Es kostete Ben am Sonntagmittag einige Überwindung zu Anna ins Auto zu steigen, um die Einladung zum Mittagessen bei seiner Schwester anzunehmen. Der Zorn gegenüber seinem Schwager Peter schwelte noch unterschwellig in ihm. Mit Engelszungen redete Anna während der Fahrt auf ihren Freund ein. Was Ben nicht wusste, hinter seinem Rücken hatten sich Anna und Julia zusammengetan und sich einen Plan ausgedacht, um die beiden Streithähne wieder miteinander zu versöhnen.
Julia und ihr Mann wohnten seit einem knappen Jahr in der Villa von Konrad Jäger. Einen Teil der Räumlichkeiten hatte ihnen Bens Vater nach seinem Herzinfarkt zu Verfügung gestellt. Dank eines kleinen Anbaus und einigen Umbauarbeiten innerhalb des Hauses, hatten die beiden jungen Leute einen eigenen Seiteneingang und ein eigenes, von Konrads Wohnräumen abgegrenztes Reich.
Julia öffnete die Haustür und Ben konnte gar nicht anders, als seine Schwester in den Arm zu nehmen und herzlichst an sich zu drücken, soweit das mit ihrem vorgewölbten Bauch möglich war. Er hatte die vergangen vier Wochen nur mit ihr telefoniert und als sie so vor ihm stand, wurde ihm bewusst, wie sehr er seine Schwester vermisst hatte. Er freute sich auf das Baby. Dank der Vorsorgeuntersuchungen wussten die werdenden Eltern, dass es ein Junge werden würde. Und klar, für Julia stand fest, dass ihr Bruder Patenonkel werden würde.
„Du bist aber auseinander gegangen Schwesterherz“, meinte Ben mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. Mit seiner Hand streichelte er zärtlich über ihren Babybauch. „Der kleine Mann da drinnen, ist ganz schön gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe.“ So als hätte das Ungeborene seine Worte verstanden, verspürte er einen leichten Tritt gegen seine Hand. „Oha!“ lachte er auf. „Da hat jemand Temperament!“ Ben war in diesem Augenblick so glücklich und dankte seiner Freundin innerlich dafür, dass sie ihn zu diesem Besuch mehr oder weniger gezwungen hatte. Die beiden Frauen begrüßten einander nicht weniger herzlich.
Im Esszimmer trafen sie auf Peter, Bens Schwager, der sich sehr zurückhielt. Auch während des Mittagsessens beteiligte sich Julias Mann kaum an dem Tischgespräch. Das vorherrschende Thema zwischen den beiden jungen Frauen drehte sich, wie sollte es anders sein, um das ungeborene Baby. Nach dem Essen begaben sich Anna und Julia in das zukünftige Kinderzimmer im ersten Stock. Bis auf die Terrasse hörte man die beiden jungen Frauen miteinander kichern. Julia führte ihrer Freundin Anna ihre neuesten Teile der Babyausstattung vor. Das vorherrschende Satz war „Oh, wie süß ist das denn!“
Die beiden jungen Männer hatten sich mit einem Espresso auf die Terrasse begeben. Peter zog nervös an seiner Zigarette. Schuldbewusst blickte er auf den Terrassenboden aus italienischem Marmor. „Ich … ähm … ich … möchte mich … bei dir entschuldigen Ben!“ quetschte er heraus, schaffte es jedoch nicht, dabei Ben in die Augen zu blicken. „Das mit dem Privatdetektiv tut mir leid. … Ich habe wohl etwas überzogen reagiert!“ versuchte er sich zu rechtfertigen
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Ben dachte an das, was ihm seine Freundin eingeschärft hatte. Beherrsche dich und flippe nicht aus, redete er sich ein, es geht um deine Schwester. Deutlich hörbar atmete der dunkelhaarige Mann aus und nuschelte: „Ich nehme die Entschuldigung an, Peter. Doch mach so etwas nie wieder! … Verstehst du! … Gerade du! …“ Ben stand an der Brüstung der Terrasse und blickte hinunter. Seine Hände hatte er abgestützt. Dort unten hatten seine Schwester und Peter vor gut zwei Jahren geheiratet. Die dramatischen Ereignisse des damaligen Tages kamen ihm wieder in den Sinn und Ben drehte sich um. Er stellte sich direkt vor Peter und zwang seinen Schwager ihm in die Augen zu blicken.
„Weißt du was Peter? Ich habe dich nie gefragt, woher du das Geld genommen hast, um deine Schulden an diesen Kredithai zurückzuzahlen! … Ich habe nie ein Wort über deine Geldprobleme bei meinem Vater verloren … dir nie Vorhaltungen gemacht! … Niemals! … Für mich war nur immer ein Punkt wichtig, dass meine kleine Schwester Julia glücklich ist! Ich weiß, dass sich bei dir und Vater immer alles ums Geld dreht! Geld … Geld und nochmals Geld.“ Ben verzog bei diesen Worten sein Gesicht zu einer abfälligen Grimasse und machte mit der Hand eine wegwerfende Geste. „Doch gerade du solltest doch wissen, dass es im Leben noch etwas anderes gibt, was viel wichtiger ist: die Liebe. … Gönnst du mir mein Glück nicht? … Dass ich in Anna die Frau fürs Leben gefunden habe?“
Peter schwieg betroffen. In seiner Mimik arbeitete es.
Ben sprach weiter „Ich beneide dich nicht um den Job in der Firma meines Vaters. Ich konnte damit noch nie etwas anfangen. Dieses Gerede um Geld und Macht war mir noch nie wichtig! …Verstehst du! …“
„Es ist gut Ben!“ fiel ihm Peter ins Wort „es ist gut! … Ich weiß nicht, welcher Teufel mich da geritten hat! …“ verzweifelt suchte er nach Worten, um sich zu verteidigen. Er kam nicht mehr dazu. Fröhliches Lachen erklang aus einem der Fenster über der Terrasse. Aus dem geöffneten Fenster blickte Julia auf die Terrasse herunter und rief in Richtung Ben.
„Hallo Bruderherz strenge dich mal an! Anna ist völlig aus dem Häuschen, seit sie die Babykleidung für dein kleines Patenkind gesehen hat.“ Sie zeigte ihm einen Baby-Strampler. „Na wäre das nichts für euch?“
„Nee, lass mal Julia! Anna und ich lassen uns noch ein bisschen Zeit mit Nachwuchs!“
Der Rest des Nachmittags verlief relativ ausgeglichen. Zwischen Ben und Peter war noch nicht die alte Harmonie von früheren Zeiten zu spüren. Doch die beiden Damen registrierten beruhigt, dass die beiden Männer sich zumindest wieder über Autos und Motorräder unterhielten. Da die hochschwangere Julia bereits seit einigen Tagen leichte Wehen hatte, hatte ihr Frauenarzt empfohlen, viel zu ruhen und sich nicht mehr anzustrengen. Ben und seine Freundin verabschiedeten sich früher als ursprünglich geplant. Auf der Rückfahrt drehte sich das Gespräch von Anna und Ben natürlich um das ungeborene Baby und Julia.