Beiträge von Mikel

    „Kriegen Sie keinen Ärger, wenn Sie hier bei mir sitzen?“, erkundigte er sich.
    „Nein, keine Sorge! Ich habe seit zehn Minuten Feierabend. Also wie steht es? Ich habe ein bisschen Zeit und bin eine gute Zuhörerin!“ Ihre dunkle Stimme klang dabei so einfühlsam und ehrlich. Sie holte sich einen weiteren Stuhl und setzte sich an die andere Seite von Bens Krankenbett, fasste nach dessen Hand und blickte Semir erwartungsvoll mit ihren dunklen Augen an.

    Ganz langsam, anfangs mit noch stockender Stimme erzählte Semir von den Ereignissen der letzten Tage. Als er beim gestrigen Nachmittag angelangte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Seine Emotionen kochten einfach über, als er von der glücklichen Rettung seiner Familie berichtete und gleichzeitig vom Tod seines besten Freundes erfahren hatte.

    „Und dann heute Morgen … die Nachricht, dass Ben doch noch lebt … er immer noch in Lebensgefahr schwebt … Wissen Sie, das ist, wie ein nicht endenden wollender Alptraum … wie eine Lotterie … und sein Leben ist der Preis.“
    Er stöhnte auf, schüttelte den Kopf und blickte die junge Schwester mit einem schmerzerfüllten Blick an, der ihr durch und durch ging. Mittlerweile hatte sie ihre rechte Hand auf seine gelegt und spürte das leichte Zittern seiner Hand. Nach einigen Minuten der Ruhe, in denen nur das monotone Summe der Perfusoren und Infusionsautomaten zu vernehmen war, das Blubbern der Thorax-Drainage … die Beatmungsmaschine … durchbrach der Türke das Schweigen.
    „Wie haben Sie das gemacht?“ Semir schüttelte ungläubig den Kopf „Wie haben Sie es geschafft, dass ich Ihnen das alles erzählt habe?“
    „Ich hatte einfach das Empfinden, dass sie jemanden brauchen, der sich ein bisschen Zeit für Sie nimmt.“ Dabei schenkte sie ihm wieder ihr warmherziges Lächeln
    „Sie sind unglaublich! … Danke! … Es hat wirklich gut getan!“ Semirs Gesichtszüge hatten sich etwas entkrampft.
    Ihr Blick wanderte zur Uhr. In einer halben Stunde würde ihre Vorlesung an der Uni beginnen. Es wurde Zeit für sie, sich auf den Weg zu machen. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und reichte dem Polizisten die Hand.
    „Ich muss gehen, passen Sie gut auf ihren Freund auf!“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich.

    Semir saß gedankenverloren da und betrachtete Ben, wie sich sein Brustkorb bei jedem Atemzug hob und senkte. Sein Blick wanderte rüber zu den einzelnen Monitore und Infusionsautomaten, so viele Maschinen um einen Menschen am Leben zu halten. Verglichen damit kam er sich so hilflos und klein vor. Das schrille Alarmsignal eines Monitors schreckte ihn auf und riss ihn aus seinen Überlegungen. Marco, der Krankenpfleger, betrat das Zimmer und bemerkte den verängstigten Blick des Polizisten, der auf die blinkenden Kontrollleuchten fixiert war.

    „Hallo, ich bin Marco. Keine Angst Herr Gerkhan, die Infusion ist durchgelaufen und muss gewechselt werden. Sonst ist nichts passiert!“ Er hielt erklärend den neuen Infusionsbeutel hoch. „Allerdings würde ich Sie bitten, den Raum zu verlassen und draußen vor der Station zu warten.“
    „Ist doch was mit Ben?“, fragte Semir aufgeregt nach.
    Lächelnd schüttelte der Pfleger den Kopf. „Ähm, nicht falsch verstehen. Ich möchte ihren Kollegen versorgen, umlagern und ihm ein bisschen Körperpflege zukommen lassen!“, erläuterte er seine Absichten, während er mit routinierten Handgriffen die Infusion wechselte. „Außerdem steht auch die Nachmittagsvisite noch an. Es kann schon ein wenig dauern!“
    Semir verstand, verließ nachdenklich das Patientenzimmer und begab sich nach draußen vor die Intensivstation. Schon wieder hieß es, einfach nur warten.

    Der Kommissar hatte sich noch nicht richtig auf einen der unbequemen Plastikstühle gesetzt, als Konrad Jäger den Krankenhausflur entlang auf ihn zu gehetzt kam.
    „Hallo Gerkhan! Wie geht es meinem Sohn? Ist etwas passiert?“, fragte er gleich beunruhigt nach. „Wieso sitzen Sie vor der Intensivstation?“ Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde aschfahl und spiegelte seine Sorgen wieder.
    „Bens Zustand ist unverändert, Herr Jäger. Nur keine Aufregung. Der Krankenpfleger ist nur gerade bei ihm und versorgt ihn. Anschließend ist Visite und nur deshalb wurde rausgeschickt!“
    „Gut! Gut! Ich dachte schon …“ Den Rest des Satzes behielt er für sich und atmete erleichtert auf. „Frau Krüger hat mich angerufen, nachdem Sie auf ihrem Handy nicht erreichbar waren.“
    Semir hatte gar nicht daran gedacht, dass er telefonisch nicht erreichbar war, weil er gemäß den Hinweisschildern an der Eingangstür der Intensivstation sein Handy ausgeschaltet hatte. Nur mit halben Ohr hörte er, wie Konrad Jäger ihm mitteilte: „Ich soll Ihnen ausrichten, ihre Chefin holt Sie gegen 18.00 h am Haupteingang ab!“

    Bens Vater setzte sich auf den leeren Stuhl neben Semir. Der Türke merkte, dass dieser innerlich total aufgewühlt zu sein schien. Kaum verständlich nuschelte Konrad Jäger vor sich hin: „Ich war noch mal bei Peter.“ Der Polizist runzelte verwundert die Stirn und blickte fragend den Vater seines Freundes an. „Bei Professor Dr. Kraus, dem Chefarzt! Er bleibt bei seiner Aussage. Bedingt durch die schweren inneren Verletzungen kann er noch nicht sagen, ob Ben über den Berg ist oder nicht. Es kann jederzeit zu Komplikationen kommen und auch dieser andere Professor von der Urologie gab nur ausweichende Antworten.“

    Konrad Jäger ächzte gequält auf und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch seine grauen Haare. Man sah ihm an, wie ihn die Angst innerlich auffraß. Semir konnte so mit ihm fühlen, erging es ihm doch letztendlich nicht anders. Leise nuschelte der Grauhaarige fast unhörbar vor sich hin: „Hoffentlich hat es Julia geschafft, rechtzeitig ihren Rückflug nach Deutschland zu bekommen, wenn sie Ben noch mal lebend sehen will.“ Er schlug sich die Hände vor sein Gesicht, schüttelte seinen Kopf und schwieg.

    Die Versorgung von Ben durch den Krankenpfleger zog sich doch länger hin, als Semir erwartet hatte. Der Zeiger der Uhr rückte unaufhaltsam in Richtung 18.00 h. Schweren Herzens stand er auf und verabschiedete sich von Konrad Jäger. Während er die langen Krankenhausflure entlang schritt, überfiel ihm das schlechte Gewissen seiner Familie gegenüber. Ihm wurde bewusst, wieviel Zeit er in der Uniklinik verbracht hatte und dabei hätten ihn Andrea und Aida ebenfalls gebraucht. Er war für seine Familie wie der Fels in der Brandung, der ihnen Schutz und Kraft verlieh und dennoch hatte er sie fast den kompletten Tag alleine im Marienhospital zurückgelassen.

    Bei den letzten Worten der Krankenschwester füllten sich die Augen des Kommissars mit Tränen. Als er alleine mit Ben im Zimmer war, wisperte er leise: „Die Nachricht gestern…. Du bist tot … weißt du wie das für mich war … ich bin mit dir gestorben … mein Freund tue mir das nicht an … tue mir das nie wieder an … sondern kämpfe … ja kämpfe um dein Leben …ich brauche dich …. Nein, wir brauchen DICH … wir vermissen dich … und denke dran, du schuldest Aida noch einen Besuch im Phantasia-Land!“
    Der Rest seiner Worte ging in einem Aufschluchzen unter. Er konnte einfach nicht mehr, er konnte nicht länger dagegen ankämpfen. Seine Emotionen überwältigten ihn einfach. Seine Schultern bebten und ein Strom von Tränen floss über seine Wangen.

    Endlich vernahm Ben die Stimme, auf die er so sehnsüchtig die ganze Zeit gewartet hatte. Sein Freund war da … Semir war da … endlich … endlich war er bei ihm, war an seiner Seite, gemeinsam waren sie stark … zusammen waren sie ein unschlagbares Team. Semir würde auf ihn aufpassen, Ben hatte die Gewissheit, er war in Sicherheit. Das war so beruhigend für ihn und er merkte nicht mal wie er langsam wegdämmerte, während sein bester Freund an seinem Krankenbett weinte.

    Nachdenklich und ein bisschen verwirrt blickte Anna in das Krankenzimmer von Ben Jäger. Was war nur mit ihr los? So kannte sie sich selbst nicht? Warum nahm sie das Schicksal dieses jungen Polizisten so mit? Es blieb ihr nicht verborgen, dass der ältere Polizist am Bett seines Freundes weinte. War es das? Das Beben seiner Schultern war deutlich zu erkennen. In ihrem Beruf als Krankenschwester hatte Anna immer wieder sehr emotionale Momente zwischen Patienten und deren Angehörigen erlebt, nicht nur hier auf der Intensivstation, sondern auch auf den Pflegestationen, auf denen sie schon gearbeitet hatte. Was war hier anders? Lag es an der besonderen Freundschaft, die diese beiden Männer verband, von der ihr der Chefarzt erzählt hatte oder daran, dass der Professor den Patienten kannte? Es hatte sie selbst erstaunt, wie schnell sich der kritische Zustand ihres Patienten stabilisiert hatte, als der scheinbar die Anwesenheit seines Freundes gespürt hatte.

    Gedankenverloren ging sie zurück zum Stationsstützpunkt. Dort traf sie auf den Chefarzt Dr. Kraus, der sich eingehend über den aktuellen den Zustand von Ben Jäger erkundigte. Am meisten überraschte ihn ihre Aussage über den positiven Einfluss, den die Anwesenheit von Herrn Gerkhan auf den schwerverletzten Patienten ausgeübt hatte. Professor Kraus versicherte der Schwester, dass der Freund von Ben Jäger uneingeschränkte Besuchszeiten bei dem Patienten eingeräumt bekommen würde. „Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung, Chef. Lachen Sie mich bitte nicht aus, als ich daneben stand, hatte ich das Gefühl, der schwerverletzte Polizist hatte förmlich auf seinen Freund gewartet!“, bestärkte sie den Arzt mit seiner Anweisung. „Ich weiß, das hört sich für sie jetzt dämlich an! Aber schauen Sie sich selbst den Verlauf der Werte an … Man kann genau erkennen, wann sein Freund das Zimmer betrat und anfing mit ihm zu sprechen!“

    „Behalten Sie den jungen Mann weiter gut im Auge. Herr Jäger ist noch nicht über den Berg. Er macht mir noch große Sorgen. Die Blutungen haben wir zum Stillstand bekommen. Aber …“ Sorgenfalten waren auf seiner Stirn deutlich sichtbar und er schaute die Krankenschwester nachdenklich an. „Ich denke, wir werden ihn für die nächsten Stunden weiter leicht sediert halten. Je nachdem wie der weitere Verlauf ist, entscheiden Dr. Volkerts und ich am Nachmittag endgültig, ob wir damit anfangen, ihn langsam wach werden zu lassen!“ Der Arzt stand auf und verließ den Stationsstützpunkt in Richtung der Patientenzimmer.

    Während Anna einen weiteren Patienten in einem Nachbarzimmer versorgte, wanderte ihr Blick immer wieder ins Zimmer zwölf. Es zog sie magisch an. Sie konnte förmlich sehen, wie der dienstältere Kommissar am Bett seines Kollegen litt. Die junge Krankenschwester schnaufte einmal tief durch und traf für sich eine Entscheidung. Schließlich hatte sie nichts zu verlieren. Es war mittlerweile kurz vor Schichtende. Sie erledigte ihre übrigen Aufgaben, erledigte ihre Übergabe am Stationsstützpunkt. Zusammen mit ihrem Kollegen Marco ging sie zuerst zu ihrem anderen Patienten ans Bett bevor sie vor der Schiebetür vor Zimmer zwölf stoppten. „Bist du damit einverstanden, wenn wir hier Übergabe machen Marco? Ich möchte Herrn Gerkhan nicht unbedingt rausschicken.“ Sie erklärte ihrem erfahrenen Kollegen ihre Beweggründe und dieser nickte zustimmend. Der Krankenpfleger besaß auch eine gehörige Portion Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe.
    Nachdem Anna ihre letzte Pflicht erledigt hatte, begab sie sich in die kleine Teeküche und schenkte sich zwei Tassen Kaffee ein. Damit ging sie in Richtung von Bens Zimmer. Beim Betreten des Raumes galt ihr erster kritischer Blick ihrem Patienten und den Werten auf den vielen Monitoren. Zufrieden nickte sie.

    Der Freund ihres Patienten hatte sich zwischenzeitlich auf den Besucherstuhl an der rechten Bettseite hingesetzt. Sein linker Unterarm lag auf dem Unterarm des Verletzten. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als versuche er seine Kraft und Willen auf seinen kranken Freund zu übertragen. Den anderen Arm hatte er auf der Bettkante abgelegt und seine Stirn ruhte darauf. Im ersten Moment dachte Anna, der Besucher sei eingeschlafen. Sie täuschte sich. Er hatte ihr Eintreten bemerkt, richtete sich langsam auf und blickte sie aus müden Augen an.

    „Ich glaube, ich habe das richtige für Sie, Herr Gerkhan!“ Auffordernd hielt sie ihm eine Tasse dampfenden Kaffee hin. „Hoffentlich mögen Sie schwarzen Kaffee? Ansonsten hole ich ihnen auch gerne Milch und Zucker!“

    Dankbar nahm der kleine Türke die Tasse mit schwarzem Getränk an. Die Sorge um seinen Freund stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dunkle Ringe lagen um seine Augen. Er war fast genauso bleich, wie der Verletzte, der neben ihm im Bett lag.

    „Wie geht es denn ihnen Herr Gerkhan? Sie sehen sehr mitgenommen aus?“ fragte sie mitfühlend nach und wartete auf seine Reaktion.

    „Wie es mir geht?“ Semir schaute verwundert auf die Krankenschwester und seufzte abgrundtief auf. Sein Blick richtete sich auf seinen verletzten Freund und anschließend auf die junge Frau. „Viel wichtiger ist doch, wie es ihm geht.“ Beantwortete er ihre Frage mit einem bangen Unterton, „Da bin ich doch nicht wichtig!“ Der letzte Satz hörte sich fast ein bisschen verzagend an.

    „Wirklich Herr Gerkhan? … Was ist passiert? Erzählen Sie mir einfach ein bisschen? Es tut ihm gut, wenn er ihre Stimme hört! Oder möchten Sie das nicht!“ Dabei schenkte sie dem Polizisten ein aufmunterndes Lächeln. „Dann gehe ich selbstverständlich.“ Das Letzte, was Schwester Anna sein wollte, war aufdringlich zu sein. Aber sie konnte fühlen, wie auch der Besucher ein wenig menschliche Zuwendung benötigte.

    Oh ... Oh .. die Verrückte hat sich an Ben ausgetobt <X<X<X
    das schreit förmlich nach einem Geheimkapitel
    wobei ich ja wirklich schreckliche Angst hatte, dass sie zuerst Ben ein Auge entnimmt
    bei der Vorstellung stellen sich auch bei mir die Nackenhaare hoch
    von dem Rest bekommt man nur am Rande eine Ahnung
    und Zofia wird erpresst, denn anders kann ich den Blick auf ihr Foto nicht interpretieren
    Semir findet eine Spur, das Opfer aus dem Rhein ist identifiziert ...
    wenn der wüsste wer ihm gegenübersteht .... Susan gebe unseren Türken eine Erleuchtung

    das Kapitel war für mich ein wenig ein Spiegelbild der Seelen
    Kevin .... Jenny .... und auch Ben
    Kevin, der sich hinter seinem Schutzpanzer versteckt
    man würde sich für ihn wünschen, vertraue Ben oder versuche auch die Dinge mal aus der Sicht des Dunkelhaarigen zu sehen ...
    auf jeden Fall kann er Jenny nichts vorspielen .... und sie nicht ihm
    in dem Augenblick wünscht man sich fast, die beiden würden wieder zueinander finden

    geschafft :) ich bin bei deiner neuen Geschichte angekommen
    klarer Vorteil: einige Kapitel auf einmal, die die beste Grundlage sind, sich rein zulesen
    das neue Ermittler Duo Kevin und Jenny ... ist bin immer noch gespannt, wo die Reise hingeht
    vor allem die Szene im Wald lässt viel Spielraum für Gedankenspiele und Emotionen
    und die Action der Verfolgungsjagd von Semir ... was soll ich sagen - Spitze :thumbup:
    Hartmut kann ich mir als Leidender auf der Rücksitzbank sehr gut vorstellen, hatte dabei prompt die erste Folge mit ihm im Kopf
    Der Verhaftete kennt Kevin ... und warnt ihn nach dem Verhör ... hmmm ...
    verspricht einfach wieder eine spannende Geschichte zu werden ;)

    Ein schriller Signalton ertönte … ein weiterer kam hinzu … und da war sie auf einmal wieder, diese dunkle, weiche und warme Stimme … Nein, das war nicht die Stimme seiner Mutter. Wer war das? Eine unbekannte Frau? Dennoch hatte sie eine unheimlich beruhigende Wirkung auf ihn.

    „Hallo Herr Jäger … nicht aufregen … Ihnen passiert doch nichts! Hey, ganz ruhig!“
    Etwas Warmes berührte seine Wange.
    „Scht … scht … hey nicht aufregen. Sie sind im Krankenhaus. Ich heiße Anna, bin Krankenschwester und kümmere mich heute um sie. …. Sehr gut .. Langsam und gleichmäßig atmen! So ist es gut! Nicht dagegen ankämpfen!“
    Eine Hand strich ihm über die Stirn, streifte durch seine Haare. Die Haut fühlte sich so weich und warm an.
    „Auweia, da ist ja alles verklebt! Puuh … da werden wir wohl mit ein bisschen Wasser ran müssen. Aber heute nicht mehr, sie hatten schon genug Stress mit all den Untersuchungen.“ Ihre Finger tasteten vorsichtig über die Schwellung und die Verkrustungen. „Wer war dann nur so brutal und gemein zu ihnen und hat ihnen all das angetan?“

    Ben wollte sich bemerkbar machen. Seine krampfhaften Versuche die Augenlider zu öffnen, scheiterten kläglich. Sie gehorchten ihm einfach nicht. Zu der ruhigen Frauenstimme kam eine hektische dazu. Es war diese Stimme, die Ben Angst einflößte, dieser Akzent, der ihm nur eines suggerierte: Schmerz und Qualen.

    „Soll ich den Arzt holen? Brauchst du Hilfe Anna?“
    „Nein … alles ok Natascha. Ich habe alles unter Kontrolle. Kannst du mir einen Gefallen tun, sein Vater sitzt draußen vor der Eingangstür. Holst du ihn bitte rein? Ich glaube, es wäre gut für Herrn Jäger, wenn er jetzt bei ihm wäre!“, sprach die angenehme Stimme.
    Bens von Medikamenten vernebeltes Gehirn begriff nur eines: Sein Vater war da. Aber wo war Semir? Er brauchte doch Semir.
    „Ihr Vater war die ganze an ihrem Bett gesessen.“ Den Rest ihrer Worte verstand Ben nicht mehr. Seine Seele schrie nach seinem Freund.

    Minuten später ….

    „Tut mir leid Anna. Sein Vater ist nicht mehr da. Nur ein anderer Mann, ein Herr Gerkhan, der behauptet sein Freund zu sein und er wolle unbedingt zu ihm! Aber das geht doch nicht. Hier dürfen nur Angehörige rein!“, empörte sich die blonde Krankenschwester und rümpfte auch vor ihrer Kollegin die Nase. Natascha, die Krankenschwester, empfand Angehörige und Besucher auf der Intensivstation, die sie bei der Arbeit beobachteten, als lästig.

    In Bens Bewusstsein drang nur eine Information durch … sein Freund war da … Semir war da und durfte nicht zu ihm. Sein Unterbewusstsein rebellierte dagegen. Alarmtöne erklangen …
    „Hol ihn rein Natascha … nun mach schon! Das geht in Ordnung! Professor Kraus hat es selbst angeordnet. Schau in die Krankenakte, wenn du mir nicht glaubst! Ein Herr Gerkhan darf jederzeit Herrn Jäger besuchen!“

    Schwester Anna sprach wieder beruhigend auf ihren Patienten ein, während sich ihre Kollegin nur widerwillig auf den Weg zum Eingang der Intensivstation machte und den kleinen Türken reinholte.
    Dieser blieb wie versteinert an der Schiebetür stehen und betrachtete seinen Freund.
    Die Beschreibung seiner Verletzungen durch den Arzt heute Morgen war eine Sache. Augenblicklich traf ihn mit voller Wucht die Erkenntnis, an welch seidenen Faden Bens Leben hing. Ein Gewirr aus Schläuchen und Kabeln umgaben sein Bett. Die Leitungen führten zu den verschiedensten Monitoren, auf denen Messwerte blinkten, seinen Herzschlag abbildeten und für ihn als Laien nur noch mehr furchteinflößend waren. Semirs Blick wanderte weiter zum Gesicht seines Freundes. Die zahlreichen blutunterlaufenen, kleinen Risswunden, die mit kleinen Klammerpflastern versorgt worden waren und die daraus resultierenden Schwellungen waren wohl noch die harmlosesten Verletzungen. Sein Drei-Tage-Bart war verschwunden, sein dunkles Haar war verklebt und hatte nichts mit seiner normalen wuscheligen Haarpracht mehr zu tun. Semir hätte auf den ersten Blick seinen Freund fast nicht erkannt. Abgrundtief seufzte er auf und dachte an ihren letzten gemeinsamen Abend am Montag.

    Nur ein Teil seines Oberkörpers war zu sehen, der Rest war durch die Bettdecke verborgen. Bens Brust war übersäht mit Hämatomen, die in allen Regenbogenfarben schimmerten, blutunterlaufene Schwellungen. Die Schusswunde an der linken Brustseite und die Wunden an der rechten Seite wurden durch Verbände geschützt. Weiße Pflaster bedeckten die verschiedenen Operationswunden und ließen ihn das wahre Ausmaß der inneren Verletzungen nur erahnen.

    „Oh mein Gott Ben!“, murmelte der Polizist entsetzt vor sich hin.

    „Hallo Sie müssen Herr Gerkhan sein? Professor Kraus hat mir schon von ihnen erzählt! Ich bin Schwester Anna und betreue den jungen Mann während des Frühdienstes!“, wurde er von der hübschen Krankenschwester an Bens Seite begrüßt. Sie hatte ihre schwarz-gelockte Haarpracht zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ein paar widerspenstige Haarsträhnen hatten sich wie ein Pony auf ihre Stirn verirrt. Darunter lag ein ebenmäßig geschnittenes Gesicht mit zwei warmherzig blickenden dunklen Augen.

    „Hallo, ja der bin ich. Wie geht es Ben“ Dabei wanderte sein besorgter Blick zu den Beuteln, die teilweise mit blutrot gefärbter Flüssigkeit gefüllt waren, die rund um das Bett sichtbar waren und wieder zurück zu seinem Freund. In jedem Beutel steckte ein Schlauch, der unter der Bettdecke hervorkam und scheinbar mit Bens Körper verbunden war. Mit schleppenden Schritten ging er an das Krankenbett.

    „Wie heißt es so schön, den Umständen entsprechend. Kommen sie doch näher! Jetzt müssen wir einfach abwarten!“, erklärte sie weiter und strahlte dabei eine unheimliche menschliche Wärme und Verständnis aus.

    Plötzlich gab der Herzmonitor wieder an ein Alarmsignal von sich. Die Herzfrequenz war nach oben geschnellt. Erneut strich Anna dem Schwerverletzten beruhigend über die Haare von Ben und sprach auf ihn ein.

    „Hallo Herr Jäger … ganz ruhig … nicht aufregen … sie haben Besuch … ihr Freund ist da…“ Sie löste ihren Blick von Ben und schaute Semir an: „Reden Sie mit ihm Herr Gerkhan! Ich weiß nicht wieso, aber meine weibliche Intuition sagt mir, Herr Jäger wartet auf Sie!“ Sie sah seinen fragenden Blick. „Ich bin überzeugt, er versteht sie. Man hat ihn nur leicht sediert.“

    „Hallo Ben …!“ seine Stimme klang belegt „hörst Du mich?“ Er griff vorsichtig die fixierte Hand seines verletzten Freundes und hielt sie fest umschlungen. „Andrea und Aida sind in Sicherheit, verstehst du? Ihr habt es tatsächlich geschafft, diesen Monstern zu entkommen. Was würde ich für ein kleines Lebenszeichen von dir geben.“ Der kleine Autobahnkommissar verstummte für einen Moment, betrachtete erneut eingehend das eingefallene Gesicht seines Freundes, suchte die Spur einer Regung. Ganz still lag der Verletzte da. Nichts deutete darauf hin, dass er bemerkte, wer neben seinem Bett saß und mit ihm redete.
    Im Gegensatz dazu stellte Anna schon nach den ersten Worten von Semir fest, dass sich der Herzschlag des verletzten Polizisten stabilisierte. Die Ausschläge nach oben verschwanden, die Zacken der grünen Kurve wurden gleichmäßig. Nach einigen Minuten beschloss die Krankenschwester die beiden Freunde allein zu lassen. „Hey! Schauen Sie mich an Herr Gerkhan, alles wird wieder gut werden. Ihr Freund wird wieder gesund, glauben Sie mir! Ich lass Sie ein bisschen alleine mit ihrem Freund.“
    Leise schloss sie hinter sich die Schiebetür, verharrte dahinter und beobachtete durch das Fenster weiter die Reaktion ihres Patienten auf seinen Besucher.

    Ich habe eigentlich gar keine sadistische Ader und bin sehr harmoniesüchtig, warum gefällt mir diese Story so gut? :rolleyes: Und ich hoffe wie Sabrina auch, auf das eine oder andere „nette“ Geheimkapitel. :love:

    damit ist eigentlich schon viel gesagt ... mir geht es ebenso ...
    ich möchte mir gerade nicht ausmalen, was die Dame im Kostüm mit Ben anstellt <X<X<X
    die Behandlung, die Ben vorher mit der Dusche erfahren hat, war schon mal ein kleiner Vorgeschmack
    ob Zofia, nochmals das Wagnis eingeht und einem Gefangenen hilft???? zur Flucht???
    oder findet Semir in Zusammenarbeit mit Einstein die entscheidende Spur? ... Ich lass mich überraschen

    so ich bin am Ende einer großartigen Story angelangt. Diese war vom ersten Kapitel an fesselnd ... spannend ... mit überraschenden Wendungen
    Wieder einmal meinen Respekt und meine Hochachtung, wie du die einzelnen Charaktere und die Emotionen rüber bringst ... man fühlt sich als Leser mitten drin ... und Gänsehaut pur. Ich glaube niemand möchte in solch eine Situation kommen, wie in der Schule kommen ... ständig war die Frage: Wo ist Ayda? Ist sie unter den Opfern?
    Emotional aufwühlend fand ich auch die letzten Kapitel ... diese Reaktion der Presse ... die sich ihr eigenes Opfer sucht
    dazu der Shitstorm in den sozialen Medien - und das schlimme daran ist, es ist die Realität
    ich lass mich überraschen, welche Wendungen das Schicksal von Kevin nimmt
    da gibt es viele Fragen
    Jenny kehrt zurück ...
    freue mich auf die neue Geschichte aus deiner Feder ... denn die verspricht bestimmt wieder Spannung ohne Ende

    „Was brauchst du Peter? Sag es? Soll noch ein Kollege hinzugezogen werden? Ich zahle dafür, kein Problem! Du weißt, Geld spielt keine Rolle, wenn es um das Leben meines Sohnes geht… Versteh mich richtig, ich möchte auf jeden Fall, dass mein Sohn wie ein Privatpatient mit allen erdenklichen Zusatzleistungen hier behandelt wird! Ich möchte, dass er die beste Pflege bekommt. Ich komme selbstverständliche für alle zusätzlichen Kosten auf!“, unterbrach ihn Konrad Jäger besorgt.

    „Versteh du mich richtig Konrad, wir tun bzw. wir haben alles Menschenmögliche für deinen Sohn getan. Hier geht es nicht mehr um Geld. Sondern uns Medizinern sind auch Grenzen gesetzt. Manchmal ist ein Punkt erreicht, wo halt nur noch der da oben helfen kann.“ Sein Zeigefinger ging in Richtung der Zimmerdecke. „Ben ist jung und das ist seine beste Option. Geht zu ihm, seid für ihn da, auch Sie Herr Gerkhan. Redet mit ihm! Es gibt zwar Ärzte, die anders denken als ich, aber ich vertrete die Meinung, Ben spürt, wer bei ihm ist und auch wer mit redet. Ich werde alles Nötige auf der Intensivstation veranlassen, dass auch Sie“, sein Blick fixierte Semir und eine Geste seiner Hand unterstrich seine Worte „jederzeit Ben besuchen können. Aber bitte, vorerst immer nur ein Besucher. Es wird einige Minuten dauern, bis eine Schwester Sie an der Eingangstür zur Intensivstation abholen wird und zu Ben bringen wird. Übrigens, Professor Dr. Waldner, erwartet dich Konrad. Du brauchst dich nur in seinem Sekretariat zu melden.“
    Peter Kraus setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. Seine Worte hatten zumindest bei Semir erreicht, dass dieser sich etwas entspannte. Bevor sie sich verabschiedeten, wollte er auch Konrad noch etwas Zuversicht mit auf den Weg geben. Denn er machte sich Sorgen um seinen Freund und nicht nur um dessen Sohn. Man konnte deutlich erkennen, dass auch Konrad durch die Aufregung gesundheitlich angeschlagen war. Seine nächsten Worte waren ausschließlich an seinen alten Freund gerichtet. „Kopf hoch, Konrad! Nachdem was mir die Kollegen berichtet haben, die die Erstversorgung in der Notaufnahme durchgeführt haben, hatte Ben nie aufgegeben, als er dort draußen schwer verletzt im Wald lag. Dein Junge hat darum gerungen, am Leben zu bleiben. Sein Wille, zu überleben, ist nach wie vor ungebrochen. Und so wie ich es momentan beurteilen kann, scheint er ein wahrer Kämpfer zu sein!“.
    Die ungleichen Männer erhoben sich von Ihren Stühlen. Schweigend verließen sie das Zimmer des Arztes. Die Worte von Professor Kraus wirkten auf die beiden nach. Draußen auf dem Gang hielt Konrad Jäger unvermittelt an.

    „Ich würde gerne zu diesem Dr. Waldner und diesem anderen Arzt gehen, um zu erfahren, wie es um Bens Nieren steht. Würden Sie zwischenzeitlich zur Intensivstation gehen und sich um Ben kümmern?“ Semir nickte zustimmend, nichts lieber als das, dachte er bei sich. Leise, kaum verständlich murmelte Bens Vater, „Wenn es ihnen nichts ausmacht Herr Gerkhan, würde ich anschließend gerne nach Hause fahren, mich ein bisschen hinlegen und mich frisch machen! Bitte informieren Sie mich, wenn sich an seinem Zustand etwas ändert?“
    „Natürlich! … Versuchen Sie ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ich werde auch Frau Krüger und die Kollegen auf der Dienststelle über Bens Zustand informieren.“

    Der Anblick seines schwer verletzten Sohnes war für Konrad Jäger kaum mehr zu ertragen. Ein Geschäftsmann wie er, der gewohnt war, dass man für Geld alles bekommen konnte, kam hier an die Grenze seiner Wertevorstellung. Verwundert blickte Semir Konrad Jäger hinterher, der mit hängenden Schultern sich auf den Weg zum Fahrstuhl machte, um in die Urologie zu gelangen.
    Er selbst machte sich auf den Weg zum Eingangsbereich der Intensivstation. Wieder war Warten angesagt. Unruhig marschierte Semir vor der Eingangstür der Intensivstation wie ein gereizter Tiger auf und ab. Er konnte sich einfach nicht mehr hinsetzen. Seine Geduld war am Ende. Er wollte zu Ben, jetzt gleich. Wo blieb diese Krankenschwester denn nur? Der Zeiger der Uhr zeigte schon auf halb zwölf Uhr mittags. Endlich öffnete sich die Tür mit einem leisen Summton. Eine blonde und etwas fülligere Krankenschwester in blauer Kleidung blickte sich suchend um. „Wissen Sie wo der Vater von Herrn Jäger ist?“, erkundigte sie sich bei dem Kommissar. Ihr Akzent verriet ihm, dass sie wohl aus einem osteuropäischen Land abstammte.
    „Herr Jäger ist nach Hause gegangen. Allerdings sitze ich ungefähr seit zwanzig Minuten und warte darauf, in das Krankenzimmer von Herrn Ben Jäger zu dürfen“, beantwortete er ihre Frage. „Ich bin sein Freund und der …!“
    Die Schwester rümpfte die Nase und unterbrach ihn, „Sein Freund? Ich glaube da haben Sie momentan keinen Zutritt!“, belehrte sie ihn.
    Semir schoss der Eingangstür entgegen. Das wäre ja noch schöner, der Chefarzt hatte ihm doch vor nicht mal einer Stunde die Erlaubnis erteilt und so eine Schwester wagte, ihn zurückzuweisen. Nicht mit ihm, so nicht … doch bevor er noch etwas tun konnte, schloss sich die Tür wieder. Vor Wut hieb Semir mit der Faust dagegen.

    Währenddessen auf der Intensivstation ….
    Da war es wieder, dieses Gefühl im Nirgendwo zu schweben. Um ihn herum war Dunkelheit. Sie hüllte Ben ein und hielt ihn gefangen. Krampfhaft versuchte er sich daran zu erinnern, wo er war? … Er überlegte … wehrte sich dagegen wieder in diese Finsternis abzudriften … Jemand redete mit ihm … ein Frauenstimme … seine Mutter, war das seine Mutter? … Wer sprach da nur mit ihm? … Oder bildete er sich das alles nur ein? … Ben wusste es einfach nichts mehr. …. Vor seinen inneren Augen tauchten verschiedene Bilder auf … Was war nur passiert? … Da war der Wald, der Abhang, er kam immer näher … plötzlich ein dunkler Schuppen? … Andrea und Aida? … Wo war er denn nur? … Schmerzen? … Angst? …Vor was? … Das beklemmende Gefühl ersticken zu müssen …. Das Würgen im Hals … Er horchte in sich hinein … in seinen Körper … da war Schmerz, aber er fühlte sich anders an … Alles fühlte sich wie gelähmt an. Nichts … absolut nichts konnte er bewegen. Also versuchte Ben sich auf die Geräusche, die zu ihm gedämpft durchdrangen, zu konzentrieren. Da redete jemand! … Eine Frauenstimme … dieser Akzent … er machte ihm Angst … Panik stieg in ihm auf … Sein Unterbewusstsein suggerierte ihm: … Gabriela! Hatte ihn diese Hexe gefunden?

    Semir sei sein Schlaf gegönnt ... aus seiner Sicht hat er bis zu diesem Zeitpunkt alles erdenkliche auf der Suche nach Ben getan. Sein Bauchgefühl hat ihn den Zusammenhang mit der Leiche, die aus dem Rhein gefischt wurde gezeigt ... jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Hartmut eine Spur findet.
    Denn was nützt die Ahnung, wenn es keine greifbare Spur zur Entführerin geht
    Das Training mit dem Pony kann ich mir so richtig bildlich vorstellen, wobei die kleinen Biester wirklich stur sein können. Nur nutzt es Ben nicht viel ... dieses Vermessen seines Körpers ... dazu die Präparate in den Gläsern ... grusel ... grusel ... sag ich da nur
    Was hat diese Verrückte mit Ben vor?

    Woher hat die Verrückte denn hunderte von Augen? Buddelt die nachts irgendwo Leichen aus?

    das frage ich mich auch? Woher hat sie diese? <X=O Ob das vielleicht die entscheidende Spur für Semir wird, um dieser Frau auf die Schliche zu kommen :?:

    Semir hatte damit gerechnet, dass ihn Konrad Jäger Vorhaltungen machen würde, wie er es schon früher gemacht hatte, wenn Ben während eines Einsatzes verletzt worden war. Aber nichts dergleichen geschah. Unablässig wanderten ihre Blicke hoffnungsvoll in Richtung der Eingangstüre zur Intensivstation, wenn sich diese mit einem Summton, der vom Elektromotor kam, öffnete. Doch statt des herbeigesehnten Arztes huschten gestresste Krankenschwestern und Pfleger in der blauen Tracht des Pflegepersonals an ihnen vorbei.
    Zwischenzeitlich hatte sich Semir vornübergebeugt. Seine Ellbogen ruhten auf seinen Oberschenkeln und sein Gesicht lag in seinen Händen vergraben. Er hielt die Augen geschlossen und dachte über die Ereignisse der vergangenen Tage nach. Er wusste, sein Freund war ein Kämpfer. Darauf sollte er vertrauen, Ben hatte es ja gestern schon bewiesen. Jemand tippte ihn an die Schulter und riss ihn aus seinen Gedanken …. Bens Vater

    „Herr Gerkhan! Da kommt Dr. Kraus!“

    Aus der Tür der Intensivstation trat mit ernster Miene der Chefarzt. Im ersten Moment glaubte Semir der Arzt sei ein Bruder von Bens Vater. Die beiden hatten in Bezug auf Alter und Statur eine unglaubliche Ähnlichkeit. Selbst die widerspenstigen Haarlocken hingen dem Arzt in die Stirn. Bens Vater schoss förmlich aus seinem Stuhl hoch und eilte dem Arzt erwartungsvoll entgegen, dicht gefolgt von Semir, der sich endlich eine Information zu Bens Zustand erhoffte und zu seinem Freund ans Krankenbett wollte.

    „Peter … Peter, was ist mit Ben? Lebt er noch?“ seine Stimme bebte vor Erregung. Konrad packte den Arzt am Oberarm und hielt sich krampfhaft an ihm fest. Suchte Halt … wollte eine Antwort. Bens Vater sprach das aus, was auch Semir auf der Seele lastete. Der Kommissar flüsterte leise seine Frage „Bitte Herr Dr. Kraus … sagen sie uns doch bitte, wie es Ben geht.“

    „Ganz ruhig Konrad! Um Himmels Willen beruhige dich doch! Und Sie auch!“, unterbrach ihn der Arzt, als er erkannte, in welcher Verfassung sich sein Freund und dessen Begleiter befanden. Der kleine Mann neben ihm schien genauso aufgewühlt und mitgenommen von der augenblicklichen Situation zu sein, wie Konrad Jäger, der kreidebleich vor ihm stand.

    „Aber …!“ fiel ihm der Türke dem Arzt ins Wort. Die Warterei und die Ungewissheit, was mit Ben ist, hatten an seinem angeschlagenen Nervenkostüm, schwer gezehrt. Ihm wurde auch bewusst, dass sich der Arzt und Bens Vater zu kennen schienen und nahm sich deshalb vor, auch wenn es ihm sehr schwer fiel, sein Temperament zu zügeln und sich etwas zurückzuhalten.

    „Konrad! … Bitte! … und Sie auch!“ dabei richtete sich sein Blick auf Semir, „beruhigen Sie sich bitte! Beide! Ben geht es den Umständen entsprechend gut.“ Peter Kraus atmete tief durch und versuchte die beiden aufgeregten Männer zu beschwichtigen. „Noch mal, bitte, beruhigen Sie sich. Ich schlage vor, wir gehen in mein Arztzimmer. Dort können wir in aller Ruhe reden!“, forderte er sie auf, ihm zu folgen. Semir setzte sich sofort mit in Bewegung. Der Chefarzt warf dem Türken einen interessierten Blick zu. Er verstand nicht so recht, in welchem Verhältnis dieser zu Ben Jäger stand. Bens Vater bemerkte dies und schüttelte über sein eigenes Verhalten den Kopf.

    „Oh, tut mir leid Peter, bei all der Aufregung, vergesse ich auch noch meine guten Manieren. Darf ich dir vorstellen, das ist Herr Gerkhan. Er ist der Partner und wohl beste Freund meines Sohnes. Ich hatte dir ja bereits von ihm erzählt. Du kannst gegenüber Herrn Gerkhan vollkommen offen reden und ihn wie ein Mitglied meiner Familie betrachten! Ich denke, das wäre auch Bens Wunsch.“, klärte Konrad Jäger den Arzt auf. Der darauf wissend nickte, Konrad hatte bei allerlei Anlässen, über die besondere Freundschaft seines Sohnes zu seinem Arbeitskollegen und dessen Familie erzählt. Jetzt war ihm auch klar, warum der kleine Mann so aufgelöst war.

    Völlig überrascht blickte Semir auf Bens Vater. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit einer solchen Aussage. Zwischenzeitlich hatten sie das Arztzimmer auf einem der Nebenflure erreicht und vor dem Schreibtisch des Arztes Platz genommen. Der Chefarzt räusperte sich mal kurz. Angesichts dessen, dass er Ben schon kannte, als dieser noch in einer Babywiege lag, fiel es ihm nach wie vor sehr schwer, seine persönlichen Gefühle in den Hintergrund zu drängen und möglichst professionell mit der Situation umzugehen. Dr. Kraus bemühte sich sein ganzes Fachchinesisch weg zu lassen und seinem Freund und dessen Begleiter mit einfachen Worten über den Zustand von Ben zu informieren.

    „Ich hatte dich ja bereits gestern ausführlich nach der OP über die Schwere der Verletzungen deines Sohnes informiert!“ Konrad Jäger nickte zustimmend, während Semirs Blick zwischen den beiden hin und herflog.

    „Der Nachtdienst hat, wie abgesprochen, die Sedativa gegen morgen etwas reduziert, da Ben die Nacht über relativ stabil war. Wir wollten sehen, wie er darauf reagiert. Vielleicht hätte dir das jemand sagen sollen. Also die gute Nachricht zuerst. Wir vermuten, Ben war heute Morgen tatsächlich am Aufwachen und wollte sich scheinbar den Tubus rausziehen. Deswegen auch die ganzen Alarmmeldungen, als dich die Schwester rausgeschickt hat, Konrad!“
    „Dann geht es ihm schon besser?“, fiel ihm Semir mit einem freudigen Ausdruck in den Augen ins Wort.
    „Auch wenn ich sie enttäuschen muss, Herr Gerkhan, … nein! Ben ist noch nicht über dem Berg, um es mal so sprichwörtlich auszudrücken. Wir mussten ihn nochmal leicht sedieren. Das Positive ist, er atmet tatsächlich, auch zu meiner Überraschung, wieder selbstständig an der Beatmungsmaschine mit. Ich habe ihn selbst nochmals gründlich untersucht. Es kam bisher weder im Bauchbereich noch im rechten Lungenflügel zu größeren Nachblutungen. Eine von unseren fähigsten Krankenschwester betreut und überwacht ihn momentan.“ Für einen Moment schwieg er und lies deutlich hörbar die Atemluft entweichen. „Dr. Waldner, der Urologe, war ebenfalls bereits auf Station und hat sich sorgfältig die Verletzungen von Bens Nieren angeschaut. … Die bereiten uns noch richtig Sorgen. Eventuell benötigt er eine Dialyse um die Nieren zu entlasten. Also die Chance, auch die verletzte Niere zu retten, stehen grundsätzlich sehr gut. Aber Dr. Waldner will selbst mit dir sprechen und wird dir alles im Detail erklären, Konrad. Er ist der Fachmann.“ Wieder verstummte er für einige Sekunden, sein Blick richtete sich nachdenklich auf die Schreibtischplatte, bevor er ihn anhob und die beiden Männer, die ihm gegenüber saßen, anschaute. „Ich will dir nichts vormachen mein Freund und ihnen auch nicht Herr Gerkhan, Ben befindet sich nach wie vor in einem äußerst kritischen Zustand und ist noch nicht außer Lebensgefahr. Bei der Schwere der Verletzungen muss mit weiteren Komplikation gerechnet werden!“
    Semir war bei den Ausführungen des Arztes immer bleicher geworden. In ihm bestand nur noch ein Wunsch, er wollte zu seinem Freund.

    das Gute in diesem Kapitel ... Semir ist alarmiert ... Hartmut und der Rest der Dienststelle :)
    Respekt vor Sarah, die es in dieser heiklen Situation die Kraft und Stärke besitzt, für ihre Kinder da zu sein und ihren Beitrag auf der Suche nach Ben zu leisten :thumbup:
    Lucky hat auf seiner Weise dazu beigetragen, die Spuren richtig zu lesen ... na da bin ich mal gespannt, ob er mit seiner Hundenase der entscheidende Faktor sein wird, um Ben zu finden
    und zu Ben ... der wird mit der grausamen Wirklichkeit konfrontiert
    Fluchtversuch schlägt fehl ... und ich frage mich, wie hat es das erste Opfer geschafft zu entkommen
    Seine Entführerin ist auf jeden Fall die volle Psychopatin ... <X<X<X
    der Raum zur medizinischen Behandlung verheißt nichts Gutes für Ben
    hoffentlich findet Semir bald eine entscheidende Spur und erkennt die Zusammenhänge

    Ich bin bei deiner nächsten Geschichte angekommen und habe überrascht festgestellt …ups, die ist fertig :) . Vorteil für mich … mehrere Kapitel auf einmal. :)
    Aber zurück zum Wesentlichen: Zwei Jugendliche …. Zwei gequälte Seelen … mir stellen sich die Nackenhärchen auf, wenn ich mir vorstelle, dass die einen Amoklauf planen =O
    Timo ist gestorben, ich hatte es fast befürchtet X( … Jenny erlebt ihr nächstes Trauma, wie wäre es … Back to the Roots .. . zurück nach Köln ;)
    Überrascht hat mich, dass Kevin wieder auf der Dienststelle arbeiten darf, auch wenn verständlicherweise das Klima zwischen ihm und Ben und Semir sehr frostig geworden ist, allein schon deren Gedanken und Bedenken, weil Kevin Ayda von der Schule abholen will … ich sage nur krass … richtig krass

    Intensivstation ….
    Es war wie das Auftauchen aus den Tiefen eines dunklen Sees. Die Finsternis hielt Ben gefangen. Doch er wollte hinauf zum Licht, welches durch die Wasseroberfläche zu ihm herunterschimmerte. Wo war er nur? Er versuchte das Durcheinander in seinem Kopf zu ordnen, sich daran zu erinnern, was zuletzt geschehen war, bevor er in diese Dunkelheit abgetaucht war. Wie aus dem nichts tauchte das Gesicht einer Frau vor seinem inneren Augen vor ihm auf. Wer war das? Ben überlegte … so langsam erkannte er sie: Gabriela. Ihre eiskalten grau-blauen Augen starrten ihn an. Er wollte weg … nur noch weg, während ein schwarzer Stiefel unaufhaltsam auf ihm zukam. Er erwartete den Tritt auf seine rechte Seite… den brennenden Schmerz, wenn die Stiefelsohle auf seinem Körper auftraf… Er wollte ausweichen … es ging nicht … sein Körper gehorchte ihm nicht …Doch der Schmerz blieb aus. Irgendetwas war anders … Dunkler Nebel hüllte ihn ein. Ben wollte atmen … Luft … Luft … doch in seinem Hals steckte etwas, hinderte ihn daran … Angst … er verspürte furchtbare Angst davor, ersticken zu müssen, wollte sich dagegen wehren, den Fremdkörper aus seiner Kehle entfernen. Noch etwas nahm er auf einmal wahr: ihm unbekannte Geräusche. Ein hektisches Piepen, welches überging in ein Hupen … Stimmengewirr kam auf… seine Angst wuchs ins Unendliche …. Ben wollte dagegen ankämpfen, schlagartig überfiel seinen Körper eine Müdigkeit und er tauchte ab ins Schattenreich ….

    *****
    Diesmal wurde Konrad Jäger von den Pflegekräften vor die Intensivstation geschickt. Er ließ sich dort im Wartebereich nieder. Bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, rannte sein Freund Peter Kraus ohne ein Wort zu verlieren an ihm vorbei, durch die Schleuse in die Intensivstation. Dann war er allein und ließ sich auf einen der Holzstühle nieder, die dort standen. In den ersten Minuten starrte er die Tür zur Intensivstation an und wartete darauf, dass irgendjemand erscheinen würde, um ihn zu berichten, wie es Ben geht. Er fühlte eine grenzenlose Leere in sich, war müde und ausgebrannt. Sein Herzschlag raste und seine Handinnenflächen wurden vor Angst und Anspannung feucht. Dieses bange Warten war das Schlimmste. Er hielt diese Ungewissheit nicht mehr aus. Was war mit Ben? War er noch am Leben? Warum kam denn niemand zu ihm? Am liebsten hätte er mit seinen Fäusten gegen die Eingangstür der Intensivstation gehämmert. Doch stattdessen tigerte er wie eine gefangene Raubkatze in ihrem Käfig hin und her.
    Ärzte, Schwestern und andere Angestellte der Uni-Klinik eilten an ihm vorbei auf die Intensivstation, kamen wieder heraus, beachteten ihn nicht. Patienten, begleitet von Klinikpersonal, wurden an ihm vorbeigeschoben. Doch keiner kam zu ihm.

    *****

    Frau Krüger holte Semir wie versprochen direkt am Eingang des Marienhospitals ab. Während der Fahrt durch den morgendlichen Berufsverkehr berichtete sie ihm über das, was sich am gestrigen Nachmittag und in der Nacht abgespielt hatte. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihre Augen feucht wurden. Semir war überrascht von ihrer Reaktion. Gefangen in dem Schmerz der Trauer über den Verlust seines Freundes, seiner eigenen Verzweiflung hatte er gestern gar nicht wahrgenommen, wie auch andere gelitten hatten.

    Vor der Eingangstür zur Intensivstation erwartete ihn eine Enttäuschung. Eine energische Krankenschwester erklärte ihm, dass jetzt keine Besuchszeit wäre und er nicht zu Herrn Jäger könne. Semir hätte vor Wut und Ohnmacht aufbrüllen können. Beruhigend legte seine Chefin ihm die Hand auf die Schulter. Suchend blickte sie sich um.

    „Ich denke, sein Vater ist bei ihm! Warten wir mal ab!“

    „Warten ist aber nicht gerade meine starke Seite, Frau Krüger!“ begehrte der Türke dagegen auf. „Ich will zu Ben, er braucht mich! Verstehen Sie? Ich kann es förmlich spüren.“

    Bevor zwischen den beiden eine Diskussion entflammen konnte, öffnete sich die Tür zur Besuchertoilette. Konrad Jäger kam heraus. Die vergangene Nacht hatte auch bei ihm deutliche Spuren hinterlassen. Er wirkte müde und erschöpft, ja seine Körpersprache drückte schon fast ein bisschen Resignation aus.

    „Guten Morgen!“ Sein Tonfall klang ungewohnt matt. Die Haarsträhnen hingen ihm völlig wirr in die Stirn. Auf seinem fahlen Gesicht befanden sich noch vereinzelt Spuren von Wassertropfen.

    „Guten Morgen Herr Jäger! Wie geht es Ben?“ Fast gleichzeitig sprachen die beiden Polizisten die Frage aus.

    „Ich weiß es nicht.“ Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich kann nicht sagen, wie es augenblicklich um ihn steht.“ Sein Blick ging zur Uhr über der Eingangstür zur Intensivstation. Bens Vater seufzte abgrundtief auf, bevor er mit seinem Bericht fortfuhr „Heute morgen … dieser EKG-Monitor piepste plötzlich wie verrückt, ich hatte schon die Hoffnung, dass Ben aufwachen würde ... Ich hätte schwören können, dass er seine Finger bewegt hat. Ja und dann … blinkten plötzlich überall die Alarmleuchten. Ich musste die Intensivstation verlassen. Seit zwei Stunden sitze ich hier und warte!“ Seine Stimme veränderte sich in Richtung Hoffnungslosigkeit. Die Schultern hingen herunter. Das war nicht der Konrad Jäger, den Semir kannte. Täuschte er sich oder wurden die Augen von Bens Vater feucht. Er holte tief Luft bevor er mit einer monotonen Stimme fortfuhr, „Irgendeine Schwester hat mir vorhin erklärt, dass die Ärzte bei Ben sind. Man hat mir versprochen, mich über die Untersuchungsergebnisse so schnell wie möglich zu informieren!“ Eine Geste seiner Hände drückte seine Hilflosigkeit aus „Ja, seitdem sitze ich hier und warte!“, murmelte er hinterher.

    Das war nicht die Auskunft, die sich die beiden Autobahnpolizisten erhofft hatten. Die Enttäuschung stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben, als sie sich neben Bens Vater auf den bereitstehenden Besucherstühlen niederließen. Zäh krochen die Minuten dahin. Der Zeiger der Uhr rückte unaufhörlich weiter gen 09.30 h Vormittags. Frau Krüger seufzte gequält auf. Sie focht einen schweren inneren Kampf mit sich aus. Auf der einen Seite wollte sie unbedingt wissen, wie es um ihren Mitarbeiter stand, auf der anderen Seite rief die Pflicht. Der Termin um zehn Uhr bei der Staatsanwaltschaft war vom Polizeipräsidenten angeordnet worden. Schweren Herzens erhob sich Kim von ihrem Stuhl, wenn sie einigermaßen pünktlich zur Besprechung kommen wollte, musste sie aufbrechen
    „Tut mir leid, ich muss gehen. Wir haben wegen dieses Falls eine große Besprechung bei der Staatsanwaltschaft. Frau Schrankmann besteht auf meine Anwesenheit. Sagen sie mir Bescheid, wenn sich etwas Neues ergibt!“, entschuldigte sie sich und ging Richtung Ausgang.

    Schweigend und in ihren Gedanken versunken saßen die beiden Männer im Wartebereich da. Über einen Lautsprecher in der Decke dudelte die Musik eines lokalen Kölner Radiosenders. Aktuell lief der Song „Nothing Else Matters“ von Metallica.

    Marienklinik … zur gleichen Zeit

    Auf der Suche nach seinem Freund hetzte er durch den Wald und rief dabei ständig den Namen seines Partners, „Ben! Ben wo bist du? …. Ben!“ Er rannte, blieb stehen und horchte und rief erneut lauthals „BEN!“ Ein Baumstumpf stand hoch, er übersah ihn und stürzte zu Boden. Der feuchtmodrige Geruch des Waldbodens stieg in seine Nase hoch. Ein Schuss fiel … und noch einer. Er rappelte sich hoch und suchte den Wald mit seinen Blicken ab. Dahinten, da war doch was, eine taumelnde Gestalt. „BEN …. BEN … ich komme!“ All seine Kräfte mobilisierend rannte er zu der Stelle hin. Es sah gespenstisch aus. Die Sonnenstrahlen durchfluteten den Wald. Sanft wiegten sich die Grashalme im Wind. Mitten aus der Wiese ragte eine Hand empor über und über mit Blut benetzt. Panik stieg in im hoch. „Ben! Ich komme!“ Wie erstarrt blieb er stehen, als er seinen Freund vor sich im Gras der Lichtung liegen sah. Sein weißes Shirt war blutdurchtränkt. Unter seinem Körper hatte sich ebenfalls eine riesige Blutlache gebildet. Ben drückte mit seinen Händen verzweifelt auf die Einschussstelle, als könne er damit den Blutstrom zum Stillstand bekommen. Semir zückte sein Handy und setzte einen Notruf ab, obwohl ihm in diesem Moment klar war, kein Arzt der Welt würde Ben retten können. Er brauchte in den nächsten Minuten nur noch einen Freund … einen Freund der ihn auf dem letzten Weg begleitete. Neben seinem Partner kniete er nieder, schob seine ausgezogene Jacke unter dessen Kopf. „Hey Ben! Hörst du mich der Notarzt ist unterwegs. Halte nur noch ein bisschen durch! Ja!“

    Die Augenlider des dunkelhaarigen Kommissars flatterten und öffneten sich. Es dauerte einen Moment bis er Semir erkannte und dessen Namen hauchte. „Semir …. Es ist vorbei …!“ Der kleine Türke strich ihm beruhigend über die Stirn und hielt seine Hände fest, drückte mit ihnen gemeinsam auf die Eintrittsstelle der Kugel in der Körpermitte. „Nicht sprechen Ben, spar dir deine Kräfte!“ Der Dunkelhaarige schüttelte leicht den Kopf. Im Ansatz war sein schelmisches Lächeln sichtbar. Sein Gesicht war aschfahl. „Es ist gut Semir … mir wird … kalt. Es tut auch … gar nicht … mehr weh!“, abgehackt wisperte der Verletzte die Worte. Mit jedem Satz schwanden seine Kräfte. Semir rannen die Tränen über die Wangen. „Hey, … war eine … geile … Zeit … mit … dir.“ Die Pausen zwischen den Worten wurden länger. „Grüß … deine … drei … Mädels … von …mir, … sie … sollen … mich nicht … vergessen! Mein … Freund …vergiss … mich … nicht!“ Nach diesem Satz bäumte sich sein geschundener Körper noch ein letztes Mal auf, bevor er sich entspannte. Mit dem nächsten Atemzug entschwand das Leben endgültig aus Ben. Semir schrie völlig verzweifelt „BEN! Das kannst du mir doch nicht antun!“ ….

    Keuchend schreckte Semir hoch, sein Körper war schweißgebadet. Er saß in einem Bett, sein Pulsschlag raste in ungeahnte Dimensionen. Während sich seine beschleunigte Atmung langsam beruhigte, hörte er neben sich die gleichmäßigen Atemzüge von Andrea und Aida. Der kleine Kommissar versuchte sich zu orientieren, wo war er? Dieser eigenartige Geruch, das Bett … das Zimmer… ohne jeglichen Zweifel, er war im Krankenhaus. Die Bilder seines Traumes peinigten ihn unaufhörlich. Schlagartig setzten die Erinnerungen an den gestrigen Tag ein. Es war traurige Wirklichkeit, Ben lebte nicht mehr. Sein Blick fiel auf Andrea und Aida, die Arm in Arm liegend, friedlich nebeneinander schliefen. Eigentlich sollte er doch glücklich darüber sein, dass er seine Familie gesund und wohlbehalten wieder hatte. Doch der Schmerz über den Verlust seines Freundes raubte ihn fast den Verstand. Er starrte die Decke an. Ein Schauer nach dem anderen jagte durch seinen Körper.

    Vorsichtig, um die Beiden nicht zu wecken, kroch er aus dem Bett, schlich ins Badezimmer und knipste das Licht an. Am Waschbecken hielt er sich fest und betrachtete sich im Spiegel. Sein Körper vibrierte. Sein Gesicht sah um Jahre gealtert aus. Ein paar Hände voll mit kaltem Wasser klatschte er sich ins Gesicht. Er konnte nicht zurück ins Bett und weiterschlafen, zu groß war seine Angst, erneut von einem solchen Alptraum überfallen zu werden.
    Mit müden Schritten schlurfte er zum Fenster und zog leise die Vorhänge zurück. Draußen erwachte der neue Tag, das Morgenrot färbte den Himmel blutrot. Semir starrte durch die Fensterscheibe nach draußen und sah doch nichts. Mit seinen Handflächen stützte er sich auf der Fensterbank ab. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Jedes einzelne seiner Körperhaare stellte sich auf und verstärkte dieses Gefühl der Kälte, das Gefühl der inneren Leere. Tränen liefen ihm über die Wangen. Er war unfähig sich zu bewegen. Seine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Die Erinnerungen daran, wie sich kennengelernt hatten, wieviel Spaß Ben und er gehabt hatten, wie oft sie einander das Leben gerettet hatten, hielten Semir vollkommen gefangen.

    „Guten Morgen Herr Gerkhan!“

    Von ihm unbemerkt war die Nachtschwester Inge ins Zimmer zu ihm herangetreten. „Darf ich ihnen eine Tasse Kaffee bringen?“ Der aufmerksamen Schwester war der Gemütszustand ihres Patienten nicht entgangen. Leise sprach sie weiter.

    „Vergangene Nacht war ihre Chefin hier!“ Bei diesem Satz fuhr Semir herum. „Sie bat mich ihnen etwas auszurichten. Sie sollen sie dringend anrufen.“ Mit diesen Worten überreichte die Schwester Semir dessen Handy. Der Türke verließ das Zimmer. Leise schloss er die Zimmertür und wählte die Handy Nummer von Frau Krüger. Nach dreimal Läuten meldete sich die verschlafene Stimme seiner Chefin.
    „Krüger!“
    „Gerkhan hier, guten Morgen Frau Krüger. Ich sollte mich bei Ihnen melden!“
    „Setzen sie sich erst mal hin!“
    Neue Hiobsbotschaften? …Eine dunkle Ahnung stieg in Semir auf … War seine Familie in Gefahr? Er setzte sich tatsächlich auf einen der Besucherstühle vor dem Krankenzimmer.
    „Ich weiß gar nicht wie ich ihnen das sagen soll?“ stotternd kamen die Worte aus dem Lautsprecher des Handys. „Ben … lebt … noch!“ …

    Semir fiel das Handy aus der Hand und landete mit einem scheppernden Geräusch auf dem blank polierten Krankenhausboden. Sein Körper fing an zu zittern. Er schluchzte auf … Ungläubig schaute der Kommissar in Richtung seines am Boden liegenden Handys, als könne er gar nicht glauben, was ihm darüber soeben mitgeteilt worden ist.

    „Gerkhan … Gerkhan … hören sie mich?“, wie aus einer anderen Welt hallte die Stimme seiner Chefin zu ihm durch. Der Türke ächzte, hob das Handy auf und hielt es an sein Ohr.
    „Ben … lebt! … Wo?... Wo … ist …er? Wie … geht … es … ihm?“, stammelte er und bemühte sich seine Fassung wieder zu gewinnen.
    „Er liegt in der Uni-Klinik Köln auf der Intensivstation. Es geht ihm nicht gut. Um ehrlich zu sein, er schwebt noch in akuter Lebensgefahr. Sein Vater ist bei ihm. Wenn sie möchten, hole ich sie in gut zwei Stunden ab und bringe sie in die Uni-Klinik!“
    „Ja! …ja … ja, ich warte vor der Eingangstür auf Sie!“

    Innerlich völlig aufgewühlt kehrte er zurück ins Krankenzimmer. Waren seine Träume der vergangenen Nacht ein Hilferuf von Ben an ihn gewesen? Seine Frau war inzwischen ebenfalls aufgewacht. Sie verspürte fast körperlich, dass abermals irgendwas geschehen sein musste. Das Gesicht ihres Mannes war leichenblass und er selbst wirkte, als hätte er ein Gespenst gesehen.
    „Semir was ist los?“ Sie ging auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Sein Körper bebte.
    „Ben!“ nur dieses eine Wort kam über seine Lippen. Bevor Andrea etwas erwidern konnte, hauchte er hinterher „Er lebt, Andrea!“
    Nur mühsam gelang es ihr einen spitzen Aufschrei zu unterdrücken. Sie presste ihre Hand ungläubig vor dem Mund und starrte aus weit aufgerissenen Augen ihren Mann an.
    „Woher … weißt du …das?“
    „Ich habe gerade … mit Frau Krüger … telefoniert.“
    Eng umschlungen standen die beiden Eheleute da und versuchten diese Botschaft zu verarbeiten.
    „Ich muss zu ihm Andrea!“ flüsterte er.,
    Sein Blick fiel auf sein friedlich schlafendes Kind und wanderte wieder zurück in das verweinte Gesicht seiner Frau. Er fühlte sich innerlich so hin und hergerissen. Hier seine Familie und auf der anderen Seite sein Freund und Partner. Wie sollte denn nur Andrea Verständnis dafür haben, dass er sie allein lassen würde. Wieder einmal unterschätzte er seine Frau, die ganz deutlich seinen Zwiespalt wahrnahm.
    „Ja, du hast Recht! Ben braucht dich! Mach dir keine Sorgen um uns, ich werde nachher Susanne anrufen!“

    das beste zuerst ... Sarah informiert Semir und der türkische Hengst rückt aus, um seinen Freund zu retten :thumbup::thumbup:
    nur der Rest ... der Rest ...
    kann mich da gut in Ben hineinversetzen ... wie peinlich muss diese Situation für ihn sein, als ihn die Blondine versorgt
    unser Polizist analysiert seine Situation .... und lernt eine bittere Lektion: kein Krankenhaus
    die Blondine wirkt wie ein Eisblock ... aber scheinbar nicht ohne Grund
    und die Dunkelhaarige ... plant neue Rezepturen .. <X<X<X
    klingt gar nicht gut
    nicht nur Ben denkt an die Leiche, die man aus dem Rhein gefischt hat ... ich auch <X

    so eine Dorfgemeinschaft ist schon was wert ... Ludger merkt, dass da was nicht stimmt
    und verständigt Sarah ... mit der möchte ich nicht tauschen, glaube ich wäre ausgetickert, wenn ich das Auto meines Mannes und seine Sachen so vorfinden würde
    Hoffentlich verständigt sie gleich Semir und den Rest der Dienststelle ... wobei?
    wo sollen die Ben suchen
    Ben kehrt zurück in die Wirklichkeit ... und dem schwant, wo er gelandet ist ;(<X<X
    ich befürchte unserem Lieblingspolizisten stehen keine angenehme Stunden bevor

    „Kann ich meinen Sohn sehen?“
    „Ja. …. Ich begleite dich rüber zur Intensivstation.“ Mitfühlend legte er seine Hand um Konrad Jägers Schulter. „Er braucht viel Ruhe!“ Der Arzt blickte die beiden Frauen an. „… ich hoffe meine Damen, sie verstehen das, dass zuerst einmal nur sein Vater zu ihm ins Zimmer darf. Sie können vom Gang aus einen Blick auf ihn werfen.“
    Schweigend gingen sie die Krankenhausflure entlang, bis sie an der Intensivstation angekommen waren. Im Wartebereich vor der Zugangsschleuse mussten sich die beiden Frauen und Konrad Jäger gedulden. Der Chefarzt wollte sich überzeugen, dass die Verlegung des Patienten ohne Komplikation durchgeführt werden konnte. Er nutzte die Gelegenheit, besprach sich mit dem diensthabenden Stationsarzt nochmals wegen des in seinen Augen besonderen Patienten Ben Jäger und hinterließ einige Anweisungen.
    Einige Minuten später holte eine der Nachtschwestern die Wartenden auf die Station. Ben Jäger war in einem Einzelzimmer auf der Intensivstation untergebracht worden. Vor der Schiebetür zum Patientenzimmer blieb Bens Vater wie angewurzelt stehen und musste erst einmal den Anblick seines Sohnes durch das Fenster in der Schiebetür verkraften. Sein Freund, der Arzt, trat neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    Susanne entfuhr ein leiser Schrei des Entsetzens als sie Ben erblickte. „Oh mein Gott, Kim, wer hat ihm das angetan und ihn so zugerichtet?“ Tränen schossen ihr in die Augen und sie konnte sie nicht mehr zurückhalten. Kim nahm sie tröstend in die Arme.

    Der Chefarzt Peter Kraus öffnete die Tür und schob Konrad Jäger sanft in das Intensivzimmer, indem ihm eine ungewohnte Geräuschkulisse empfing, das monotone Zischen der Beatmungsmaschine, das leise Blubbern der Thorax-Drainage und ein ihm unbekanntes Surren durch das Wärmegebläse. Die beiden Frauen beobachteten wie Konrad Jäger zu seinem Sohn ging. Sanft nahm er dessen Hand, strich ihm über die Wangen und redete auf ihn ein und küsste ihn auf die Stirn. Daraufhin kam er zurück zu den beiden Polizistinnen.

    „Sie sollten nach Hause gehen meine Damen!“ Kim und auch Susanne wollten aufbegehren … widersprechen. Bens Vater schüttelte den Kopf. „Sie können gegenwärtig doch nichts für meinen Sohn tun, außer abwarten. Keine Angst, ich bleibe heute Nacht bei ihm. Schlafen sie ein bisschen … wenn sich irgendwas an seinem Zustand ändert, melde ich mich bei ihnen … versprochen … bitte!“

    Nach den verzweifelten und wütenden Worten im Warteraum war vor allem Kim Krüger überrascht, dass Konrad Jäger bei seinem Sohn bleiben wollte. Mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht mit dieser Reaktion. Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sich Bens Vater ab und ließ sich auf einem Stuhl neben dem Bett seines Sohnes nieder.
    Nachdem die beiden Frauen die Intensivstation verlassen hatten, begab sich der Chefarzt nochmals zu seinem Freund. Er blieb hinter ihm stehen und scannte mit einem routinierten Blick die Werte, die die Monitore anzeigten. „Konrad, du kannst so lange du möchtest bei Ben bleiben. Der Pfleger Jonas, der heute Nacht für Ben zuständig ist, bringt dir nachher noch einen bequemeren Stuhl. Ich werde heute Nacht in meinem Arztzimmer auf der Couch schlafen. Wenn es zu Komplikationen kommen sollte, bin ich sofort da!“ So sehr sich Peter Kraus auch bemühte, er fand einfach nicht die richtigen Worte … Worte des Trostes …. Worte der Hoffnung für seinen Freund. Er konnte einfach nur für ihn da sein und klopfte ihn leicht aufmunternd auf die Schulter.

    Konrad wendete den Kopf seinem Freund zu, während er weiter die fixierte Hand seines Sohnes festhielt. In seine Augen schimmerte es feucht. Seine Stimme hatte einen merkwürdig belegten Klang. „Weißt du was das Schlimmste für mich ist Peter?“ Dieser schüttelte ergriffen den Kopf und kniff die Lippen zusammen. Er sah die Angst und Verzweiflung in den Augen seines alten Freundes.
    „Seit dem Tag als Ben zur Polizei ging, habe ich Angst. … Angst vor genau diesem Tag … Angst davor, dass ihm etwas Schlimmes passiert … davor ihn zu verlieren, weil er bei einem Einsatz zu wagemutig war? … Es war ein Alptraum, der mich all die Jahre verfolgt hatte. … und jetzt … jetzt … ist er Wahrheit geworden. … dieser Moment! .. Peter, kannst du dir als Vater etwas Entsetzlicheres vorstellen, als das eigene Kind zu Grabe tragen zu müssen.“ Sein Körper bebte vor Erregung und tonlos murmelte er vor sich hin: „Ich kann nichts anders tun, als hilflos da zu sitzen … schon allein die Vorstellung das Ben in dieser Nacht sterben könnte … es treibt mich an den Rande des Wahnsinns!“
    Konrad beugte sich nach vorne und vergrub sein Gesicht in seiner Hände. Das war nicht mehr der coole und berechnende Geschäftsmann, sondern ein Vater der litt.

    Konrad Jäger saß neben dem Krankenbett seines Sohnes und hielt dessen fixierte Hand fest umschlungen, in der Hoffnung irgendein Lebenszeichen von ihm zu spüren. Er betrachtete das glatt rasierte Gesicht von Ben, das ihn trotz der vielen Schrammen und Blutergüsse, um einige Jahre jünger aussehen ließ. Seine Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit … als Ben noch ein kleiner Junge war … an die glücklichen Tage der Familie Jäger, als seine Frau noch lebte. Unbewusst fing Konrad seine Erinnerungen laut aus zusprechen … erzählte von gemeinsamen Familienausflügen … Urlaubserlebnissen, bis ihn das Aufflammen der Deckenbeleuchtung wieder in die Realität zurückholte. Der Krankenpfleger Jonas betrat das Patientenzimmer und meinte in einem ruhigen Tonfall: „Alles in Ordnung Herr Jäger, ich muss nur schnell ein paar Werte kontrollieren!“
    Stumm beobachtete er den Pfleger und nach einigen Minuten war Konrad Jäger wieder alleine. Sein Blick ging zur Uhr … es war ein Uhr nachts. Die Zeit kroch unerträglich langsam dahin. In seinem Kopf hallten die Worte seines Freundes wider „… Ich weiß nicht, ob Ben die Nacht überlebt …“ Mit einem Schlag war sie wieder da, diese Angst seinen Sohn sterben zu sehen, die er in der letzten Stunde aus seinem Verstand verdrängt hatte. Sie schnürte ihm förmlich die Luft ab, Panik stieg in ihm auf und er schaute sich hilfesuchend im Raum um.
    Im gedämmten Licht des Zimmers starrte Konrad auf das gleichmäßige Heben und Senken des Brustkorbs, angetrieben durch die Beatmungsmaschine. Es war die einzige Bewegung des wie leblos daliegenden Körpers. Nach einer Weile richtete sich sein Blick auf den EKG-Monitor. Der Ausschlag der grünen Linie zeigte den Herzschlag von Ben, gab ihm die Gewissheit noch lebte sein Sohn. Doch wie zum Hohn überfiel ihn sofort der Gedanke, wie lange noch und ließ ihn nicht mehr los.
    Total versunken saß Konrad da und begann wieder mit Ben zu sprechen … sich von der Seele zu reden, was ihn all die Jahre bewegt hatte, was er schon immer seinem Sohn erzählen wollte. Minute um Minute verging, wurde zu einer Stunde … Ab und an versank er in einen Dämmerschlaf, schreckte aber immer wieder hoch, wenn der Krankenpfleger das Zimmer betrat, um seinen Sohn zu versorgen. Mehr als einmal gab eines der Überwachungsgeräte ein Alarmsignal von sich und er wurde gebeten, das Zimmer zu verlassen. Voller Ängste beobachtete Konrad jedes Mal den Pfleger oder den Arzt, die dann in das Patientenzimmer gestürmt kamen durch die Glasscheibe, die das Zimmer vom Gang trennte. Die Erleichterung war grenzenlos, wenn der Arzt Entwarnung gab und er zurück an die Seite seines Sohnes durfte. So vergingen die letzten Stunden der Nacht und draußen brach ein neuer Tag an, wie er durch das Fenster erkannte. Das Farbenspiel der Morgendämmerung verhieß einen sonnigen Frühlingstag. Durch die halb geöffnete Schiebetür hörte Konrad, wie der Geräuschpegel auf der Station langsam anschwoll. Das Personal des Frühdienstes war eingetroffen. In dem Moment veränderte sich die grüne Linie des Herzschlages, die Ausschläge wurden heftiger, die Frequenz erhöhte sich unaufhaltsam nach oben. Hatte er sich getäuscht oder war da tatsächlich eine Bewegung Bens Fingern gewesen. Seine Augenlider? Haben die geflattert? Konrad hatte sich erhoben, wollte gerade den Namen seines Sohnes aussprechen, ihn anreden, als auf den Monitoren, die hinter und neben dem Bett standen, rote und orangefarbene Kontrolllampen aufblinkten und dazu ein lautes akustisches Warngeräusch erzeugten. Innerhalb weniger Sekunden war der Raum voll mit Pflegekräften und Ärzten mit medizinischem Gerät. Eine junge Schwester schob ihn beiseite, aus dem Zimmer raus und gab ihm die Anweisung „Gehen Sie bitte raus! Warten Sie vor der Station!“

    wow!!! Das ging aber schnell!!! :(
    Die Psycho-Tante hat Ben schon in ihrer Gewalt ... und keiner hat es gemerkt
    keiner ahnt etwas davon
    hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist, einen Polizisten zu entführen ...
    lieber Ben, es wäre wohl vernünftiger gewesen, vorher mal den Kollegen Bescheid zu sagen, bevor man eine Verkehrskontrolle im Alleingang macht. <X

    Jemand berührte Kim an der Schulter. Sie schreckte hoch und blinzelte in das besorgte Gesicht von Konrad Jäger. Susanne, die sich bei ihr angelehnt hatte, wurde durch die Bewegung ebenfalls geweckt.
    „Guten Abend Frau Krüger! Wie geht es meinem Sohn?“
    Er reichte ihr seine Hand und half sowohl Kim als auch Susanne beim Aufstehen. Ihr Blick ging Richtung der Uhr. Es war zwischenzeitlich 22.30 Uhr nachts geworden. Im OP-Saal gegenüber brannte immer noch Licht.
    „Guten Abend Herr Jäger, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Als wir hier gegen 21.00 h ankamen, wurde er bereits operiert! Seitdem sitzen wir hier und warten!“

    Konrad Jäger musterte die Chefin seines Sohnes und die blonde Frau neben ihr eingehend. Ihm entging nicht, wie übernächtigt die beiden Frauen aussahen. Die Strapazen der letzten Tage hatten deutliche Spuren hinterlassen. Frau Krüger schien um Jahre gealtert seit ihrer letzten Begegnung, die erst einige Monate zurück lag. So langsam schwante ihm, dass hier mehr passiert sein musste, als ihm seine Sekretärin am Telefon erzählt hatte.

    Suchend schaute er sich um Raum und im angrenzenden Flur um. „Wo ist denn Herr Gerkhan? Warum ist er nicht hier?“, erkundigte er sich verwundert darüber, den Partner seines Sohnes hier nicht anzutreffen. Sein fragender Blick ruhte auf Kim Krüger. Diese seufzte tief auf und erzählte dem Vater von Ben Jäger in kurzen Stichpunkten, was sich die letzten Tage zugetragen hatte. Dieser wurde immer blasser um die Nase und stöhnte mehrmals unwillkürlich auf. Als er hörte, was sich allein am heutigen Donnerstag ereignet hatte, fasste er sich an die Brust und rang sichtlich nach Atem. Als Kim mit ihrem Bericht geendet hatte, ließen sie sich alle drei auf den Plastikstühlen nieder. Sie saßen einfach nur schweigend da und beobachten wie hypnotisiert die Eingangstür zum OP, als könnte diese, ihre Fragen beantworten.
    Zäh verrannen die Sekunden … wurden zu Minuten …zu einer gefühlten Ewigkeit. Die Nervenanspannung nahm spürbar zu. Unruhig knetete Konrad Jäger seine Finger … seine Hände, fuhr sich zum wiederholten Male mit gespreizten Fingern durch das Haar. Als er die Anspannung nicht mehr aushielt, erhob er sich von seinem Stuhl und tigerte unruhig im Wartebereich hin und her. Ungestüm wie ein Gewittersturm nach einem schwülen Sommertag entlud sich seine aufgestaute Anspannung.

    „Verdammt! Verdammt! Verdammt!“ schrie er wütend auf und schlug mit seiner Faust gegen die Wand des Warteraumes. „Warum musste er denn unbedingt Polizist werden? Warum? Sagen Sie es mir Frau Krüger!“ Er stoppte ab und blieb vor der dunkelhaarigen Frau stehen. „Er hätte jeden Job in meiner Firma haben können. Jeden … Er ging auf die besten Schulen und was hat er aus seinem Leben gemacht? … Nichts Absolut nichts … Er riskiert es sinnlos für andere Leute!“ Er redete sich förmlich in Rage. Mit jedem Satz steigerte sich die Lautstärke. Frau Krüger und Susanne saßen wortlos dabei und waren entsetzt über das, was Konrad Jäger da von sich gab. „Und für was arbeitet er? Für einen Hungerlohn! Was hätte er bei mir verdienen können? Und ich? Wer denkt an mich? Ich habe gerade eines der besten Geschäfte meines Lebens sausen lassen wegen meines Sohnes. Nur weil er seinen Dickkopf durchsetzen musste und Polizist werden musste! Ich versteh ihn nicht! … Ich versteh ihn einfach nicht!“ Aller Illusionen beraubt, ließ sich Bens Vater wieder auf einen der Stühle fallen, der unter dem Aufprall seines Gewichtes verräterisch ächzte. Wieder herrschte Schweigen im Raum.

    Unverhofft öffnete sich die Tür zum OP-Bereich. Ein müder und erschöpfter Arzt betrat den Gang und steuerte auf das Wartezimmer zu. Konrad Jäger sprang förmlich aus seinem Stuhl hoch und stürmte dem in weiß gekleideten Arzt entgegen.

    „Guten Abend, Peter? … Du? …“, entfuhr es ihm verwundert „Hast du meinen Sohn operiert? … Kannst du mir sagen, wie es Ben geht?“ Die letzte Frage hörte sich schon flehentlich an. Vor ihm stand Professor Dr. Peter Kraus, Chefarzt der Chirurgie an der Uni-Klinik und ein langjähriger Freund aus seinen Jugendtagen. Die Freundschaft hatte all die Jahre überdauert, auch wenn sich die beiden Männer in den letzten Jahren nicht mehr so oft trafen wie früher.
    Konrad baute sich förmlich vor seinem Freund auf, hoffte auf eine Antwort … Der Arzt, der so gar keinen Wert auf seine Titel legte, weil er der Meinung war, war zählt, ist der Mensch, streifte sich müde über das Gesicht. Seine verschwitzten grauen Haare klebten am Kopf. Ihm waren die Anstrengung der letzten Stunden deutlich anzusehen.

    „Guten Abend, Konrad. Ja … ich habe das OP Team geleitet, das deinen Jungen in den letzten Stunden operiert hat. Wollen wir uns nicht lieber hinsetzen?“ Seine Hand ging einladend in Richtung der Stühle, während sein Blick fragend in Richtung Kim Krüger und Susanne abschweifte.
    „Da ist die Vorgesetzte meines Sohnes und eine Arbeitskollegin. Wir warten hier schon seit Stunden … eine gefühlte Ewigkeit … Wie geht es ihm? …. Lebt Ben noch?“ fast schon flüsternd kamen die Worte aus dem Mund des sonst so taffen Geschäftsmannes. Kim und Susanne nahmen neben ihm Platz. Gebannt und gleichzeitig fassungslos verfolgten sie den Ausführungen des Chefarztes, dem man ansah, wie er nach den richtigen Worten suchte. Der Arzt überlegte nur Sekundenbruchteile, wie detailliert er die Verletzungen des Patienten beschreiben sollte.
    „Ich will dir nichts vormachen Konrad. … Ben befindet sich in einem äußerst kritischen Zustand. Ich weiß momentan nicht, ob er die Nacht überhaupt überleben wird.“
    Bei diesen Worten beugte sich der Arzt leicht vornüber, ergriff die Hände seines Freundes und umschlang diese voller Mitgefühl. Es kostete den Arzt einiges an Überwindung, dass sein Tonfall ruhig und sachlich blieb. „Mit anderen Worten Konrad es ist ein Wunder, dass dein Junge überhaupt noch lebt … lebend im Krankenhaus angekommen ist!“ Dr. Kraus holte tief Luft und atmete deutlich hörbar aus. Er spürte wie die Hände seines Freundes zitterten. „Ich will es kurz machen. … Während der OP stand sein Zustand mehrmals auf des Messers Schneide, weil sein Kreislauf zusammengebrochen ist … diese schweren inneren Blutungen im Bauchbereich … und der Lunge konnten vorerst gestoppt werden … er bekam Bluttransfusionen, um den enormen Blutverlust auszugleichen … die Kugel wurde entfernt … und seine sonstigen offenen Wunden und die Stichverletzung wurden versorgt und genäht…“ Der Professor schwieg für einen Moment und sammelte sich innerlich, bevor er mit seinen Ausführungen fortfuhr. Er kannte ja schließlich den jungen Mann, den er in den letzten Stunden operiert hatte, seit er laufen konnte und konnte das nicht einfach aus seiner Gefühlswelt ausblenden. „Seine rechte Niere macht uns noch große Sorgen … Mein Chefarztkollege aus der Urologie, Dr. Waldner, war mit im OP dabei und versucht eine Entfernung der rechten Niere zu vermeiden … In den nächsten Stunden können wir einfach nur noch abwarten … Wir haben ihn auf die chirurgische Intensivstation verlegt und werden ihn in den nächsten Stunden beatmen und sediert lassen.“
    Als der Arzt verstummte, schien die Zeit in dem Raum still zu stehen. Die beiden Männer, die sich gegenüber saßen, blickten sich an und Peter Kraus konnte nur erahnen, was in seinem Freund vorging. Er wusste, dass Konrad Jäger und sein Sohn nicht das beste Vater-Sohn-Verhältnis in den letzten Jahren hatten, weil der Unternehmer mit dem Berufswunsch von Ben nicht einverstanden gewesen war. Letztendlich war es ihm mit seinem Sohn Tim ähnlich ergangen. Als stolzer Vater hatte er sich auch immer gewünscht, dass Tim in seine Fußstapfen tritt und Medizin studiert. Stattdessen kletterte sein Junior in fremden Ländern auf irgendwelchen Bergen herum, um Vulkane zu erforschen. Doch etwas wusste Peter Kraus sicher, auch wenn es für Außenstehende nicht ersichtlich war. Konrad Jäger liebte seinen Sohn.
    Die Gedanken des Chefarztes wanderten zurück zu den dramatischen Minuten im OP Saal, als er erkannt hatte, welcher Patient da auf dem Operationstisch lag. Es hatte ihn an die Grenze seiner psychischen Belastbarkeit gebracht, Ruhe auf sein Team auszustrahlen und seine ganze Kraft und Konzentration darauf zu fokussieren, dem jungen Mann das Leben zu retten.