Währenddessen …
Ben konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, als Anja alleine sein Krankenzimmer betrat. Sie erzählte ihm von der Begegnung mit seiner Chefin im Treppenhaus und dass er auf Anna noch ein wenig warten müsste. Der Polizist in ihm wusste, wie wichtig Annas Aussage bei den Ermittlungen seiner Kollegen sein konnte, doch nach der vergangenen Nacht verzehrte er sich fast vor Sehnsucht nach seiner Freundin. Da half es auch nicht viel, dass Anja ihm hoch und heilig versprach, dass es Anna und dem zukünftigen Nachwuchs gut ginge.
Die erfahrene Intensivschwester erkannte relativ schnell, wie psychisch angeschlagen der Patient war, was nach dem Erlebten der vergangenen Wochen nur verständlich war. In Gedanken suchte sie fieberhaft nach einer Idee, um den dunkelhaarigen Polizisten während der Wartezeit ein wenig aufzumuntern.
Auf Anregung von Anja, die die Gewohnheiten und Vorlieben des jungen Mannes, seit er mit Anna befreundet war, kennengelernt hatte, durfte Ben mit Unterstützung eines Pflegers duschen und rasieren. Man hatte zwar den Patienten auf der Intensivstation so gut es ging mit Wasser und Seife gewaschen, doch das war Nichts im Vergleich zu einer Dusche mit dem eigenen Duschgel, das so vertraut roch.
Stundenlang hätte Ben auf seinem Duschhocker sitzen bleiben können, als so angenehm empfand er den warmen Wasserstrahl. Jeder Wassertropfen, der über seine Haut rann, nahm ein wenig von dem Schmutz mit, den die Folterungen und Demütigungen von Remzi und Gabriela auf seinem Körper hinterlassen hatten. Er fühlte sich, wie ein anderer Mensch, als er zwar erschöpft, bekleidet mit einem seiner Lieblingsshirts und in Shorts in seinem Krankenbett lag. Als er anschließend zum Mittagessen neben einer Brühe, noch Kartoffelbrei und eine Hackfleischsoße bekam, lag er satt und zufrieden in seinem Bett und döste ein.
Mit einem zufriedenen Lächeln verließ Anja das Krankenzimmer. Die Zeit drängte, denn sie hatte heute Spätdienst und musste sich beeilen, um auf ihre eigene Station zu kommen.
Einige Zeit später …
Vorsichtig öffnete Anna die Zimmertür. Volker, der Krankenpfleger, meinte, dass der Patient wohl schlafen würde. Zu ihrer Freude lag Ben wach im Bett und starrte die Decke an. Als er sie bemerkte, wanderte sein Blick in Richtung der Tür und ein Lächeln überzog sein Gesicht.
„Hey, Du! … Auch schon wach?“, sagte sie und trat näher.
„Anna!“
Nur ihren Namen sagte er und die Art und Weise, wie er ihn aussprach sagte mehr als alle Worte. Seine Augen fingen an zu leuchten. Anna setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Liebevoll strich sie ihm über die Wangen.
„Kann es sein, dass du jemanden brauchst, der dich ein wenig verwöhnt … verarztet und auf dich aufpasst. Ich würde mich gerne um diese Stelle bewerben.“
Ben lächelte. „Du hast die Stelle.“
Mit einer Hand griff er in ihr Haar und zog ihren Kopf zu sich herunter, bis sich ihre Lippen trafen. Zärtlich küsste er sie. Als sie sich voneinander lösten, wollte er wissen:
„Wie geht es dir mein Schatz? ...Den Babys? … Was ist mit Semir? … Was ist denn überhaupt in diesem Park gestern Nacht passiert? …. Und vor allem, weißt du etwas über das Schicksal von Gabriela Kilic? “
„Immer schön der Reihe nach!“, gab sie zurück und küsste ihn wieder. Sie richtete sich ein wenig auf und strich ihm liebevoll eine seiner widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Nach und nach zwischen vielen Küssen beantwortete Anna ihm alle Fragen, erklärte ihm was nach der Ankunft von Frau Krüger mit der SEK-Einheit passiert war. Gemeinsam betrachteten die beiden werdenden Eltern das Ultraschall-Bild von den Zwillingen. Voller Zärtlichkeit strich Ben über ihre kleine Babykugel, die sich unter ihrem engen Shirt deutlich abzeichnete. Ein wahres Glücksgefühl durchströmte Anna in diesen Minuten und sie blinzelte ein paar Tränen der Rührung weg. Für einige Atemzüge herrschte Stille im Raum und Anna betrachtete jede Regung in seinem Gesicht.
„Wie fühlst du dich? … Ehrliche Antwort, mein Schatz!“
Ben lauschte einen Moment in seinen Körper hinein und gab spontan zur Antwort. „Spitzenmäßig!“ Die verabreichten Schmerzmittel taten ihre Wirkung. Nach den Tagen voller Schmerz und Pein war dies für ihn ein Traumzustand und vor allem Anna war endlich an seiner Seite. Dementsprechend erwiderte er: „Ging mir noch nie besser. Sieht man das nicht!“ Dabei zog er die Zudecke ein wenig zur Seite, deutete mit einem schelmischen Grinsen auf die Schiene, die man an sein gebrochenes rechtes Bein angelegt hatte und die verschiedenen Verbände. „Und das Wichtigste: Du bist bei mir!“
Er umschlang ihren Nacken, zog sie zu sich heran. „Wir haben es geschafft Anna! … wir haben es wirklich geschafft und sind frei!“
Mehrmals wiederholte er diesen Satz, während seine Lippen die ihren fanden und sie sich innig küssten. Mit einem Mal löste er sich von ihr und ließ sich auf das Kopfkissen zurücksinken. Von einer Sekunde zur anderen verschwand der freudige Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Du hast mir eine Frage noch nicht beantwortet. … Was ist mit Semir?“, fragte Ben nach.
„Geduld mein Schatz!“, erwiderte Anna und stand auf. Wie auf ein geheimes Zeichen öffnete sich die Zimmertür und Volker schob einen Rollstuhl ins Zimmer.
„Soll ich Dich und Herrn Jäger begleiten?“, fragte der Krankenpfleger.
Anna schüttelte den Kopf und bedankte sich, während Bens Blick fragend zwischen den beiden hin- und herwanderte. Erklärend für Ben fügte sie hinzu: „Wir machen einen kleinen Ausflug zur Intensivstation. Ich denke, du willst Semir sehen oder?“