Der Einstieg in die Folge zeigt direkt eine klare Abgrenzung zu früheren Folgen. Wenn ich daran denke, wie so ein Pilot vor zwei Jahren ausgesehen hat und wie er jetzt aussieht, dann sind das schon fast zwei völlig verschiedene Serien. Dass man mit der Figur Alex Brandt eine neue Ära haben will hat sich im letzten Piloten schon sehr gut gezeigt. Das "Motto" dieser Staffel "Zeiten werden härter ... Helden auch" finde ich extrem passend. Man merkt in der ersten Folge der neuen Staffel direkt, dass sich die Figuren extrem weiterentwickeln und auch aufgrund vergangener Schicksalsschläge anders handeln. Obwohl man den Hintergrund bei Semir nicht wirklich behandelt hat, so hat man einiges über Alex in dieser Folge gelernt. Ich find's super, wie man das alles langsam aufbaut, umso unverständlicher ist es für mich, dass manche da nicht mitkommen bzw. die Serie als "Tatort 2.0" abschreiben.
Wie schon angesprochen ist der Einstieg gut gelungen, auch dass dort fortgesetzt wird, wo man mit der Frühjahrsstaffel aufgehört hat, hat mich gefreut. Über die Auflösung dieses Handlungsstrangs bin ich leider etwas enttäuscht, man hätte da doch einiges daraus machen können. Ich hoffe mal, dass man sich da einfach erstmal herantasten wollte, um dann mit etwas komplizierteren bzw. verstrickteren Handlungssträngen fortzufahren. Wenn ich aber lese, dass manche diesen Handlungsstrang schon zu kompliziert fanden, dann will ich nicht wissen, wie die Reaktionen von denen sind, wenn dann tatsächlich was komplizierteres aufgebaut wird. Wie ich aber bereits selber schon mal sagte, sollte man diese Zielgruppe nicht als Richtlinie sehen.
Die Szenen in der JVA waren gut gemacht, vor allem mag ich Alex seine Art, wie er mit anderen kommuniziert, vor allem mit denen, die er nicht ausstehen kann oder auf die er nicht gut zu sprechen ist. Der kleine Junge - Felix - nimmt ja dann im Laufe des Piloten eine größere Rolle ein und das bietet eine gute Möglichkeit, um neues über den Charakter Alex Brandt zu erfahren. Der große Schicksalsschlag der Felix betrifft, findet ja direkt am Anfang statt und ich fand die betroffene Ausdrucksart von dem Jungen sehr gut gespielt, man kann sehr gut nachvollziehen wie er sich fühlt und die Kameraeinstellung, vor allem als die Frau angeschossen wird, war perfekt. Diese Slow-Motion-Ansichten gefallen mir wirklich sehr gut. Ebenfalls die Rückblenden, die man immer wieder mal macht.
Die Verfolgungsjagd beginnt leider wieder in der Stadt und die Autobahn (obwohl sie wieder eine echte Autobahn ist) findet eher so nebenbei Erwähnung statt. Warum das seit kurzem nicht anders lösbar ist verstehe ich ehrlich gesagt nicht so recht, weil mit der Autobahnpolizei hat's halt so gar nichts zu tun. Super fand ich aber den Crash mit der Straßenbahn, ist zumindest mal etwas Abwechslung. Gut gefallen hat mir auch, dass man die Autos nicht direkt völlig fahruntauglich gemacht hat, trotzdem sah man kaputte Autos. Das sind Szenen die vermisse ich schon seit längerem, weil was mich damals immer an Cobra 11 fasziniert hatte, waren die ganzen kaputten Autos. Irgendwann wurde das dann aber nur noch so Explosionszeugs und von den normalen geschrotteten Autos war nicht mehr wirklich was zu sehen. Als sich das Auto von Semir und den Verbrechern überschlagen hat, war ich richtig begeistert, ebenso als der LKW später umgekippt ist. Ob's nun realistisch ist oder nicht sei mal dahingestellt, der Stunt war aber schön anzusehen.
Im Gerichtssaal fand ich die Schrankmann das erste Mal richtig sympathisch, dafür hat mich der Anwalt von den Verbrechern richtig genervt. Der hat so überzeugend gespielt, dass ich ihm am liebsten mal gesagt hätte, wie blöd der ist.
Dass Alex Brandt eine sehr interessante Figur ist, ist bekannt aber die Szenen nachdem die Verbrecher freigelassen wurden und Alex richtig wütend wurde, haben mich richtig begeistert. Vinzenz Kiefer kann da echt überzeugen. Auch wie Alex Felix hinterher läuft, als dieser davonläuft, fand ich toll. Da kann ich gerne mal auf die Actionszenen verzichten, wenn ich solche guten Szenen zu sehen bekomme. Später als Alex sich um Felix kümmert, lernt man ja wieder einiges über Alex kennen und der Dialog mit Semir im Regen draußen ist gut gelungen, ähnliche Dialoge in denen der Sinn des Berufs in Frage gestellt wird, hatten wir auch schon in der vergangenen Staffel und auch dort haben mich diese völlig überzeugt. Ebenso fand ich den Dialog zwischen Alex und Felix vor dem Grab von Felix' Mutter gut gemacht.
Ich bin kein Opern-Freund, aber ich fand die Szenen im Piloten nicht fehl am Platz. Es passt einfach in das Erzählschema der Folge gut rein. Man hat, zumindest hab ich das Gefühl, in diesem Piloten die Geschwindigkeit etwas gesenkt, man macht nicht mehr alles so hektisch, sondern will sich wirklich um das kümmern, was man erzählen will. Gut bemerkbar hat sich das auch durch die Ein- und Ausblenden zwischen verschiedenen Ortswechseln gezeigt. Ob man diese Blenden braucht oder nicht soll jeder für sich selbst entscheiden, ich fand's ganz angenehm, brauche das aber in normalen "Cobra 11"-Folgen nicht mehr, im Piloten haben mich die Szenen aber wie gesagt, nicht gestört.
Die Szenen auf dem Dach und die Hintergrundmusik haben die schnellere Erzählweise meiner Meinung nach perfekt dargestellt, man hat wieder etwas Schwung in die Folge reingebracht, nachdem man kurz zuvor noch einen langsameren Stil hatte. Auch optisch hat man das echt gut umgesetzt, wenn man das mit früheren Folgen vergleicht, hat sich da in den letzten paar Staffeln echt was getan. Vor allem diese Nachtaufnahmen finde ich immer super. Auch als Semir zu ertrinken droht, hat man - zumindest ich - so ein bisschen mitgefiebert. Mich hat da die Folge "mitgenommen" und ich habe selber gehofft, dass er da wieder rauskommt. Ist natürlich völlig dämlich, weil's nur eine Serie ist, aber das hat mich völlig von der Außenwelt abgeschaltet, da war ich voll dabei. Fand ich wirklich super so.
Das erste Aufeinandertreffen von Alex und diesem Wolff und das Gespräch regen irgendwie zum Nachdenken an und das ist glaube ich ein Punkt, wo viele aussteigen. Man muss sich da langsam herantasten, um sich ein Publikum zu suchen, das damit umgehen kann. Ich hatte nach der letzten Staffel eigentlich schon Befürchtungen, dass man sich davon wieder trennt, weil manche damit überfordert zu sein scheinen. Glücklicherweise bleibt man sich da aber treu und zieht das ganze durch. Die Szenen im Verhörraum sind ihnen auch grandios gelungen, ich - und ich drück's jetzt mal wie die ganzen auf Facebook aus - feier diese Szenen so hart Auch das Einbeziehen der Verhörraumkamera ist was neues, auf sowas wäre ich z. B. nicht gekommen, aber den Schritt den man hier geht find ich super. Man probiert viel neues aus und diesmal sind es wirklich tolle Sachen, nicht sowas wie die Comedyschiene, die man im Jahr 2010 eingeführt hat.
"Geschissen auf Profi" - so will ich's sehen und man entwickelt sich da einfach in eine verdammt gute Richtung, mit denen Cobra 11 zumindest für mich auf dem Level eines Hollywood-Streifens ist. Man denke zurück wie man solche Szenen vor zwei, drei Jahren realisiert hätte, da hätte man sich irgendwie blöd lustig gemacht, aber jetzt packt man das ganze mit einer gewissen "Brutalität" an und das fasziniert mich echt immer wieder. Ebenso war das Aneinandergehen von Semir und Alex echt spitze, todernst umgesetzt, ohne blöden Sprüche und trotzdem war die Szene von ungefähr einer Minute eine der stärksten des Pilotfilms. So will ich Cobra 11 sehen, große Klasse!
Was mir etwas ungut auffiel ist, dass Semir auf seinem BMW, als er mit Susanne telefoniert, ein Münchner Kennzeichen draufhat, darauf könnte man doch etwas Acht geben. Zu Semir im Bergwerk und den ganzen Leichen kann man nicht viel sagen außer, dass sie da alles grandios umgesetzt haben. Hier gibt's wirklich nichts zu bemängeln, da hat einfach alles gepasst. Warum Ben jetzt unbedingt besser als Alex gewesen sein soll verstehe ich auch nicht so recht, denn auf der Geburtstagsfeier sind alle doch sehr ordentlich angezogen und Alex kommt da ganz cool rüber, aber trotzdem ohne unnötige Sprüche. Ob man das mit dem W-Wort (ja, ich schreib das jetzt ganz bewusst so) so oft braucht ... naja, solange man's nicht in jeder erdenklichen Szene einbaut habe ich kein Problem damit.
"Du hast alles verraten woran du geglaubt hast, Alex. Du hast dich selbst verraten. Fahr zur Hölle Alex." und trotzdem hilft ihm Alex später, das ist schon Freundschaft. Wie da einige auf die Idee kommen, dass Alex und Semir keine Freunde sind, nur weil sie nicht alle fünf Minuten irgendeinen Witz reißen ist mir auch unverständlich. Das sind aber so Eindrücke aus der Folge, die im Gedächtnis bleiben, auch hier hat man alles richtig gemacht. Die Verfolgungsjagd von Semir und Alex bei Nacht mit dem anschließenden Crash hat vom optischen, also von der Nachtszene mit der Straßenbeleuchtung echt toll ausgesehen.
Der Schusswechsel im Krankenhaus hat auch diesmal wieder ohne Mega-Waffen funktioniert, so soll's sein. Bei der Geschichte mit dem Bus bin ich irgendwie etwas gespaltener Meinung. Einerseits fand ich's super, dass man sich was neues hat einfallen lassen für den finalen Kampf, andererseits hasse ich dieses Greenscreen-Zeugs bei Cobra 11. Das ist mir schon bei "Auferstehung" negativ aufgefallen und auch diesmal hätte es nicht sein müssen. Dafür, und das ist ein großer Pluspunkt, hat man das "Cobra 11"-Theme hören können, das freut mich immer wieder.
Den Einspieler in der Diskussionssendung fand ich irgendwie unpassend, das hätte man meiner Meinung nach anders lösen können, da hat ihnen irgendwie die Zeit gefehlt und dann hat man's halt noch schnell zu Ende erzählt. Aber dass Leute allen Ernstes glauben, dass am Ende die Mutter von Alex Anna Engelhardt gewesen sei, das schlägt doch dem Fass den Boden aus. Also echt, da kann man sich doch nur mit der Hand auf den Kopf schlagen.
Im Großen und Ganzen fand ich den Piloten gut gelungen, für mich war er dann aber doch schlechter als "Revolution", trotz aller Lobeshymnen. Ein Hauptgrund dafür ist, dass man den zweiten Handlungsstrang so schnell aufgelöst hat. Man hätte da sicher noch viel draus machen können, das Thema rund um Alex Brandts Vergangenheit scheint für mich damit nämlich schon abgeschlossen zu sein. Ich hoffe mal, dass man da nochmal was draus macht, dass sie es nämlich können, haben sie ja in der letzten Staffel bewiesen. Es freut mich aber zu sehen, wie sehr man sich gesteigert hat und das habe ich nicht erwartet, dass man das nochmal schafft. So sehr ich die Serie in der Vergangenheit kritisiert habe und die Einstellung schon als sicher bzw. einzigen logischen Schritt sah, so sehr freue ich mich, dass man das nicht gemacht hat und man aus dem Tiefpunkt der Serie wieder entkommen ist. Das was man mit den letzten beiden Piloten abgeliefert hat, könnten auf jeden Fall auch Kinofilme sein, ich würde sie mir mit Begeisterung anschauen. Das muss man RTL trotz der ganzen Kritik, die es auch von mir immer wieder gibt, zugutehalten: Sie haben es geschafft eine Serie in Auftrag zu geben, die wieder auf hohem Niveau ist und bis auf weiteres im deutschsprachigen Raum einzigartig bleiben wird.
Abschließend sei noch erwähnt: Ich bin kein Fan von dieser Actionkamera, die mitten im Geschehen ist und damit die Bilder so verwackelt werden, das erinnert mich immer wieder an diesen Reality-Müll der bei RTL leider noch immer im Nachmittagsprogramm läuft. Das könnte man von mir aus gerne wieder wegnehmen.
Eine Punktevergabe erspare ich mir, weil ich nicht weiß wie ich bewerten soll. Einerseits wäre die Folge auf alle Fälle 9 Punkte wert, nachdem ich aber Revolution "nur" 9 Punkte gegeben habe, wäre die konsequente Fortführung hierfür 8 Punkte und das hat die Folge nicht verdient, weil dafür war sie doch zu gut. Da hätte dann "Revolution" immerhin schon 10 Punkte verdient.