Wild Hot Racing

  • Langsam stabilisierte sich Ben. Stunde um Stunde verging und seine Eigenfrequenz stieg in dem Maße wie der Kaliumspiegel in seinem Blut sank. Er benötigte immer weniger externe Schrittmacherimpulse und allmählich konnte man die regelmäßigen Morphiumgaben, ohne die er das vermutlich nicht ausgehalten hätte, reduzieren. Langsam verschwand das Taubheitsgefühl, aber je besser es ihm körperlich ging, desto mehr Sorgen machte er sich um seinen entführten Sohn. Sarah war wie angeschraubt an seinem Bett gesessen und hatte sich nicht dazu überreden lassen, in die Kantine zu gehen und etwas zu essen. So hatten ihre Kollegen sie mit Tee, Schokolade und Keksen gelabt-sowas war auf einer Intensivstation immer zu finden! Immer mehr spannten schon wieder ihre Brüste-sie musste dringend zum Abpumpen gehen, hatte aber schreckliche Angst, dass genau in diesem Moment mit Ben etwas wäre, wenn sie nicht bei ihm war. Irgendwann wandte ihr Partner den Kopf zu ihr. „Sarah, ruf doch bitte Semir an, ob er schon eine Spur hat!“ bat er sie, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Nur wenn du seine Handynummer auswendig weisst-mein Handy hat Frau Krüger eingepackt, falls die Entführer sich wieder melden. Die kennen ja meine Stimme nicht und sie meinte, dass sie schneller reagieren und den Anrufer orten lassen könnte, wenn er sich melden sollte!“ erklärte sie ihm und Ben überlegte einen Moment. „Ich weiss die Nummer nicht auswendig und mein Handy ist in Tunesien verschollen, aber ruf doch einfach in der PASt an, die geben sie dir schon!“ bat er und Sarah erhob sich. „Ich gehe dann gleich noch Milch abpumpen!“ sagte sie tonlos-oh mein Gott-was wäre, wenn sie die eingefrorene Milch nie mehr brauchen könnten?
    Ben nickte und schloss dann erschöpft wieder die Augen. Diese Dialyse machte ihn körperlich völlig fertig, dabei sollte er doch auf den Straßen Kölns unterwegs sein und Tim suchen, aber nachdem er sich kaum bewegen konnte und überall Schläuche und Drainagen aus ihm ragten war das wohl keine besonders gute Idee!
    Sarah ging zum Stationstelefon und tatsächlich-wenig später hatte sie Semir´s Nummer bekommen. Susanne war kurz vor ihrem Feierabend noch am Apparat gewesen und hatte erstens ihre Stimme erkannt und zweitens ein paar vorsichtige Fangfragen gestellt, die kein Außenstehender wissen konnte und konnte sie so zweifelsfrei identifizieren. „Sarah-du verstehst, dass wir alle vorsichtig sein müssen!“ sagte sie entschuldigend und Sarah stimmte ihr müde zu. „Ist doch klar-ich bin ja froh, dass ihr so aufpasst, nicht dass dem Nächsten auch gleich was passiert!“ zeigte sie Verständnis und schrieb sich Semir´s Nummer auf einen Zettel. Kaum hatte sie aufgelegt, winkte die Krüger aufgeregt aus dem Büro-anscheinend hatte sie gerade eine Nachricht bekommen. Susanne stürzte ins Zimmer mit der Glasscheibe, die man wahlweise mit Rollos verdunkeln konnte oder offen lassen, damit die Chefin ihre Station überblicken konnte. „Schnell-versuchen sie das Handy der Entführten zu orten, ich bekomme gerade eine Videobotschaft!“ befahl sie und tatsächlich konnte Susanne den ungefähren Standort des Handys bestimmen. Die Chefin hatte inzwischen aufmerksam das Video angesehen, aber leider im Hintergrund nichts erkennen können, was einen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Geiseln gab-es war ein Raum mit schrägen, weiß gestrichenen Wänden, aber mehr konnte sie nicht erkennen. Schnell schickte sie das Video Hartmut und Semir und gab dem kleinen Türken auch gleich die Ortungsadresse durch. „Ich schicke einen Streifenwagen zur Verstärkung!“ wollte sie ihm mitteilen, aber Semir wehrte ab. „Bitte keine Uniformierten, Chefin-falls die mitkriegen, dass wir nach ihnen intensiv suchen, werden das die Geiseln vielleicht bezahlen!“ vermutete er und schweren Herzens musste Kim Krüger ihm zustimmen. Gerade hatte Semir sich auf den Weg in den Stadtpark gemacht, wo das Handysignal zuletzt geortet worden war, da rief Sarah an. „Sarah-wie geht´s Ben?“ wollte der kleine Polizist wissen. „Nicht so gut-er hat Probleme mit der Niere und dem Herzen und wird gerade dialysiert“ teilte sie ihm traurig mit. „Aber nichts desto trotz machen wir uns wahnsinnige Sorgen um Lisa und Tim und wollten wissen, ob es Neuigkeiten gibt!“ fragte sie und Semir sagte: „Ich will ja nicht zu viel versprechen, aber ich gehe gerade einer Spur nach-die Entführer haben sich mit einer Videobotschaft gemeldet. Lisa und Tim sehen gut aus-denen ist bisher anscheinend nichts geschehen!“ tröstete er Sarah und die bat aufgeregt: „Ich muss das Video sehen und Ben auch!“ flehte sie und Semir versprach, später im Krankenhaus vorbei zu kommen. „Aber erst muss ich der Spur folgen-versprecht euch nicht zu viel davon, aber ich bin dran!“ versicherte er und schweren Herzens ging Sarah erst einmal auf die Entbindungsstation um ihren Busen zu erleichtern.
    Semir fuhr erst mal nur in die Nähe der Stelle an der Susanne das Handy von Sarah´s Schwägerin geortet hatte, aber so unauffällig er auch durch den Park schlich-er konnte nichts entdecken, was ihn weiter brachte. So stieg er wenig später ein wenig gefrustet in seinen BMW und fuhr durchs dunkle Köln zur Uniklinik. Keine Spur von den Entführten-mit jeder Stunde sank statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit die unversehrt zu befreien-er konnte jetzt nur hoffen, dass die Statistiker nicht Recht behielten!


    Sarah´s Bruder wartete derweil ungeduldig auf den Anruf seiner Frau, wie sie jeden Abend ausgemacht hatten. Nachdem eine Stunde nach der vereinbarten Zeit immer noch niemand ranging und sich sofort die Mailbox meldete, wenn er durchwählte, begann er ein ungutes Gefühl zu kriegen. Also suchte er Sarah´s Nummer und sank wenig später entsetzt auf einen Stuhl, als Kim Krüger ihm so schonend wie möglich beibrachte was geschehen war.


    Brami saß derweil mit seinem Gastgeber bei einem exzellenten Abendessen. Bei seiner kleinen Tour durch den Stadtpark hatte er erst das Video von einem älteren Handymodell auf Lisa´s Handy geschickt und von dort weiter auf Sarah´s Handy. Das alte Gerät warf er im Vorbeigehen in einen der vielen Weiher, die den Stadtpark zu einer Erholungsoase erster Güte machte. Er glaubte zwar schon, dass mit diesem hervorragenden Druckmittel die Polizei die Füße still halten würde, aber sicher war sicher!

  • Nachdem Semir`s Exkursion in den Park vergeblich gewesen war, machte er sich auf den Weg zur Uniklinik. Als er die Intensivstation betrat, saß Sarah wieder an Ben´s Bett und hielt seine Hand. Man hatte den externen Schrittmacher inzwischen abgeschlossen, denn der Kaliumspiegel war so weit gesunken, dass das Herz nun nicht mehr darauf reagierte. Allerdings lief die Dialyse noch und Ben lag blass und krank aussehend in seinem Bett. Seine nackte Brust, wo die Defipaddels festgeklebt gewesen waren, brannte und Sarah verteilte immer wieder Fenistilgel darauf. Trotzdem warf die Haut Blasen-es hatte Verbrennungen zweiten Grades durch die Stromstöße gegeben, aber gegen die Option ansonsten zu sterben waren das Peanuts. Allerdings tat es trotzdem weh und irgendwie war Sarah froh, dass sie wenigstens irgendwas für ihren Partner tun konnte.
    Als Semir nun das Krankenzimmer betrat, erschrak er, wie fertig seine beiden Freunde aussahen. Gut-bei Ben hatte er es erwartet, aber dass Sarah nach den wenigen Stunden, seitdem er sie verabschiedet hatte, aussah wie eine wandelnde Leiche setzte ihm bald genauso zu, wie die Nachricht , die er überbringen musste: Er hatte nichts, aber auch gar nichts gefunden! Als er auf dem Weg zur Klinik gewesen war, hatte ihn Frau Krüger angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie inzwischen Sarah´s Bruder sozusagen unfreiwilliger Weise verständigt hatte und ihn gebeten das Sarah auszurichten. Semir hatte ihr im Gegenzug von seiner erfolglosen Mission berichtet. „Hartmut sieht sich das Video gerade sehr genau an, aber bisher haben wir noch keinen Hinweis auf einen möglichen Aufenthaltsort der Geiseln!“ sagte die Chefin und kündigte an, jetzt nach Hause zu gehen. „Ich nehme das Handy mit, aber irgendwie glaube ich nicht, dass sich heute noch irgendjemand meldet. Machen sie nach ihrem Krankenbesuch auch Feierabend-vielleicht haben wir bis morgen schon neue Erkenntnisse!“ forderte sie ihn auf und Semir versprach ihr, das zu tun. Inzwischen dachte er wirklich, dass es das Vernünftigste war, wenn er bald zu seiner Familie in die Schutzwohnung fuhr um sich auszuruhen-er wusste nämlich nicht, wo er ansetzen sollte!


    Als Sarah seiner ansichtig wurde sprang sie auf: „Semir-hast du irgendeine gute Neuigkeit für uns?“ fragte sie mit bangem Unterton in der Stimme, aber der schüttelte den Kopf. „Die letzte Ortung von Lisa´s Handy war im Stadtpark, aber ich habe dort weder eine Spur von ihr, eurem Sohn, noch dem Handy gefunden. Allerdings zeigt das Video auch, dass die beiden sich in einer Wohnung oder einem Haus befinden-mehr wissen wir aber noch nicht!“ erklärte er und nun sagte Sarah: „Bitte lass uns das Video sehen-ich habe Ben schon davon erzählt!“ bat sie und jetzt holte Semir sein Smartphone aus der Hosentasche und trat so an Ben´s Bett, dass der mit schauen konnte. Er rief das Video auf und nun hingen Sarah und Ben wie gebannt an dem kleinen Bildschirm. Als Lisa von dem Zettel die Forderungen der Entführer vorlas und Tim derweil auf ihrem Arm mit unsicherem Gesichtsausdruck und bebender Unterlippe den Filmer ansah, der ihm anscheinend Angst machte, dann aber wieder halbwegs beruhigt seine Tante anblickte, die ihn liebevoll umfasst hielt, brach Sarah in Tränen aus und auch Ben´s Augen wurden feucht. „Semir-du musst unseren Kleinen finden-auch wenn Lisa ihr Möglichstes tut um ihn zu schützen-ein Baby gehört zu seinen Eltern und nicht in die Hand fremder Männer, von denen man nicht weiss, was sie mit so einem Zwerg noch vorhaben!“ schluchzte sie und kaum war das Video abgelaufen, startete sie es erneut und wieder und wieder. Die beiden betrachteten ihren Sohn und konnten sich gar nicht satt sehen an seinem kleinen Gesichtchen, aber die Angst und Sorge standen immer im Vordergrund. Oh Gott-und was wäre, wenn das das letzte Lebenszeichen von ihm wäre? „Wenn Tim etwas zustößt will ich auch nicht mehr leben!“ beschied Sarah ihm und Ben nickte zustimmend. „Dann hat auch mein Leben keinen Sinn mehr, aber noch lebt er-verdammt, wo könnten die nur stecken?“ zermarterte er sich den Kopf. „Hartmut analysiert gerade das Video-vielleicht kann er irgendwie rausfinden, wo das gedreht wurde!“ hoffte nun auch Semir und jetzt schwiegen die drei Freunde eine ganze Weile miteinander und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.


    Nach einer Weile nahm Semir sein Handy wieder an sich. „Versucht auch ein wenig zu schlafen-vielleicht hat sich bis morgen etwas Neues ergeben, oder unser Einstein findet einen Hinweis. Ich denke schon, dass Lisa und Tim bis zum Wirtschaftsgipfel sicher sind!“ machte Semir ihnen Mut, aber Ben verzog gerade vor Unwohlsein das Gesicht. Er hatte sozusagen Ganzkörpermuskelkater zu seinen ganzen übrigen Schmerzen, denn die Muskulatur hatte sich bei den Stromstößen unwillkürlich verkrampft. „Was hast du eigentlich da?“ fragte Semir verwundert und wies auf die beiden rechteckigen, handtellergroßen, knallroten Brandwunden mittig und auf der linken Brustseite seines Freundes. „Da ist der Elektroschock den ganzen Nachmittag immer wieder durchgesaust, weil sein Herz beinahe aufgehört hätte zu schlagen!“ beschied ihm Sarah und nun schüttelte sich Semir innerlich. Mein Gott-das war ja wie Elektrofolter und schon wieder war sein Freund gerade mal so von der Schippe gesprungen! „Ich halte euch auf dem Laufenden und melde mich natürlich sofort, wenn ich irgendeinen Hinweis finde-versucht euch auszuruhen, ich tu´s auch und morgen komme ich wieder vorbei!“ versuchte Semir sie ein wenig abzulenken, aber ihm zerriss es beinahe das Herz als er sich im Hinausgehen noch einmal umdrehte und die beiden wie ein Häufchen Elend da liegen, bzw. sitzen sah. Verdammt-er musste Tim finden, sonst war deren Leben wie das vieler anderer verwaister Eltern vorbei!


    Lisa hatte Tim das letzte Fläschchen gegeben und wollte sich gerade auf einer Isomatte ausstrecken, um die Männer in falscher Sicherheit zu wiegen und nachts ihren Fluchtplan durch zu ziehen, da kam einer der milchkaffeefarbenen Männer zu ihr, legte ihr eine Fußfessel mit einer langen Kette um den Knöchel und machte sie damit am Heizkörper fest. „Sicher ist sicher!“ sagte er mit einem verschlagenen Grinsen-anscheinend sprachen hier eh die meisten auch Deutsch. „Nicht dass du mir nachts auf dumme Gedanken kommst!“ beschied er ihr und legte sich wenig später wie seine Kollegen auf eine Matte daneben. Solange ihr Auftrag nicht ausgeführt war, würden sie ihre Energien aufsparen, aber im Halbschlaf malte er sich schon aus, was er mit dieser jungen Frau anstellen würde, wenn das Wochenende vorbei war!

  • Die Nacht verlief für alle relativ ereignislos. Sarah´s Kollegen hatten ihr kommentarlos ein zweites Bett ins Zimmer gestellt. Man würde das am Morgen einfach wieder herausschieben und in einer Ecke für die nächste Nacht aufheben, aber es war völlig klar, dass sie sich nicht von Ben´s Seite rühren würde, solange ihr Kind nicht wieder da war. Die Dialyse hatte man abgehängt, Ben noch ein wenig frisch gemacht und dann das Licht gelöscht. Ganz finster war es nie auf einer Intensivstation, weil ja die Geräte Licht abstrahlten und auch mit der Ruhe war es nicht weit her. Trotzdem schliefen Sarah und Ben immer wieder vor Erschöpfung ein wenig ein. Morgens wusch Sarah ihren Freund sorgfältig und hingebungsvoll und betrachtete voller Sorge seine krumm eingegipsten Extremitäten. Solange die Nierenfunktion nicht besser war, war er eigentlich nicht narkosefähig. Darum würde man mit jedem nicht unbedingt nötigen Eingriff warten, bis sich die Werte gebessert hatten. Das Blutgas war am Morgen auch nicht berauschend und so lag Ben wenig später mit einer Atemmaske auf dem Gesicht da und machte bis zum Beginn der nächsten Dialyse maschinelle Atemgymnastik, was ebenfalls sehr anstrengend war.
    Die Bewacher auf dem Flur hatten dazwischen gewechselt und der nächste war viel gewissenhafter als sein Kollege. Er ließ sich alle Ärzte und Schwestern der Schicht vorstellen und prägte sich die Gesichter ein. Sogar von der Putzfrau und dem Hausmeister verlangte er eine Reputation, aber niemand Unbefugtes versuchte das Zimmer zu betreten.


    Der kleine Yasser wurde behandelt wie ein König. In der Kinderklinik hatte sich herumgesprochen, dass er einem deutschen Polizisten vermutlich das Leben gerettet hatte und so bekam er von allen Seiten Spielzeug geschenkt und war nur von lachenden Gesichtern umgeben. Er bekam noch Infusionen, aber als am Donnerstagnachmittag seine Geschwister und sein Vater-begleitet von Jenni und Dr. Amami, der doch noch ein paar Tage in Deutschland bleiben wollte, bis das mit der Chemotherapie für Yasser´s Vater angelaufen war- zu Besuch kamen, schwatzte er schon voller Freude mit seinen Geschwistern, die allesamt neu eingekleidet waren. Auch hier saß ein Uniformierter auf dem Flur, aber die Bewachung war viel einfacher als auf einer Intensivstation, weil in das Mutter-Kind-Zimmer lange nicht so viele Menschen wollten. Am Freitag hatte Yasser´s Vater gleich in der Früh einen Termin bei einem niedergelassenen Kölner Onkologen und der besah sich die Befunde, die Dr. Amami von seiner Frau aus Tunesien hatte schicken lassen, nahm Blut ab und schickte ihn sofort im Anschluss noch zum PET-CT, wo man nach der Ausbreitung der Tumorzellen sehen würde. „Bis zum Montag haben wir alle aktuellen Werte beieinander und ich würde vorschlagen, wir beginnen dann sofort mit der Chemotherapie, die ich bis dahin maßgeschneidert für sie ausgearbeitet habe!“ sagte er freundlich und der tunesische Arzt übersetzte. In der Praxis arbeitete eine Helferin, die arabische Wurzeln hatte und sich problemlos mit dem neuen Patienten verständigen konnte. So war die Anwesenheit von Dr. Amami dann nicht mehr erforderlich und er plante am Wochenende in die Heimat zurück zu reisen-seine Familie und die Praxis warteten auf ihn!


    Hartmut hatte am Abend noch lange in der KTU gesessen, als seine Mitarbeiter schon lange nach Hause gegangen waren. Er besah sich das Video, filterte Einzelheiten heraus, aber den großen Durchbruch konnte er nicht vermelden, obwohl er Übersetzungssoftware und andere Dinge einsetzte. Als er am nächsten Morgen nach kurzem Schlaf wieder vor seinem Computer saß, kamen Semir und die Chefin zu ihm. „Und Herr Freund-wie sieht´s aus? Konnten sie etwas rausfinden, was uns einen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Geiseln gibt?“ fragte die Chefin und Hartmut referierte: „Leider nicht besonders viel, sonst hätte ich sie schon angerufen. Anscheinend halten sie sich in einer Mansardenwohnung auf. Die Wände sind frisch gestrichen, aber einige Nagellöcher sind nur schlampig zugeschmiert und überstrichen, wie man das z.B. in einer Mietwohnung macht, wenn man auszieht. Ich habe die Spiegelung in Tim´s Augen vergrößert und das ist das Ergebnis!“ sagte er und holte das verschwommene Bild eines mit dem Handy filmenden Mannes auf seinen PC. „Das ist Dietmar Haug!“ stellte Semir fest-aber das war ja eigentlich schon klar, dass der in diese Entführung verwickelt war. „Ich habe noch die Hintergrundgeräusche herausgefiltert-im Nebenraum unterhalten sich anscheinend leise ein paar Tunesier, leider sind das belanglose Gespräche ohne Hinweis auf den Aufenthaltsort oder irgendwelche Pläne, wie meine Übersetzungssoftware mir sagt!“ berichtete Hartmut noch und nun seufzte Semir auf. „Mann-dann hast du bisher also nichts gefunden, was uns einen Hinweis geben könnte?“ fragte er und Hartmut verneinte. „Ich mache jetzt mit der Auswertung der Spuren von der Kartbahn weiter!“ sagte er und Semir und Kim Krüger zogen frustriert wieder ab.
    „Wenn ich nur den leisesten Schimmer hätte, wo ich nach den beiden Entführten suchen sollte! Ich habe überhaupt keinen Plan und traue mich fast nicht ins Krankenhaus!“ lamentierte er und die Chefin sah ihn traurig an. „Ich muss heute den Einsatzplan für die Sicherung der Anreise der Teilnehmer an der Konferenz ausarbeiten und abgeben. Es ist schwer genug, weil unsere Personaldecke wahnsinnig dünn ist, wie sie ja wissen-heute Nachmittag ist dann im Polizeipräsidium noch die Besprechung aller leitenden Einsatzkräfte und privater Sicherheitsdienste, ich kann ihnen also überhaupt niemanden zur Unterstützung an die Seite stellen. Ich wünsche ihnen viel Glück und vielleicht hat Susanne noch irgendetwas herausgefunden!“ hoffte sie, aber auch da gab es keine großen Neuigkeiten zu vermelden. Trotzdem wollte Semir nochmals zur Wohnadresse der beiden Haug-Brüder fahren-vielleicht hatten Nachbarn einen Hinweis für ihn, wo sich die aufhalten könnten und wenn er einen von denen in die Finger kriegte, würde er die Wahrheit notfalls aus ihm heraus prügeln-das war so sicher wie das Amen in der Kirche! So fuhr er dorthin und läutete die Anwohner heraus, in der Hoffnung auf einen Fingerzeig.
    So verging der Freitag. Abends kam ein gefrusteter Semir im Krankenhaus vorbei und musste leider zugeben, dass er nicht den geringsten Peil hatte, wo Lisa und Tim sich aufhielten. Sarah hatte inzwischen mehrmals mit ihrem Bruder telefoniert, der genauso fertig wie alle anderen war. Er hatte es sich seinen Kindern nicht zu sagen getraut, dass ihre Mutter vermisst war, aber die hatten natürlich auch gemerkt, dass da irgendetwas nicht stimmte und verlangten lautstark nach der Mama. „Ach Sarah-eigentlich müsste ich ja wütend sein-aber es war ihre eigene Entscheidung dich zu unterstützen und du vermisst ja auch deinen Sohn, also weiss ich, wie schlimm das Ganze auch für dich ist. Meinst du nicht wir sollten vielleicht an die Öffentlichkeit gehen und mit Presseaufrufen nach ihnen suchen?“ fragte er, aber Sarah wehrte ab: „Bitte nicht-sonst sind unsere Liebsten nämlich in größter Gefahr!“ bat sie ihren Bruder und so warteten sie, dass die Polizei-na ja eigentlich wie sie wusste, aber nicht weiter sagte nur Semir- einen Ermittlungserfolg hatte.


    Hildegard hatte ein wundervolles frisches Krustenbrot gekauft und in eine hübsche Schale ein wenig Salz eingefüllt. Während Hubert zur Arbeit in der Fabrik war erklomm sie die Stufen und läutete an der Wohnungstür. Sie hatte Schritte und auch das Baby über sich gehört, aber niemand öffnete und so zog sie enttäuscht wieder ab.


    Ben`s Dialyse war wieder für heute wieder abgeschlossen und Semir hatte ihm nun schweren Herzens seine Waffe gebracht, wie er gefordert hatte. Ihm war zwar nicht klar, wozu er die brauchen könnte, aber er schloss von sich auf andere-mit der Möglichkeit sich zu verteidigen fühlte man sich einfach besser und Ben war wieder ganz bei Sinnen, nur schwach. So lag nun ganz unauffällig, unbemerkt vom Pflegepersonal, aber begrüßt von Sarah, die Waffe im Nachtkästchen in der oberen Schublade und die Anwesenden warteten angstvoll auf irgendwelche Neuigkeiten.


    Brami saß am Freitagabend derweil in dem großen Salon seines Gastgebers und lauschte verzückt den Darbietungen der jungen Künstler. Ja da war durchaus der eine oder andere dabei, der förderungswürdig war und als Kunstmäzen genoss man in der deutschen Gesellschaft ein hohes Ansehen. Morgen würde der Tag der Tage sein, aber warum sollte er seine Zeit bis dahin nicht mit schönen Dingen verbringen?

  • Lisa hatte solche Hoffnung geschöpft, als es an der Tür geklingelt hatte. Vielleicht würde es ihr gelingen auf sich aufmerksam zu machen, aber während einer der Männer durch den Türspion blickte, legte ein anderer seine große Hand auf ihren Mund und machte ihr damit unmissverständlich klar, dass es ein Fehler wäre, jetzt einen Laut von sich zu geben. Als die Schritte sich nach einer Weile entfernten, sagte der Mann hinter der Tür zu den anderen, die ebenfalls zur Salzsäule erstarrt waren: „Das war eine ältere Frau, die hatte ein Brot und eine Schale in der Hand!“ Lisa, die natürlich verstanden hatte, was er gesagt hatte, wusste sofort, dass das ein Gastgeschenk-Brot und Salz- war, die Dame also vermutlich im Haus wohnte und ihre neuen Nachbarn begrüßen wollte, aber die Männer kannten den Brauch nicht und zuckten nach einer Weile mit den Schultern und begannen wieder ihre Würfelspiele zu spielen. Lisa hatte derweil ein wenig Hoffnung-immerhin war bemerkt worden, dass jemand in der Wohnung war-vielleicht schöpfte die Frau Verdacht und verständigte die Polizei! Langsam begannen nämlich bei den Männern die Nerven blank zu liegen-die enge räumliche Nähe ohne sinnvolle Beschäftigung zerrte an den Nerven und wenn Tim weinte, was er öfter als normal tat, weil er natürlich die allgemeine Anspannung bemerkte und immer noch Angst vor den dunklen unheimlichen Männern hatte-dann wurde Lisa streng aufgefordert, das Kind zur Ruhe zu bringen und so lief sie Kilometer um Kilometer durch die Wohnung, um das Baby zum Schweigen zu bringen.


    Hildegard hatte Hubert am Abend erzählt, dass sie mit ihrem Geschenk oben gewesen war, aber niemand die Tür geöffnet hatte, obwohl sie kurz zuvor noch Schritte und Babyweinen gehört hatte und auch niemand die Treppe herunter gekommen war. „Vielleicht wollen unsere neuen Nachbarn einfach keinen Kontakt-es gibt eben auch komische Leute, mach dir nichts draus-du hast jedenfalls dein Möglichstes getan, um Gastfreundschaft zu beweisen-mehr kannst du nicht tun!“ sagte er und biss herzhaft in ein Stück Krustenbrot. Das mussten sie jetzt selber essen, aber so lecker wie das war, fand Hubert das gar nicht so schlimm.


    Bei Ben im Krankenhaus verging die Zeit ohne Tim quälend langsam. Nun brach der Freitagabend an-die zweite Nacht ohne ihr Baby stand Sarah bevor. Noch nie seitdem ihr Sohn auf der Welt war, war sie so lange von ihm getrennt gewesen und sie vermisste ihn mit jeder Faser. Auch Ben lag stumm in seinem Bett und starrte an die Decke. Er wurde von Selbstvorwürfen gequält. Wenn er nicht diese Spinnerei mit den Autorennen angefangen hätte und nicht nach Tunesien gereist wäre, wäre das Alles nicht passiert. Klar hatte er immer noch Schmerzen, trotz peripherer Schmerzmittel, aber er nahm die als gerechte Strafe für seinen Egoismus und lehnte die Opiate, die ihm angeboten wurden ab. Was wäre, wenn ihr Sohn nie mehr auftauchte, oder irgendwann seine Leiche gefunden würde? Dann wäre er ganz allein daran schuld und dann war sein Leben nicht mehr lebenswert. Sarah hatte seinetwegen schon so viel mitgemacht-sie war in der Schwangerschaft schwer verletzt worden, hatte danach mit ihm einen Drogenentzug durchgestanden und wie dankte er es ihr? Indem er sie mit dem Baby alleine ließ und sein Ding durchzog. Und was dabei rauskam konnte man hier sehen! Und jetzt konnte er nicht einmal Semir bei der verzweifelten Suche nach ihrem Sprössling unterstützen, sondern lag hier wie ein nutzloses Stück Fleisch mit gebrochenen Knochen herum und es war sowieso fraglich, ob er je wieder würde laufen können. In diesem Augenblick beschloss er, wenn es mit Tim zum Äußersten kam, seine Waffe zu benutzen. Aber nicht um irgendjemanden zu bestrafen, sondern um sich umzubringen. Ein Schuss und er hätte für immer Frieden.


    Die Chefin hatte die konkreten Pläne gemeinsam mit den anderen ausgearbeitet. Hier würden Behörden und private Sicherheitsdienste Hand in Hand arbeiten, jeder hatte einen bestimmten Teil zu überwachen oder zu begleiten und die Hauptaufgabe der Autobahnpolizei war der Schutz der Gäste vom Flughafen bis zum Hotel. Sie würden im Konvoi fahren und in der Innenstadt würde der Bereich rund ums Hotel abgesperrt werden, um keine Schaulustigen und fraglichen Attentäter durchzulassen. Der Chef einer privaten Sicherheitsfirma würde mit seinen Mitarbeitern die umliegenden Häuser kontrollieren, man würde von Wohnung zu Wohnung gehen, dort nach dem Rechten sehen und den Bewohnern Identifizierungskärtchen mit Namen und Bild überreichen, die heute schon angefertigt und ausgeteilt wurden. So hoffte man den Publikumsverkehr ein wenig einzudämmen und mögliche Attentäter sofort identifizieren zu können. Der Chef der eigentlich bekannten und alt eingesessenen Kölner Sicherheitsfirma, dessen Betrieb nicht sonderlich gut dastand, hatte von einem Mittelsmann eine größere Summe erhalten, die seine Firma wieder flüssig machte, sonst würde die Insolvenz drohen. Er musste dafür nur eine Gegenleistung bringen, nämlich einige Jacken mit Firmenemblem überlassen und ein paar zusätzliche offizielle Identifizierungsausweise drucken lassen-die Bilder und Namen der Männer darauf hatte man ihm zukommen lassen. Gut-er vermutete schon, dass da irgendwas nicht mit rechten Dingen zuging, aber das war die letzte Chance um seine Firma zu retten und die 100 000 € die er dafür erhielt, würden seines und die Gehälter der Angestellten sichern, die sonst ein trauriges Weihnachtsfest vor sich hätten. Und mit dem Rest würde er wieder in die Spielbank gehen und das Vermögen, das er in den letzten Wochen verspielt hatte, zurückholen-er hatte jetzt ein todsicheres System!


    Brami hatte den Abend sehr genossen und nach dem Konzert dem einen oder anderen Künstler versprochen, ihn finanziell zu unterstützen. Eine besonders hübsche junge Sängerin, die sich wunderbar zu bewegen wusste, deren Stimme aber gar nicht so besonders war, bat er noch zu einer privaten Besprechung in sein Schlafzimmer und sein Gastgeber lächelte wissend, als die beiden gegen 23.00 Uhr verschwanden-er vermutete schon, dass sich die Gefälligkeiten nicht auf Gespräche beschränken würden, aber die junge Frau war volljährig und er konnte ihr nicht vorschreiben, wie sie ihre Karriere voranzubringen hatte. Schon andere hatten sich hoch geschlafen und der reiche Tunesier war ja nicht unattraktiv und hatte sicher vollendete Umgangsformen-auch in dieser Situation! Eine Stunde später verließ die junge Frau ein wenig zerzaust das Haus, aber in der Tasche hatte sie die Zusage für eine Art Stipendium und das war es ihr wert gewesen. Brami streckte sich zufrieden und befriedigt in seinem weichen Bett aus-sein Leben war schön und der morgige Tag würde dafür sorgen, dass es auch so blieb.

  • Sarah und Ben hatten wieder kaum geschlafen. Einmal hatte Ben leise gesagt: „Sarah es tut mir so leid, denn ich bin an allem schuld!“ aber es war keine Antwort gekommen-anscheinend schlief sie. Sarah allerdings hatte im Augenblick einfach nicht gewusst was sie sagen sollte, denn insgeheim machte sie Ben ja dieselben Vorwürfe, die sie aber nicht laut äußern wollte. So sehr sie ihn auch liebte, aber die Entführung Tim´s hatte in ihr irgendetwas kaputt gemacht-sie konnte gerade gar nicht mehr klar denken vor lauter Sorgen um ihr Kind.


    So brach der Samstag an. Auch Semir war zum Flughafen beordert worden, wie alle anderen Mitarbeiter der PASt, die einsatzfähig waren und nacheinander landeten die Maschinen der verschiedenen Minister und Wirtschaftsweisen. Man hatte im VIP-Bereich des Flughafens eine Art Sammelstelle eingerichtet, die vom Sicherheitsdienst des Flughafens bewacht wurde und als alle Teilnehmer-Guido eingeschlossen, der Kim Krüger herzlich begrüßte-eingetroffen waren, wurden sie auf mehrere Luxuskarossen mit Panzerglasscheiben verteilt und der Konvoi zum Hotel ging los. Semir war mit seinem BMW eines der Begleitfahrzeuge, andere Mitarbeiter hatten kurzfristig Autobahnspuren mit ihren Fahrzeugen frei gemacht, damit der Konvoi ohne Stockung passieren konnte und auch im Stadtverkehr, in dem man extra Umleitungen eingerichtet hatte, ließen sie die höchste Aufmerksamkeit walten. Es war ein riesiger logistischer Aufwand-die Behörden arbeiteten Hand in Hand und als die letzten Gäste das Hotel durch den extra dafür gesperrten Eingang betraten, atmete Semir, der die umliegenden Häuser mit einem unguten Gefühl musterte, auf. Sie hatten ihre eigentliche Aufgabe erledigt, nun mussten andere Dienste übernehmen-allerdings hatte Frau Krüger noch für jeden Mann eine spezielle Bewachungsaufgabe erhalten-nur Semir war freigestellt, damit er nach den beiden Entführten suchen konnte.


    In diesem Augenblick läutete sein Telefon und Hartmut, dem diese Entführung keine Ruhe ließ und der seitdem eigentlich fast durchgehend in der KTU nach Spuren gesucht hatte, war dran: „Semir, ich weiss ja nicht, ob das was zu bedeuten hat, aber ich habe im Müll der Kartbahn einen kleinen gedruckten Aufkleber gefunden, auf dem der Name Andreas Benko steht.“ teilte er Semir mit. „Das ist jetzt nicht so ungewöhnlich, immerhin war der bis vor gut zwei Monaten deren Kunde!“ erwiderte Semir. „Ja aber als ich mir die Größe des Objekts angeschaut habe und mir danach die Fotos, die ich gemacht habe angekuckt habe, ist mir etwas aufgefallen-ich meine, ich weiss jetzt, wo ähnliche Aufkleber zu finden sind!“ fuhr Hartmut fort und Semir, dem es langsam zu bunt wurde-schließlich lagen auch seine Nerven blank, raunzte ihn an: „Jetzt lass dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, sondern schieß los, Einstein!“ befahl er regelrecht und Hartmut sagte nun: „Na ja, da gibt es so ein Schlüsselbrett, wo ähnliche Aufkleber sind und da waren leere Haken!“ und nun fiel es Semir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Klar-Benko´s Wohnung-die war in einer Mansarde und die Wände waren sicher frisch gestrichen, weil die Eltern sie geräumt hatten! Wenn nun die Haug-Brüder gewusst hatten, dass sie noch leer stand-oder einfach mit diesem Schlüssel nachgesehen hatten, hatten sie ein perfektes Versteck gefunden. Nur-was war jetzt, als der Wirtschaftsgipfel schon begonnen hatte? Waren dann Lisa und Tim noch als Druckmittel wichtig, oder hatten sie die vielleicht schon beiseite geräumt? Gut-es waren keinerlei Beweise vorhanden, aber er würde sofort nachsehen gehen.
    Die Chefin war kurz neben ihm und hatte ihr Funkgerät, mit dem sie mit dem Einsatzleiter in Verbindung stand, in der Hand. Mit kurzen Worten schilderte er ihr Hartmut´s Entdeckung. „Herr Gerkhan-so leid es mir tut-ich kann ihnen keinen einzigen Mann mitgeben-durch die beiden Bewacher in den Krankenhäusern und die anderen Ausfälle sind wir eh zu wenig Personal und wie sie wissen, ist ja dieser Wirtschaftsgipfel unheimlich wichtig und auch akut gefährdet-ich kann keinen entbehren-sie müssen da erst mal alleine nachsehen!“ beschied sie ihm und nun rief Semir ins Telefon: „Hartmut-kommst du mit-du bist der einzige freie Mann unserer Abteilung?“ und der stimmte zu. „Die KTU liegt auf dem Weg zu der Wohnung-ich hol dich ab!“ rief Semir in sein Handy und spurtete schon zu seinem Wagen, der ein paar Meter hinter ihm in einer Schlange stand. In halsbrecherischem Tempo rangierte er aus der Lücke und wäre beinahe ein paar anderen Einsatzkräften über die Füße gefahren, wenn die nicht schnell genug beiseite gesprungen wären. Wenig später raste er mit Blaulicht durch die Stadt-hoffentlich kam er noch rechtzeitig!

  • Auch im Krankenhaus war der Samstag angebrochen. Sarah hatte Ben erst gewaschen, war aber weiterhin sehr schweigsam gewesen. Ben hatte gemerkt, dass die Stimmung nicht gut war und nochmals versucht, sich zu entschuldigen, aber Sarah hatte ihn recht kurz abgefertigt. „Ben ich kann und mag jetzt gerade nicht über unsere Beziehung nachdenken-ich vergehe nur vor Sorge um Tim!“ hatte sie gesagt und sich, nachdem er versorgt war, verabschiedet, um zur Wohnung zu fahren, sich zu duschen und umzuziehen. Ben sah ihr voller Kummer nach. Wenn Sarah ihn jetzt auch noch verließ, was er ihr nicht übel nehmen könnte, nach dem was er angerichtet hatte, dann würde er diesen letzten Schritt gehen.
    Fast liebevoll holte er die Waffe aus dem Nachtkästchen, kontrollierte, ob sie geladen war und legte sie dann wieder zurück. Er hatte eigentlich ziemlich große Schmerzen, aber trotzdem lehnte er ein Opiat ab, als es ihm von der Schwester angeboten wurde. Die Nierenwerte hatten sich leicht gebessert und deswegen würde man übers Wochenende mal versuchen ohne Dialyse auszukommen, aber noch war in der Schwebe, ob er dauerhaft nierenkrank bleiben würde, oder nicht. Wenig später kamen ein Physiotherapeut und seine betreuende Schwester zu ihm und forderten ihn auf: „Herr Jäger-wir werden sie jetzt kurz an den Bettrand setzen und falls sie das gut vertragen, werden wir sie heute Nachmittag schon in einem bequemen Stuhl unterbringen. Für ihre Lunge ist es nur gut, wenn sie nicht so viel liegen!“ wurde ihm erklärt und dann das Bett soweit ausgeräumt. Man legte alle Drainagenbeutel und Kabel auf eine Seite und nun setzten ihn die beiden Profis gekonnt mit einer speziellen Technik auf. Trotzdem entfuhr Ben ein Schrei-so groß war momentan der Schmerz- dass der Bewacher, der wieder gelangweilt in seiner Samstagszeitung, die er sich mitgebracht hatte, geblättert hatte, aufsprang und nach dem Rechten sah. Er erblickte allerdings nur seinen Kollegen, dem er häufig in der PASt begegnete, mit dem er aber sonst eigentlich keinerlei Beziehung hatte, wie ein Häufchen Elend, umgeben von Beuteln, Kabeln und Schläuchen, zusammengesunken und nackt am Bettrand sitzen und musste dann schnell wieder gehen, ihm wurde nämlich schon alleine vom Anblick schlecht-er konnte einfach kein Blut sehen und das lief gemischt mit Wundsekret aus allen Drainagen. Dabei hatte er sich sogar freiwillig für den Dienst im Krankenhaus gemeldet-er hatte nämlich angenommen, dass das weniger aufregend sein würde, als die Begleitung der Wirtschaftsbosse. Aber er achtete nun wieder sehr darauf, dass der Abstand zur Zimmertür auch groß genug war-sonst würde ihm sein mitgebrachtes Mittagsbrot nicht schmecken!
    Ben wurde vom Physiotherapeuten nun gestützt und der wollte eigentlich ein paar Atemübungen mit ihm machen, während die Schwester das Bettzeug glättete und aufschüttelte aber Ben flüsterte nur verzweifelt: „Mir wird schlecht!“ und der kalte Schweiß brach ihm aus. So beeilten sich die beiden, ihn wieder flach zu legen und er sank schwer atmend zurück in seine Kissen. „Na das war anscheinend doch noch etwas zu früh, aber nachmittags probieren wir es nochmal und sie werden sehen-es geht mit jedem Mal besser!“ tröstete ihn der Krankengymnast, aber Ben drehte den Kopf zur Seite und gab keine Antwort. Die Pflegekraft sortierte die Kabel, legte ein paar Lagerungskissen unter ihn und dann wurde er wieder alleine gelassen. Ben hätte heulen können-er konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals wieder selbstständig werden würde und einen Pflegefall würde er Sarah nicht antun-zu viel hatte sie seinetwegen schon ertragen müssen!


    Brami hatte sich nach einem vorzüglichen späten Frühstück von seinen Gastgebern verabschiedet. Es war ein klarer aber kalter Dezembertag und in der Innenstadt war die Hölle los mit Weihnachtsmarkt und vorweihnachtlichen Einkäufern. Deswegen zog er seinen pelzgefütterten Mantel an, packte ein elektronisches Gerät in eine kleine elegante Tasche um und sagte zu seinen Gastgebern, dass sein Koffer bei Gelegenheit von einem Taxifahrer abgeholt werden würde. Seine Füße waren von ebenfalls pelzgefütterten Stiefeln geschützt-eines wusste er sicher-sobald seine Mission hier erledigt war, würde er zügig wieder in seine Heimat zurückfliegen-da war es deutlich wärmer als im feuchtkalten Deutschland und auch mit Schnee konnte er nichts anfangen. Er würde heute aus dem Hintergrund die Mission leiten-es war alles vorbereitet und die Haug-Brüder, die ja gute Elektronikbastler waren, hatten sich zur Beameranlage des Konferenzzentrums schon vor Längerem Zugang verschafft durch den Einbau eines klitzekleinen Elektronikteils und einer Wanze. So konnte er die Konferenz aus der Entfernung-der Stadtpark war nicht weit weg-verfolgen und sich im richtigen Moment zuschalten. Was ärgerlich war, dass er nun weniger Terroristen zur Verfügung hatte, als geplant, denn diese deutschen Polizisten hatten seine besten Männer ausgeschaltet und das würden sie noch büßen, sobald diese Aktion erledigt war. Er hatte alle eingesetzten Männer über Wochen mit einer Art Gehirnwäsche von einem tunesischen Psychologen, den er in den Camps und auch anderswo beschäftigte, bearbeiten lassen, so dass sie in dieser Mission eine Glaubensfrage sahen und sich sofort selbst töten würden, wenn etwas schief ging. Dann wären sie laut ihrer Überzeugung Märtyrer im heiligen Krieg und würden ohne Umschweife ins Paradies kommen. Brami grinste in sich hinein-ja so eine theologische und ideologische Verbrämtheit war gut zu nutzen, auch wenn es ihm persönlich ausschließlich um die Wahrung seiner wirtschaftlichen Vorteile ging. So verschwand er mit schnellen Schritten im Stadtpark, dessen Ausläufer bis etwa 300m an das Hotel heranreichten-diese Entfernung war nahe genug für seine Anlage und der Ring, den die Polizei ums Hotel gezogen hatte, war deutlich enger-so war er persönlich sicher! Er hatte am Morgen noch zwei kurze Anrufe getätigt und so war sein Plan ein wenig modifiziert angelaufen und die Haug-Brüder hatten sich danach auch kommentarlos ins Auto gesetzt, das bisher in der Tiefgarage eines Wohnblocks verborgen gewesen war, wo sie bei einem Bekannten, der es mit der Legalität nicht so genau nahm, für einige Tage Unterschlupf gefunden hatten. Die Autokennzeichen hatten sie mit Doubletten versehen, so war es sehr unwahrscheinlich, dass sie bei einer zufälligen Verkehrskontrolle oder von aufmerksamen Anliegern entdeckt wurden.


    Sarah war in die Wohnung gegangen und je höher sie die Treppen stieg, desto eisiger wurde die Hand, die nach ihrem Herzen griff. Im Flur stand Tim´s Kinderwagen-seine Spielsachen waren überall verteilt und man sah schon, dass Hartmut sich in der Wohnung umgesehen hatte, aber er hatte sich bemüht, möglichst die Dinge wieder an ihren Platz zu stellen. Allerdings waren auf manchen Flächen noch Spuren des Pulvers zu sehen, mit dem er nach Fingerabdrücken gesucht hatte und auch sonst stand nicht alles so, wie sie es gewohnt war. Während sie ihre Kleider auszog und unter die Dusche stieg, begann sie zu weinen, wie sie selten geweint hatte. Sie wusste momentan überhaupt nichts mehr und war innerlich wie tot-wie sollte das nur weitergehen?

  • Die Haug-Brüder hatten nach dem Anruf Brami´s ihre Sachen gepackt und waren mit ihren beiden Wagen zur Benko-Wohnung gefahren. Die Terroristen waren schon im Aufbruch und hatten vorrübergehend, damit sie nicht störte, Lisa gefesselt und geknebelt und an der Heizung angebunden. Nebenbei hatten sie sich auf Arabisch unterhalten, was sie nach der erfolgreichen Durchführung des Plans mit ihr anstellen würden und Lisa war es kalt über den Rücken gelaufen. Tim brüllte wie am Spieß und während Dietmar dem Anführer der Terroristen den einen Autoschlüssel gab, damit der-geleitet vom Navi- zum Kongresszentrum fahren konnte, machte Günther Lisa schon wieder los. „Bring das Kind zum Schweigen!“ befahl er schroff und Lisa nahm eingeschüchtert das Baby auf den Arm und versuchte es zu beruhigen, was aber erst mal nicht gelang. Die dunkelhäutigen Männer hatten komplett schwarze Kleidung an, wie das auch in der Kleiderordnung des Sicherheitsdienstes vorgeschrieben war. Sie hatten Sturmhauben dabei und trugen die Jacken mit dem Aufdruck des Sicherheitsdienstes mit daran heftenden originalen Identifizierungskärtchen. So stiegen alle fünf in den Wagen, um den vorbereiteten Plan umzusetzen.


    Hildegard hatte voller Kummer gehört, wie das Baby schrie und nicht mehr aufhörte. Viele Schritte waren über ihnen zu hören und eigentlich hatten Hubert und sie gemeinsam, wie jeden Samstag, zum Großeinkauf fahren wollen. Sie lauschte nach oben und sagte dann unglücklich zu ihrem Mann: „Hubert-da muss irgendwas los sein-vielleicht ist das Baby krank!“ vermutete sie und der seufzte auf. Mann wenn sie ihn nur endlich mit dieser Sorge um Dinge, die sie nichts angingen in Ruhe ließe! Als sie Schritte im Treppenhaus hörte, die sich nach oben bewegten, sah sie durch den Türspion. Danach schrie sie unterdrückt auf: „Hubert-stell dir vor, wer da gerade in die obere Wohnung gegangen ist? Das waren die Haug-Brüder! Das ist doch kein Zufall! Irgendwas geht da nicht mit rechten Dingen zu-wir sollten die Polizei rufen!“ sagte sie. Hubert hatte sich seufzend erhoben. „Vielleicht haben die einfach die obere Wohnung gemietet? Schließlich wussten die ja, dass die nach dem Tod unseres Sohnes frei ist, oder besuchen jetzt ihre Bekannten, denen sie die vermittelt haben?“ vermutete er, aber Hildegard ließ sich nicht mehr ruhig stellen, obwohl das Babyweinen inzwischen leiser geworden war. Nun kamen Schritte von oben und Hildegard sah fünf unheimliche Männer die Treppe herunter kommen. „Hubert, da sind so komische Typen, die sahen aus, wie die Mechaniker auf der Kartbahn. Fünf Stück-was tun die mit nem Baby in der kleinen Wohnung?“ fragte sie weiter und Hubert hatte inzwischen seufzend das Kärtchen herausgesucht, das die beiden Polizisten Herr Jäger und Herr Gerkhan dagelassen hatten. Erst rief er bei der Festnetznummer an, aber das Telefon in der PASt, die fast verwaist war, weil der überwiegende Teil der Besatzung im Einsatz war, läutete auf dem Schreibtisch von Semir und Ben, ohne dass jemand reagierte. Danach wählte er Herrn Jäger´s Nummer, aber da ging sofort die Mailbox ran. Er sprach ein paar Sätze drauf und nun war Hildegard nicht mehr zu halten. „Hubert-du kommst jetzt sofort mit nach oben und siehst nach dem Rechten. Ich werde die Herren Haug zur Rede stellen, was das zu bedeuten hat und danach können wir immer noch entscheiden, was wir weiter unternehmen!“ beschloss sie und Hubert fügte sich seufzend in sein Schicksal. Wenn seine Hildegard sich was einbildete, ließ sie nicht mehr locker-das hatte er in ihrer über dreißigjährigen Ehe gelernt. Am besten man tat gleich, was sie verlangte, denn zum Schluss bekam die was sie wollte-und war es nur, weil sie so penetrant nerven konnte.
    So stiegen sie gemeinsam die Treppe hinauf und läuteten an der Tür. Drinnen wurde es plötzlich leise, denn Günther hatte seine große Hand über Tim´s Mund gelegt, der nun begann blau anzulaufen und sich strampelnd wehrte: „Geh an die Tür und wimmle ab, wer da draußen steht-und wehe du sagst einen falschen Ton, dann bringe ich das Balg auf der Stelle um!“ drohte er und Lisa ging mit einem verzweifelten Blick zurück zum Eingang, hinter dem sich schon Dietmar mit einer Waffe postiert hatte. Lisa öffnete die Tür einen Spalt, sah draußen das freundlich aussehende ältere Ehepaar stehen und fragte mit dünner Stimme: „Was gibt es?“ und nun antwortete Hildegard, der die fertig aussehende junge Frau sofort leid tat. „Wir sind die Mieter unter ihnen und haben das Baby weinen gehört-wir wollten fragen, ob wir ihnen unsere Hilfe anbieten können?“ und Lisa schüttelte nur matt den Kopf und sagte voller Angst um Tim, den sie im Hintergrund gurgeln hörte: „Vielen Dank, aber wir kommen schon alleine zurecht!“ und wollte die Tür gerade wieder schließen, da stellte Hildegard den Fuß dazwischen und rief: „Herr Haug-wir wissen dass sie da sind und haben auch schon die Polizei verständigt!“ und nun griff Dietmar hinter der Tür vor und zog die beiden verdutzten Menschen in den Wohnungsflur, wo er sie mit der Waffe bedrohte. Lisa stürzte mit einem Aufschluchzen zu Tim und nahm ihn an sich. Er hatte bereits aufgehört sich zu wehren und sie hatte momentan furchtbare Angst um ihn, aber wenig später holte er wieder tief Luft und begann lauthals zu brüllen. Nun stand das Trüppchen im Wohnzimmer und die beiden Brüder hatten zu ihren Waffen gegriffen und bedrohten sie. Jetzt war guter Rat teuer!


    Die Terroristen hatten derweil das Fahrzeug unweit des Kongresszentrums abgestellt und teilten sich auf, damit sie nicht im Trüppchen gesehen wurden. Durch ihre Identifizierungskärtchen und die offiziellen Jacken konnten sie problemlos das Haus betreten und holten nun die Teile ihrer Waffen aus den Verstecken. Wenig später standen in fünf verschiedenen Wohnungen fünf maskierte Männer mit großen Kriegswaffen in den Fenstern und zielten mit denen auf den Anbau, in dem der Kongress stattfand. Wenn sie die abfeuerten, konnten sie das Gebäude in Schutt und Asche legen und jeden, der sich darin befand töten. Momentan hatten sie allerdings noch die Vorhänge vorgezogen-sie würden warten, bis von Brami der Befehl kam, was sie als Nächstes tun sollten. Sie hatten alle einen kleinen Sender und einen Lautsprecher mit einer speziellen Frequenz im Ohr und hatten sich in ihrer Heimatsprache bei Brami angemeldet, der sich gemütlich auf einer Parkbank im menschenleeren Stadtpark niedergelassen hatte. Er hatte sogar beheizte Einlagsohlen in den Stiefeln und Taschenwärmer, damit er nicht frieren musste-so konnte er es aushalten, bis es soweit war.


    Sarah war inzwischen wieder zu Ben zurückgefahren. Sie war einfach nur fertig und als sie sah, wie blass und krank er in den Kissen lag und sie unsicher und schuldbewusst ansah, konnte sie ihm einfach nicht mehr böse sein. Sie setzte sich neben ihn, legte vorsichtig ihren Kopf auf seine rechte Brust und sagte: „Ach Ben-wann ist denn dieser Alptraum endlich zu Ende?“ und dann weinten alle beide stumm vor sich hin.

  • Semir war inzwischen in der PASt eingetroffen. Es war elf Uhr am Morgen geworden und der Kongress hatte ebenfalls angefangen. Die Tagesordnung war geheim und auch jegliche Polizei- oder Pressvertreter hatten keinerlei Zugang zum Tagungsraum. Hartmut hatte bereits seine Jacke angezogen und schweren Herzens seine Waffe mitsamt Holster aus dem Tresor der PASt, wo er sie regulär aufbewahrte, genommen und umgeschnallt. Immerhin war er ebenfalls Polizist und musste regelmäßig zum Schiesstraining, das er hasste bis aufs Blut. Während viele seiner Kollegen ja ihre Waffe liebevoll als „Baby“ titulierten und zuhause einen Waffenschrank, oder einen Tresor zur Aufbewahrung hatten, fasste Hartmut dieses Ding nur an, wenn es unbedingt sein musste. Seine Stärken lagen normalerweise in seinem Labor, der Werkstatt oder hinter dem Computer-nur würde ihm das bei dieser Mission wohl nichts nützen! Allerdings war er langjährig so gut mit Semir und Ben befreundet, dass er alles tun würde, um denen zu helfen und jetzt war wirklich keiner außer ihm verfügbar.
    So sprang er in den Wagen, in dem ein voll konzentrierter Semir mit angespanntem Gesichtsausdruck saß und schon wieder aufs Gas ging, bevor Hartmut so ganz drin saß. Der schnallte sich eilig an und hielt sich dann irgendwo fest, denn Semir brauste mit Höchstgeschwindigkeit durchs samstägliche Köln, in dem der Advent noch für letzte Weihnachtseinkäufe genutzt wurde und wo es zudem gerade leicht zu schneien begann. Semir nutzte die leichte Straßenglätte aus und driftete um die Kurven, während Hartmut blass und blasser um die Nase wurde. „Verdammt, warum ist uns das mit der Benko-Wohnung nur nicht früher eingefallen! Ich hätte die auf dem Video ja auch erkennen können!“ verwünschte er sich. „Jetzt hat der Kongress begonnen und wir wissen nicht, ob Tim und Lisa noch leben!“ bangte er und in Rekordzeit waren sie in der Nähe des Wohnblocks angekommen.


    Semir stellte den BMW ab und sprang nun eilig heraus, während sich Hartmut erst mal an der Tür festhalten musste und gerade noch den Würgereiz unterdrückte. Er neigte ja eigentlich nicht zu Seekrankheit, aber neben Semir im Wagen kam er sich vor, wie nach einer Achterbahnfahrt auf dem Rummel. Er atmete tief durch und setzte sich dann in Bewegung, als Semir ihm schon zurief: „Einstein-wo bleibst du denn?“ und Richtung Eingangstür strebte. Auf der Straße waren einige Parkplätze frei und im Vorbeilaufen erkannte Hartmut eines der Fahrzeuge nach denen gefahndet wurde, allerdings mit anderem Zulassungskennzeichen. Er ging kurz hin und hatte mit einem Griff die Doublette am Nummernschild gelöst und darunter kam eines der gesuchten Kennzeichen der Haug-Brüder hervor. Semir hatte gerade fragen wollen, was er so rumtrödelte, aber nun ging er die paar Schritte zurück. Nach kurzer Überlegung schraubte er die Ventilkappen aller vier Reifen ab und schob, unterstützt von Hartmut, in jedes Ventil eine Kugelschreibermine oder eine Schraube, die die beiden Männer aus ihren Taschen zutage förderten, so dass zischend die Luft entwich. So-nun war eine Flucht mit diesem Wagen unmöglich und Sekunden später standen sie im Hauseingang, denn ein Anwohner war gerade herausgekommen, um mit seinem Hund Gassi zu gehen und sie hatten die Gelegenheit genutzt.
    Nun fragte Hartmut im Flüsterton: „Semir-wie sollen wir es angehen?“ und sein Kollege zuckte mit den Schultern-es blieb keine Zeit für detaillierte Planungen-jetzt mussten sie einfach improvisieren! Wie sehr wünschte er sich jetzt Ben an seiner Seite-der hätte jetzt nicht so blöde Fragen gestellt, sondern einfach gemacht! So schlichen sie hintereinander die Treppen nach oben und vor der Wohnungstür von Hubert und Hildegard verharrte Semir und stutzte. Die Tür war nämlich nicht ganz zu, sondern nur angelehnt. Außerdem lag die Zielwohnung ja direkt darüber-das wer vielleicht eine gute Möglichkeit, erst einmal einen Einblick zu bekommen, was da drin vorging. Leise traten sie in die Wohnung und Semir hoffte, dass ihn die beiden Herrschaften sofort erkannten und keinen Lärm veranstalteten, wenn sie seiner und Hartmut´s ansichtig wurden, damit die Entführer nicht aufmerksam wurden, aber zu seinem Erstaunen war die Wohnung leer. Alles sah so aus, als wenn man zum Wochenendeinkauf aufbrechen wollte, ein paar Taschen mit Leergut standen bereit, zwei Wintermäntel hingen ordentlich an der Garderobe und auch die zugehörigen Stiefel waren vorbereitet, aber deren Besitzer waren weg. Semir beschlich ein ungutes Gefühl-hoffentlich war den beiden nichts passiert, aber die Spuren deuteten leider darauf hin, dass die sich ebenfalls in der oberen Wohnung aufhielten. Auf dem Küchentisch sah er nun neben dem Telefon noch Ben´s dienstliche Visitenkarte liegen und nach einem kurzen Blick in den Telefonspeicher wusste er, dass jemand versucht hatte, sowohl in der PASt, als auch auf Ben´s Handy anzurufen. Allerdings konnte er auch die Zeit erkennen und das war gerade mal 15 Minuten her. Während ihn Hartmut musterte und selber versuchte, einen Plan zu fassen, hatte Semir schon die Balkontür geöffnet und prüfend das schmierige Geländer gemustert. „Semir-das kannst du nicht machen-das ist viel zu gefährlich!“ flüsterte Hartmut entsetzt und wünschte sich sehnsüchtig, ein Endoskop, oder eine Kamera auf einem langen Stab, um damit völlig stressfrei in die obere Wohnung zu blicken, aber da hatte Semir sich schon auf die Brüstung geschwungen und mit einem beherzten Griff das Fensterbrett der oberen Wohnung erreicht. Mit einem Klimmzug-sehr bewundert von Hartmut, der in Sport nie besonders gut gewesen war- hatte er sich hochgezogen und spähte nun vorsichtig durch das Fenster. Kaum hatte er einen kleinen Einblick gewonnen, da rutschten seine Hände von dem glitschigen Metallfensterbrett ab und er stürzte in die Tiefe.


    Im Stadtpark lauschte Brami derweil interessiert den Begrüßungsworten der ersten Redner und wartete auf den passenden Moment, um sich zuzuschalten.

  • Hartmut war gebannt unten auf dem Balkon gestanden und hatte reflexhaft zugegriffen, als Semir an ihm vorbeisauste und ihn irgendwie am Jackenärmel erwischt. So hing Semir zwar einen kurzen Moment zwischen Himmel und Erde, aber dann gelang es ihm mit Hartmuts Hilfe wieder auf den Balkon zu klettern. In diesem Moment hörte man, wie über ihnen ein Fenster geöffnet wurde und mit einem Hechtsprung, seinen Kollegen mit sich ziehend, landete Semir wieder im Wohnzimmer und man hörte von oben sagen: „Da ist nichts zu sehen!“ Nun ertönte eine andere männliche Stimme, die Semir als die Hubert´s identifizierte: „Das wird Frau Baier gewesen sein-die staubt samstags immer ihre Teppiche aus!“ und mit dieser Begründung gaben sich die beiden Haug-Brüder zufrieden. Hubert hatte allerdings kurz zuvor Semir´s Kopf am Fenster erscheinen sehen und ihm war das Herz beinahe stehen geblieben, als er die Geräusche von draußen gehört hatte. Aber anscheinend war fünf Stockwerke tiefer kein zerschmetterter Körper auf dem Asphalt gelegen, das hätte Dietmar Haug nämlich gesehen und jetzt konnten sie auf Hilfe hoffen.


    Semir schloss leise die Balkontür und Hartmut, der immer noch ein wenig blass um die Nasenspitze war, sagte: „Das war verdammt knapp, Semir!“ und der nickte ein wenig schuldbewusst. „Danke Hartmut, du hast mir das Leben gerettet-äh und könntest du vielleicht über diesen Vorfall Andrea gegenüber den Mund halten?“ fragte er und Hartmut nickte mit einem schelmischen Grinsen. „Dafür habe ich aber was gut-fürs Mund halten, meine ich!“ antwortete er und Semir gab zurück: „Alles was du willst, Einstein!“ und damit griff er zu seinem Handy. Während er die Nummer des SEK her blätterte, erzählte er Hartmut schon leise in kurzen Worten, was er gesehen hatte. „Dort oben sind Lisa und Tim und die Eltern Benko-die Bewohner dieser Wohnung. Ich habe nur einen der beiden Haug-Brüder mit dem Rücken zu mir gesehen, der sie anscheinend mit einer Waffe in Schach gehalten hat. Sonst war niemand im Wohnzimmer, aber das sagt jetzt nicht, dass nicht noch eine Menge anderer Leute dort sind. Allerdings kenne ich ja die Raumaufteilung, immerhin haben Ben und ich die Wohnung nach dem Tod des Rennfahrers durchsucht-die beiden anderen Räume sind durch die Dachschräge noch wesentlich kleiner als hier unten. Ich werde jetzt das SEK verständigen und dann warten wir hier, bis die eingetroffen sind und stürmen dann gemeinsam. Das Wichtigste ist aber: Tim und Lisa leben und ich würde das am liebsten Ben und Sarah sofort mitteilen!“ erklärte er und dann war inzwischen am anderen Ende des Telefons jemand rangegangen.
    „Hier Semir Gerkhan, Hauptkommissar bei der Autobahnpolizei. Wir haben eine Geiselnahme und bitten um Unterstützung!“ sagte er und nachdem er noch weitere Details mitgeteilt hatte, legte er auf und teilte Hartmut mit: „Die kommen so schnell sie können-ich habe gesagt, die sollen auch keine Streifenwagen in die Nähe schicken, damit man die von oben nicht entdecken kann-aber das hast du ja gehört. Wir werden uns jetzt im Treppenhaus postieren und aufpassen, dass keiner der Ganoven abhaut. Ich habe zwar keinen gesehen, habe aber trotzdem Sorge, dass da noch der eine oder andere schwer bewaffnete tunesische Terrorist in der Wohnung ist-wir müssen auf alles gefasst sein!“ überlegte er und als er die Wohnungstür nun wieder öffnete und gefolgt von seinem rothaarigen Schatten die Treppe hinauf schlich, legte er seinen Zeigefinger auf den Mund und Hartmut nickte. War doch klar, dass sie jetzt leise sein mussten, bis die Verstärkung da war.
    Oben angekommen postierten sie sich rechts und links der Wohnungstüre und stellten fest, dass man teilweise durchaus verstehen konnte, was drinnen gesprochen wurde. Tim war bisher ruhig gewesen, aber jetzt begann er wieder zu weinen. Erst leise, dann immer lauter, bis er brüllte wie am Spieß. Aus den Gesprächen konnte man entnehmen, dass die Brüder Lisa untersagten herumzulaufen und ihm ein Fläschchen zu machen, oder die Windeln zu wechseln, wie sie vorschlug. „Halt´s Maul du Schlampe!“ zischte nun Günther, der ja selber keine Kinder hatte und dann überlegte er sich etwas. „Du kommst jetzt mit mir ins Schlafzimmer!“ sagte er grob und zerrte Lisa hoch. Warum sollte er nicht auch Spaß mit der attraktiven jungen Frau haben-er hatte schon lange keinen Sex mehr gehabt und wie ihnen Brami versichert hatte, würden die Tunesier sie nach dem Einsatz als Belohnung bekommen und danach wäre sie sowieso nicht mehr zu gebrauchen.
    Hildegard hatte Tim auf den Arm genommen und starrte entsetzt auf den Mann, der doch das große Vorbild ihres Sohnes gewesen war. „Erst ich und dann du!“ sagte er noch zu seinem Bruder und der leckte sich vor Vorfreude über die Lippen. Ja das war ganz nach seinem Geschmack. Er mochte es, wenn die Frauen ein wenig widerspenstig waren und sich wehrten und das schien eine kleine Raubkatze zu sein, denn während Günther sie mit vorgehaltener Waffe ins Nebenzimmer drängte und nach ihrer Brust fasste, schlug sie nach ihm und schrie: „Lass mich in Ruhe du Schwein!“ Nun drehte sich Günther seelenruhig um und zielte auf Tim´s Kopf: „Wenn du nicht artig zu mir bist, werde ich das Balg auf der Stelle erschießen!“ sagte er und öffnete schon seine Hose. „Und ich mache keine Späße!“ setzte er noch hinzu.


    Semir und Hartmut hatten voller Entsetzen gehört, was in der Wohnung drin abging. Vom SEK war noch weit und breit nichts zu sehen und sie konnten doch jetzt keine Vergewaltigung zulassen! Lisa schluchzte auf, aber um Tim zu retten würde sie den Männern zu Willen sein. Nun mischte sich Hubert ein, der empört aufsprang: „Ich werde das nicht zulassen, dass-“ hob er an, da ertönte ein Schuss und Hubert´s Worte erstarben in einem Gurgeln und Hildegard schrie entsetzt auf. Nun kannte Semir kein Halten mehr und warf sich mit Wucht gegen die Tür, so dass die mit einem Ruck aufsprang. „Polizei-nehmen sie die Hände hoch!“ rief er und Dietmar sah erschrocken auf, aber da flog ihm schon die Waffe aus der Hand und er hielt sich mit einem Schmerzensschrei den Unterarm, gegen den Semir in bester Karatekämpfermanier getreten hatte. Günther mit seiner offenen Hose, in der die Erregung allerdings sofort abflaute, hatte einen kurzen Moment gezögert, aber dann legte er wieder auf das Baby an und nun ertönte erneut ein Schuss.

  • Günther hatte plötzlich einen überraschten Gesichtsausdruck und sah an sich herunter, bis ihm die Waffe aus der Hand fiel und er zusammenbrach. Sein Brustkorb färbte sich rot und während er seine letzten Atemzüge machte, schrie sein Bruder entsetzt auf und robbte zu ihm, aber Günther war nicht mehr zu helfen. Lisa war zwar einen Augenblick wie zur Salzsäule erstarrt, aber als sie gewahr wurde, dass Tim nichts passiert war, ging sie sofort zu Hildegard, die ihn zwar noch im Arm hielt, aber mit der Situation völlig überfordert war und leichenblass nur immer: „Hubert-nein bitte nicht!“ intonierte und nahm das schreiende Baby, das nach einer kurzen Schrecksekunde wegen der Schüsse nur um so lauter zu brüllen begonnen hatte, in ihre Arme und barg sein Köpfchen an ihrer Brust. Wie in Trance wich sie zurück zur Wand und erst jetzt gaben ihre Knie nach und sie rutschte langsam daran entlang zu Boden, wo sie erst mal sitzen blieb und ungläubig auf die Szenerie vor sich sah. Semir hatte mit einem Fußtritt gerade Günther´s Waffe beiseite schießen wollen, da schnappte sich Dietmar die und drehte sich blitzschnell zu Hartmut um, um den Mörder seines Bruders zu erledigen, aber bevor er die Waffe auch nur entsichern konnte, knallte es erneut und nun lag auch er am Boden neben seinem Bruder und hielt sich jammernd die Schulter. Semir war schneller gewesen und hatte ihn außer Gefecht gesetzt. Völlig ungerührt ob dessen Schmerzen holte Semir nun seine Handschellen vom Hosenbund und fesselte Dietmar´s gesunde Hand an die Heizung, damit er selber sich nun darum kümmern konnte, Hilfe anzufordern.
    Gerade hatte er sein Handy aus der Tasche gezogen, da ertönte ein Kommando: „Zugriff!“ und plötzlich war die kleine Wohnung voller schwarz vermummter Polizisten. „Ihr kommt ja früh!“ sagte Semir sarkastisch und beugte sich nun ebenfalls zu Hubert, der sichtlich schwer verletzt auf dem Boden lag. Hildegard hatte seinen Kopf auf ihren Schoß gebettet und Hartmut war gerade dabei ein weißes Taschentuch auf die Brustwunde zu drücken, die heftig blutete. Hubert war bei Bewusstsein und sagte nur immer wieder: „Hoffentlich ist dem Kind nichts passiert!“ aber da konnte man ihn beruhigen. Wenige Minuten später kümmerte sich ein Notarzt um ihn und er wurde erstversorgt, auf eine Trage gepackt und dann in die nächste Klinik gebracht. Hildegard durfte mitfahren und der Arzt sagte auf Hartmut´s Frage: „Ich denke schon, dass er es schaffen wird, er muss aber sofort operiert werden!“ und nun atmeten alle Anwesenden erleichtert auf-na ja, bis auf Dietmar, den man zwar auch provisorisch verbunden hatte, der aber ein wenig auf den zweiten Krankenwagen warten musste. Einer der SEK-Mitarbeiter würde mit in die Klinik fahren und ihn bewachen, bis er nach der Erstversorgung in die Krankenstation des nächsten Gefängnisses gebracht werden konnte.
    Der Notarzt hatte noch Günther´s Tod festgestellt, man hatte den Leichnam zugedeckt und Semir war inzwischen zu Lisa getreten, hatte sich neben sie auf den Boden gesetzt und sie in den Arm genommen. „Es ist vorbei, Lisa!“ sagte er sanft und sie nickte zögernd. Tim weinte immer noch, aber nach einer Weile erhob sich die junge Frau und sagte: „Ich muss ihm ein Fläschchen machen!“ und Semir nickte. Er übernahm das Baby und kaum hatte sich Lisa wieder ein bisschen gefasst, begann sie zu erzählen: „Ich spreche ein wenig arabisch und die fünf Männer, die mich und Tim hier festgehalten haben, sind vor kurzer Zeit zu einem Attentat aufgebrochen. Sie sind als Sicherheitsleute verkleidet und wollen einen wichtigen Wirtschaftsgipfel hoch gehen lassen!“ erzählte sie aufgeregt, was sie aus den Worten der Männer entnommen hatte und teilte Semir noch viele Details mit, die sie aufgeschnappt hatte. Auch die paar übrig gebliebenen Jacken, die achtlos in der Ecke auf dem Boden lagen zeigte sie Semir und den Männern des SEK, während das Wasser aus dem Kocher abkühlte. Die Spurensicherung war inzwischen eingetroffen, Hartmut´s Waffe hatte man eingetütet und ein Leichenwagen war auch schon bestellt.
    Lisa hatte Semir alles erzählt, was sie wusste und so sagte Semir zu den Männern des SEK: „Jungs-ich denke wir werden jetzt mal schnell zum Wirtschaftsgipfel fahren und unseren Job machen. Hartmut-würdest du bitte mit Lisa und Tim in die Uniklinik fahren? Bestellt dazu ein Taxi mit Babysitz, ich hätte dir ansonsten den BMW schon geliehen!“ sagte er und Hartmut hätte beinahe gesagt: „Das glaubst du ja selbst nicht!“ aber dann lieber geschwiegen. Das mit dem Taxi war eine gute Idee und während Tim endlich sein heiß ersehntes Fläschchen bekam und zufrieden seufzend austrank, machten sich Semir und die Einsatzkräfte auf zu ihrer nächsten Mission.

  • Brami hatte gemütlich auf der Parkbank sitzend den Kongress verfolgt. Nun kam er zweite Tagesordnungspunkt: Diskussion und Abstimmung wegen eines Wirtschaftsembargos gegen Tunesien, wegen der Duldung und sogar fraglicher Förderung des internationalen Terrorismus durch den tunesischen Staat. Nacheinander kamen viele Referenten zu Wort und der Außenminister hielt auch einen kurzen, aber sehr prägnanten Vortrag, dass seiner und der Ansicht seines Ministeriums nach, nicht der tunesische Staat an sich diese Aktionen förderte und deshalb bestraft gehörte, sondern dass das reiche Privatleute seien, die im prinzipiell friedliebenden, dem Westen geöffneten, nicht radikalislamistischen Tunesien, Terroristen ausbildeten und in die ganze Welt entsandten. „Diese Leute müssen wir gezielt aufhalten und nicht die ganze Bevölkerung dort strafen!“ gab er seine Meinung kund, aber viele der anderen Anwesenden vertraten einen anderen Kurs und so kam es zu hitzigen Diskussionen, bis dann endlich die Abstimmung anstand, wobei Guido da mit seiner Meinung ziemlich im Hintertreffen war und fast mit Sicherheit das Embargo beschlossen werden würde.
    Nun kam Brami´s große Stunde. Er kontrollierte noch mit einem Blick, ob der Stimmverzerrer aktiviert war und mit ein paar Tastenkommandos startete er die Powerpointpräsentation, die nun plötzlich über den Beamer riesengroß an die Wand des Kongresszentrums gestrahlt wurde. „Meine sehr verehrten Damen und Herren!“ tönte Brami´s verzerrte Stimme aus den Lautsprechern, während Bilder Tunesiens wie in einem Werbefilm über die Wand liefen. „Ich würde ihnen raten, jetzt keine falsche Entscheidung zu treffen, denn das könnte ihre letzte sein!“ intonierte er und ging nun mit ein paar Worten auf den Inhalt der vorigen Gespräche ein, so dass den Teilnehmern völlig klar war-sie waren belauscht worden. „So-und nun darf ich die Anwesenden bitten, die Hände zu erheben und gegen ein Wirtschaftsembargo abzustimmen, denn ansonsten werden sie dieses Weihnachtsfest nicht mehr mit ihren Familien feiern können und um ihre Meinung noch ein wenig zu fördern, werde ich ihnen zeigen, was sonst passieren könnte.“ sagte Brami und während über den Beamer erst ein schwarz vermummter, bis zu den Zähnen bewaffneter Terrorist an die Wand gestrahlt wurde und dann gezeigt wurde, wie der mit einer großen Kriegswaffe ein Haus in die Luft gehen ließ, bat er die Anwesenden darum, nun die Vorhänge des Kongresszentrums zu öffnen, damit der Blick aufs Nachbarhaus frei wurde und nun gab er über sein Headset ein Kommando auf Arabisch, damit seine Mitstreiter wussten, was zu tun war.


    Ein paar Teilnehmer waren zögernd aufgestanden und hatten die großen Vorhänge der riesigen Fenster geöffnet. Guido und einige andere verfluchten, dass sie wegen der Geheimhaltung wirklich streng nach außen abgeschottet waren und Polizei und Sicherheitskräfte vor den Türen des Zentrums standen, aber keine Verbindung nach innen hatten. Außerdem war jedem klar, dass sich der Erpresser vermutlich an einem völlig anderen Ort befand und es deswegen auch gar keinen Wert hatte, hier die Umgebung abzusuchen. Voller Angst musterten sie das gegenüberliegende Haus, wie ihnen der Sprecher aus dem Lautsprecher befahl und da öffneten sich dort plötzlich gleichzeitig fünf Vorhänge und fünf Fenster waren nun hell erleuchtet, damit man im trüben Dezembergrau dieses Vorweihnachtssamstags auch gut erkennen konnte, was dahinter war.

  • Semir war so schnell er konnte mit den Kollegen vom SEK zum Kongresszentrum gefahren. Unterwegs hatte er Frau Krüger schon mit kurzen Worten informiert und so standen die Kollegen der PASt bei ihrer Ankunft schon bereit und gemeinsam gingen sie vorsichtig ins Wohnhaus. Sie teilten sich in fünf Gruppen auf und nachdem sie fünfzehn Personen waren, kamen auf jeden Terroristen drei Polizeibeamte. Lisa hatte bei der Einteilung zugehört und sich die Nummern der Wohneinheiten gemerkt, die in verschnörkelter Schrift anstatt Namen an den Türen angebracht waren und so wusste man, wo sich die Zielpersonen befanden. Semir hatte in der Benko-Wohnung einen Plan davon gesehen, wie die Raumaufteilung war und nachdem man vom Hausflur direkt in den Wohnraum trat, setzten sie Betäubungsgas ein, das das SEK in seinem Fahrzeug dabei hatte. Nun wurde fast lautlos mit einem kleinen speziellen Hochleistungselektrobohrer jeweils ein kleines Löchlein in die Holztüren gebohrt-durch das Headset konnten die Terroristen sowieso nicht so gut hören und waren außerdem auf Brami und dessen erwartetes Kommando fixiert, so dass sie dem leisen Summen keine Beachtung schenkten , alle Polizisten setzten Gasmasken auf und wenig später leitete man das Betäubungsgas gleichzeitig in die Wohnungen ein. Man wartete die angegebenen Minuten ab, bis das Gas wirkte und als man dann auf das Kommando der Krüger zeitgleich alle fünf Türen öffnete und die Räume stürmte, lagen die fünf Terroristen zusammengesunken vor ihren Panzerfäusten, die auf Stative montiert waren und auf das Kongresszentrum zeigten.


    Erleichtert atmeten Semir und die anderen Polizisten auf und während man die bewusstlosen Verbrecher nun fesselte und zum Abtransport vorbereitete, kam aus den Headsets, die die Polizisten an sich genommen hatten, ein Kommando auf Arabisch. Semir wusste durch Lisa, was nun normalerweise passieren sollte und wie man zuvor bei der Einsatzbesprechung vereinbart hatte, erlaubten sie sich nun ein kleines Späßchen. Sie machten die Strahler an, die die Terroristen zu diesem Zweck vorbereitet hatten, drehten die Panzerfäuste allerdings weg und öffneten die Vorhänge. Nun stellten sich die Polizisten mit ihren Gasmasken so hin, dass man von unten genau die Polizeiaufschrift auf ihren schusssicheren Westen lesen konnte und winkten in Richtung Kongresszentrum, in dem sich gerade die Vorhänge geöffnet hatten und viele entsetzte und erstaunte Gesichter nach oben blickten. Unter den Teilnehmern des Wirtschaftsgipfels brach Jubel aus und Guido intonierte ein Hoch auf die Deutsche Polizei. Dabei lief es ihm aber kalt über den Rücken. Wenn die Polizei die Verbrecher nicht ausgeschaltet hätte, wäre es für die ein Leichtes gewesen das ganze Kongresszentrum in Schutt und Asche zu legen und alle darin befindlichen Personen zu töten. Wie die jetzt alle abgestimmt hätten, wäre klar gewesen. So aber würde man diesen Tagungspunkt erst einmal aussetzen und versuchen, da später eine Entscheidung zu treffen-allerdings ohne Erpressung!


    Brami, der sein Kommando gegeben hatte und jetzt Entsetzensschreie aus dem Kongresszentrum erwartet hatte, wenn die Menschen dort die akute Bedrohung sahen, starrte einen Moment verwirrt auf seinen Laptop. Er hatte ja nur Tonübertragung und kein Bild vom Tagungsraum, aber da musste etwas schief gegangen sein, denn stattdessen ertönte Jubel und ein Hoch auf die Deutsche Polizei. Er brüllte erneut einige arabische Kommandos, aber da kam plötzlich die Stimme des kleinen Polizisten aus seinem Headset. „Brami-sie haben verloren-wir haben die Geiseln befreit und ihre Männer überwältigt, am besten sie stellen sich der Polizei, denn wir werden sie finden, egal wohin sie zu fliehen versuchen und auch ihr Flugzeug wird beschlagnahmt!“ sagte der und Brami meinte vor Wut zu platzen. Voller Zorn riss er sich das Headset aus dem Ohr, warf seinen Laptop und die anderen Elektronikbauteile auf den Boden und fingerte nach seiner Waffe. Er wollte Rache, weil sein so gut über Monate vorbereiteter Plan nicht aufgegangen war. Und wer war schuld? Diese beiden Polizisten! Er würde sie eigenhändig umbringen und zuerst kam jetzt dieser Jäger auf der Intensivstation dran-an den würde im Augenblick keiner denken, da hatten die Einsatzkräfte anderes zu tun und danach würde er sich diesen Gerkhan vornehmen-er würde ihn aufspüren und langsam und mit Genuss töten, der würde es noch bereuen, ihm in die Quere gekommen zu sein!

  • Hartmut und Lisa hatten ein Taxi mit Babysitz angefordert und kurz darauf war eine nette Taxifahrerin mit dem Gewünschten erschienen. Lisa hatte die Wickeltasche mitgenommen, die die Spurensicherung inzwischen freigegeben hatte und dann waren sie zur Uniklinik gefahren. Hartmut und Lisa hatten sich auf das Du geeinigt und er hatte ihr auch sofort sein Handy gegeben, damit sie ihren Mann anrufen konnte und der war vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen, als er die Stimme seiner Frau hörte. Die Kinder waren noch in Schule und Kindergarten-es war ja gerade Mittagszeit-und er versprach, deren nachmittägliche Betreuung zu organisieren und dann sofort nach Köln zu kommen und Lisa abzuholen. „Geht´s dir auch wirklich gut?“ wollte er wissen und Lisa sagte: „Körperlich ist mir nichts passiert, aber ich will jetzt nur noch nach Hause, ich warte in der Uniklinik auf dich!“ sagte sie und hätte auch beinahe zu weinen begonnen. Allerdings hatte Hartmut das gemerkt und sie fest in den Arm genommen und gedrückt und das hatte ihr geholfen, sich zu beruhigen. Lisa flüsterte noch ins Telefon: „Ich liebe dich!“ und legte dann auf.


    Wenig später hielt das Taxi vor dem Haupteingang, Lisa nahm den schlafenden Tim aus dem Babysitz und dann gingen Hartmut und sie zur Intensivstation und läuteten. Weil die Schwester an der Rufanlage erst nicht richtig verstand, wer draußen war, kam sie zur Tür und ein Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie das Baby sah: „Ist das vielleicht der Sohn von Sarah und Herrn Jäger?“ wollte sie wissen, denn die ganze Station hatte mit den Eltern, deren Kind entführt war, mitgelitten. Hartmut und Lisa nickten und die Schwester bat sie, doch einen Moment zu warten. „Ich hole Sarah sofort. Leider darf der Kleine nicht auf die Station. Wir haben hier sehr üble Keime und das kindliche Immunsystem ist noch so unausgereift, dass er sich da schwerste Infektionen zuziehen könnte. Das ist keine Schikane, sondern nur zu seinem eigenen Schutz!“ erklärte sie und wandte sich dann um. Sie ging so eilig ins Zimmer, dass der Bewacher auf dem Flur verwundert von seiner Zeitung aufsah. „Sarah-Herr Jäger-draußen ist jemand, der dringend seine Eltern sehen möchte!“ sagte sie und die beiden, die schweigend dagesessen bzw. gelegen und die Wand angestarrt hatten, brauchten einen Augenblick um zu begreifen, was die Pflegekraft gerade gesagt hatte. Dann sprang Sarah allerdings wie von der Tarantel gestochen auf: „Wo ist er-geht´s ihm gut?“ rief sie und war schon aus dem Zimmer gerannt, so schnell ihre Füße sie trugen. Die Schwester rief ihr noch nach: „Draußen vor der Tür!“ während sie noch kurz bei Ben verweilte: „Herr Jäger-leider können wir einen Säugling hier zu seinem eigenen Schutz nicht hereinlassen, er könnte sich üble Infektionen zuziehen und das würden wir uns nie verzeihen!“ sagte sie entschuldigend und Ben, der nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte-wie gerne würde er seinen Sohn jetzt in die Arme schließen-nickte und starrte dann weiter an die Decke, während sich langsam die Anspannung löste und seine Augen nun doch feucht wurden. Die Schwester war wieder nach draußen getreten und wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht über die Station verbreitet und alle Kollegen und Ärzte liefen nun zusammen, um das Schauspiel, das sich vor der Intensivtür abspielte, zu betrachten.


    Sarah hätte die Tür beinahe aufgerissen, weil ihr der Türöffner zu träge reagierte und quetschte sich jeweils hindurch, sobald sich nur ein kleiner Spalt der Doppeltür aufgetan hatte. Die nachfolgenden Kollegen drückten auf „Tür offen!“ und so konnten sie voller Rührung die Wiedervereinigung beobachten. Tim hatte sehr unspektakulär in Lisa´s Armen weiter geschlafen, nachdem sie aus dem Taxi ausgestiegen waren und Hartmut hatte die Wickeltasche getragen. Nun schrie Sarah vor Erleichterung auf, intonierte nur: „Tim!“ und nahm ihn vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, aus Lisa´s fürsorglichem Griff. Als er allerdings die Stimme seiner Mama hörte und deren vertrauten Geruch wahrnahm, schlug der kleine Mann die Augen auf und begann sofort zu suchen, während er langsam wach werdend lächelte. Sarah war es sowas von egal-sie hätte beinahe hier draußen in der Besucherecke ihren Pulli nach oben geschoben, um ihren Sohn zu stillen, denn schmerzhaft drückten ihre Brüste nun gegen den BH, aber da hatte schon der Stationsarzt einen Schlüssel aus der Tasche gezogen und sie zum ganz in der Nähe liegenden ärztlichen Bereitschaftszimmer dirigiert, wo ein Bett und eine Sitzecke dem diensthabenden Hintergrundarzt eine Möglichkeit zum Erholen gaben. „Geht da rein und genießt eure Familienzusammenführung!“ sagte er und Lisa und Sarah nahmen beide in der Sitzecke Platz und endlich bekam Tim die heiß ersehnte Brust, obwohl sein Hunger ja eigentlich noch gar nicht so groß sein konnte-immerhin hatte er ja vorhin erst ein ganzes Fläschchen verputzt. Sarah allerdings genoss die innige Verbindung mit ihrem Kind und während sie ihn streichelte und überall anfasste, um etwaige Verletzungen zu entdecken, versicherte ihr ihre Schwägerin, dass er wirklich völlig unversehrt war. „Und du? Wie geht´s dir?“ fragte Sarah nach einer Weile ein wenig schuldbewusst, aber Lisa sagte nur erschöpft: „Mir ist auch nichts passiert, aber ich bin fix und fertig und will jetzt eigentlich nur noch nach Hause-dein Bruder holt mich hier ab, ich denke er wird in drei Stunden oder so hier sein!“ und nun streckte Sarah die Hand nach ihrer Schwägerin aus: „Danke, dass du so gut auf Tim aufgepasst und ihn uns heil wieder zurück gebracht hast!“ sagte sie und strich ihr über den Arm. Tim hatte sich inzwischen auch noch an der zweiten Brust bedient und jetzt schlief er nach dem Bäuerchen friedlich in Sarah´s Armen weiter. „Ich würde ihn so gerne Ben zeigen!“ sagte Sarah ein wenig unglücklich, „aber die Keimbelastung wäre viel zu gefährlich für ihn. Könntest du ihn nochmal kurz nehmen? Ich gehe schnell zu seinem Vater und komme dann aber gleich wieder, denn jetzt kann ich keine Minute mehr ohne ihn sein!“ erklärte sie und übergab ihren Sohn schweren Herzens an Lisa.


    Hartmut hatte dem Schauspiel der Wiedervereinigung ebenfalls gerührt beigewohnt und hatte dann gefragt, ob er Ben besuchen könne. „Eigentlich dürfen ja nur nächste Angehörige zu ihm, aber ich glaube, heute können wir eine Ausnahme machen!“ befand die Schwester und führte den Rotschopf zu ihrem Patienten. Der Bewacher auf dem Flur hatte momentan bei dem ganzen Aufruhr seine Zeitung zusammengepackt und saß aufmerksam auf seinem Stuhl. Allerdings erkannte er den Kriminaltechniker und grüßte ihn: „Hallo Hartmut!“ und der grüßte zurück. „Ich denke in Kürze wird dein Bewachungsjob erledigt sein-wir sind gerade dabei die Übeltäter zu verhaften!“ erklärte Hartmut im Vorbeigehen und der Mann nickte zufrieden. Na dann wäre sein samstäglicher Feierabend mit Bier und Sportsendung wohl nicht gefährdet und das fand er gut.
    Als Ben eine Bewegung in der Tür wahrnahm wandte er den Kopf. „Hi, wie geht´s dir?“ fragte Hartmut und streckte die Hand aus, die Ben auch sofort ergriff. „Na ja-könnte besser gehen!“ antwortete er und Hartmut nickte. So was Ähnliches hatte er sich gerade auch gedacht, so blass, krank und schmal wie sein Kollege in seinen Kissen ruhte. Die unförmigen Gipsverbände lagen schwer auf Lagerungskissen und viele Schläuche und Kabel führten zu ihm hin oder ragten aus ihm heraus. „Aber sag, Hartmut-stimmt es wirklich, dass unser Sohn und Lisa frei sind?“ wollte er nun wissen, woraufhin ein schmerzhafter Hustenanfall seinen Körper schüttelte. Hartmut nickte und nun wollte Ben Einzelheiten wissen und lauschte gebannt den Erläuterungen seines Kollegen. Als der von Semir´s Beinahesturz aus dem fünften Stock erzählte, wobei er seinen eigenen Part bei der Rettung ziemlich herunter spielte, zog ein Anflug des Entsetzens über Ben´s Gesicht. „Um Himmels Willen-das hätte ich mir ja nie verzeihen können, wenn Semir da was passiert wäre!“ intonierte er, aber Hartmut beruhigte ihn.
    „Sarah´s Schwägerin spricht ein wenig Arabisch und war deshalb über die Pläne der Attentäter genauestens informiert. Gerade lassen Semir und das SEK die Verbrecher hochgehen und dann wird hoffentlich dieser ganze Spuk vorbei sein!“ erklärte er und nun vibrierte sein Telefon. Er hatte zwar nur einen Balken Verbindung, aber als er ranging konnte er in schlechter Sprachqualität mit viel Rauschen Semir´s Stimme vernehmen: „Hartmut, wir haben die Attentäter überwältigt, nur der Anführer fehlt, der hat von außen irgendwo die Verbrecher dirigiert. Könntest du uns mit Elektronikausrüstung zu Hilfe kommen ihn zu orten?“ fragte Semir und Hartmut versprach sich sofort auf den Weg zu machen. „Ben ich muss los, pass auf dich auf!“ sagte Hartmut und war auch schon verschwunden. Ben starrte nun wieder eine Weile die Decke an, bis er plötzlich erneut eine Bewegung in der Tür wahrnahm und den Kopf wandte.

  • Sarah hatte es fast nicht über sich gebracht, ihren Sohn jetzt auch nur einen Moment alleine zu lassen, aber sie dachte ganz schuldbewusst daran, wie Ben sich wohl gerade fühlen musste. Tim war genauso sein Sohn wie der Ihrige und er liebte ihn mit genau derselben Intensität wie sie-das wusste sie genau. Nur ließ man ihn nicht zu ihm, bzw. eigentlich eher umgekehrt, weil die Keimbelastung für ein Baby zu gefährlich war. Aber da konnte schließlich Ben nichts dafür. Na ja-eigentlich wäre das Ganze nicht passiert, wenn er sich nicht mit diesen Verbrechern eingelassen hätte, aber inzwischen war sie soweit, dass sie fand, er wäre mit seinen ganzen Verletzungen und den Schmerzen genug gestraft. Immerhin war Tim wieder da und er war unversehrt und außerdem vermutlich zu klein, um später daran irgendeine Erinnerung zu haben und das war gut so. Sie würde jetzt darauf bestehen, dass Ben sich weiter psychologisch betreuen ließ und darauf achten, dass er die Termine auch einhielt. Ihre persönliche Wut auf ihren Partner war in dem Moment verflogen gewesen, wo sie ihren Sohn wieder in den Armen gehalten hatte. Jeder hatte ein Recht darauf Fehler zu machen und vielleicht hatte sie auch ein wenig Schuld daran, dass er sich anderweitig orientiert hatte und Autorennen gefahren war. Immerhin war sie die letzten Monate eigentlich ausschließlich Mutter und wenig Partnerin gewesen. Sie beschloss, wenn der ganze Spuk vorbei war und Ben wieder gesund war, auch mal einen Babysitter zu engagieren und alleine mit Ben etwas zu unternehmen-aber das war noch Zukunftsmusik. Jetzt brauchte Tim seine Mama und darum musste Ben jetzt einfach noch eine Weile zurückstehen, so hart es vielleicht war.


    Als sie ins Zimmer trat, wandte Ben den Kopf und fragte, kaum, dass sie ans Bett getreten war: „Wie geht es Tim-ist er wirklich so ok, wie Hartmut mir versichert hat?“ fragte er gespannt und aus dem Klang seiner Stimme konnte man die ganze Liebe und Besorgnis entnehmen, die er gerade empfand. Sarah konnte gar nicht anders, als ihm die Arme um den Hals zu schlingen und ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mund zu drücken. „Ben-es geht ihm gut und er sieht aus, als wenn nichts gewesen wäre. Lisa hat wunderbar auf ihn aufgepasst und er ist wirklich völlig unversehrt. Ich habe ihn gerade gestillt und jetzt schläft er in Lisa´s Armen. Die wird später von meinem Bruder abgeholt und ich habe mir vorgenommen, dass wir, wenn du wieder gesund bist, mit ihr ein großes Fest feiern. Es tut mir auch leid, dass du ihn nicht sehen kannst, aber ich hoffe, du bist bald fit genug, dass du auf die Normalstation kannst und dann kannst du ihn anschauen und anfassen. Es tut mir auch schrecklich leid, dass ich dich jetzt wieder alleine lassen muss, aber einer von uns muss jetzt einfach bei Tim sein-ich hoffe, du verstehst das?“ fragte sie und Ben, dem vor Erleichterung ein paar Tränen in die Augen geschossen waren, wischte die mit seiner gesunden Hand ab. „Sarah das ist doch vollkommen klar und mir ist jetzt das Allerwichtigste, dass du dich um unser Kind kümmerst. Da stehe ich mit Freuden zurück-ich bin hier ja gut versorgt. Außerdem habe ich mir durch mein Verhalten ja dieses Schlamassel selber eingebrockt und darf mich jetzt auch nicht beklagen-ihr alle seid da die Leidtragenden und da kann ich ruhig ein wenig büßen!“ fasste er in Worte, was ihm die ganze Zeit im Kopf herumgegangen war. „Jeder von uns macht mal Fehler, aber ich finde es schön, dass du es einsiehst und pass auf-in ein paar Wochen ist der ganze Spuk vergessen und wir feiern unser ganz privates Weihnachtsfest nach, das verspreche ich dir!“ sagte Sarah liebevoll und Ben sah sie mit seinen dunklen Augen, die genauso waren, wie die seines Sohnes, voller Liebe an. „Sarah-ich liebe dich und du bist die beste Frau, die ich mir an meiner Seite vorstellen kann, wenn du mich nach dem Ganzen überhaupt noch nimmst!“ sagte Ben und Sarah gab ihm zum Abschied noch einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Aber klar-uns beide bringt nichts auseinander!“ versprach sie und verschwand mit einem Winken.


    Ben war jetzt so leicht ums Herz. Klar wäre es schöner gewesen, wenn er seinen Sohn hätte sehen können, aber das war jetzt eben noch nicht möglich und langsam begann er zu hoffen, dass sein Leben irgendwann in nicht allzu ferner Zeit wieder in normalen geregelten Bahnen verlaufen würde. Nachdenklich öffnete er mit seiner gesunden rechten Hand die Nachttischschublade, nahm seine Waffe heraus und betrachtete die sinnend. Auf was für Ideen war er denn nur gekommen? Selbstmord war doch keine Lösung! Wie oft hatte er schon Todesnachrichten an erschütterte Angehörige überbringen müssen, deren Männer, Frauen oder Kinder sich auf der Autobahn das Leben genommen hatten, indem sie gegen Brückenpfeiler rasten oder als Geisterfahrer noch andere Menschen mit in den Tod rissen. Wie viel Leid hatten die über ihre Familien gebracht-er konnte jetzt nicht mehr nachvollziehen, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte, als er über einen Suizid sinniert hatte. Sobald Semir kam, würde er ihm die Waffe wieder mitgeben. Der sollte sie sicher im Safe verwahren, bis er gesund war und mit seinem Partner auf die Autobahn konnte.
    In diesem Moment hörte Ben erneut ein Geräusch. War da gerade nicht der dumpfe Fall eines Körpers draußen zu hören gewesen? Da war vermutlich einem Patienten bei der Mobilisation übel geworden, aber nun öffnete sich langsam die Schiebetür seines Zimmers und nachdem das wohl nicht Sarah war, die etwas vergessen hatte, stellten sich bei Ben plötzlich alle Körperhaare auf –sein Gefühl schrie: „Gefahr!“-und er wandte langsam den Kopf, um zu sehen, wer jetzt den Raum betrat.

  • Ben traute beinahe seinen Augen nicht, als er erkannte, wer da mit gezückter Waffe sein Zimmer betrat. Es war Brami dessen Miene ein diabolisches Grinsen überzog. „Jäger-merken sie sich das: Wenn ich jemanden zum Tode verurteile, dann wird er sterben, egal wie lange er versucht vor mir zu fliehen-ich werde ihn finden und das Urteil vollstrecken!“ sagte er und entsicherte die Waffe. In diesem Augenblick schoss Ben´s Hand und seine Waffe darin unter der Zudecke hervor, wo er sie bereits entsichert hatte. Kurz hintereinander ertönten zwei Schüsse und Brami brach daraufhin mit einem erstaunten Gesichtsausdruck zusammen, während an Ben´s Monitor auf einmal alle Alarme losgingen.


    Hartmut war mit dem Taxi zur KTU gefahren, wo er einige Geräte in ein Dienstfahrzeug lud und dann zum Kongresszentrum düste. Die Teilnehmer des Wirtschaftsgipfels waren gerade im Hotelspeisesaal bei einem exclusiven Mittagessen und so konnte Hartmut sich den Beamer in aller Ruhe ansehen. Nach wenigen Sekunden hatte er das elektronische Bauteil gefunden und auch drei Wanzen im übrigen Raum mit seinen Suchgeräten entdeckt. Nun stellte er seine Ortungsgeräte ein und wenig später zeigten die einen Treffer ganz in der Nähe an. Via Google Earth holte Hartmut die Stelle auf den Bildschirm und sagte: „Kaum dreihundert Meter von hier im Park ist der Sender!“ und nun machten sich Semir, die Chefin und mehrere SEK-Leute, gefolgt von Hartmut, dorthin auf den Weg. Vorsichtig umstellten sie die beschriebene Stelle, aber außer einem Laptop und einem Headset, die auf dem Boden lagen, war dort niemand zu finden.
    In diesem Augenblick läutete das Telefon der Chefin. Sie lauschte in den Hörer und wurde dann blass. Semir, der sie fragend ansah, bemerkte an ihrer Reaktion, dass da überhaupt nichts in Ordnung war und als sie nun sagte: „Danke Susanne-wir kommen sofort ins Krankenhaus!“ griff eine eiskalte Hand nach Semir´s Herzen. In diesem Moment wusste er, dass etwas Schreckliches geschehen war. Die Chefin sagte mit einem Kloß in der Stimme: „Auf Ben wurde auf der Intensivstation ein Attentat verübt-er wird gerade operiert und der Täter wurde ebenfalls schwer verletzt-es ist Brami!“ und nun entwich Semir´s Kehle ein gequälter Laut. Oh mein Gott-hörte das denn nie auf?

  • Ben hatte im selben Augenblick abgedrückt wie Brami. Im nächsten Moment durchfuhr ihn ein schrecklicher Schmerz und ein Schlag warf ihn in sein Kissen zurück. Erstaunt registrierte er, wie sich um ihn herum alles rot färbte und aus dem Augenwinkel sah er noch wie Brami zu Boden ging, bevor er das Bewusstsein verlor.
    Der Bewacher vor der Tür rappelte sich gerade stöhnend wieder auf. Er hatte gemerkt wie jemand hinter ihn getreten war, aber noch bevor er den Blick von seiner Zeitung hatte abwenden können, war schon der Knauf der Waffe gegen seine Schläfe gedonnert und hatte ihn ausgeknockt. Aus allen Ecken rannten die Ärzte und Schwestern zusammen. „Waren das Schüsse?“ wurde ängstlich gefragt und zunächst getraute sich niemand in das Patientenzimmer zu gehen. Der Bewacher kramte noch etwas benommen sein Funkgerät hervor und rief mit einem Codewort Verstärkung. Alle Streifen der Umgebung wussten nun, dass ein Schusswechsel stattgefunden hatte und eilten zu Hilfe, aber nähere Einzelheiten waren noch nicht bekannt. Auf dem Zentralmonitor konnte man erkennen, dass bei Ben Jäger der Blutdruck plötzlich in den Keller ging, die Herzfrequenz war dafür in die Höhe geschossen, das EKG verändert und die Sättigung abgefallen. „Wir müssen da rein, sonst überlebt er das nicht!“ sagte nun ein Arzt entschlossen und packte den Notfallwagen. Ein Kollege hielt ihn am Ärmel zurück: „Spinnst du? Du kannst da nicht einfach reingehen-was ist wenn dich ein Wahnsinniger dann einfach abknallt? Du hast schließlich Familie!“ sagte er und nach kurzem Zögern beschloss der Arzt nun doch zu warten.
    Minuten später stürmten vier Streifenpolizisten mit gezogener Waffe herbei. Sie hatten schusssichere Westen an und todesmutig näherten sie sich dem Zimmer. Kaum waren sie, sich gegenseitig sichernd, um die Ecke gebogen, erteilten sie Entwarnung: „Hier ist keine Gefahr mehr durch einen Attentäter. Der liegt bewegungsunfähig am Boden und blutet, wir haben die Waffe gesichert und der Mann im Bett sieht schlimm aus!“ rief der junge Polizist, der als Erster das Zimmer betreten hatte und nun rollte die professionelle Rettungsmaschinerie an. Zwei Teams stürzten in den Raum und man konnte sehen, dass Ben einen Schuss in die Brust erlitten hatte. Um ihn herum war alles voller Blut und auch das Sauggefäß der Thoraxdrainage hatte sich mit frischem hellrotem Blut gefüllt. „Sofort alle gekreuzten Konserven aus dem Labor in den OP bringen-ich intubiere ihn schnell und dann müssen sofort die Herzchirurgen ran-ich vermute eine Herzbeuteltamponade!“ ordnete der erfahrene Intensivmediziner an, der sich um Ben kümmerte und nach einem Blick auf den Monitor eine Erstdiagnose gestellt hatte. In Windeseile hatte man ihm einen Tubus und das Laryngoskop gereicht, er hatte den Kopf des bewusstlosen Patienten überstreckt und ihn ohne viel Federlesens intubiert. Man schloss das Transportbeatmungsgerät an, hängte in Windeseile die wichtigsten Geräte und Infusionen um und dann ging die Fahrt in den OP auch schon los. Aus der Hand spritzte man Ben nun ein wenig Narkosemittel, denn gerade begann er aufzuwachen und gegen die Maschine zu pressen. Man hatte einfach nur ein steriles Tuch über seinen Oberkörper gebreitet-die genauen Verletzungen sollten sich die Fachleute ansehen und die begannen im selben Augenblick telefonisch instruiert auch schon damit sich zu waschen und die instrumentierende Schwester warf eilig die ersten Instrumente auf ihren Instrumententisch.


    Brami war ebenfalls hingefallen. Er hatte einen wahnsinnigen Schlag gegen den Oberkörper bekommen und war dann zu Boden gegangen. Er wollte sich bewegen und um Hilfe rufen, aber er merkte nur, dass es ihm immer schwerer fiel zu atmen und dass er sich überhaupt nicht rühren konnte. Statt Rache und Genugtuung weil sein Attentat geklappt hatte und das Blut seines Opfers nun neben ihm auf den Boden tropfte, ergriff ihn nun einfach nur Todesangst und kurz bevor auch er bewusstlos wurde, sah er noch viele Menschen ins Zimmer strömen, aber dann wurde es Nacht um ihn.

  • Als der Stationsarzt Ben in Windeseile in der Schleuse abgegeben hatte, ging er mit der betreuenden Schwester langsam zur Intensiv zurück. Dort angekommen sagte er tonlos zu der Pflegekraft: „Ich muss jetzt Sarah verständigen!“ und die nickte, während der Arzt immer langsamer werdend zum Bereitschaftszimmer ging. Er klopfte kurz, schloss dann die Türe auf und die beiden Frauen, die eng aneinander gelehnt auf dem Sofa saßen, wandten erstaunt die Köpfe. „Müssen wir raus?“ fragte Sarah und wollte sich gerade erheben, denn Tim schlief immer noch in Lisa´s Armen, aber der Arzt drückte sie zurück und setzte sich auf den Sessel gegenüber. Sarah musterte ihn verwundert und sah dann, dass seine Bereichskleidung, die aus einer weißen Hose und einem blauen Oberteil bestand, voller Blutspritzer war. „Du solltest dich umziehen!“ bemerkte sie und achtlos sah der Arzt an sich herunter. „Ja das sollte ich-mach ich auch gleich!“ bestätigte er, aber dann erledigte er das Unaufschiebbare. „Sarah-ich komme leider nicht zum Smalltalk, sondern um dir etwas Schlimmes mitzuteilen!“ hob er nun an zu erzählen und nun wurden Sarah und Lisa beide gleichermaßen blass und lauschten voller Verzweiflung den Worten des erfahrenen Arztes.
    „Auf deinen Partner wurde gerade eben ein Attentat verübt. Er hat einen Schuss in die Brust abbekommen und wird jetzt im OP von den Herzchirurgen behandelt!“ sagte er schlicht und nun entwich aus Sarah´s Kehle ein dermaßen entsetzter Laut, dass Tim aufwachte und lauthals zu brüllen begann. Lisa drückte ihn mechanisch an sich und Sarah fragte tonlos: „Wie schlimm ist es?“ und der Arzt, der einen Augenblick überlegte die Wahrheit zu beschönigen, verwarf in derselben Sekunde den Gedanken: „Sehr schlimm!“ sagte er und nun begann auch Sarah zu weinen. Der Arzt erhob sich und legte seine Hand auf Sarah´s Schulter. Auch wenn er es gewohnt war traurige Nachrichten zu überbringen, ging es ihm doch sehr nahe. Immerhin kannte er Sarah seit Jahren persönlich und gerade in Anbetracht der Situation was die die letzten Tage hinter sich hatte, wog seine Nachricht umso schwerer. „Der Professor persönlich operiert ihn-du weisst also, wenn etwas zu machen ist, dann wird er ihm helfen können!“ sagte er tröstend, aber Sarah hatte den Unterton in seinen Worten durchaus herausgehört. „Ja wenn!“ wiederholte Sarah, nahm dann ihren Tim in den Arm und drückte ihn an sich, als wollte sie ihn nie mehr loslassen.


    Semir, Hartmut und die Chefin rannten so schnell sie konnten zu Semir´s Wagen. „Verständigt die Spusi!“ riefen sie zuvor den SEK-Männern noch zu und die nickten. Hielten diese Autobahnpolizisten sie für völlig verblödet? Immerhin waren sie auch Profis und wussten sehr genau, wie die Abläufe waren, aber gut-da war anscheinend ein Kollege betroffen und in dieser Abteilung waren die Polizisten auch privat sehr eng bekannt, das war vielleicht der Grund dafür. Semir schaltete das Blaulicht zu und die Chefin, die ihn normalerweise deswegen sicher gerügt hätte, war nun ganz still und fieberte ebenfalls ihrer Ankunft im Krankenhaus entgegen. Unterwegs verfolgten sie noch über Funk, dass mehrere Streifen in der Uniklinik waren und augenblicklich im Krankenhaus Ausnahmezustand herrschte. Wenig später hielt Semir mit quietschenden Reifen vor der Klinik und sie rannten-zwei Stufen auf einmal nehmend- zur Intensivstation.
    Dort wurde gerade Brami intubiert und beatmet, der ganz flach auf einer harten Trage lag, an ihnen vorbeigefahren. Dessen Kleidung, die man nur notdürftig aufgeschnitten hatte war voller Blut und er schien eine Verletzung an der Schulter zu haben, trug aber auch einen Stiffneck. „Das ist vermutlich der Attentäter! Was ist mit ihm?“ fragte Semir und hielt die Truppe, die ihn abtransportierte kurz auf. „Bei dem Schusswechsel wurde seine Halswirbelsäule verletzt-wir fahren gerade zum CT!“ informierte der begleitende Arzt sie mit kurzen Worten. „Soll einer von uns mitkommen-könnte es sein, dass er aufwacht und erneut jemanden in Gefahr bringt?“ wollte Semir wissen, aber der Arzt schüttelte den Kopf. „So wie es aussieht ist sein Halsmark verletzt-er wird vermutlich nie mehr für irgendjemanden eine Gefahr darstellen!“ teilte er mit wenigen Worten die vorläufige Diagnose mit und nun atmeten die drei Polizisten auf. „Wo ist Ben?“ wollten sie dann wissen, aber wie sie beinahe erwartet hatten bestätigte der Arzt: „Der wird gerade operiert!“ sagte er und nun gingen Semir und seine Begleiter wesentlich langsamer weiter auf die Intensivstation, auf der Ausnahmezustand herrschte.
    Überall wimmelte es von uniformierten Streifenpolizisten, der krankenhauseigene Sicherheitsdienst sprang ebenfalls herum und es herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Chefin, die ihren Mitarbeiter der PASt erspäht hatte, der sich einen Eisbeutel an den Kopf hielt, trat zu dem: „Was genau ist passiert?“ verlangte sie von ihm zu wissen und nun begann der weitschweifig zu erklären. Nach den ersten Worten unterbrach ihn Semir ungeduldig: „Uns interessiert jetzt nicht, was dir zu diesem Augenblick durch den Kopf gegangen ist, erzähl uns einfach die Abläufe!“ herrschte er ihn an und nun sagte der nachlässige Bewacher schlicht: „Ich weiss nicht wie es geschehen konnte, aber ich habe plötzlich einen harten Schlag gegen die Schläfe bekommen und bin zu Boden gegangen. Ich war kurz bewusstlos und als ich wieder zu mir gekommen bin, sind schon zwei Schüsse aus dem Patientenzimmer gedrungen!“ sagte er schuldbewusst und die Chefin, die einen Blick über seinen Bewacherplatz mit Stulle, Kaffeebecher und Tageszeitung hatte schweifen lassen, sagte kurz: „Das wird noch ein Nachspiel haben, aber jetzt lassen sie sich erst mal in der Notaufnahme behandeln-wir übernehmen hier!“ wies sie ihn kurz an und der Mann nickte momentan erleichtert. Jetzt konnte er seine Verantwortung abgeben und es gab nichts, was er augenblicklich lieber täte! Eine Schwester kam mit einem Rollstuhl auf ihn zu: „Nehmen sie Platz-ich bringe sie in die Notfallambulanz!“ sagte sie und wenig später rollte er von der Intensivstation.


    Ein junger Streifenbeamter trat nun auf sie zu, erstattete Bericht und dankbar registrierte Semir, dass der schließlich mit seinen Kollegen das Zimmer gestürmt hatte und so die medizinische Hilfe für Ben erst ermöglicht hatte. Klar-die waren alle miteinander ganz nach Lehrbuch vorgegangen, aber jetzt konnte man nur hoffen, dass Ben die Zeitverzögerung nicht geschadet hatte. Sie traten ins Zimmer, in dem noch eine Blutlache auf dem Boden war-Ben´s Blut- und während Hartmut nun seinerseits provisorisch mit der Spurensicherung begann, bis die Ausrüstung die er nachgefordert hatte eintraf, fragte Semir: „Wo sind Sarah, Tim und Lisa?“ und jetzt brachte eine Schwester ihn zum Bereitschaftszimmer.
    Nach kurzem Klopfen wurde die Tür von einem Arzt geöffnet, der sich auch gleich verabschiedete und zum Umziehen eilte, während Semir zu Sarah trat, die voller Verzweiflung vor sich hin schluchzte, sich neben sie setzte und sie in den Arm nahm. „Er schafft das!“ sagte er schlicht, während Sarah ihren Kopf an seiner Schulter barg und Tim, der inzwischen aufgehört hatte zu weinen ihn mit seinen großen dunklen Augen, die denen Ben´s so ähnlich waren, musterte.

  • Kaum war man in der OP-Abteilung angekommen hatte man Ben mit Windeseile auf das Schleusenband gelegt. Man gab das transportable Beatmungsgerät, den Monitor und alle anderen Gerätschaften einfach mit, um durch das Umhängen keine Zeit zu verlieren. Der sehr erfahrene Anästhesist hatte eine spezielle Beatmungsart ohne positive Beatmungsdrücke gewählt, was vermutlich lebensrettend war. Man sah zwar auf dem Monitor, wie das Herz rasend schnell schlug, konnte aber auch erkennen, dass die Pumpleistung mehr und mehr abnahm. Ben war leichenblass, seine Extremitäten eiskalt und bläulich verfärbt und es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre das Pumpversagen da und damit der Tod des Patienten.
    Ohne viel Federlesens goss man kurz eine Schale voll Desinfektionsmittel über den Brustkorb, der Springer wischte einmal mit einem Stapel steriler Kompressen darüber und dann warf man ein großes Abdecktuch mit Loch in der Mitte über den Patienten. Der Herzchirurg stand schon mit gezücktem Skalpell bereit und noch während der zweite Assistent die Lampe justierte, hatte der erste Assistent schon die pneumatische Knochensäge bereit. Soweit es notwendig war, denn durch die Fraktur war das Sternum sowieso nur an manchen Stellen noch stabil, durchtrennte der Operateur nun das Brustbein der Länge nach und Sekunden später waren die Rippenspreitzer eingesetzt und der Brustkorb lag weit geöffnet vor dem OP-Team. Der erste Assistent bediente schlürfend den Sauger und entfernte das Blut, während der Professor schon den Blick auf das Herz erhascht hatte und als erste Maßnahme nun mit einer Schere mit gewagtem Schnitt am schlagenden Herzen das Perikard eröffnete. Etwa 200ml frisches und auch teilweise schon geronnenes Blut entleerte sich und obwohl es Ben deswegen zwar noch nicht richtig gut ging, verlangsamte sich nun der Herzschlag und vor den Augen des OP-Teams füllten sich die Ventrikel und das Herz nahm seine geregelte Arbeit wieder auf, das sich vorher sozusagen mit jedem Pumpversuch selber die Versorgung abgeschnitten hatte, weil der Herzbeutel sich mehr und mehr mit Blut gefüllt hatte und durch den Druck von außen eine normale Herzarbeit kaum mehr möglich gewesen war. Alle Anwesenden atmeten zunächst auf, der erste lebensrettende Schritt war geschehen und nun konnte man sich in aller Ruhe der Versorgung der Verletzungen widmen. Zunächst inspizierte der Herzchirurg noch das ganze Organ, aber der Herzmuskel selber war nicht verletzt und kurz hinter einem Herzkranzgefäß fand er das verformte Projektil und ließ es in eine bereitgehaltene Schale fallen. Man widmete sich nun der Blutstillung im Thorax und der Anästhesist hängte derweil im Druckbeutel eine um die andere Blutkonserve an, die aus der Blutbank im Hause angeliefert worden war. Man hatte Ben inzwischen an das Narkosegerät umgehängt und er wurde durch eine Kombination von Narkosegasen und hochdosierten Opiaten schlafend gehalten. Ben hatte Glück im Unglück gehabt-es war zwar durchaus eine blutige Angelegenheit, aber kein großes Gefäß wie die Aorta oder die Pulmonalvene waren verletzt.
    Der Kardiotechniker, der sofort begonnen hätte die Herz-Lungenmaschine vorzubereiten, wenn es notwendig geworden wäre-man hätte dann einen Bypass gelegt und den Kreislauf extern laufen lassen, um das Herz durch einen Stromstoß still zu legen und da in aller Ruhe operieren und mögliche Herzmuskelverletzungen versorgen zu können, bekam Entwarnung und zog sich nun in den Aufenthaltsraum zurück. An Ben´s Bein hatte der Springer eine Neutralelektrode aufgeklebt und nun nahm der Professor eine elektrische Blutstillung vor, legte dann nach nochmaliger Inspektion und Spülung eine Perikarddrainage ein und kaum eine halbe Stunde nach Beginn der OP verschloss man nun mit Drähten das Sternum. „Das wird ihm nach der chirurgischen Versorgung und Stabilisierung vermutlich weniger Schmerzen bereiten als vorher!“ bemerkte der Professor nun mit einem Grinsen, während er sich schon die blutigen Handschuhe auszog, um einen Kaffee trinken zu gehen und seinen Kollegen von der Intensivstation zu verständigen. Den letzten Wundverschluss und die Hautnähte würden seine Assistenten vornehmen, mit so einem Kleinkram gab er sich nicht ab.


    Der Intensivarzt war nach dem Umziehen wieder auf die Station zurückgekehrt und hatte einen Blick in das Zimmer geworfen, in dem gerade die Spurensicherung lief. Hoffentlich hatte man nun alle Attentäter erwischt-sowas konnte er auf seiner Station echt nicht brauchen! Gerade hatte er seine Routinearbeit aufgenommen und erfahren, dass man den Schützen bereits in den neurochirurgischen Operationssaal gebracht hatte, um zu retten, was zu retten war, da läutete sein Telefon. „Ich wollte dir nur sagen-du kannst in etwa zehn Minuten deinen Patienten wieder abholen!“ sagte fröhlich der Professor am anderen Ende. „Wie du treffsicher diagnostiziert hattest, lag eine Perikardtamponade vor, die haben wir entlastet, ne Drainage eingelegt und die Blutstillung vorgenommen. Dein Patient hat zwar ein bisschen Blut gebraucht, aber sonst ist er stabil und ich denke, man wird ihn nicht lange nachbeatmen müssen!“ sagte er und nun ließ der Intensivarzt sofort alles stehen und liegen und eilte die paar Meter zum Bereitschaftszimmer. Er klopfte genau einmal und sperrte dann auch schon die Tür auf.


    Sarah, die mit dem Säugling auf dem Arm wie ein Häufchen Elend auf der Couch saß und liebevoll von dem Freund, der vorher gekommen war im Arm gehalten wurde, wandte den Kopf und sah ihn mit tränenumflortem Blick an. Sie war auf Alles gefasst-die Zeit war so kurz, sie würde jetzt wahrscheinlich eine Todesnachricht bekommen und wusste nicht, ob sie danach würde weiterleben können, so schmerzhaft war ihr bewusst geworden, wie sehr sie Ben liebte. Verdammt und sie hatte ihn während der Entführungszeit angezickt, ihn für Tim´s Verschwinden verantwortlich gemacht, obwohl er doch primär seinen Job gemacht hatte, wie ihr gerade erst Semir noch bestätigt hatte. Wenigstens hatten sie sich noch versöhnt, aber trotzdem war ihr fast schlecht davor, was sie nun erfahren würde. Als sie nun allerdings in das lachende Gesicht des Intensivarztes sah, wusste sie in dem Moment, dass er eine gute Nachricht hatte-der hatte so viel Empathie-er würde nie eine schlimme Mitteilung mit fröhlicher Miene machen. Nun hielt sie nichts mehr auf der Couch. Sie sprang auf und Tim sah seine Mama verwundert an. „Und?“ fragte sie mit bebender Stimme und mit einem breiten Grinsen teilte ihr der Arzt mit: „Sarah er wird leben-es war tatsächlich eine Perikardtamponade die sie gut versorgen konnten, gerade hat mich der Professor angerufen. Dein Freund wird zwar noch ein wenig nachbeatmet bleiben, aber wir können ihn in Kürze wieder abholen!“ teilte er ihr mit und nun liefen Tränen des Glücks über Sarah´s Wangen.

  • Brami wurde von den besten Neuro-und Wirbelsäulenchirurgen der Uniklinik operiert, aber wie man schon im CT gesehen hatte, war an seinem Halsmark nichts mehr zu retten. Man stabilisierte zwar die Fraktur durch die Kugel und entfernte dieselbe, aber er würde einen hohen Querschnitt zurückbehalten und nicht einmal mehr selbstständig atmen können. Deshalb wurde er gleich in dieser Sitzung noch tracheotomiert und danach brachte man ihn auf die chirurgische Intensivstation, hängte ihn an die Beatmungsmaschine und ließ ihn langsam aufwachen.
    Dort war immer noch Frau Krüger, die inzwischen Lisa befragt hatte und nach deren Aussage die Bewachung für alle aufhob. „Diese Terroristen haben sich mehrfach darüber unterhalten, dass sie die einzigen aus dem Terrorzirkel wären, die in Deutschland seien-ein Teil wurde anscheinend in Tunesien außer Gefecht gesetzt!“ vermutete Lisa und die Chefin nickte. Das waren vermutlich die Männer, die Semir auf der Flucht ausgeschaltet hatte-es waren nämlich in der Benko-Wohnung noch mehrere Jacken und Identitätskarten des betrügerischen Sicherheitsdienstes gefunden worden, nach dessen Besitzer man nun fahndete. Nach dem Attentat hätten die Männer erst zur Wohnung zurückkommen sollen, wo sie ihre Belohnung in Form Lisas erhalten hätten-was der noch Angstschauer über den Rücken laufen ließ-und dann zeitnah mit Brami´s Learjet nach Tunesien ausgeflogen werden. Den Learjet hatte man beschlagnahmt, damit die finanzielle Seite von Brami´s Behandlung und auch die Wiedergutmachung der Geschädigten sichergestellt war. Als die Chefin das Dr. Amami telefonisch mitteilte, erklärte der sich bereit der Familie Brami´s die traurige Nachricht persönlich zu überbringen, wenn er am nächsten Tag nach Tunesien zurückflog. Yasser´s Familie allerdings brach im Hintergrund in Jubel aus, als sie das hörte.


    Semir rief selber Andrea an: „Schatz-die Gefahr ist vorbei, ihr könnt wieder zurück in unser Haus!“ gab er bekannt-„aber ich habe gleich noch eine Bitte: Meinst du wir könnten Sarah und Tim bei uns unterbringen und auf das Baby aufpassen, wenn sie bei Ben sein möchte?“ fragte er und erzählte Andrea dann die Kurzfassung der Geschehnisse. „Na klar, ich bereite das Gästezimmer vor, das ist doch selbstverständlich und die Mädels werden sich freuen!“ antwortete Andrea und als Semir das Sarah mitteilte, zog ein Lächeln über ihr Gesicht. „Vielen lieben Dank Semir-das hilft mir unheimlich, ich hätte nämlich jetzt nicht gewusst, wie ich das anstellen soll!“ sagte sie und er nickte.Hartmut hatte die Spurensicherung abgeschlossen und gerade wurde das Zimmer noch gereinigt, da kam auch schon der Anruf aus dem OP, dass man Ben nun abholen könne. Der Stationsarzt gab Sarah im Bereitschaftszimmer Bescheid und Lisa nahm wie selbstverständlich Tim auf den Arm, der gerade wieder ein Schläfchen machte. „Solange bis mein Mann kommt, passe ich gerne auf ihn auf, nur musst du verstehen, dass ich jetzt einfach nur noch heim zu meiner Familie möchte!“ erklärte sie und Sarah versicherte ihr, dass das doch sonnenklar sei. „Trotzdem danke ich dir, dass du es mir jetzt ermöglichst ein wenig bei Ben zu sein!“ bedankte sie sich und ging dann schon gemeinsam mit Semir auf die Intensivstation, um ihn dort in Empfang zu nehmen.


    Ben war sediert und beatmet, er bekam nichts davon mit, wie er an seinem Bettplatz verkabelt wurde und Sarah ihm danach die letzten Blutspritzer abwusch. Er hatte ein Zwölfkanal-EKG hängen, damit man sofort reagieren konnte, wenn es Komplikationen am Herzen gab und die Perikarddrainage die mittig aus seinem Brustkorb ragte, förderte auch immer noch ein wenig Blut und Wundsekret, das in einen Ablaufbeutel seitlich am Bett lief. Man hatte im OP noch nach dem Wundverschluss der Brustwunde die Thoraxdrainage revidiert und gespült, aus der sich immer noch ein Blut-Eiter-Gemisch entleerte und das musste man auch dringend im Auge behalten. Aber trotzdem war Ben für das, was er hinter sich hatte, relativ stabil und so setzte sich Sarah nun still an seine Seite, streichelte ihn und dankte Gott, dass sie ihn noch haben durfte. Wenn es anders gelaufen wäre, könnte sie jetzt alles was ihr im Leben etwas bedeutete-Mann und Kind-verloren haben. Semir trat hinter sie und nachdem er Ben ebenfalls liebevoll berührt hatte, legte er seine Hand auf Sarah´s Schulter. „Es wird alles gut werden!“ sagte er und Sarah nickte.

  • Nach einer Weile ging Sarah wieder zu Lisa und traf genau auf ihren Bruder, der gerade nach seiner Frau suchte. Gemeinsam gingen sie zum Bereitschaftszimmer und als Lisa nun ihren Mann sah, überreichte sie Tim schnell seiner Mutter und sank schluchzend in seine Arme. „Ich bin so froh, dass es vorbei ist!“ flüsterte sie und alle Anwesenden konnten ihr nur zustimmen. Semir, der immer noch einen Ersatzschlüssel zu Ben´s Wohnung an seinem Schlüsselbund hängen hatte, obwohl er den eigentlich nicht mehr gebraucht hatte, seitdem Ben mit Sarah zusammen war, löste den und gab ihn Lisa. „So könnt ihr deine Sachen aus der Wohnung holen und danach werft ihr ihn einfach in den Briefkasten!“ bestimmte Semir, der mal wieder an alles gedacht hatte. So verabschiedeten sich die beiden und Sarah und Semir wechselten sich noch ein wenig in der Betreuung Tim´s und den Besuchen bei Ben ab, bis es Abend wurde und sie sich zu Semir aufmachten. „Ihr ruft mich sofort an, wenn sich etwas verändert!“ bat Sarah ihre Kollegen, die ihr das versicherten und so brachen sie gemeinsam auf.


    Semir war zuvor schnell zur Wohnung gefahren und hatte einen Kindersitz geholt und so fuhren sie noch gemeinsam dorthin, packten die notwendigsten Dinge für Tim und Sarah zusammen und dann erreichten sie-jeder mit seinem Wagen, damit Sarah unabhängig war- das Haus der Gerkhan´s. Es war erfüllt von Wärme, Weihnachtsduft und Licht. Andrea hatte nach ihrer Rückkehr aus der Schutzwohnung mit den Mädchen Plätzchen gebacken, die es nach einem wohlschmeckenden Abendessen zum Nachtisch gab. Tim wurde von Ayda und Lilly bespaßt, er lag auf einer Decke im Wohnzimmer am Boden und gluckste fröhlich und zum ersten Mal seit Tagen schlief Sarah mit ihrem Sohn in dem großen Gästebett tief und fest und erwachte am nächsten Morgen ausgeruht und guter Dinge. Allerdings musste sie, noch bevor sie ins Bad ging, auf der Intensivstation anrufen und sich nach Ben´s Befinden erkundigen. „Sarah-es geht ihm, wie man immer so schön sagt, den Umständen entsprechend gut. Er ist stabil und wir werden versuchen, ihn heute zu extubieren!“ gab ihre Kollegin ihr Auskunft. „Ich komme in Kürze und möchte ihn selber waschen und auf jeden Fall bei der Extubation dabei sein!“ erklärte Sarah bestimmt und aus dem Hörer ertönte ein Lachen. „Das haben wir fast angenommen und uns schon nicht getraut, deinen Freund anzufassen-lass dir Zeit, heute ist Sonntag und wir haben keine Eile!“ versicherte ihre Kollegin und so machte Sarah sich noch gründlich zurecht, frühstückte dann gemeinsam mit den Gerkhan´s, stillte Tim nochmals, der danach rundum zufrieden wieder auf seiner Decke lag und von den Kindern ins Spiel einbezogen wurde und fuhr dann ins Krankenhaus. „Ich komme später vorbei und löse dich ab!“ versprach Semir und Sarah nickte dankend. Erst jetzt nahm sie, als sie zum Krankenhaus fuhr, die weihnachtlich geschmückte Stadt so richtig wahr. Überall waren Leute unterwegs zur Kirche und gerade wurde ihr bewusst-in weniger als zwei Wochen war Weihnachten!


    Im Krankenhaus angekommen sah Ben tatsächlich schon ein wenig besser aus als gestern. Die Werte waren recht stabil-er brauchte zwar noch niedrig dosiert Katecholamine und hatte auch leichtes Fieber, aber das war nach den ganzen Geschehnissen kein Wunder. Sarah ließ momentan zwar das Opiat noch laufen, schaltete aber das Narkosemittel aus und so kam Ben, während sie ihn wusch und mit ihm sprach, schon ein wenig zu sich und sah verständnislos um sich. Als sie fertig war und gemeinsam mit ihrer Kollegin auch noch das Bett frisch bezogen und den Verband am Rücken gewechselt hatte, wo sie sonst nicht dazugekommen wäre, schalteten die beiden das Opiat auch noch herunter, so dass es nur noch auf Minimaldosis lief und dann wartete man ab. Keine zehn Minuten später begann Ben unruhig zu werden, er hustete und der Tubus in seinem Hals begann ihn augenscheinlich zu stören. Man holte den Arzt und als Ben auf Fragen gezielt nicken und den Kopf schütteln konnte, wurde er nochmals abgesaugt, was er als Tortur empfand und dann zog der Arzt den Tubus kurzerhand heraus. Ben hustete noch ein paarmal, aber als er wenig später mit einer Sauerstoffmaske auf dem Gesicht und leicht erhöhtem Oberkörper im Bett lag, die Handfixierungen gelöst waren und Sarah an seiner Seite saß und seine Hand hielt, war er ganz zufrieden und das Erste was er fragte, als er wieder sprechen konnte war: „Wie geht´s Tim und ist es wirklich wahr, dass er befreit ist?“ denn durch die Narkose wusste er nicht mehr, was Traum und was Wahrheit war, aber als Sarah ihm nun versicherte, dass es Tim gut ging und er bei den Gerkhan´s war und von denen super betreut wurde, seufzte er erleichtert auf. Nach einer Weile, während der er nachgedacht hatte und sogar die Stirn kraus gezogen hatte, so arbeitete es in seinem Kopf und das Opiat ließ ihn dennoch noch nicht ganz Herr seiner Sinne sein, sah er an sich herunter und erblickte den Verband mittig auf seinem Brustkorb mit einer Drainage und außerdem schmerzte das schon vermehrt. „Dann ist es auch wahr, dass Brami auf mich geschossen hat?“ fragte er, denn die Geschehnisse des Vortags erschienen ihm wie ein böser Traum. Sarah nickte. „Ja und dabei wurde dein Herz verletzt und du konntest nur durch eine Notoperation gerettet werden!“ sagte sie schlicht und nun wollte Ben wissen, wie lange das her war. „Das war alles gestern!“ erklärte ihm seine Partnerin und er sagte: „Das ist so merkwürdig, wenn man gar nicht mehr genau weiss, welchen Wochentag es hat und welcher Teil von deinem Leben dir fehlt!“ und sie musste ihm beipflichten-das machte den meisten Patienten die länger beatmet waren nach dem Aufwachen zu schaffen. Und Brami?“ fragte Ben, der sich nun plötzlich genau daran erinnern konnte, wie er auf den Attentäter in Notwehr geschossen hatte. „Der liegt beatmet im Nebenzimmer und hat eine hohe Querschnittlähmung erlitten. Er wird sein ganzes Leben lang ein Pflegefall bleiben, der beatmet werden muss und auch nicht mehr sprechen kann. Vielleicht gelingt es ihm noch über moderne Computersysteme zu kommunizieren, aber er wird wohl nie mehr eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen!“ sagte Sarah und nun war Ben trotz allem erschüttert-so etwas hatte kein Mensch verdient!

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