Die Tage gingen ins Land. Man konnte zügig die kreislaufstützenden Medikamente reduzieren und Ben erholte sich zusehends. Sarah wurde offiziell entlassen und freute sich wahnsinnig, endlich wieder ihren Sohn zu sehen. Telefonisch waren sie mit Hildegard immer in Verbindung geblieben, aber trotzdem hatte sie-und natürlich auch Ben eine große Sehnsucht nach ihrem Kleinen. Auch Ben konnte es kaum erwarten, endlich auf die Normalstation zu kommen und als endlich der Verlegungstag kam, wurde er gefragt, ob er ein Einzelzimmer, oder ein Zweibettzimmer wolle. Nach kurzer Überlegung entschied er sich für ein Zweibettzimmer. Mit einem netten Zimmerkollegen konnte man plaudern und dann fühlten sich Sarah und auch Semir, die ihm die letzten Tage nicht von der Seite gewichen waren, vielleicht nicht so verpflichtet, den ganzen Tag bei ihm zu bleiben und ihm Gesellschaft zu leisten.
So war die Überraschung groß, als er in das Zimmer gefahren wurde und kein anderer als Friedrich Mittler sein neuer Zimmergenosse war. Mit einem breiten Lächeln reichte er Ben die Hand, als die Betten aneinander vorbei gefahren wurden. „Vielen Dank-du warst mein Lebensretter. Ohne dich und deinen Mut läge ich jetzt vermutlich nicht mehr hier. Meine Frau und viele andere haben mir erzählt, was in den letzten Tagen geschehen ist-ich weiss ab dem Zeitpunkt, als ich neben dir bewusstlos wurde nichts mehr und bin erst auf der Intensivstation wieder wach geworden.“ erzählte er. Die Schockniere hatte sich auch bei Mittler erholt und so würde er nach dem Abheilen der Verletzungen wohl wieder ganz der Alte werden, allerdings bezweifelte er, dass er nochmals in den Beruf zurückkehren würde. „Ich werde versuchen vorzeitig in den Ruhestand zu kommen und mit meiner Familie noch ein paar schöne Jährchen zu verleben!“ vertraute er Ben an, der froh war, so einen netten Zimmerkollegen zu haben.
Als Tim mit der Mama zu Besuch kam, hatte Ben Tränen der Rührung in den Augen, aber Tim interessierte sich mehr für die medizinischen Gerätschaften, als für den Papa. „Der wird vielleicht mal Arzt?“ vermutete Mittler, aber Ben sagte glücklich: „Oder Astronaut, oder Bauarbeiter, oder Feuerwehrmann oder Bürohengst-nur von der Polizei werde ich ihm abraten-man sieht ja, was einem da passieren kann!“
Am selben Tag wurde bei den beiden Patienten die Thoraxdrainage entfernt und es ging gut. Mittler war der Erste, der Gehübungen machte, aber kurz darauf folgte Ben ihm nach. Auch wenn er immer noch zum Schutz eine Vakuumschiene um das verletzte Bein trug-er durfte zumindest teilbelasten und kurvte binnen Kurzem bereits mit seinem Gehwagen durch die Gänge. Die Rückenverletzungen heilten zu, es waren keine Entzündungszeichen mehr zu sehen und langsam hörte die Wundsekretion aus der Drainage an der Flanke ebenfalls auf. Man zog auch diesen Schlauch und wartete, ob sich die Wundhöhle wieder füllte, aber bei der täglichen Ultraschallkontrolle, die der Oberarzt der Urologie immer persönlich vornahm, zeigte sich, dass der Urin nun wieder über den geschienten Harnleiter ablief.
Nachdem die Kapselhämatome an der Niere rückläufig waren und auch kein Blut mehr ausgeschieden wurde, wagte man es den Spülkatheter zu ziehen. Voller Bangen erwartete Ben, was nun passieren würde, man hatte ihn nämlich aufgeklärt, dass es möglich war, dass er harninkontinent wäre und man nicht vorhersehen konnte, ob das reversibel war, aber nichts geschah! Außer dass es beim Pinkeln anfangs brannte wie die Hölle, waren keine Auffälligkeiten zu vermelden und Semir, der natürlich wusste, wie sehr diese Angst seinen Freund belastet hatte, sagte mit breitem Grinsen: „Ich wusste doch, dass du ein gutes Heilfleisch hast-aber ich hätte dich auch mit Windeln mit auf Streife genommen!“ flachste er und bekam dafür einen Schlag gegen den Oberarm.
Der inzwischen ebenfalls genesene Andreas Stumpf besuchte die beiden und erzählte, dass sein Vater ebenfalls über den Berg war und vermutlich bald wieder nach Hause entlassen werden konnte. Die Waffen hatte man weggebracht, damit sowas nicht erneut passieren konnte, aber in diesem einen speziellen Fall hatte ihre Nachlässigkeit wohl das Leben seines Vaters gerettet.
Ben entschied sich für eine ambulante Reha und Semir ließ es sich nicht nehmen-obwohl er schon lange wieder im Dienst war-seinen Freund persönlich abzuholen und nach Hause zu bringen. Am Vortag war Sarah noch zu einer Kontrolluntersuchung in die Gynäkologie der Uniklinik bestellt worden und diesmal war Ben dabei gewesen und hatte voller Staunen das neue Baby beim 3D-Ultraschall sozusagen von Angesicht zu Angesicht gesehen. Obwohl es erst ein paar Zentimeter groß war, war schon alles dran und es war nicht zu übersehen, dass es ein Mädchen werden würde. „Tja tut mir leid-ich weiss, sie wollten das Geschlecht des Kindes nicht wissen, aber ich kann an der guten Auflösung auch nichts ändern!“ entschuldigte sich die Gynäkologin beinahe, aber Sarah und Ben hatten nur glücklich gelächelt. Ein Pärchen war doch perfekt und jetzt mussten sie endlich den Umzug ins neue Haus in Angriff nehmen-langsam wurde die Wohnung doch zu klein! Sie würden die neue Heimat komplett neu möblieren-der bisherige moderne Wohnstil würde zu dem heimeligen Gutshaus sowieso nicht passen und sie würden die Stadtwohnung trotzdem zur Eigennutzung behalten und nicht vermieten, hatten sie entschieden. So war das Ganze nicht so stressig und Sarah auch in der Schwangerschaft zuzumuten. Ben würde noch krankgeschrieben sein, bis sein Fuß komplett wieder angewachsen und funktionstüchtig war, aber es sah gut aus. Die Ureterschiene würde man in einigen Wochen erst entfernen, aber von der merkte er eigentlich nichts und so freute er sich unheimlich, wieder nach Hause zu kommen.
Sarah begrüßte ihn mit geröteten Wangen und hatte ein leckeres Essen gekocht, zu dem natürlich auch Semir eingeladen war. Lucky war vor Freude beinahe aus dem Häuschen, sein Herrchen endlich wieder zu haben und Tim brachte gleich seinen neuen Schaufelbagger, den ihm der Opa geschenkt hatte.
So kehrte langsam der Alltag wieder ein im Hause Jäger und Andreas Stumpf hatte ihm versichert: „Wenn sie irgendwelche Baumaßnahmen an ihrem neuen Anwesen brauchen-so eine kleine Brücke über den Bach oder so-sie bekommen einen Sonderpreis!“ aber Ben hatte dankend abgelehnt. Von Brücken hatte er erst mal genug!
ENDE