Beiträge von Krypto

    Es dauerte trotzdem eine halbe Stunde lang, bis Semir im Schockraum der Klinik ankam. Trotz weiterer Volumengabe und kreislaufstützender Medikamente verschlechterte sich Semirs Zustand während der Fahrt. Im Schockraum wurde er umgelagert.
    Die Ärztin beeilte sich mit der Übergabe – heute war mal wieder die Hölle los! Auch das Team vom Rettungsdienst verabschiedete sich – sie mussten so schnell wie möglich ihre Ausstattung reinigen und auffüllen! Die Leitstelle brauchte sie so schnell wie möglich zurück.
    Gerade wollte man Semir mit dem mobilem Röntgengerät untersuchen, da stiegen plötzlich Blutdruck und Puls.

    Das erste, was Semir bemerkte, war die Schwere seiner Glieder. Die heftigen Schmerzen. Die vollumfängliche Dunkelheit. Er konnte sich nicht rühren, keine seiner Zellen schien ihm mehr zu gehorchen. Nicht einmal die Augenlieder ließen sich bewegen. Kein Laut entwich seinem Mund, der mit irgendetwas gefüllt war. Panik ergriff ihn. Wo war er? Was war passiert? Er spürte sein Herz rasen. So schnell, so unbändig, dass ihm das Hämmern des Pulsschlags in den Ohren kreischte. Im selben Moment musste etwas an seinem Verhalten seine Peiniger informiert haben, dass er im Begriff war, zu sich zu kommen: Ein schriller Alarm ertönte. Semir hörte ein Fluchen. Ein unmenschlicher Schmerz durchzog seinen Kopf. Ihm wurde übel. Wieder verlor er das Bewusstsein und mit ihm jeden Schmerz.


    Die Anästhesistin wusste sofort, was passiert war: „Das Ketamin lässt nach!“ Kaum hatte sie ihren Patienten mit einer passenden Narkose versorgt, sackte der Blutdruck ab. Der rasende Puls war nicht mehr an den Handgelenken, nur noch am Hals schwer tastbar. Dr. Seywald hatte den Brustkorb so gut wie möglich versorgt und die Atmung gesichert. Gegen die Blutung, die sich laut dem ersten Ultraschall im Schockraum in Semirs Bauch ausbreitete und die Blutung, die im Oberschenkel stattfinden konnte, waren alle präklinischen Maßnahmen machtlos.
    In Windeseile packte das Schockraumteam alles Erforderliche zusammen und Semir kam in den OP. Dort leuchtete die Anästhesistin ihrem Patienten nochmals in die Augen und stellte erschrocken fest: "Er hat eine klare Pupillendifferenz!"

    Endres war den beiden Flüchtigen gefolgt, hatte aber nach dem Abbiegen das Licht ausgeschaltet. Sie hatten gerade noch beobachten können, wie der Transporter in den Hof abbog. Alex gab über Funk ihre Position bekannt. Auf eine Bestätigung wartete er gar nicht, sondern stieg aus und rannte zu dem Tor. In der Dunkelheit erkannte er den Transporter. "Brightwhite" stand auf dem Firmenschild des Hauses, das in dem Hof stand. Endres hatte Alex nicht aufhalten können - er wusste, dass er damit auch keinen Erfolg gehabt hätte: Alex wollte nur noch diese Typen stoppen, die seinen Partner niedergeschossen hatten. "Sag mal, Susanne: Was stellt Brightwhite eigentlich her? Da stehen so Kanister auf dem Hof...," fragte Endres bei Susanne nach.

    "Brightwhite" stellt besonders reines Wasserstoffperoxid in verschiedenen Konzentrationen her und vermarktet es. Abnehmer sind Medizin, Kosmetik- und Reinigungsindustrie...." Im Hintergrund hörte Endres den Ruf einer unbekannten Stimme. Dennoch fragte er Susanne : "Lass mich raten, das Zeug verträgt keine Explosionen?" "Wie man's nimmt: Das ist hoch brennbar!" In diesem Moment fiel ein Schuss. "Scheiße, Susanne!" Es fielen zwei weitere Schüsse. "Schick her, wen du hast!" "Jenny und die Kollegen vom LKA müssten gleich bei dir sein."

    Semir spürte einen Druck in seinem Arm, er hörte das Piepsen des EKGs und das leise Rauschen des Sauerstoffs. Wärme stieg in ihm auf. Der Schmerz lies nach. Endlich. Er atmete ein paar Atemzüge ein und aus. Ihn überkam das Gefühl, alle seine Muskeln würden jeden Dienst versagen. „Gleich haben Sie's geschafft,“ sagte Dr. Seywald. Was noch an Panik da war, wich jetzt einer merkwürdigen Gleichgültigkeit und bleiernen Müdigkeit. Semirs Augenlieder wurden noch schwerer, er konnte Sie nicht mehr halten. Er blinzelte. Das Piepsen entfernte sich. Die Kinder waren da. Sie spielten mit einer großen Puppe. Nein! Einer Toten! Steffi? Ismael? Nein!!! Semir wollte schreien und konnte nicht. Jemand arbeitete an seinem Hals. Aber da kam Andrea ihm näher: „Es ist nur ein Traum. Alex erledigt das schon für dich...“ Sie streichelte ihm über die Wangen, wie sie es damals getan hatte, nach dem Autounfall mit Ben. Es wurde dunkel, Semir hatte das Gefühl, in warmes Wasser zu tauchen. Es war gut, er ließ es geschehen. Dr. Seywald intubierte ihn problemlos und schloss ihn an die Beatmungsmaschine an, nachdem sie die Lage des Tubus überprüft hatte. Das wieder angelegte Stiffneck und die seitliche Kopfstütze sollten mögliche weitere Schäden an den Wirbeln während des Transports verhindern. Allein auf dem Weg von hier wieder zurück auf die Straße warteten Schlaglöcher. Angesichts des Feierabendverkehrs in Köln, der ihr schon auf der Anfahrt Probleme bereitet hatte, legte Dr. Seywald noch vor Ort eine Thoraxdrainage in die verletzte Seite des Brustkorbs und schloss sie an die Absaugpumpe an. Denn durch das Einschussloch einströmende Luft und Blut hatten die Lunge verdrängt und behinderten die Atmung. Die Volumenersatzlösung lief. Sie machten sich mit Sondersignal auf den schnellsten Weg in die Klinik.

    Sie hörten das Signal des NEFs. „Endlich,“ entfuhr es den beiden Rettungsdienstlern. Kurz darauf betrat Dr. Seywald mit ihrem Fahrer den RTW.
    „Was liegt an?“
    „Polizist, 50 Jahre, keine Vorerkrankungen. Schussverletzungen links thorakal und links im Oberschenkel. Kurze, anfängliche Bewusstlosigkeit, bei unserem Eintreffen ansprechbar aber somnolent, starke Schmerzen. Sättigung initial bei 80% mit O2-Gabe über Maske bei maximal 85%, daher assistierte Beatmung, dabei Sättigung 95 und besser. Blutdruck initial bei 100/90, jetzt bei 90/60. Tachycard, initial 115, jetzt zwischen 130. Letzte Mahlzeit war das Frühstück,“ wies Ina die Ärztin ein.
    “2x Ringer läuft. Haes ist vorbereitet. Ketamin, Dormicum, Norcuron und Suxi sind aufgezogen, Intubation vorbereitet. Wollen Sie noch Atropin, “ ergänzte Sven.
    Die Ärztin, die eben noch auf die noch nicht fertig versorgte Wunde am Brustkorb gesehen hatte, nickte zustimmend. „Danke, gute Arbeit.“
    Dann begab sie sich zu Semirs Kopf. „Mein Name ist Seywald, Herr ...“
    „Gerkan“, ergänzte Sven.
    „Endlich“ seufzte er unter der Maske, während ihm Ina weiter beim Atmen half und schloss wieder die Augen. Dr. Seywald leuchtete Semir kurz in die Augen, konnte aber nichts Auffälliges feststellen. Sie hörte ihren Patienten kurz ab, kommentierte das Ergebnis mit „ein Pneu,“ und ließ sich von Sven nochmals alle Medikamente zeigen. Sie nickte zufrieden und meinte:
    „Dann werden wir mal loslegen. Herr Gerkan, öffnen Sie bitte nochmals die Augen. Ich möchte, dass Sie mich jetzt ansehen, so lange es ihnen möglich ist. Okay?“ Semir stöhnte und bejahte. Das grelle Licht über ihm verursachte pochende Schmerzen in seinem Schädel.
    „Sie haben schwere Verletzungen. Sie bekommen gleich eine Narkose, dann sind die Schmerzen weg. Ich übernehme ihre Beatmung. Sie werden das Bewusstsein verlieren. Es kann sein, dass Sie kurz etwas unangenehme Träume haben, das ist eine Nebenwirkung des Ketamins. Ich werde Ihnen dann einen Schlauch in die Atemwege führen und Sie an die Maschine anschließen. Haben Sie mich verstanden?“ Semir presste ein „Ja“ hervor. Was auch immer sie sagte, was auch immer sie tun würde: Er fühlte sich gerade wie ein unwillkommener Gast in seinem eigenen Körper! Die weichen Hände von Ina wichen dem festen Griff von Dr. Seywalds langen spitzen Fingern.
    „Schauen Sie mich bitte weiter an, bis es gar nicht mehr geht.“ Semir riss die Augen wieder auf. Das alles war ein Albtraum...

    Kurz vor der Autobahn tauchten mehrere schwarze Fahrzeuge mit Blaulicht am Horizont des Gegenverkehrs auf. Deniz fluchte. Er wechselte auf die rechte Spur und bog scharf rechts in eine dunkle Seitenstraße ab. Gerade kam ihnen ein Fahrzeug aus einem noch offenen Tor entgegen. Deniz nutzte die Gelegenheit und fuhr auf den großen, beleuchteten Hof. Dort stellte er den Transporter ab. Das Rolltor schloss sich. "Was soll das," fragte ihn sein Begleiter. "Wir warten. Entweder starten wir von hier aus oder wir führen die Polizei direkt vor den Richter." Deniz wies Abdel Waarit auf mehrere Kanister an der Mauer hin.

    Hm, ich verstehe ja, dass Marvin jeden Strohhalm gierig greift, aber allein aus dem Bisschen Schwein, sollte er im Zeitalter der Pferdefleischlasagne nicht zu viel Hoffnung haben (auch wenn wir wissen, dass es berechtigt ist). Und ob Klinke nicht gelegentlich zum Nachspritzen kommt, wissen wir auch nicht. Der wird ja wohl gut auf seine Investition aufpassen ;(

    Sven hatte schon alles für zwei großlumige Zugänge vorbereitet und machte sich an die Arbeit. „Dann kann der Arzt Ihnen gleich was gegen die Schmerzen geben.“ Semir stöhnte zustimmend. Ina klebte die EKG-Elektroden auf den Brustkorb und sprach ihn an: „Herr Gerkan?“ Semir öffnete mühsam die Augen. „Ihre Sauerstoffsättigung ist trotz der Maske nur bei 85 %. Das ist zu wenig. Ich weiß, Sie haben Schmerzen beim Atmen. Darum werde ich Sie dabei unterstützen... Keine Angst, es tut nicht weh. Ich klappe gleich die seitlichen Kopfstützen weg, nehme Ihnen das Stiffneck ab und strecke dann ganz vorsichtig den Kopf leicht nach hinten. Wenn es weh tut, bitte sofort melden!“ Semir stimmte leise zu. Es tat wirklich nicht weh. Die weichen, warmen Händen in den Handschuhen, die sich mit seinem Kinn beschäftigten, waren in keinster Weise unangenehm. Er dachte an Andrea. An ihre Berührungen. An den Kuss heute Morgen. Irgendwie war langsam alles um ihn herum wie in einem dicken Nebel. „Zugänge liegen, Ringer läuft, Haes ist vorbereitet. Ich ziehe mal die Medis auf,“ informierte Sven seine Kollegin, die dankend nickte. „Jetzt werde ich Ihnen die Maske abnehmen und eine andere auf das Gesicht drücken. Auch hier kommt Sauerstoff raus. Ich unterstütze Sie beim Einatmen, in dem ich mit dem Ambubeutel den Sauerstoff zusätzlich in Ihre Lungen bringe. Es ist ungewohnt...“ Mit einer Hand umklammerte sie gekonnt Semirs Kinn und die Maske. Kurz stieg Panik in ihm auf. Das dunkle Ding auf Mund und Nase, der feste Griff... Er riss die Augen auf. Sein rechter Arm schnellte nach oben. „Ganz ruhig. Einatmen!“ Mit der einen Hand presste sie den Gummisaum der Maske auf Semirs Gesicht. Mit der anderen Hand drückte Frau Golmati den Ambubeutel aus. „Ausatmen......einatmen.“ Sie lächelte, er bemerkte schnell, wie viel leichter es wurde. Der Kopf wurde wieder klarer. Doch mit jedem Atemzug wurden die Schmerzen auch schlimmer. Alle, nicht nur die beim Atmen. Er schloss die Augen und stöhnte beim Ausatmen, das besonders schmerzhaft war. Die Sättigung war gestiegen, Ina war mit den 95% zufrieden und erklärte ihrem Patienten, dass die stärkeren Schmerzen daher rührten, dass er nicht mehr durch den höheren CO2-Spiegel im Blut betäubt wurde. Semir stöhnte immer lauter unter der Maske, während Ina ihm – inzwischen ohne Anweisungen - weiter beim Atmen half. Sven hatte nach einer erneuten Blutdruckmessung Semirs Kleider aufgeschnitten. Die Schussverletzungen bluteten. Der Schuss im Oberschenkel war mittig und schien tief. „Ich mache einen Druckverband und decke sie steril ab,“ sagte er und nahm kurzerhand die beiden vorhandenen Vakuumschienen als Polster, um auch hier den Transport ohne weitere Schäden zu gestalten. Ina sah hoch. Wo blieb denn nur der Notarzt?

    Das Atmen fiel so unendlich schwer. Es tat weh. Alles tat weh. Sein Kopf dröhnte. Semir lag mit dem Oberkörper auf den Oberschenkeln von Jenny und hatte die Augen geschlossen. Er konzentrierte sich nur noch aufs Atmen, das war schon genug. Seine Lippen hatten alles Rot verloren.
    „Halte durch! Bleib wach,“ forderte Jenny ihn auf. „Da kommt der RTW.“
    Semir blinzelte leicht, alles war schwarz-weiß. Der RTW hielt kurz vor ihnen neben dem Carport des Fahrzeugdepots.
    „Was ist passiert,“ fragte die Rettungsassistentin scharf und stellte ihren Rucksack ab.
    „Zwei Schüsse, in Brust und Oberschenkel. Am Kopf blutet er auch“ fasste Jenny zusammen.
    Die Rettungsassistentin kniete sich zu ihm: „Ina Golmati vom Rettungsdienst. Hören Sie mich, Herr...“
    „Gerkan,“ ergänzte Jenny.
    „Ja.“
    „Können Sie die Augen öffnen?“
    Semir blickte in das freundliche Gesicht einer kräftigen Frau mit braunem Haar und Lachfalten.
    „Sehr gut. Haben Sie starke Schmerzen?“
    „Hm,“ Semir kniff die Augen zusammen und nickte leicht. „Kaum Luft,“ keuchte er. Er zitterte vor Kälte und Schmerz.
    „Okay. Darum kümmere ich mich gleich. Der Arzt braucht noch einen Moment, bis er hier ist. Wir bringen Sie jetzt erst mal von dem kalten Boden hier weg. Ist er auf den Kopf gefallen? War er bewusstlos?“ Jenny zuckte mit den Schultern: „Als ich dazukam, lag er schon bewusstlos auf dem Boden.“
    „Sven, wir brauchen ein Stiffneck und die Schaufeltrage,“ informierte sie ihren Kollegen. Sie gab Herrn Silvretta mehrere Kompressen und ein Verbandspäckchen und fragte :
    "Bekommen Sie das hin?"
    "Klar, das brauchen wir hier öfter," murmelte der und verband Semir mit geübten Bewegungen die Wunde am Kopf. In der Zwischenzeit steckte Ina Semir mit Jennys Unterstützung Semir das Pulsoxymeter an einen Finger und gab ihrem blassen Patienten Sauerstoff über eine Maske. Sie maß Blutdruck und Puls.
    Ina fragte ihn:„Wann haben Sie zuletzt gegessen?“
    „Morgens,“ presste Semir hervor. Von dem nagenden Hunger, den er vor dem Einsatz gespürt hatte, war jedoch nichts mehr vorhanden.
    "Haben Sie Allergien, Vorerkrankungen?"
    "Nein," keuchte er.
    Nachdem Ina ihm das Stiffneck angelegt hatte, halfen Sven, Jenny und der Bauhofleiter ihr beim Umlagern auf die Schaufeltrage.
    „Ich habe leider gerade festgestellt, dass unsere Vakumatratze den letzten Einsatz nicht gut überstanden hat,“ erklärte Sven entschuldigend, als sie Semir vorsichtig auf die Transporttrage legten und den Oberkörper erhöhten. Er schrie vor Schmerz auf.

    „Schon vorbei. Wir gehen schnell mit Ihnen in den warmen RTW.“ Ina rückte die Kopfstütze nah an Semirs Ohren. Die Geräusche wurden leicht gedämpft, der Kopf konnte nicht mehr zur Seite. Sie rollten die Trage über den feuchten Boden in den RTW und schlossen die Türen.
    Auf Jenny und den Bauhofleiter kam ein Auto zu: Es stiegen zwei Kollegen von Hartmut aus, die sich gleich daran machten, den Tatort zu sichern. Herr Silvretta seufzte und sah zu Jenny. Diese blickte gedankenverloren auf den innen hell erleuchteten RTW.
    "Wenn Sie wollen," bot er ihr an "können Sie kurz reinkommen, die Hände waschen und vielleicht was anderes anziehen. Ich habe allerdings nur Arbeitskleidung da..." Jenny sah an sich herunter und willigte ein. Sie gingen gemeinsam in die Richtung der Werkstatt, als die Notärztin dazu kam.

    Sehr schönes Kapitel! Ich konnte mir den Interimschef sehr gut vorstellen. Hoffentlich überlebt Gabriela nicht... Soll ja immer wieder zu Komplikationen kommen... Aber natürlich nicht bei Ben und Semir!

    Auch Deniz Celan sah den Stau. Er riss das Lenkrad des Wagens um. Nur noch auf den zwei linken Rädern fahrend, wendete er den Transporter mitten im Verkehr. Dabei rammte er mehrere kleine PKWs, doch das störte ihn nicht. Er kannte keine Angst mehr, keinen Schmerz. Alles, was er wollte, war: Sein Ziel zu erreichen. Wenn er es schon bei seinem geliebten Großvater nicht geschafft hatte, dann wollte er wenigstens anderen zeigen, wohin sie mit ihrer sündhaften Lebensweise kämen: Direkt in die Hölle! Und die würden er und Abdel Waarit nun bald veranstalten - wenn er nur die Polizei noch loswäre! Eigentlich hatten sie erwartet, noch genauere Angaben zum Ort ihrer Aktion zu bekommen. Aber bis jetzt war nichts gekommen, also mussten sie selbst die Sache in die Hand nehmen. Er sah zu seinem "Bruder" Abdel Waarit. Der konnte gut schießen, aber auch davon ließen sich die beiden hinter ihm kaum beirren. Jetzt fuhr er auf der mehrspurigen Strecke stadtauswärts. Irgendwo hier musste doch die Auffahrt zu Autobahn kommen? An der nächsten Raststätte würde er sich furchtbar rächen.

    Semir regte sich. "Semir! Gott sei Dank," stieß Jenny aus. Er hatte große Schmerzen. Aber noch größer war seine Angst, zu ersticken - er bekam kaum Luft! "Hilf mir," flüsterte er und versuchte, sich aus der Seitenlage zu drehen. Gerade da kam Herr Silvretta mit einem Verbandskasten zurück. Er kniete sich neben Semir und Jenny ins Scheinwerferlicht. Als er den Kasten öffnete,waren darin nur noch ein Dreiecktuch und eine Rettungsdecke. "So ne Sauerei," fand er. Er half Semir, sich umzudrehen und seinen Oberkörper auf den Oberschenkeln der knienden Jenny abzulegen. Die reichte dem Bauhofmitarbeiter ein paar Einmalhandschuhe aus ihrer Jackentasche rüber. Es reichte ja, wenn ihre Hände schon voll mit Blut waren - am Kopf schien Semir auch eine Wunde zu haben. Gemeinsam zogen sie Semir vorsichtig die Schussweste aus.
    ." Scheiße," murmelte Jenny:"Genau den am wenigsten geschützten Teil in der Seite getroffen!"
    Semir stöhnte, seine Lippen waren bläulich. "Na, Sie seh'n aber nit jut aus," Herr Silvretta. Er packte geräuschvoll die Rettungsfolie aus und breitete sie knisternd über den Verletzten.
    "Nehmen Sie das Dreiecktuch und drücken Sie es auf den Oberschenkel," befahl ihm Jenny. Herr Silvretta nickte beflissen und packte das einzige Verbandsmittel aus, das sie zur Verfügung hatten. Kurz darauf schrie Semir vor Schmerz auf- der sonst körperlich arbeitende Mann hatte tatsächlich einen guten Druck auf die Wunde!

    In der PASt waren kurz nach Anruf von Frau Krüger mehrere Beamte des LKAs und BKAs eingetroffen.
    "Wir haben alles im Griff. Ab jetzt übernehmen wir," tönte ein junger, strebsamer Herr im mausgrauen Anzug. Susanne verdrehte die Augen. Frau Krüger lächelte ihn freundlich an :
    "Gerne teilen wir Ihnen die Ergebnisse unserer Ermittlungen mit. Bitte folgen Sie mir. Herr Freund wird uns alle nach seiner Rückkehr in die Ergebnisse seiner Untersuchungen einweisen."
    Frau Krüger präsentierte den Kollegen vom LKA die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Vorgängen und auch die noch offenen Fragen.
    Wer steckte hinter den Planungen?
    Und wo sollte der Anschlag wie stattfinden? Der jüngere Beamte warf Frau Krüger vor:
    "Sie hätten uns frühzeitig informieren müssen!"
    "Mehr als Ihren Kollegen Weinzierl" - sie blickte auf den unscheinbaren Mann mittleren Alters, der neben der Tür stand - "mehrfach anzurufen und ihm den ermittelten Sachverhalt zu schildern, können Sie ja wohl nicht von mir verlangen," entgegnete sie.

    Da kam Susanne herein: "Frau Krüger, die haben auf Semir geschossen und sind geflohen! Er ist schwer verletzt!"
    Frau Krüger drehte sich zu ihren Gästen um. Ihre Augen blitzen - und wer sie kannte, wusste, dass neben Wut auch Besorgnis in ihrer Stimme lag: "Hatten Sie nicht vorhin gesagt, Sie hätten alles im Griff? Das sieht ganz anders aus..." fauchte sie, als sie sich katzengleich an den Herren vorbei bewegte.

    "Was ist passiert," fragte Endres während er versuchte, zu dem orangenen Transporter aufzuschließen.
    "Wir hatten sie noch gar nicht gesehen. Die haben plötzlich geschossen. Semir hatte keine Chance..."
    Entsetzt fragte Endres:"Aber er ist nicht..."
    "Vorsicht," schrie Alex und Endres konnte sich gerade noch ducken, während ihre Windschutzscheibe unter mehreren Einschüssen zerbarst.
    Der Fahrer des Transporters nahm keine Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer und schlängelte sich geschickt durch den dichter werdenden Verkehr, in dem er auch auf Fuß-und Radwegen fuhr. Glücklicherweise regnete es, so dass kaum Menschen dort unterwegs waren. Endres fuhr ihm nach, so gut er konnte.
    "Ich bete, dass Semir lebt," sagte er.
    Alex brummte: "Beten sollten die, wenn ich sie erwische!" Immer wieder teilte er ihren Standort über Funk dem LKA mit.
    "Jetzt haben wir sie," rief Endres, als vor ihnen ein dicker Stau zu sehen war.

    Jenny hatte sich über Semir gebeugt und ihn laut angesprochen, an der Schulter bewegt. Er reagierte nicht, atmete aber. Sie rief auf der Leitstelle an, forderte für den Schwerverletzten einen RTW und einen Notarzt an. Währenddessen überstreckte sie Semirs Kopf - praktischer Weise lag er ja schon in Seitenlänge. Herr Silvretta sah aus dem Fenster der untersten Werkstatt, wo er sich versteckt hatte: " Ist jemand verletzt? "
    "Ja," schrie Jenny verzweifelt. Mehrere dunkle Fahrzeuge fuhren auf den Hof. "Die sind geflohen," schrie Jenny ihnen entgegen. "Verdammt, ich habe doch gesagt, keine Alleingänge," fauchte der Einsatzleiter des LKAs durch den einsetzenden Regen. "War nicht zu vermeiden. Mein Kollege ist schwer verletzt!"
    "Verdammt," schrie der Einsatzleiter noch einmal und fragte dann auf der Leitstelle nach.
    "RTW müsste gleich da sein," rief er Jenny zu, stieg wieder in den Wagen und fuhr fort. Die anderen Wagen folgten ihm. Jenny strich vorsichtig über Semirs Rücken. Sie hielt inne.Es war die seltsame Mischung mehrerer Gefühle, die sie dabei bewegten. Einerseits Erleichterung, weil sie das Auf und Ab des Brustkorbs spürte. Andererseits die riesige Angst, dass ihr ältester, erfahrenster Kollege hier unter ihren hilflosen Händen an der Verletzung versterben würde. Und Ekel, weil sie sah, wie sich unter Semir der feuchte Boden langsam rot färbte.

    Die Schutzwesten der Polizei NRW haben meines Wissens nach nicht die höchste Schutzklasse, laut einem Focus - Bericht sogar nur 1...
    Für die kommenden Kapitel muss ich voranstellen, dass ich beruflich nichts mit Medizin zu tun habe. Falls da was nicht stimmt, seht es mir bitte nach.

    Vielen Dank für euer Lob! Und herzlichen Glückwunsch zur Wahl, Jenni!
    Ja, ich schreibe alles auf dem Handy, meistens im Texteditor. Ich habe noch nicht herausgefunden, warum manchmal die Formatierung mit kopiert wird und manchmal nicht. Scheinbar ist die Darstellung für mich auch anders als am PC. Daher Danke für deinen Hinweis, Jenni - ich baue jetzt einfach mehr Absätze ein. Sagt mir bitte, ob es besser lesbar wird.

    Hartmut hatte sich beeilt zu Jenny und Endres zu kommen. "Was habt ihr für mich," fragte er im weißen Overall "Da, das kam uns seltsam vor. Sieht nicht nach Gartenarbeiten aus," sagte Endres und verwies den KTU-Chef auf das Innere der Hütte. Im Licht der Taschenlampen seiner Kollegen sah Hartmut eine Werkbank. Auf ihr und um sie herum lagen verschiedene Drahtrollen, Elektromagnete, kleine Zangen und die Verpackung zweier Rasperrys. Daneben stand eine große alte Blechkiste. Hartmut sah sich zunächst gründlich um. Dann griff er nach einem winzigkleinen grauen Klops, der unscheinbar am Boden gelegen hatte. Mit den Utensilien aus seinem Koffer untersuchte er das, was Jenny einfach nur für Dreck gehalten hätte. Alarmiert sah Hartmut hoch: "Ich mache hier weiter, ihr solltet die Krüger informieren und zu Semir fahren. Das ist Sprengstoff und mit dem ganzen Zeug hier kann man ne Menge anstellen!"

    Semir und Alex hörten, wie sich die Männer hinter ihnen über die uralte Ampelanlage und die fehlende Bereitschaft der Stadtverwaltung, dafür Geld auszugeben, unterhielten. Die drei gingen an ihnen vorbei zu dem vordersten Fahrzeug, das schräg zur Werkstatt in einem durchfahrbaren Carport stand. In der Dämmerung sahen die Polizisten knapp 10 Arbeitsfahrzeuge darin stehen.
    "Mist," fluchte Alex leise "und welches soll es jetzt sein?"
    "Wir müssen alle kontrollieren. Du rechts, ich links ," schlug Semir vor.
    Sie pirschten sich an die ersten beiden Fahrzeuge an. Nichts. Sie gingen den gleichen Weg zurück. An der zweiten Lücke vibrierte Alex' Handy. Es war ein Anruf von der Krüger, den er rasch wegdrückte. Erst jetzt sah Alex die Nachricht, die Endres ihm geschrieben hatte: "Vorsicht! Bombe im Fahrzeug! Wir kommen mit Verstärkung!" Genau da schalteten sich automatisch die großen Scheinwerfer des Bauhofs an, wie immer, wenn ein bestimmter Grad an Dunkelheit erreicht wurde. Fast zeitgleich wurde die Beifahrertür des linken Transporters geöffnet.
    Semir wandte sich mit erhobener Waffe um. Er wollte sie auf die Tür richten. Ein Schuss fiel. Semir entglitt die Waffe. Ein zweiter Schuss fiel. Semir brach zusammen. Ungebremst ging er zu Boden.
    " Semir! " Alex hatte blitzschnell seine Waffe gezogen und auf den orangenen Transporter gefeuert, der jetzt mit quietschenden Reifen losfuhr. In diesem Moment kamen Endres und Jenny auf den Hof gefahren. Alex schrie noch einmal "Semir!"
    Doch Jenny stieg rasch aus und rief : "Los, hinterher! Ich kümmer' mich um Semir!" Mit einem Blick auf seinen leblos am Boden liegenden Partner, warf Alex seine Schlüssel zu Jenny und rannte zum Wagen, in dem Endres wartete. Ihm war klar : Von ihm hingen nun noch mehr Menschenleben ab!

    Da ist aber schon ein sehr pragmatischer Sadist am Werk... Natürlich könnte er Semir auch die nächsten Tage sediert dahinträumen lassen. Aber das würde ja Arbeit machen. Sein Opfer soll das mal schön selbst übernehmen...hoffentlich finden Hartmut, Alex oder die Pathologen bald ne Spur.