„Vorerst kein Wort zu den Albanern, dass dieser Rashid tot ist, vor allem dieser Sascha Celik darf nichts davon wissen. Es reicht, wenn die komplette Polizei von Nordrhein-Westfalen hinter dir her ist. Da brauchen wir diese albanischen Hackfressen nicht auch noch im Genick!“ Wieder nickte sie zustimmend. „Gut, dann hätten wir ja einiges geklärt!“ brummte er.
In Gabrielas Mimik arbeitete es. Entgegen ihrer sonstigen so dominanten Art verhielt sie sich zurückhaltend und schweigsam. Daher legte er noch einen nach.
„Hast du überhaupt schon mal einen Gedanken daran verschwendet, was du nach deinem Rachefeldzug unternehmen willst? … Zurück in den Knast gehen, wo wir dich rausgeholt haben? …. Was? …. Sag mir was?“
Als Antwort erntete er ihr Schweigen.
Im einem scharfen Tonfall brüllte er sie an: „Also, ich höre! … Welche Pläne hast du für deine Zukunft Gabriela? Camil oder ich möchten wieder nach Kroatien oder Serbien, wenn diese Aktion hier zu Ende ist und nicht in irgendeinem deutschen Gefängnis bis an unser Lebensende vermodern.“
Sie schluckte, ihr Körper vibrierte und etwas kleinlaut gestand sie ihrem ehemaligen Ausbilder: „Darüber habe ich mir noch keine endgültigen Gedanken gemacht!“
„Keine! Ich glaube es nicht!“, er lachte lauthals und voller Ironie auf und schüttelte ungläubig den Kopf, „Dann wird es wohl langsam Zeit! Laut Camil macht es der Kerl da unten im Keller nicht mehr lange! Ein paar Stunden vielleicht noch oder er hat den Löffel bereits abgegeben! Einen nochmaligen Mordanschlag an Julia Jäger kannst du dir mal aus dem Kopf schlagen. Die wird, wie der Rest der Familie Jäger, wie das Gold in Fort Knox bewacht. Also, was hast du vor? Wer steht noch auf deiner Liste des Todes? Gerkhan?“ Dabei deutete er auf ihren verstümmelten rechten Oberarm, „Wenn du mich fragst, sollten wir hier unsere Zelte abbrechen und schleunigst verschwinden! Gib dem Bullen im Keller den Gnadenschuss und schmeiß seine Leiche seinen Bullenkollegen auf die Autobahn. Dort können sie seine Reste vom Asphalt zusammenkratzen.“ Er legte eine kleine Pause ein und suchte Blickkontakt mit ihren Augen. Seine Stimme klang milder. „Lass uns für einige Monate untertauchen und Gras über die Sache wachsen. Der Türke läuft dir nicht weg.“
Remzi drehte sich um und wollte das Zimmer verlassen. Unter dem Türrahmen hielt einen Moment inne und wendete sich der Kroatin nochmals zu.
„Also denk nach, Gabriela! Ich reinige mit Camil in der Zwischenzeit den Kellerraum, beseitige alle verräterischen Spuren im Haus und entsorge die Leiche. Bis zum Abend erwarte ich eine Entscheidung von dir oder ich bin morgen früh weg!“
Nachdenklich stapfte der Serbe in den Keller zu seinem Freund Camil.
Remzis Laune war an dem absoluten Tiefpunkt angelangt, als er den Kellerraum betrat und sie besserte sich auch nicht, als er die Leiche des Albaners sah.
„Schöne Sauerei!“, kommentierte er.
„Hey, rauch erst einmal eine Kippe!“, meinte Camil und hielt ihm auffordernd die Zigarettenschachtel hin. „Beruhigt die Nerven!“
Die beiden Söldner durchschritten den Raum zur geöffneten Terrassentür. Während sie am Türrahmen lehnend tief den Rauch der Zigaretten inhalierten, informierte Remzi seinen Freund über das Gespräch mit Gabriela und das Ultimatum, das er ihr gesetzt hatte. Zustimmend nickte der Jüngere. Daraufhin beratschlagten die beiden, wohin sie die Leiche entsorgen könnten.
„Wo ist die kleine Russin?“, fragte der Grauhaarige nach. „Hat Gabriela sie auch gekillt?“
Er blickte sich suchend im Raum um.
„Nein, der ist nichts passiert! Ich habe sie nach oben auf ihr Zimmer geschickt!“
„Sehr gut!“ Genüsslich leckte sich Remzi über die Lippen. „Die gehört heute Nacht mir oder bist du auch auf sie scharf?“
„Warum nicht?“, meinte der Schnauzbärtige grinsend, „Wenn du mir was übrig lässt ist oder habe ich Vortritt? Vielleicht so wie in alten Zeiten? Gegen so ein Häschen im Bett hätte ich nichts einzuwenden. Was Maria nicht weiß, macht sie nicht heiß!“
Spöttisch lachte er auf und sein Freund fiel in das Lachen mit ein. Voller Vorfreude glitzerten seine Augen.
„Übrigens, wie geht es dem Bullen? Lebt er noch?“, erkundigte sich Remzi, als er seine dritte Kippe achtlos nach draußen in Richtung des leeren Pools schnippte.
„Bevor du runter kamst, war ich bei ihm. … Ja, er lebt noch. Der Bursche ist unglaublich zäh. Trotzdem, die Nacht wird er mit den Verletzungen nicht überleben!“ Er klopfte seinem Kumpel auffordernd auf die Schulter, „Komm lass uns anfangen, sonst werden wir niemals fertig. Ich denke morgen früh geht es zurück in die Heimat.“
*****
In seinem Kopf breitete sich plötzlich ein schallendes Gelächter aus. Das Lachen wurde lauter und lauter. Gehässig … bösartig …
„Na wie gefällt dir das Jägerlein?“, drang die Stimme der Kroatin zu ihm durch. Er wandte seinen Kopf suchend umher und erblickte seine Schwester.
„Julia!“, entfuhr es ihm. Völlig entsetzt blickte er in ihre Richtung. Sie lag in einem Krankenbett und ihr Nachthemd, die Zudecke und das Kopfkissen waren blutdurchtränkt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Bruder anklagend an.
„Du bist schuld Ben! … Du bist schuld daran, dass sie mich umgebracht haben!“ hauchte Julia. Sie verstummte und aus ihren Augen wich das Leben.
„Nein! … Nein!“, schrie er, „das ist doch alles nicht wahr!“
„Na, wie fühlt sich das an, der Mörder seiner Schwester zu sein, Jägerlein?“, wisperte Gabriela, die neben dem Totenbett auftauchte. Ihr Tonfall troff vor falschem Mitleid.
„Neiiiiiiin!“, brüllte Ben nochmals lauthals. „Neiiiiiin! …. Juliaaaaaaaaaaa!“
Er schlug seine Hände vor das Gesicht, um seine Augen zu bedecken. Er konnte diesen grausamen Anblick nicht länger ertragen. Von einer Sekunde zur anderen verstummte das schauderhafte Gelächter der Kroatin.
Stattdessen verbreitete sich ein unsagbarer Schmerz in seinem Körper, schien ihn förmlich innerlich aufzufressen. Ben riss die Augen auf und blinzelte den Nebel, der davor waberte, weg. Er fand sich liegend auf einem weichen grauen Untergrund wieder. Einzelne Erinnerungsfetzen kamen auf … da waren wieder die Szenen des Attentats auf Julia … der Schuss des Albaners … auf einmal war alles wieder da. Er war bereit gewesen, das größte Opfer zu bringen, welches ein Mensch für andere geben kann: Sein Leben. Er wollte sterben, um das Leben derer, die er am meisten liebte zu retten.
Welchen Preis sollte er noch zahlen?
Was verlangte das Schicksal noch von ihm?
Warum hatte dieser hasserfüllte Narr nur so daneben gezielt und sein Leid, seine Qualen noch vergrößert? Warum?
Unbarmherzig brandete in Intervallen eine neue Feuerlohe aus Schmerz nach der anderen durch seinen Körper, wütete in seinem Leib. Ben krümmte sich zusammen, brüllte seine Höllenpein hinaus. Dabei kam nur ein klägliches Wimmern über seine Lippen. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, die sich einsam ihren Weg über seine Wangen suchten. Mit den Fingern seiner rechten Hand tasteten er über seinen Bauch, spürte den weichen Mull des Verbandes. Herzzerreißend stöhnte er auf … eine Frage hämmerte in seinem Kopf herum … Wie lange würde seine Leidenszeit noch dauern, bis es endgültig vorbei ist.
Ben war beseelt von dem Wunsch zu sterben … es sollte einfach vorbei sein … er konnte, nein er wollte nicht mehr kämpfen. Langsam schwand sein Bewusstsein und er driftete ab in die Schattenwelt.
Ende des zweiten Teils ….