Langsam stabilisierte sich Ben. Stunde um Stunde verging und seine Eigenfrequenz stieg in dem Maße wie der Kaliumspiegel in seinem Blut sank. Er benötigte immer weniger externe Schrittmacherimpulse und allmählich konnte man die regelmäßigen Morphiumgaben, ohne die er das vermutlich nicht ausgehalten hätte, reduzieren. Langsam verschwand das Taubheitsgefühl, aber je besser es ihm körperlich ging, desto mehr Sorgen machte er sich um seinen entführten Sohn. Sarah war wie angeschraubt an seinem Bett gesessen und hatte sich nicht dazu überreden lassen, in die Kantine zu gehen und etwas zu essen. So hatten ihre Kollegen sie mit Tee, Schokolade und Keksen gelabt-sowas war auf einer Intensivstation immer zu finden! Immer mehr spannten schon wieder ihre Brüste-sie musste dringend zum Abpumpen gehen, hatte aber schreckliche Angst, dass genau in diesem Moment mit Ben etwas wäre, wenn sie nicht bei ihm war. Irgendwann wandte ihr Partner den Kopf zu ihr. „Sarah, ruf doch bitte Semir an, ob er schon eine Spur hat!“ bat er sie, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Nur wenn du seine Handynummer auswendig weisst-mein Handy hat Frau Krüger eingepackt, falls die Entführer sich wieder melden. Die kennen ja meine Stimme nicht und sie meinte, dass sie schneller reagieren und den Anrufer orten lassen könnte, wenn er sich melden sollte!“ erklärte sie ihm und Ben überlegte einen Moment. „Ich weiss die Nummer nicht auswendig und mein Handy ist in Tunesien verschollen, aber ruf doch einfach in der PASt an, die geben sie dir schon!“ bat er und Sarah erhob sich. „Ich gehe dann gleich noch Milch abpumpen!“ sagte sie tonlos-oh mein Gott-was wäre, wenn sie die eingefrorene Milch nie mehr brauchen könnten?
Ben nickte und schloss dann erschöpft wieder die Augen. Diese Dialyse machte ihn körperlich völlig fertig, dabei sollte er doch auf den Straßen Kölns unterwegs sein und Tim suchen, aber nachdem er sich kaum bewegen konnte und überall Schläuche und Drainagen aus ihm ragten war das wohl keine besonders gute Idee!
Sarah ging zum Stationstelefon und tatsächlich-wenig später hatte sie Semir´s Nummer bekommen. Susanne war kurz vor ihrem Feierabend noch am Apparat gewesen und hatte erstens ihre Stimme erkannt und zweitens ein paar vorsichtige Fangfragen gestellt, die kein Außenstehender wissen konnte und konnte sie so zweifelsfrei identifizieren. „Sarah-du verstehst, dass wir alle vorsichtig sein müssen!“ sagte sie entschuldigend und Sarah stimmte ihr müde zu. „Ist doch klar-ich bin ja froh, dass ihr so aufpasst, nicht dass dem Nächsten auch gleich was passiert!“ zeigte sie Verständnis und schrieb sich Semir´s Nummer auf einen Zettel. Kaum hatte sie aufgelegt, winkte die Krüger aufgeregt aus dem Büro-anscheinend hatte sie gerade eine Nachricht bekommen. Susanne stürzte ins Zimmer mit der Glasscheibe, die man wahlweise mit Rollos verdunkeln konnte oder offen lassen, damit die Chefin ihre Station überblicken konnte. „Schnell-versuchen sie das Handy der Entführten zu orten, ich bekomme gerade eine Videobotschaft!“ befahl sie und tatsächlich konnte Susanne den ungefähren Standort des Handys bestimmen. Die Chefin hatte inzwischen aufmerksam das Video angesehen, aber leider im Hintergrund nichts erkennen können, was einen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Geiseln gab-es war ein Raum mit schrägen, weiß gestrichenen Wänden, aber mehr konnte sie nicht erkennen. Schnell schickte sie das Video Hartmut und Semir und gab dem kleinen Türken auch gleich die Ortungsadresse durch. „Ich schicke einen Streifenwagen zur Verstärkung!“ wollte sie ihm mitteilen, aber Semir wehrte ab. „Bitte keine Uniformierten, Chefin-falls die mitkriegen, dass wir nach ihnen intensiv suchen, werden das die Geiseln vielleicht bezahlen!“ vermutete er und schweren Herzens musste Kim Krüger ihm zustimmen. Gerade hatte Semir sich auf den Weg in den Stadtpark gemacht, wo das Handysignal zuletzt geortet worden war, da rief Sarah an. „Sarah-wie geht´s Ben?“ wollte der kleine Polizist wissen. „Nicht so gut-er hat Probleme mit der Niere und dem Herzen und wird gerade dialysiert“ teilte sie ihm traurig mit. „Aber nichts desto trotz machen wir uns wahnsinnige Sorgen um Lisa und Tim und wollten wissen, ob es Neuigkeiten gibt!“ fragte sie und Semir sagte: „Ich will ja nicht zu viel versprechen, aber ich gehe gerade einer Spur nach-die Entführer haben sich mit einer Videobotschaft gemeldet. Lisa und Tim sehen gut aus-denen ist bisher anscheinend nichts geschehen!“ tröstete er Sarah und die bat aufgeregt: „Ich muss das Video sehen und Ben auch!“ flehte sie und Semir versprach, später im Krankenhaus vorbei zu kommen. „Aber erst muss ich der Spur folgen-versprecht euch nicht zu viel davon, aber ich bin dran!“ versicherte er und schweren Herzens ging Sarah erst einmal auf die Entbindungsstation um ihren Busen zu erleichtern.
Semir fuhr erst mal nur in die Nähe der Stelle an der Susanne das Handy von Sarah´s Schwägerin geortet hatte, aber so unauffällig er auch durch den Park schlich-er konnte nichts entdecken, was ihn weiter brachte. So stieg er wenig später ein wenig gefrustet in seinen BMW und fuhr durchs dunkle Köln zur Uniklinik. Keine Spur von den Entführten-mit jeder Stunde sank statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit die unversehrt zu befreien-er konnte jetzt nur hoffen, dass die Statistiker nicht Recht behielten!
Sarah´s Bruder wartete derweil ungeduldig auf den Anruf seiner Frau, wie sie jeden Abend ausgemacht hatten. Nachdem eine Stunde nach der vereinbarten Zeit immer noch niemand ranging und sich sofort die Mailbox meldete, wenn er durchwählte, begann er ein ungutes Gefühl zu kriegen. Also suchte er Sarah´s Nummer und sank wenig später entsetzt auf einen Stuhl, als Kim Krüger ihm so schonend wie möglich beibrachte was geschehen war.
Brami saß derweil mit seinem Gastgeber bei einem exzellenten Abendessen. Bei seiner kleinen Tour durch den Stadtpark hatte er erst das Video von einem älteren Handymodell auf Lisa´s Handy geschickt und von dort weiter auf Sarah´s Handy. Das alte Gerät warf er im Vorbeigehen in einen der vielen Weiher, die den Stadtpark zu einer Erholungsoase erster Güte machte. Er glaubte zwar schon, dass mit diesem hervorragenden Druckmittel die Polizei die Füße still halten würde, aber sicher war sicher!