Kind ja noch durch die Nabelschnur versorgt. Kurze Zeit später allerdings rührte es sich, ein kleiner zorniger Schrei ertönte und das Baby atmete tief die für es noch fremde Luft. Nun nahm der Kinderarzt den Zwerg ein wenig zur Seite und während die Hebamme die Nabelschnur mit zwei Klemmen abklemmte, ermittelte er den Apgarwert-eine internationale Skala, die das Befinden des Neugeborenen screenen sollte. „Wie soll er denn heißen?“ fragte nun der Kinderarzt, der ebenfalls ein Lächeln im Gesicht hatte, wie im Moment alle Anwesenden. Die normale Geburt eines gesunden Kindes war auch in der Klinik jedes Mal ein Geschenk. Nicht allzu häufig, aber immer wieder einmal musste der Kinderarzt sofort eingreifen und das Kind direkt nach der Geburt versorgen und das war jedes Mal ein Schreckmoment für alle Beteiligten, allerdings eben auch eine große Chance für das Kind, wenn ein erfahrener Neonatologe sich sofort sachkundig und mit viel Erfahrung um das Neugeborene kümmern konnte, wenn es Anpassungsschwierigkeiten, eine Verlegung der Atemwege oder was auch immer hatte.Besonders schlimm traf es die Babys drogenabhängiger Mütter, denn die machten sofort nach der Geburt einen fürchterlichen Entzug durch-das war ein schwerer Weg ins Leben! Hier aber war ein munterer, voll reifer kleiner Erdenbürger geboren worden und natürlich hatten sowohl Kinderarzt, als auch Hebamme und Gynäkologin über Sarah´s Komplikationen nach der Messerstichverletzung und dem Treppensturz vor wenigen Wochen in der Akte nachgelesen. An ihrer Hand sah man auch noch die frische rote Narbe, während die am Oberbauch schon verblasst war. Es war alles gut gegangen und für ein Kind war die normale Geburt eben auch der Schnittentbindung vorzuziehen, weil durch den ganzen Druck und Stress und die damit verbundene Hormonausschüttung die Babys viel wacher waren.
Die Hebamme nickte nun Ben zu, der fast widerwillig die Hand von seinem Sohn genommen hatte, als ihn der Kinderarzt sich ansah. Ben erhob sich auf ihre Anweisung hin und trat neben sie. Sie drückte ihm eine Schere in die Hand und mit zitternden Fingern durchschnitt er die Nabelschnur zwischen den beiden Klemmen, nachdem er sich vorher nochmals vergewissert hatte: „Aber das tut dem kleinen Tim jetzt nicht weh?“ und alle Anwesenden schüttelten den Kopf. „Ja er soll Tim heißen!“ sagte nun auch Sarah „und mit zweitem Namen Lukas nach meinem Großvater-nur falls ihm Tim später nicht gefallen sollte.“ Die Gynäkologin mischte sich nun auch ein: „Das ist ein schöner Name und vor allem auch normal-sie glauben ja nicht, was sich die Eltern manchmal für Exoten einfallen lassen und die Kinder müssen es später ausbaden!“ sagte sie und nun gab der Kinderarzt den Kleinen wieder Sarah in den Arm und deckte das Handtuch darüber. Klar musste der nachher noch gemessen und gewogen werden, aber das eilte bei einem Apgarwert von zehn-der vollen Punktzahl- nicht. Der kleine Tim öffnete nun die kleinen, momentan noch blauen Augen und begann sofort herum zu suchen. Die Hebamme hatte ihre Handschuhe ausgezogen, desinfizierte die Hände und schob ihm nun Sarah´s Brustwarze in den Mund. „Da kommen zwar erst ein paar Tropfen, aber der Saugreiz regt die Milchproduktion an und jetzt sind die Neugeborenen wach und aktiv, während er in ein paar Stunden erst mal schlafen wird!“ erklärte sie und während der Säugling nun gleich ein paarmal kräftig an Sarah´s Brust zu saugen begann und Ben entzückt dieses wundervolle Bild betrachtete, kontrahierte sich Sarah´s Gebärmutter und bis sie sich versah war mit einem kurzen Schmerz die Plazenta auch noch geboren. Die Frauenärztin besah sich den Mutterkuchen auf Vollständigkeit und legte ihn dann in einen Abwurf beiseite. Der würde später eingefroren werden und verkauft werden-sowohl Pharma-als auch Kosmetikindustrie rissen sich darum. Kurz untersuchte sie Sarah, die das genau so wenig wie Ben kaum mitbekam-zu entzückt waren die beiden von ihrem kleinen Sohn-auf Geburtsverletzungen, aber weder der Damm noch der Muttermund waren eingerissen und so machte die Hebamme mit feuchten Einmalwaschlappen Sarah unten herum sauber und entfernte die blutigen feuchten Tücher.
Sarah bekam eine Einmalhose mit Vorlagen angezogen und nachdem Tim nun auch noch an der anderen Brust gesaugt hatte, nahm ihn nun doch der Kinderarzt an sich und legte ihn auf die Wickeleinheit unter einem Wärmestrahler an der Wand des Kreißsaals, wo eine Waage stand, ein Maßband für die Länge und den Kopfumfang bereit lagen und besah sich den kleinen Mann, der nun schon protestierend quakte und strampelte. Der Kinderarzt hörte ihn ab-ein Herzgeräusch würde man jetzt schon feststellen- prüfte die Reflexe, sah ob die Hoden schon unten und ob alle Körperöffnungen vorhanden waren. Ben war ihm gefolgt und sah fasziniert zu. Die Hebamme trat nun auch dazu und dokumentierte die Angaben des Kinderarztes gleich im Mutterpass und dem Kinderuntersuchungsheft. Länge 52 cm, Kopfumfang 34 cm und Gewicht 3450 g, diktierte der Arzt. Dann wurde Tim gewickelt und angezogen, bekam sein Erkennungsbändchen ums Handgelenk und wenig später hatte Ben-noch ein wenig ungeschickt- seinen Sohn zum ersten Mal auf dem Arm. Er hatte während der Untersuchung die ganze Zeit gequäkt und gestrampelt, aber jetzt wurde er völlig ruhig und sah seinen Vater mit großen Augen an. Der küsste ihn zart auf die Stirn und sog den unvergleichlichen Geruch seines Babys ein, während er langsam zu Sarah ging, die ihr T-Shirt wieder an hatte und inzwischen in einem Krankenhausbett lag. Man brachte die drei in ein kleines Zimmer zur Überwachung und die Hebamme würde die nächsten zwei Stunden immer wieder kontrollieren, ob auch alles in Ordnung war, bevor Sarah in ihr Zimmer kam, aber nun war die kleine Familie zum ersten Mal alleine. Sarah rutschte ein wenig zur Seite, legte Tim in die Mitte und Ben legte sich an den Bettrand daneben und so waren sich die drei nun unheimlich nahe. Voller Staunen und Entzücken bewunderte Ben die kleinen Finger, strich über das Köpfchen, das gegen die Auskühlung mit einer weichen Mütze geschützt war und sagte nur immer wieder voller Dankbarkeit: „Was für ein Wunder!“ und so vergingen die nächsten Stunden.
Danach kam Sarah auf die Entbindungsstation, es war sieben Uhr und Ben ging vors Krankenhaus, um seine einprogrammierte Anrufliste abzuarbeiten. Der Erste den er anrief war allerdings Semir. Der war der Mensch, der ihm persönlich am nächsten stand und als der vom freudigen Ereignis hörte, gratulierte er ganz herzlich und Ben musste lächeln, als er Ayda und Lilly im Hintergrund ein fröhliches Indianergeheul anstimmen hörte, als er es weitersagte. Semir versprach ihm, auch der Chefin Bescheid zu sagen, dass er ab sofort seinen dreiwöchigen Urlaub antreten würde. Die nächste Stunde verging mit Telefonieren und als Ben danach wieder zu Sarah ging, war die gerade dabei ein kräftigendes Frühstück zu sich zu nehmen. Sie hatte sogar schon geduscht und es ging ihr gut. Tim lag tief schlafend in seinem Babybettchen, das neben Sarah stand und Ben erzählte von den Reaktionen der glücklichen Großeltern, Geschwister und Freunde.
„Ben geh doch auch nach Hause und leg dich hin. Ich werde jetzt erst mal ein wenig schlafen und nachmittags kommst du wieder!“ schickte ihn Sarah heim und mit einem zärtlichen Kuss verabschiedete sich Ben von ihr. „Danke, dass du mir so einen wunderschönen Sohn geschenkt hast!“ sagt er noch voller Rührung und Sarah winkte ihm zum Abschied nach. Als Ben aus dem Krankenhaus trat und zu seinem Wagen ging, begann das geschäftige Köln gerade zu erwachen, aber Ben hatte da kein Auge und Ohr dafür, sondern ein glückliches Lächeln im Gesicht-er war jetzt Vater und das war das Schönste, was er sich vorstellen konnte! Nie wieder würde er Drogen anfassen-das versprach er in diesem Moment seinem Sohn und dann setzte er sich in sein Auto und fuhr nach Hause.
ENDE