"Lucky"
Gerade fuhren Semir und Ben Richtung Leverkusen über die Autobahn. „Mann ich kann es noch gar nicht glauben-in vier Tagen bin ich verheiratet!“ erklärte Ben gerade seinem Freund, der dabei schmunzeln musste. „Glaub mir-da gewöhnt man sich dran und ich hoffe ja nicht, dass Sarah und du euch mit der Hochzeit in irgendeiner Weise ändert. Ist ja nur eine Unterschrift unter nem Dokument, an eurem Charakter oder euren Lebensumständen ist deswegen ja nichts anders!“ gab Semir zu bedenken. „Irgendwie habe ich trotzdem Schiss!“ antwortete Ben leise und nun sah Semir ihn prüfend von der Seite an. „Noch kannst du alles abblasen wenn dir nicht wohl dabei ist-immerhin sollte das schon eine Entscheidung sein, die freiwillig getroffen wird!“ sagte nun Semir, aber Ben beeilte sich zu versichern: „Nein-so war das nicht gemeint! Ich liebe Sarah und möchte mit ihr mein Leben verbringen, aber eben davor habe ich Angst, dass sich etwas ändert-es läuft gerade alles so gut. Man liest doch immer wieder, dass bei manchen nach einer Hochzeit nichts mehr so ist wie früher-und dann kommts kurz danach zur Trennung!“ gab Ben zu bedenken, aber nun lachte Semir lauthals: „Soll ich dir was sagen: Denk einfach nicht an sowas, sondern tu was dein Herz dir sagt!“ und nun antwortete Ben ihm mit fester Stimme: „Das sagt, dass ich Sarah heiraten will!“ und nun schmunzelte Semir: „Dann ist ja alles gut!“ um Sekunden später zu rufen: „Verdammt noch mal, was macht denn der Blödmann da vorne?“
Ben der abgelenkt aus dem Seitenfenster gestarrt hatte richtete nun seine Konzentration nach vorne. Da fuhr schon seit einiger Zeit bei mäßig dichtem Verkehr ein kleinerer Lieferwagen mit Planenaufbau, der nun gerade den Blinker gesetzt hatte, um sich auf die Abbiegespur einzufädeln, als ein winziger roter alter Kleinwagen ihn überholte und so knapp vor ihm einscherte, dass der Fahrer auf die Bremse treten musste und dabei ins Schleudern kam. Wie das auf einer befahrenen Autobahn eben so war, hatte der Nebenmann nicht mit sowas gerechnet, verriss ebenfalls das Steuer und nun kam es zur Kettenreaktion. Bremsen quietschten, Autos stellten sich quer, es knallte, Blech scharrte auf Blech und ein LKW-Fahrer, der gerade während der Fahrt genüsslich in seine Stulle gebissen hatte, leitete die Bremsung ein wenig zu spät ein und krachte beinahe mit voller Wucht von hinten in die bisher nur leicht verdellten Fahrzeuge, schob sie ineinander und im Zeitlupentempo kippte nun der Transporter um, der Planenaufbau löste sich von der Unterkonstruktion und während Menschen hysterisch zu schreien begannen, rollten ein paar Käfige heraus, die Türen öffneten sich und einige große Hunde sprangen auf einmal voller Panik zwischen den verunfallten Autos herum und flüchteten in alle Richtungen, auch auf die Gegenfahrbahn, wo nun ebenfalls Bremsen quietschten und eine Massenunfall entstand.
Semir war auf die Bremse getreten und er und Ben hatten hilflos, ohne irgendetwas machen zu können, aus einiger Entfernung das Szenario beobachtet. Das Blaulicht rotierte und Ben hatte zum Funk gegriffen: „Susanne, Massenkarambolage auf der A3 am Kreuz Leverkusen, bitten um Verstärkung und schick auch ein paar Rettungsfahrzeuge und vielleicht nen Hundeführer-ich melde mich wieder, wenn wir uns einen Überblick verschafft haben!“ rief er und war dann schon, ebenso wie Semir, in Windeseile aus dem Fahrzeug. Gott sei Dank war wenigstens der Verkehr hinter ihnen zum Stillstand gekommen und während sich gerade in beiden Richtungen ein riesiger Stau bildete, obwohl hier ja viele Spuren zur Verfügung standen, liefen Semir und Ben von Fahrzeug zu Fahrzeug und schauten, ob jemand schwerer verletzt war, was aber Gott sei Dank nicht der Fall war.
„Jetzt schnappen wir uns den Unfallverursacher!“ beschloss Semir und rannte zu dem Fahrer des roten Kleinwagens, der gerade ausgestiegen war und zu dem umgestürzten Lieferwagen gerannt war. Allerdings kümmerte er sich keinen Deut um den Fahrer, der sich gerade benommen aus seiner Kabine schälte, sondern spurtete zur Ladefläche und band einige Hunde los, die dort winselnd festhingen. „Was soll das, Freundchen?“ rief Semir und hielt ihn am Ärmel fest, aber der junge Mann mit dem langen Pferdeschwanz schüttelte mit Tränen in den Augen seine Hand ab und schluchzte: „Das habe ich nicht gewollt! Django, ganz ruhig-Balko Platz, ich bin ja da!“ versuchte er die aufgeregten Hunde zu beruhigen und die kannten anscheinend ihren Retter und ließen sich momentan auch von ihm beeinflussen.Inzwischen waren mit Sirenengeheul die ersten Rettungsfahrzeuge eingetroffen und die Verletzten wurden gesichtet, in Kategorien nach Verletzungsschwere eingeteilt und auf verschiedene Krankenhäuser verteilt, wie man das immer wieder übte. Auch der Fahrer des Lieferwagens wurde abtransportiert, die eingetroffenen Polizeifahrzeuge begannen Fotos zu machen und Zeugen zu befragen, während Semir, Ben und der junge Mann sich daran machten, die verstörten Hunde einzusammeln.
Inzwischen war auch der angeforderte Hundeführer mit seiner vierbeinigen Begleitung ein getroffen und so spürte man ein Tier nach dem anderen auf und band sie erst einmal der Reihe nach an der Leitplanke an oder steckte sie wieder in die Käfige, soweit die noch funktionstüchtig waren. Es waren lauter große Hunde, keiner besonders hübsch oder gepflegt, aber der Fahrer des Kleinwagens kannte sie alle mit Namen. Nach einer Weile sagte er: „Jetzt fehlt nur noch Lucky!“ und Semir und Ben sahen sich an. Dieser Unfall war auf jeden Fall kein Zufall gewesen, wobei natürlich der Kleinwagenfahrer für das Ausmaß des Schadens nicht verantwortlich war und das würde auch von den Versicherungen geregelt werden, aber jetzt waren sie doch gespannt, was da dahinter steckte.
Der langhaarige junge Mann intonierte immer wieder „Lucky!“ aber nirgendwo war ein Hund zu entdecken. Der Hundeführer stieg nun über die Leitplanke und tatsächlich rief er nach einer Weile: „Ich hab noch einen, aber ihr müsst mir helfen!“ und nun kamen Semir, Ben und der junge Mann nach. In einem Betonrohr, das als Entwässerungsgraben unter einem Weg verlief, steckte ein schwarzer Schatten. „Bitte ganz vorsichtig-er ist sehr verstört-er hat doch schon so viel mitgemacht!“ bat der junge Unfallverursacher mit Tränen in den Augen, aber es gelang ihnen nicht den Hund dazu bewegen, aus dem Betonrohr zu kommen. „Vielleicht steckt er ja auch fest?“ vermutete der Hundeführer und so wurde die Feuerwehr zugefordert, die ja über einen Feldweg an das Betonrohr ranfahren musste, was sicher eine Weile dauern würde. „So-du kommst jetzt erst mal mit mir, Freundchen und erzählst uns, was es mit dieser Sache so auf sich hat-um den Hund kümmern wir uns!“ sagte Semir entschlossen und zog Michael mit zu einem Kleinbus der Polizei, um die Personalien aufzunehmen und die Papiere zu überprüfen.
Der Hundeführer, der ebenfalls mit einem Bus gekommen war, begann nun damit die elf Hunde in sein Fahrzeug zu laden, um sie erst einmal zum Tierheim zu bringen. „Die müssen vom Tierarzt untersucht werden, ob einem was passiert ist und dann werden wir rausfinden, wer die Besitzer sind!“ erklärte er und machte sich wenig später-die Feuerwehr war noch nicht bei der Betonröhre eingetroffen-auf den Weg. „Den einen Hund könnt ihr ja dann nachliefern!“ rief er und brachte seine vierbeinigen Begleiter nun in Sicherheit.
Ben war noch am Weg stehen geblieben, um die Feuerwehr einzuweisen, als plötzlich ein leises Winseln ertönte. Ben hockte sich hin und schaute in die Betonröhre: „Wir holen dich da schon raus, Lucky!“ sagte er freundlich und streckte die Hand aus. Eigentlich wusste er, dass das ein Blödsinn war-das war ein völlig fremder großer Hund, von dem er nicht wusste, ob der bissig oder sonst was war, aber nun schob sich ein riesiger schmaler Körper langsam vorwärts und dann leckte der Hund an seiner ausgestreckten Hand. „Na komm-du schaffst das und dann kümmere ich mich um dich!“ lockte Ben ihn freundlich und bewegte sich im Zeitlupentempo rückwärts, während nun der Hund Zentimeter für Zentimeter vorwärts robbte, bis er vollends aus der Röhre gekrochen war und nun einfach erschöpft und traumatisiert vor Ben liegenblieb, der vorsichtig begann, den schmalen Kopf zu streicheln. „Guter Junge!“ murmelte er und besah sich den hässlichsten Hund, den er je erblickt hatte. „Die Feuerwehr braucht nicht mehr zu kommen-ich hab ihn!“ rief er zu den anderen und als er sich nun erhob, stand der Hund ebenfalls auf und schlich mit gesenktem Kopf frei hinter Ben her zum Wagen, wo er wie selbstverständlich im Fond Platz nahm. Semir, der gerade nach der Personalienüberprüfung mit dem Verhör anfangen wollte, sah das aus dem Busfenster, woraufhin er wie von der Tarantel gestochen raussprang und rief: „Ich glaube du spinnst-du kannst doch nicht diese stinkende verlauste Töle in meinen frisch geputzen Wagen setzen!“ aber da hatte sich Ben schon auf dem Beifahrersitz gesetzt. Zornig sprang Semir hinters Steuer und rief noch den Kollegen im VW-Bus zu: „Bringt den Mann zur PASt-ich werde ihn dort verhören!“ und dann ließ er den Motor an. „Mann-was ist dir denn nun schon wieder eingefallen? Aber jetzt hilfts auch nichts mehr-jetzt bringen wir ihn eben zu seinen Kumpels ins Tierheim, den Dreck habe ich jetzt schon-aber das verspreche ich dir-den Wagen machst du danach sauber!“ moserte er, während er losfuhr und Lucky derweil liebevoll von hinten Ben´s Ohr ableckte.