Andreas Benko war auf dem Rückweg von der Siegerehrung. Stolz sah er sich immer wieder den Pokal auf dem Beifahrersitz an. Das war sein Leben! Die ganze nächste Woche würde er in der Fabrik stehen und seine Brötchen verdienen, aber am Wochenende würde er wieder zum Rennfahrer werden. Er würde konzentriert über den Ring düsen, das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten, er würde den Rausch der Geschwindigkeit fühlen, die Ideallinie suchen und dabei immer besser und besser werden. Irgendwann würde ein Sponsor ihn entdecken und dann würde er mit seinem Hobby Geld verdienen, er wäre reich und berühmt, aber bis es so weit war, musste er eben noch viel auf eigene Kosten üben.
Dann runzelte er die Stirn. Was er heute morgen beobachtet hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte einen der Veranstalter darauf angesprochen, aber der hatte abgewiegelt. Dabei hatte Sicherheit doch absoluten Vorrang, wie er in den angebotenen Seminaren, die ja ebenfalls Geld kosteten, gelernt hatte. Er musste jetzt einfach noch ein wenig besser werden, damit er dann seine Rennlizenz machen und groß im Geschäft einsteigen konnte!
Autobahn verengte sich und wurde gerade an dieser Gefällstrecke einspurig. Gut, dass jetzt Sonntag abend war, sonst wäre hier sicher ein kilometerlanger Stau. Andreas ging auf die Bremse-aber nanu? Was war da los? Das Pedal ging leer durch und anstatt langsamer zu werden, rollte er immer schneller den Berg hinunter. Gerade wollte er zurückschalten, um die Motorbremse zu aktivieren und hatte schon eine Hand am Handbremshebel, um sein Fahrzeug so zu verlangsamen, da ertönte ein lauter Knall, der rechte Vorderreifen zerbarst, Andreas raste schleudernd in die Baustelle und kam mit voller Wucht an einem Betonpfeiler zu stehen. Der Mann im Fahrzeug hinter ihm grinste zufrieden und legte die Fernbedienung beiseite. Er ging aufs Gas und war wenig später am Horizont verschwunden.
Semir und Ben hatten Wochenenddienst. Das hier war ihre letzte Streifenfahrt vor dem Feierabend. Es war Oktober und die Nächte wurden schon kühl. Untertags allerdings schenkte ihnen die Herbstsonne noch schöne Stunden und Ben hatte gerade seinem Freund und Kollegen von seinem Sohn vorgeschwärmt. „Weisst du Semir, der kleine Tim ist einfach nur süß! Manchmal schläft er jetzt sogar schon durch, aber er kann so laut lachen, dass man einfach mitlachen muss!“ erzählte er und Semir schmunzelte. Nie hätte er gedacht, dass Ben einmal ein derart begeisterter Vater werden würde. Ein Bild seines Sohnes zierte sein Handy als Hintergrundbild und die ganze PASt wurde von jeglichen Entwicklungsfortschritten auf dem Laufenden gehalten. Ben fuhr nach der Arbeit immer sofort heim zu seiner kleinen Familie. Sie waren noch kein einziges Mal auf einen Absacker gewesen, seitdem vor zwei Monaten der kleine dunkelhaarige Junge geboren worden war, aber das würde sich mit der Zeit schon ändern. Semir erinnerte sich an die Zeit nach Ayda´s Geburt, das war auch eine aufregende Lebensphase gewesen, aber irgendwann würde das Elternsein auch bei Ben und Sarah Normalität werden, aber das konnte noch ein wenig dauern.
Nun lenkte Ben seine Aufmerksamkeit auf die Straße vor ihnen. Sie waren ein gutes Stück vor der Baustelle, die ausgerechnet an diesem steilen Berg aufgebaut war. Heute ging es, aber das würde morgen im Berufsverkehr wieder Staus ohne Ende geben. „Mann was ist denn da vorne los?“ fragte Ben, denn sie sahen auf einmal rote Rücklichter rasend schnell auf der Gefällstrecke verschwinden. „Der sollte lieber bremsen-der ist viel zu schnell!“ kommentierte Semir, aber da war es schon passiert. Ein lauter Knall ertönte, dann ein Krachen und als sie näher kamen, konnten sie den Wagen völlig demoliert an einem Betonpfeiler hängen sehen. Während Semir so zügig wie möglich näher fuhr, griff Ben zum Funkgerät. „Cobra 11 an Zentrale-wir haben einen schweren Unfall im Baustellenbereich auf der A 1. Bitte einen RTW, wir schauen gleich mal,was los ist!“ rief er und in der gleichen Sekunde sagte er noch ärgerlich. „Leider habe ich das Nummernschild des dunklen Wagens nicht erkennen können-der hätte sonst gleich noch eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gekriegt!“ denn das Fahrzeug vor ihnen, das ja ein wenig eher an der Unfallstelle gewesen war, hatte sich gerade zügig vom Acker gemacht.
Semir und Ben sprangen aus dem Wagen. Nach einem Blick ins Innere konnten sie sehen, dass für den Fahrer jede Hilfe zu spät kam, anscheinend hatte er einen Genickbruch erlitten. Dennoch öffneten die beiden mit Gewalt die Fahrertür und tasteten nach dem Puls, aber da war nichts mehr zu spüren. Nur ein goldener Pokal fiel ihnen ins Auge. Ben ging zum Polizeifahrzeug zurück und meldete der Zentrale: „Du kannst den RTW wieder abbestellen und stattdessen den Leichenbeschauer und die Spurensicherung bestellen, der Fahrer ist tot!“ meldete er und Susanne organisierte alles Weitere. Als Ben zum Wagen zurückging, sagte er nachdenklich: „Hast du nicht auch erst einen Knall und dann das Krachen gehört?“ und Semir nickte. Er war um das demolierte Fahrzeug herumgegangen und zeigte auf den geplatzten Reifen: „Ich denke, das war der Knall, aber warum verdammt nochmal ist der so gerast? Vielleicht kann Hartmut etwas herausfinden!“ sagte er und Ben nickte. Während sie mit behandschuhten Händen die Papiere des Toten aus seiner Hosentasche nahmen, seufzte Ben auf. „Verdammt, jetzt dürfen wir heute auch noch eine Todesnachricht überbringen-da könnte ich mir was Schöneres vorstellen und ein paar Überstunden gibt’s auch!“ erklärte er und sah auf die Uhr. Es war kurz vor acht und langsam begann es richtig kalt zu werden. Susanne glich die Personalien des Toten mit der Wohnadresse ab und als der Leichenbeschauer und die Spurensicherung eintrafen, warteten sie noch kurz, aber der Pathologe bestätigte ihre Vermutung: „Tod durch Genickbruch!“ und nun machten sich Semir und Ben auf, um die Angehörigen zu verständigen.