15:00 Uhr - Gran Canaria
Semir und André saßen noch eine Stunde zusammen auf der Terasse im Landesinneren, tranken Kaffee und redeten. Über Vergangenes und Zukünftiges. "Hast du etwas davon gehört, wie die Kollegen von der Organisierten Kriminalität vorgegangen sind und erfolgreich waren? Wegen Horns Männer?", fragte André während er in seiner Kaffeetasse rührte und er im Hintergrund Felicita in der Küche rumoren hörte. Semir wischte sich über die Stirn, es war ihm unangenehm heiß, obwohl die Luft hier oben auf der Insel des ewigen Frühlings sehr angenehm war. "Ähm... nein. Du weißt ja, wie die vom BKA sind. Aber ich kann sofort, wenn ich zu Hause bin mal nachhören und dich informieren.", sagte er schnell. Sein Freund sah Semir ein wenig seitlich an und wunderte sich, zeigte seine Gefühle aber nicht. Er war überrascht, denn er kannte Semir eigentlich so, dass dieser darauf brannte zu erfahren, was in diesem Fall nun weiter passieren würde, vor allem wenn man persönlich so sehr darin verwickelt war, wie die beiden Freunde es damals im Winter waren. Und Semir spürte ein wenig die Verwunderung seines Kollegen, und er konnte es verstehen. Er wusste auch ein wenig was, dass einige Hintermänner und direkte Komplizen verhaftet wurden, einige aber noch auf freiem Fuß waren. Er wollte auf der einen Seite André keine Sorgen bereiten, auf der anderen Seite aber auch wenig über das Thema reden. Mein Gott, André fragte so unbedarft und locker, als würde es ihn neben bei interessieren und wusste keinesfalls dass Semir seine wahre Intention kannte... denn wenn der Mann, der die belastenden Fotos geschossen hatte oder an der Hinrichtung des Mannes beteiligt war, verhaftet werden würde, könnte Andrés Tat auch ohne Semir auffliegen. Der kleine Kommissar rutschte auf seinem Stuhl ein wenig hin und her, als hätte er Bienen im Hintern.
Er war dankbar, dass André von sich aus das Thema wechselte: "Wie gehts Kevin? Wie hat er den Fall weggesteckt?", fragte der großgewachsene Karatekämpfer, der zu dem jungen Polizisten ein besonderes Verhältnis hatte. Vor Jahren, als André noch die Karateschule hatte, wo er Jungs von der Straße trainierte, war Kevin sein Schüler. Er half ihm von den Drogen wegzukommen, und erfuhr vor einem halben Jahr von dessen Rückfall. Semir wog den Kopf ein wenig hin und her, und musste kurz über eine Antwort nachdenken. Erstmal war er froh, von dem anderen unangenehmen Thema weggekommen zu sein. "Ich finde, dass man Kevin einfach nicht durchblicken kann. Von einem auf den anderen Moment hab ich das Gefühl, dass da zwei verschiedene Menschen stehen." Er blickte zu seinem Freund rüber, der ihn aufmerksam ansah. Beide wussten von Kevins damaligen Drogenproblemen, aber beide wussten nicht, dass es der jeweils andere wusste. "Er vertritt mich momentan mit Ben, weil er nach dem Fall seinen Job bei der Mordkommission hingeworfen hat. Er hatte ne Auszeit gebraucht." André beobachtete Semir genau, und spürte, dass dieser etwas verheimlichte... und er wusste ja auch genau was. Die beiden waren so gute Freunde, und der ehemalige Polizist wusste genau, dass Semir etwas verschweigen konnte. "Semir, ich weiß Bescheid über Kevin. Ich hab es ihm damals sofort angesehen, dass er noch abhängig war." Semir nickte mit geschlossenem Mund. "Er hat es uns auch erzählt. Aber ich glaube, dass er davon weg ist. Jedenfalls haben wir nichts in seiner Wohnung gefunden." Nun blickte der große Kerl etwas überrascht auf. "Ihr habt seine Wohnung durchsucht?" Sein Freund wehrte sofort ab: "Nein nein. Ich hab dir doch gestern erzählt dass er entführt wurde..." Semir erzählte seinem ehemaligen Partner von seinem letzten Fall, dass Kevin sich nicht meldete und Ben mit Semir zusammen die Wohnung ihres jungen Kollegens öffneten, weil sie sich Sorgen um ihn machten. "Wir haben nicht die ganze Bude auf den Kopf gestellt, aber wir haben auch auf die Schnelle zumindest nichts gefunden. Wir hatten uns einfach Sorgen um ihn gemacht." Nun nickte André wieder und meinte mit seiner rauhen Stimme: "Kevin ist niemand, der vor etwas davonläuft. Aber ihr müsst manchmal auf ihn aufpassen. Er braucht jemand, dem er blind vertrauen kann. Aber bis er dieses Vertrauen aufbaut, dauert lange." Dem konnte Semir nur zustimmen. Er erzählte davon, wie sich der junge Polizist zwischen ihn und Jessy stellte, unbewaffnet und voll Vertrauen in das Mädchen, dass ihm die Pistole auf die Brust setzte und abdrückte... zu Kevins Glück war keine Munition mehr in der Waffe. "Jessy hatte er recht schnell vertraut.", meinte der Polizist. "Klar. Er hat in ihr wohl eine Möglichkeit gesehen, das nachzuholen, was er bei seiner Schwester verpasst hat." "Ja, so hatte er es auch gesagt." Semir war immer wieder erstaunt, dass André sich offenbar viel besser in Kevin reindenken konnte, als er selbst.
Nachdem sie nun beide sich recht nachdenklich und still unterhalten hatten, setzte sich Semir wieder ein wenig aufrechter hin, Felicita brachte den beiden Männern noch etwas zu trinken und unterhielt sich kurz mit André auf Spanisch. Semir musste lächeln, als er den klar deutschen Akzent in Andrés sehr passablen Spanisch heraushörte. "Ich glaube, das hier...", dabei machte der kleine Polizist eine Geste über die Terasse und das Haus "... wird dich noch mehr darin bestärken, hier zu bleiben." André nickte nachdenklich. "Wir sind momentan sehr verliebt. Ich genieße das einfach, wie es jetzt momentan ist und mache mir keine Gedanken über die Zukunft. Aber du hast recht, es ist natürlich ein Argument hier zu bleiben." Semir lächelte und freute sich einfach mit seinem ehemaligen Partner. "Ich wüsste ganz ehrlich auch gar nicht, was ich in Deutschland machen würde.", setzte er noch grinsend hinzu. Semir lachte auf: "Och, Herzberger geht doch demnächst in Rente. Dann könntest du mit Bonrath und seinem Porsche Streife fahren." Beide Männer lachten auf, sie lachten als würde das ganze Tal unter ihnen es hören. Sie lachten, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern wie zwei Schulfreunde, die ihr ganzes Leben lang miteinander verbracht hatten. Am Ende des Nachmittags, bevor Semir sich mit einer kurzen Umarmung von Felicitas verabschiedete und die beiden Männer mit ihren Buggys zurück nach Playa del Inglés fuhren, waren die Bilder tief in Semirs Rucksack geblieben...