Rückblick
Die Morgendämmerung am Horizont kündigte den neuen Tag an. Die Nacht war genauso ereignislos verlaufen, wie die Nächte davor. Ben und Semir saßen im silbernen Mercedes und beobachteten den Verkehr auf dem Rastplatz, bis ein BMW Cabriolet, in den vier Männer, Anfang zwanzig mit südländischem Aussehen saßen, Semirs Aufmerksamkeit erregten. Die Bassboxen des blauen Fahrzeugs beschallten den kompletten Parkplatz und der Fahrer fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit die Parkplätzte entlang. So nah wie möglich, stoppte der BMW vor der Toilettenanlage. Die Jungs stiegen laut grölend aus und wollten ihr Geschäft im WC Häuschen erledigen. Der Fahrer blieb währenddessen wartend im Fahrzeug sitzen, drehte die Musik noch ein bisschen lauter und steckte sich eine Kippe zwischen die Lippen.
„Na warte, die kaufe ich mir! Das ist Ruhestörung!“, brummte der kleine Türke und sein Blick haftete förmlich auf dem BMW Cabriolet.
„Mensch Semir, lass doch die Jungs in Frieden! Die sind doch harmlos und wollen nur ein bisschen Spaß haben und Party machen!“
Bens Worte waren noch nicht verhallt, als sein älterer Partner die Fahrzeugtür aufstieß und auf den blauen BMW zu stapfte.
„Vergiss es! Wo kommen wir denn hin, wenn sich jeder so aufführt!“
„Oh fuck,“ entfuhr es Ben, der schon ahnte, dass bei der derzeitigen Verfassung seines Kollegen die Situation eskalieren würde. So schnell, es ging eilte er seinem Partner hinterher, hatte aber den längeren Weg zum verdächtigen Fahrzeug. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass Semir seine Dienstwaffe gezogen hatte und den Fahrer aufforderte, dass Fahrzeug zu verlassen und ihm Führerschein und Fahrzeugpapiere auszuhändigen. Gleichzeitig trafen die anderen drei Kumpels des schwarzhaarigen Fahrers ein. Einer davon, der scheinbar der Wortführer der jugendlichen Gruppe war, blaffte provozierend in Richtung des kleinen Türken:
„Hey, was geht denn hier ab Opa?“
„Gerkhan, Kripo Autobahn!“, wies sich der ältere Polizist aus und hielt dem Wortführer seinen Dienstausweis unter die Nase, „das hier ist eine Fahrzeug- und Personenkontrolle. Also Ausweis her! Sofort!“
„Na, da haste aber noch frisch und knackig ausgesehen Opa!“, meinte der junge Mann frech in Richtung des Türken. Er wandte sich wieder seinen beiden Kumpels zu, die hinter ihm standen und seine Kommentare durch hämisches Lachen unterstützen.
„Habt ihr das gehört Jungs, wat das Streifenhörnchen von uns will?“, meinte der Anführer lauthals lachend. „Hey Opa, geh doch nach Hause! Wärme deiner Mutti das Bett und lass uns in Frieden!“
Auf diese Aussage hin, brannten bei Semir die Sicherungen durch. Blitzschnell drehte er sich auf dem Absatz um, warf den Wortführer mit dem Gesicht nach vorne gegen den Kofferraumdeckel. Der Wortführer jaulte auf, als Blut aus seiner Nase auf den Kofferraumdeckel tropfte. Mit einem eisernen Griff fixierte der Türke den Jugendlichen. Dessen Kumpels verstummten eingeschüchtert. Jetzt erst hatte Ben die Gelegenheit aktiv in die Situation einzugreifen. Im Hintergrund erklangen schon murmelnde Stimmen über Polizeigewalt im Dienst und Polizeiwillkür, von anderen Besuchern der Rastanlage.
Als erstes zog Ben Semir zurück, redete beschwichtigend auf ihn ein, „Lass es gut sein Semir!“ und drückte ihm die Fahrzeugpapiere und die Ausweise in die Hand und meinte bestimmend: „Ich glaube Kollege, es ist besser, du gehst zurück zu unserem Dienstwagen und über prüfst mal unsere Jungs hier.“
Er schob den kleinen Türken in Richtung des Mercedes und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Jugendlichen. Der Wortführer hatte sich aufgerichtet und hielt seine schmerzende Nase. In Richtung des Türken blaffte er:
„Das Bullenschwein, hat mir die Nase gebrochen! Das gibt eine fette Anzeige.“
Ben entwich hörbar die Atemluft. Mit seinen Blicken musterte er einen Jugendlichen nach dem anderen.
„Und jetzt zu euch Freunde! Mein Kollege hatte heute eine ganz miese Nacht hinter sich. Und eure Bemerkungen trugen nicht unbedingt dazu bei, seine Laune zu verbessern. Was haltet ihr davon, wenn wir mal ein bisschen Taschenkontrolle machen, ob ihr Gras oder sonst ein paar unerlaubte Pillchen von eurer Party einstecken habt?“
Der kleinste des Quartetts wurde um einige Nuancen bleicher. Wahrscheinlich Volltreffer, dachte sich der junge Kommissar.
„Auf geht’s! Legt mal schön euren Tascheninhalt auf die Motorhaube von eurem Flitzer!“ Dabei schritt er auf den Wortführer der Gruppe zu, umfasste dessen Kinn und betrachtete ihn eingehend.
„Wenn du meinst, dass bisschen Nasenbluten ist eine gebrochene Nase, dann reden wir von Beamtenbeleidigung und Provokation! Verstanden!“ Dieser bewegte seinen Kopf auf und ab und drückte mit seinem Finger auf das blutende Nasenloch.
„Sehr schön Jungs! Ich sehe, wir verstehen uns! Wir kontrollieren noch kurz eure Papiere und der Fahrer darf einen Alkoholtest machen!“
Ben ging zurück zu seinem silbernen Dienstwagen, in dem auf dem Beifahrersitz ein äußerst gereizter Semir saß. In seinen Händen hielt er die Ausweispapiere, die Ben wortlos an sich nahm. Der Türke saß da und starrte vor sich hin. Den Zustand seines Partners ignorierend, gab der Jüngere die Daten der Jugendlichen per Funk an die Zentrale durch. Ben stand neben seinen Wagen, die Unterarme auf das Wagendach gestützt und beobachtete die Jugendlichen. Weder er noch Semir sprachen ein Wort. Nach wenigen Minuten bekam Ben vom Kollegen am Funk die Mitteilung, dass die Papiere der Jugendlichen in Ordnung waren. Jedoch ergab der Alkoholtest des Fahrers, dass dieser etwas getrunken hatte, der Wert aber unterhalb des Grenzwertes lag. Zu seinem Glück war er vor zwei Tagen einundzwanzig geworden.
Als Ben vom Mercedes zurückkam, blickten die jugendlichen Draufgänger etwas betreten drein.
„So wie sieht es aus? Bestehen die Herren auf eine Anzeige?“ Dabei schaute er in Richtung des Wortführers, „dann können wir selbstverständlich gerne zu unserer Dienststelle fahren und diese aufnehmen. Ihnen ist doch aber klar, dass es im Gegenzug eine Anzeige wegen Beleidigung, Lärmbelästigung etc geben wird und …!“ Den Rest seiner Worte ließ er unausgesprochen im Raum stehen.
„Schon gut, schon gut!“ wiegelte der Wortführer ab, dem ebenfalls klar war, dass er eine Menge Ärger zu erwarten hatte. Sein Kumpel hatte noch eine komplette Ration der kleinen blauen Glücklichmacher in der Hosentasche. „Wer wird denn wegen ein bisschen Nasenbluten gleich einen Aufstand bauen!“, räumte er ein und trat den Rückzug an. Seine Freunde nickten beifällig.
Ben beließ es bei einer polizeilichen Belehrung wegen des Fehlverhaltens der Jugendlichen. Die Sache schien noch mal für seinen Partner glimpflich auszugehen.
Nachdem Ben auf dem Fahrersitz des Mercedes Platz genommen hatte, hatte auch seine Beherrschung eine Grenze erreicht. Er schnaufte mehrmals deutlich hörbar ein und aus. Seine Hände hatten das Lenkrad fest umklammert, dass das Weiße des Handrückens erkennbar war. Dann brach es aus ihm heraus.
„Sag mal, was war das gerade für eine Wild-West-Nummer, die du da abgezogen hast Semir? … Drehst du nun endgültig durch? … Willst du deinen Job auch noch riskieren, reicht es noch nicht, dass dir deine Frau davongelaufen ist? … Was glaubst du denn, was die Krüger mit dir macht, wenn sie von der Zirkusnummer erfährt! … Hey schau mich an, wenn ich mit dir rede!“, die letzten Sätze brüllte er nur so raus.
Semir starrte zum Beifahrerfenster hinaus und schwieg.
„Verdammt noch mal rede mit mir Partner! So geht das einfach nicht weiter zwischen uns! … Ich kann nichts dafür, was zwischen dir und Andrea passiert ist. Du bist auch nicht der erste Mann, dem die Frau davongelaufen ist! Kriege dein Leben endlich wieder in den Griff, denn das hier ist unser Job! Wenn du dich nicht mehr unter Kontrolle hast, weil du angetrunken zur Arbeit kommst und bei dir deswegen einige Sicherungen durchgebrannt sind …“
Rückblick Ende
„Daraufhin haben wir uns wieder gestritten, Anna. So richtig heftig.“ Ben rang sichtlich um seine Fassung „Er hat mir vorgeworfen, nicht sein Freund zu sein … ihn in den Rücken zu fallen …er hat mir Vorwürfe wegen Andrea gemacht, es war … es war …!“
Der junge Mann konnte einfach nicht weitersprechen. Ungläubig schüttelte er mehrmals an den Kopf. Anna kam um die Theke herum und nahm ihm mitfühlend in den Arm. Ben sah so verzweifelt aus.
„Und jetzt? … Was machst du jetzt?“
„Semir ist mein Freund. Verstehst du Anna?“ Er sah seine Freundin mit seinen dunklen Augen an, in denen sich sein Seelenleben wiederspiegelte. „Ich werde nicht einfach aufgeben und ihn hängen lassen. Gerade jetzt braucht er einen Menschen, der zu ihm hält und für ihn da ist. Irgendwann muss doch auch dieser sture Bock zur Einsicht kommen, was richtig und falsch ist!“, meinte er fast schon beschwörend.