Wütend blickte Frau Krüger zur Uhr. Es war mittlerweile schon nach 21.00 h. Vor über einer Stunde war Dienstbeginn für die Nachtschicht. Der Einzige, der wieder mal nicht pünktlich war, war Hauptkommissar Ben Jäger.
„Wo bleibt denn dieser Jäger schon wieder? Jetzt hab ich ihn schon auf ein Seminar geschickt und schafft es wieder nicht, pünktlich zu sein!“ Die Chefin stampfte gereizt in ihrem Büro auf und ab. „Der kann was erleben, wenn der kommt. Der weiß doch ganz genau, dass Semir in Urlaub ist!“ Aufgebracht öffnete sie die Tür ihres Büros und spähte zu Susanne König hinaus.
„Susanne, wissen Sie, warum Herr Jäger noch nicht hier ist? Er sollte schon genau vor 67 Minuten hier sein und seinen Nachtdienst antreten! Hat er sich bei Ihnen gemeldet? …. Naja… Wenn er es tatsächlich geschafft hat, herzukommen, schicken Sie ihn sofort zu mir in mein Büro!“ gab Kim Susanne den Auftrag und knallte erbost die Tür hinter sich ins Schloss.
„Dieses dauernde Zuspätkommen bringt mich noch auf die Palme!“ ärgerte sie sich und wartete ungeduldig auf Bens Kommen.
Nach einigen gefühlten Kilometern, die sie wohl schon in ihrem Büro auf- und abgelaufen war, machte sie eine Pause und sie setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. Genüsslich nahm sie die letzten Schlücke ihres Kaffees, der wohl ihre Laune etwas anheben sollte und studierte die Akten, die sie mit Ben Jäger die nächsten 12 Tage durchgehen und bearbeiten wollte.
„Mist! Wieder nur die Mailbox! Mensch, Ben. Was treibst du denn schon wieder? Du weißt doch genau, wie sich die Chefin dabei aufregt. Schwing deinen süßen, sexy Po lieber hier her, bevor es ein echtes Donnerwetter gibt! ….. was auch immer du machst…..!“ redete Susanne indirekt mit Ben und war nicht gerade amüsiert darüber, dass sich immer wieder diese Mailbox meldete. Die Sekretärin wollte nicht, dass sich Ben ständig in sinnlose Schwierigkeiten und Fettnäpfchen bewegt.
Nach weiteren fehlgeschlagenen Versuchen ließ sie es sein.
„Jenny? Nimmst du Bonny mit und fährst mit ihm mal zu Ben und siehst nach dem Rechten?“ forderte sie die beiden auf und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Sie begann, allmählich für Semir alle Motels im Umkreis herauszusuchen, was nicht gerade zu den leichten Aufgaben gehörte.
***
Der kleine Mann in Martins Kopf hatte alles unter Kontrolle und ließ ihn an seinen Gedankengängen teilhaben.
„Weißt du was wir machen!“ brummte der Kleine im Kopf „Zuerst versorgst du meinen Schatz im Keller. Gib ihm etwas zu essen und zu trinken. Er soll doch bei Kräften bleiben. Und denke dran, keiner fasst ihn an! Ich bin derjenige der ihm seine Schönheit nimmt. Er gehört mir! Anschließend kümmerst du dich um den Förster. Der hat zu viel gesehen, der könnte gefährlich werden. Außerdem hat er meinen Jüngling angefasst.“
„… aber…“ unterbrach Martin den Erzähler.
„Schnauze. Du sollst still sein, wenn ich mit dir rede! Begreife das doch endlich!“
Martin nickte stumm. Eigentlich wollte er das gar nicht hören, was sein Kopf ihm befahl.
„Also. Wo war ich? Ach ja. Du lässt diesen Förster von der Bildfläche verschwinden. Ja, das wird das Beste sein.“ Wieder grinste der kleine Mann in dessen Kopf hinein.
Martin dagegen teilte diese Meinung nicht. Eine Hälfte in seinem Gehirn, in der wohl dieser Mitbewohner hauste, fühlte sich zufrieden und schüttete Endorphine aus. Die andere Hälfte hatte Angst. Angst vor ihm, Angst vor dem, was noch alles kommen sollte. Dieses Gefühl machte sich auch in seinem Bauch breit.
Sein Diener bäumte sich gegen den Kleinen im Kopf auf und widersprach ihm. „NEIN! NEIN! NEIN! …. Ich bringe den Förster nicht um und sonst auch keinen mehr. Verstehst du das! Der Förster kann nichts dafür und hat damit auch gar nichts zu tun. Und mit dem im Keller? Soll ich den etwa auch umbringen?“ er hatte sich sehr in Rage geredet. Hochrot vor Zorn lief sein Gesicht dabei an. Seine Stimme bebte vor Erregung. „Ich sag dir jetzt mal was. Du hast mir nichts, absolut gar nichts mehr zu sagen, was nicht ausschließlich mit diesem Mann im Keller zu tun hat. Bei allen anderen Entscheidungen hältst du dich ab sofort heraus. HAST DU MICH VERSTANDEN? Ich kann auch wieder die Tabletten nehmen. Dann bist du verschwunden und ich bin dich los. Ich warne dich. Treib es ja nicht zu bunt!“
Puh, für einen Moment war er erlöst, ihm endlich mal seine Meinung gesagt zu haben und atmete tief und zufrieden aus.
Oh das hat gesessen. Der Kleine musste bei diesen Worten schwer schlucken. Er war so vor den Kopf gestoßen, dass er letztendlich klein bei gab.
„Ich gehe jetzt zu diesem Kerl und geb ihm Essen und Trinken. Das wolltest du ja!“ kam nur noch zickig über Martins Lippen.
Aus einer kleinen Kammer neben der Küche holte Martin eine Flasche Wasser und einige Scheiben trockenes Brot. Um an diese Sachen zu kommen, musste er sich bücken und aus dem hintersten Regal holen. Irgendwo musste noch etwas da sein. „Verflixt!“ schrie er auf, fluchte, als ihm dabei ein kleines Glas mit Gewürzgurken zu Boden hinunter fiel. Er stand auf und verließ die Küche. Die Scherben und den Saft auf dem Boden ließ er unbeachtet liegen.
Mit dem Proviant in der Hand und noch immer innerlich aufgewühlt, ging der Weißhaarige in seinem erregten Zustand die Treppe hinunter in den Keller.
Der Schlüssel drehte sich nach links. Die eiserne Stahltür öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Der Weißhaarige stellte das für seinen Gast bereit gestellte Proviant neben sich auf den Boden und blickte suchend nach Ben in den Raum.
Der junge Mann lag tief und fest schlafend auf der Matratze in der Ecke, die er kürzlich auf Wunsch hinein gebracht hatte.
Der Schlafende hatte noch nicht mal bemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte. ´Na dir geht´s aber gut!´ schossen ihm die Gedanken durch den Kopf. ‚Ich diskutiere mit den kleinen Herren wegen dir, mache mir Sorgen um dich und du liegst hier rum schläfst? Ich muss arbeiten, mich plagen und mich beschimpfen lassen, wegen dir? …‘
Zorn stieg in Martin hoch, grenzenlose Wut auf den Dunkelhaarigen, der zu seinen Füßen lag und schlief. In seinen Augen flackerte der pure Wahnsinn und suchte sich ein Ventil. Er verlor die Beherrschung und war nicht mehr Herr seiner Sinne. Er stürmte zu Ben.
„Hey du da!“ rief er Ben an. „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ legte er wutentbrannt hinterher. Der Schlafende reagierte nicht sofort auf die Aufforderung.
„Na gut! Wer nicht hören will, muss fühlen!“ Schon während er diesen Satz aussprach, trat er Ben mit voller Wucht in die Seite. Dieser wurde von dem Tritt von der Matratze geworfen und blickte völlig verwirrt nach oben.
Dieser kräftige Tritt hatte Ben von seinen wirren Träumen erlöst. Ein furchtbarer Schmerz zerriss seine Eingeweide. Er hatte das Gefühl zu schweben und klatschte mit seinem Körper auf den feuchten Kellerboden. In Bruchteilen von Sekunden war er hellwach und erfasste die Situation.
Im schummrigen Licht der Glühbirne erkannte er den Weißhaarigen, der vor ihm stand, sah das irre Leuchten eines Wahnsinnigen in dessen Augen aufblitzen. Der Mann war entrückt von der Realität.
Bevor der dunkelhaarige Polizist reagieren konnte, traf ihn der nächste Tritt in den Bauch. Er versuchte auszuweichen. Es folgte wieder einer … und noch einer … immer zu. Martin war es vollkommen egal, wo seine Tritte ihr Ziel fanden. Unendliche Schmerzen durchströmten wie eine Feuerlohe seinen Körper. Ben schrie seine Qualen lautstark heraus, bettelte den Weißhaarigen an, er möge aufhören. Doch dieser kannte keine Gnade.