Unverletzt konnte Gabriela die Eingangshalle der Villa erreichen. In ihr bohrte die Frage, war der Türke alleine gekommen oder bekam er Unterstützung durch andere Polizeikräfte. Eine heftige Explosion erschütterte das Zufahrtstor. Damit hatte sich die Antwort auf die Frage erübrigt, dachte sie ironisch. Sie fischte ihr Handy aus der Handtasche, in der sich ihr neuer Personalausweis, ein Reisepass, ausgestellt auf Lara Herzog und sonstige wichtige Dokumente befanden. Ein prüfender Blick auf das Display verriet ihr, ihr Freund bei der Polizei hatte sie nicht vorgewarnt.
Gabriela fühlte sich elend, wie am Boden zerstört. Sie stand im ehemaligen Arbeitszimmer und drehte sich im Kreis. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg. Immer wieder murmelte sie wie eine Beschwörungsformel vor sich hin: „Die werden mich nicht lebend kriegen! … Ich gehe nicht zurück in den Knast! … Niemals!“ Dabei musterte sie die vorbereiteten Bomben, deren Fernzünder, die auf der Schreibtischplatte bereit zum Einsatz gegen ihre Feinde lagen.
Im Hintergrund hörte die Kroatin das Fluchen ihrer Männer, als die Polizeieinsatzkräfte näher rückten. Iwan Kovac rief ihr in seiner Muttersprache wütend zu:
„Schnapp dir endlich eine Knarre und hilf uns diese Typen platt zu machen!“ Dabei warf er ihr ein Maschinengewehr zu. „Hoffentlich kannst du damit noch umgehen!“, brüllte er hinterher und erteilte seinem Bruder und Sohn weitere Befehle. Handgranaten lagen einsatzbereit zu seinen Füßen und warteten nur darauf, ihre tödliche Sprengkraft zu entfalten.
Gabriela kniete vor einem der Fenster im Arbeitszimmer, das ihr einen Blickwinkel auf die Zufahrt und das Carport gewährten nieder. Sie sah die vermummten SEK-Beamten und das Maschinengewehr in ihrer Hand fing an, eine Salve von Kugeln zu verteilen. Auf einmal geriet der Mann, den sie für alles verantwortlich machte, in ihr Blickfeld: Semir Gerkhan, der in der Nähe des schwarzen Passats Deckung suchte. Eine Welle aus Hass und Zorn überflutete sie und die Erkenntnis, dieser Mann durfte nicht entkommen.
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Der Angriff der SEK Beamten auf die Villa stieß auf eine heftige Gegenwehr. Entsprechend heftig hämmerten die Maschinengewehre der Bewohner drauf los und spuckten ihr tödliches Blei in Richtung der Polizisten aus. Einige der Kugeln prallten als Querschläger am Mauerwerk des Carports ab. Einer der SEK Leute schrie schmerzerfüllt auf, als eine Kugel in seinen Oberschenkel einschlug. Sofort zog ihn ein Kamerad in Deckung. Der Vorstoß auf die Villa geriet ins Stocken.
„Für die Kerle dort drinnen sind wir perfekte Zielscheiben …!“, stieß Marius Peucker wütend hervor.
Der Rest erstarb fluchend auf seinen Lippen.
Es gab einen gewaltigen Knall, der den Boden unter den Füßen von Semir und dem Einsatzleiter erbeben ließ. Eine heftige Explosion hatte die Villa erschüttert und ließ diese bis in ihre Grundmauern erzittern. Der Kugelhagel verstummte augenblicklich und wurde von zwei weiteren Detonationen abgelöst, die in ihrer Wucht und Sprengkraft die vorherige um einiges übertraf. Das riesige Wohnhaus wurde förmlich in tausende von Einzelteilen zerrissen und fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Eine Druckwelle breitete sich aus und fegte über die SEK Beamten und den Autobahnpolizisten hinweg, gefolgt von einer gewaltigen Staubwolke. Aus dieser regnete es Gesteinsbrocken und brennende Teile auf die Beamten nieder, die verzweifelt Schutz suchten. Keiner wollte von einem dieser gefährlichen Splitter durchbohrt werden. Während Marius Peucker und zwei weitere Beamte in seiner Nähe Glück hatten und sich in den Schutz des Carports hechteten, sah es beim Türken nicht so gut aus.
Semir, der sich seitlich an der Villa zur Hinterfront schleichen wollte, war dadurch der Druckwelle schutzlos ausgeliefert. Als diese ihn erfasste, merkte er wie er durch die Luft flog und gegen etwas Hartes prallte. Ihm entging auch nicht das ungesunde Knirschen seiner linken Flanke. Nicht gut, dachte er bei sich, überhaupt nicht gut. Pfeifend entwich die Atemluft seiner Lunge. Sein Hinterkopf schlug ebenfalls gegen die steinerne Außenmauer des Grundstücks. Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen und in seinem Kopf dröhnte es. Mit blankem Entsetzen registrierte er, dass der schwarze Passat, der neben dem Eingangsportal geparkt war, sich in Sekundenbruchteilen in einen glühenden Feuerball verwandelte. Der Gluthauch der Hitze waberte zu ihm herüber, versengte seine Haare und brannte in seinen Lungen. So sehr er auch dagegen ankämpfte, die Dunkelheit einer Ohnmacht betäubte seine Sinne.