"Lebenslänglich"
Rastplatz – 03:00 Uhr
Ben schenkte sich den zweiten Kaffee aus der Thermoskanne in den Deckel, der als Tasse herhalten musste, während sein Partner und Freund Semir einen kräftigen Bissen von dem belegten Brötchen nahm, dass er gerade noch gegriffen hatte, bevor sie von der Dienststelle abgehauen sind. Ein anonymer Anruf, ein bevorstehender Drogendeal auf einem ihrer Rastplätze… keine Zeit mehr, die Kollegen der Drogenfahndung zu informieren, fast die komplette Dienststelle war raus. „Die werden sicherlich besonders froh sein, wenn wir ihnen einen Fisch vor der Nase wegschnappen.“, meinte Ben ungerührt. „Kann uns doch egal sein. Die Chefin hat gesagt, wir machen das alleine, also machen wir das auch.“, antwortete sein erfahrener Kollege. Er hatte seine Augen auf eine Gestalt gerichtet, der in einigen Metern Entfernung im Schatten einiger abgestellter LKW-Anhänger stand. Rauchschwaden stiegen in den Himmel, offenbar von einer Zigarette. Die Luft war angenehm, es war eine herrlich laue Augustnacht, die sich die Gangster für ihren Deal ausgesucht hatten. „Der scheint noch auf jemanden zu warten.“, murmelte der Polizist mit dem Wuschelkopf, bevor er leicht in seinen Kaffee pustete, und damit die leichten Dampfwolken zerteilte. Semir griff zum Funkgerät: „Jenny, Hotte? Seid ihr bereit?“ Über Funk erreichte sie die warmherzige Stimme ihres ältesten Kollegen, Hotte Herzberger: „Na klar, Semir. Wir haben den Kerl gut ihm Blick und warten auf dein Signal.“
Christian Trechsel trippelte von einem Bein aufs andere. Nicht weil ihm kalt war, oder er aufs Klo musste… er hasste es zu warten und längere Zeit an einer Stelle zu stehen. Wann kam sein Kunde endlich. Die kleinen bunten Pillen in seiner Jackentasche schienen neben ihm zu brennen. Er mochte diese Deals auf der Straße nicht sonderlich, dazu hatte er eigentlich seine Laufburschen. Aber dieser Privatkunde, den er erwartete, bestand diesmal darauf, das Geschäft, mit ihm abzuschließen. Und da er anständige Mengen, und das sehr regelmäßig bestellte, konnte Christian es sich nicht leisten, den Kunden zu verprellen, also ließ er sich auf das Spielchen ein.Ein wenig unruhig schaute er sich um. Der Parkplatz war nur von wenigen LKW-Fahrern besucht, die in ihrer Fahrerkabine schliefen, während er an einem schwach beleuchteten Plätzchen wartete. Als er das Geräusch eines Wagens hörte, horchte er auf und zog sich ein wenig nach hinten in den Schatten der Auflieger zurück. Der Wagen verstummte, eine Tür öffnete sich, schloss sich mit einem Knall. Trechsel lugte hervor, und sah wie sich unter einer Laterne die Silhouette eines Mannes abbildete, der ungefähr seine Größe hatte, schlank und drahtig war und mit sicheren Schritten auf die Auflieger hinsteuerte.
„Das gibt’s ja nicht…“, platzte es aus dem dunkel gekleideten Mann heraus, als er den Mann näher kommen sah, und rief erstaunt dessen Namen. „Was machst du denn hier? Dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen.“ Auch der ankommende Mann schien kurz genau hinzusehen, bevor er Trechsel wirklich erkannte, doch der half ihm auf die Sprünge. „Jetzt guck doch nicht so wie ein Auto. Ich bin’s, Christian.“ Ein Lächeln kam langsam auf das recht kühl dreinblickende Gesicht mit den kalten hellblauen Augen des Mannes, der die ausgestreckte Hand ergriff. „Christian… das ist ja wirklich ewig her.“ Die Stimme klang markant, ein wenig farb- und melodielos monoton.„Wo warst du denn all die Jahre gewesen… das müssen über… wart mal…. 14 Jahre sein, seit du dich abgeseilt hast.“ Der junge Mann nickte stumm, doch man merkte ein wenig, dass er auf den Smalltalk keine große Lust hatte, während Trechsel richtig aufblühte, und seine Nervosität verflog. „Ja… Dinge ändern sich nun mal.“ Der Mann, der in seiner Jackentasche mit der Hand die Päckchen mit den bunten Pillen fühlte, lachte auf. „Die Gang gibt’s sowieso nicht mehr. Drei Jahre nachdem du weg warst gab es eine große Razzia. Irgendein Penner hat uns damals verpfiffen. Ich bin noch recht glimpflich weggekommen, aber Andi, Christoph und viele andere sitzen noch. Aber du magst die Dinger immer noch, hmm?“ „Manchmal helfen sie beim Einschlafen.“ Der fremde Mann zwinkerte bei dem Satz und lächelte, was aber sofort wieder verschwand. „Aber was machst du hier? Ich wollte mich doch mit eurem Boss, diesem Schawasky treffen.“ Immer wieder blickten die beiden Männer sich um, immer vorsichtig dass sie nicht von irgendwelchen Nachtschwärmern erwischt wurden. „Du weißt doch wie das ist, mein Freund.“, sagte Christian, und gab seinem Gegenüber einen freundschaftlichen Klaps gegen den Oberarm. „Nach dem Laufburschen kommt erst einmal der Bezirksleiter, dann der kleine Boss und dann der große Boss. Da musst du noch einige Smarties bei uns kaufen, bevor du den zu Gesicht bekommst… oder als Händler bei uns einsteigen.“ Diesmal lachte das Gegenüber auf. „Lass mal… den Scheiss mache ich nicht mehr… ich beitreibe nur noch Eigenbedarf.“
Stumm, ohne große Worte zog der Mann, der in Shirt und Kapuzenweste vor Trechsel stand einen dicken abgegegriffenen Umschlag aus seiner Jackentasche, während Trechsel selbst das kleine Kartonpäckchen zog, in dem sechs Ampullen mit „Muntermacher“, wie er sie nannte, drin war. Sie tauschten die Sachen aus, Trechsel schaute in den Umschlag. „Misstraust du etwa einem alten Gang-Mitglied?“, fragte sein Gegenüber beinahe gekränkt und strich sich eine der abstehenden Strähnen von der Stirn. „Quatsch…“, meinte der grinsend. „Du weißt doch eh, was passiert, wenn es zu wenig ist. Und Trinkgeld nehm ich gern. Aber sag mir…“, meinte er, bevor sich sein Handelspartner zum Gehen umdrehen wollte. „Was hast du in der ganzen Zeit gemacht. Ich hab nie mehr was von dir gehört. „Vieles… so viel, dass es die Zeit sprengen würde. Aber wir können ja mal was trinken gehen, bisschen über die alten Zeiten quatschen.“ „Na klar.“, stimmte der Mann zu und im Dunkeln tauschten sie die Handynummern aus.
Semir hatte mit einem Nachtsicht-Fernglas die Übergabe genau beobachtet. Als die Drogen beim Käufer, und das Geld beim Verkäufer war, stand dem Zugriff nichts mehr im Wege. „Ab geht’s, Hotte.“, gab er per Funk durch, beinahe gleichzeitig schalteten sich seine Blaulichtzeichen und Sirene an zusammen mit den drei Streifenwagen, die rund um den Rastplatz verstreut waren. Beide Männer schreckten auf, Christian rannte sofort los. Doch die Polizei hatte den Eingriff gut geplant, und den Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Trechsel rannte genau in Richtung des silbernen BMWs, der den Mann mit Schwung auf die Motorhaube lud und hart auf den Boden aufschlagen ließ. Kaum, dass Semir den Wagen zum Stoppen gebracht hatte, setzte er einen Fuß heraus und zielte über die offene Tür auf den am Boden liegenden, stöhnenden Trechsel. „Versuch gar nicht erst, nochmal aufzustehen.“ Ben flankte blitzschnell um den Wagen, griff den Kerl bei den Schultern und wuchtete ihn mit dem Oberkörper ein zweites Mal über die Haube. Mit schnellen Griffen nahm er ihm eine Waffe aus dem Hosenbund, und legte ihm Handschellen an.
Der zweite Mann des Deals verschwand in die andere Richtung, doch auch er hatte auf diesem übersichtlichen Rastplatz keine Chance. Jenny Dorn am Steuer eines der Streifenwagen hatte den Mann im Visier, der versuchte zu flüchten, und auf den Wagen zulief. „Links vorbei!“, rief Hotte laut, und seine junge Kollegin riss das Lenkrad herum, während der erfahrene Autobahnpolizist seine Autotür zur Waffe machte. Mit einem wuchtigen Knall prallte der sprintende Körper des jungen Mannes gegen das Blech und rollte über den Boden ab. Jenny war natürlich schneller aus dem Auto als ihr dicker Kollege, und rief laut, mit der Waffe im Anschlag: „Nicht bewegen!“ Doch das konnte der Mann erst mal nicht, er lag bäuchlings, mit dem Gesicht nach unten, und hielt sich stöhnend eine Gesichtshälfte. Hotte schälte sich aus dem Streifenwagen, bückte sich zu dem Kerl und zog ihn an seiner Jacke hoch… der erfahrene Polizist verlernte nichts. „So Jungchen… wenn ich jemandem nachlaufen muss, endet das immer mit Schmerzen.“, sagte er mit seiner warmherzigen und trotzdem autoritären Stimme, als er auch diesem Mann eine Waffe aus der Hose nahm, und ihn gegen das Autodach drückte. Als Jenny dem Kerl dann jedoch mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, entglitten sowohl ihr, als auch ihrem Kollegen Hotte die Gesichtszüge. Die junge Frau war erst mal nicht im Stande etwas zu sagen, als sie das Gesicht erkannte, das jetzt einen beachtlichen Cut unterhalb des Auges trug. Nur Hotte fand seine Stimme: „Das gibt’s doch gar nicht.“ Dann stockte seine Stimme kurz. „Kevin.“