Beiträge von Krypto

    Er sah in die verstummen Gesichter der drei Polizisten. "Habe ich gerade richtig verstanden? Ihr sucht Bayram Kader? Den Typ, der Stress in unserem Laden in Köln gemacht hat, weil meine Mutter da arbeitet?" Alex nickte. "Wenn ihr den nicht in Köln findet, dann vielleicht in Bonn-Tannenbusch." Jenny und Endres horchten auf :
    "Wie kommst du darauf?" "Als Bayram so Stress gemacht hat, war meine Mutter danach ziemlich fertig. Ich glaube, sie hatte Angst und wollte das Haluk aber nicht zeigen. Er sollte nicht das Gefühl bekommen, er könne sie nicht beschützen. Ich bin ja meistens in dem Geschäft in Bonn. Nach dem Vorfall wollte meine Mutter ein paar Tage dort arbeiten. Was soll ich sagen? Wir waren gerade am Ausladen, da kam der Typ auf ein Mal zu uns in den Laden. Meine Mutter ist schnell in den Hinterraum, sie wollte nicht gesehen werden. Er war aber nicht allein. Bei ihm war eine stark verschleierte Frau." Ismael hielt sich die Hand vors Gesicht und blickte zwischen Zeige-und Mittelfinger hindurch." Ja, und? Er ist doch verheiratet, " bemerkte Jenny, die begann, ihn gedanklich als Wichtigtuer abzustempeln."Ja.Aber das war die Cousine eines Stammkunden, Ahmet Toprak. Sie war früher schon mal mit Mehmet bei uns im Laden gewesen. Damals waren mir ihre wassergrünen Augen aufgefallen, die gleichen, wie Mehmet hat. Und vor allem: Er hatte mal beiläufig erzählt, dass es Streit gab. Weil seine Cousine einen Heiratsantrag von einem Salafisten aus Köln bekommen hat." " Dann kann es aber nicht Bayram Kader sein. Der ist doch noch verheiratet. "
    "Ein muslimischer Mann kann rein religionsrechtlich zwei Frauen haben, sogar bis zu vier, wenn er sie und alle Kinder versorgen und gleich behandeln kann." "Na, Moment mal," wehrte sich Jenny. "Wir sind hier doch in Deutschland! Hier herrscht rechtlich Gleichberechtigung! Da kann der doch nicht legal zwei Frauen haben! Und überhaupt..." "Wer will das schon, zwei Frauen! Das macht doch nur Stress..." feixte Alex, dem der Besuch richtig gut tat. "Na, dir scheint es ja schon wieder besser zu gehen," befand Endres und der strafende Blick von Jenny sprach Bände. "Hm, eigentlich war das mal als Versorgungsgarantie für die Frauen gedacht. Wenn viele Männer im Krieg starben, Kinder und Frauen zurück ließen, dann sollten diese Frauen nicht ungeschützt von den überlebenden Männern ausgenutzt werden können, sondern alle Rechte einer Ehefrau bekommen. Später wurde das bestimmt nicht immer so gesehen und praktiziert. In den meisten muslimischen Ländern ist die Einehe heute auch vorgeschrieben. Aber das ist nicht immer vorteilhaft für die Frauen. Und so wird es wohl auch bei Ahmets Cousine sein." Die Polizisten sahen ratlos zu Ibrahim.
    "Das musst du uns jetzt mal erklären," forderte Alex, dem jeder ernsthafte Gedanke Konzentration abverlangte, die er nicht aufbringen konnte.
    "Genaueres müsstet ihr ihn selbst fragen. Aber ich denke, dass sie nur eine "Imam-Ehe" haben. Für Muslime ist die Ehe kein Sakrament. Sie ist ein Vertrag zwischen Mann und Frau, der von ein paar Mitgliedern der Gemeinde bezeugt werden muss. Für eine Eheschließung nach der Scharia braucht man also nicht viel... "
    " Aber die ist doch nicht gültig," warf Jenny ein. "Nein, vor einem Gericht nicht. Wenn die Frau da mitmacht, warum auch immer, gilt sie in der muslimischen Gemeinde als verheiratet. Aber sie kann juristisch keine Ansprüche, die sie als Ehefrau hätte, gegen den Mann durchsetzen. Keine Versorgung, keinen Unterhalt. Versteht ihr das Problem? "
    " Nicht ganz," gab Jenny zu. Alex hatte sich ohnehin schon müde zurück gelehnt und die Augen geschlossen.
    "Für uns heißt das vor allem, dass Bayram Kader noch einen sicheren Unterschlupf hat, von dem aus er alles Weitere vorbereiten kann. Voraussetzung ist, dass das alles stimmt..." fasste Endres zusammen "Wallah, ich habe euch nur gesagt, was ich weiß. Alles andere müsst ihr Ahmet fragen..." verteidigte sich Ismael.
    "Schon gut. Wo finden wir den denn?"
    "Tut mir leid, das weiß ich nicht genau. Aber weit weg von unserem Geschäft im Krauterweg kann er nicht wohnen, dafür sind seine Tüten oft zu schwer..."
    "Schon okay," lächelte Jenny. Sie legte Alex die Hand auf den Arm und wollte wissen:
    " Weißt du was von Semir?" Sie bekam nur ein leises Schnarchen als Antwort. Ismael sagte leise :
    "Alex meinte vorhin:" Semir ist schwer verletzt und liegt im Koma." Er wollte ihn vorhin besuchen, hat es aber nicht geschafft. Eine Frau, die er Andrea genannt hat, hat ihn zurück gebracht. Sie sah sehr, sehr traurig aus." Jenny und Endres sahen sich betroffen an. Dann erhoben und bedankten sie sich bei Ismael für die Hilfe.
    " Gute Besserung - und herzliche Grüße an Ihren Vater," sagte Endres noch, als sie zur Tür gingen.

    "So ein..." Jenny trat wütend gegen den Reifen ihres verbeulten Wagens. Die ganze Zeit der Unfallaufnahme hatte sie gewartet, sich zusammengerissen. Aber jetzt war sie einfach zu frustriert. Glücklicherweise war niemand verletzt worden und ihr BMW noch fahrtauglich. Aber der Verfolgte war entkommen!
    "Komm, Jenny," sagte Endres. "Ich weiß, was dich wieder runter bringt. Steig ein! "

    20 Minuten später standen sie bei Alex im Zimmer. Er war allein. Ismael war bei seiner Abschlussuntersuchung. Alex freute sich sehr, denn die verordnete Ruhe wollte sich einfach nicht einstellen. Einerseits hatte er Schmerzen in Kopf, Handgelenk und den Flanken. Viel schlimmer aber war, dass er sich Vorwürfe machte, ja, Angst um seinen Partner hatte! Mit einer Mischung aus Neugier und Sorge hatte ihn Ismael nach dem Befinden seines Lebensretters gefragt. Alex hatte ihm knapp die Sachlage erklärt und sich dann schlafend gestellt. Aber immer wieder spielte sich der Moment, in dem auf Semir geschossen worden war, vor seinem inneren Auge ab. Immer wieder ging er jeden Sekundenbruchteil durch und suchte nach einer Antwort : Was hätte er wie besser machen können? Hätte er Semir nicht auffangen können? Aber dann hätte er nicht schießen können und das Ganze hätte einen völlig anderen Verlauf genommen... Da kam ihm Jenny gerade recht und auch Endres ruhige Ausstrahlung hatte entspannende Wirkung auf ihn. Sie erzählten ihm vom aktuellen Stand der Ermittlungen. Als sie gerade schilderten, dass Bayram Kader ihnen Richtung Bonn entkommen war, kam Ismael wieder herein und begann seine Sachen zu packen. "Ich warte noch auf den Abschlussbericht und dann darf ich nach Hause," freute er sich.

    Andrea kam von der Toilette zurück und trat auf den Flur vor der ITS. Vor ihr stand ein ziemlich bleicher Mann mit verknitterten Kleidern und Gipsverband an Unterarm und Hand. "Alex?"
    "Ich wollte zu Semir," sagte er erklärend. Andrea umarmte ihn, ja, sie klammerte sich geradezu an ihn, obwohl er ihr noch längst nicht so vertraut war, wie es Ben gewesen war. „Was ist los,“ wollte Alex wissen und kämpfte dabei selbst gegen Schmerzen, Schwindel und Übelkeit.
    „Die Kugeln haben Lunge, Milz, Darm und Oberschenkel verletzt. Durch den Sturz hat er eine inoperable Hirnblutung – das ist viel, Alex!" Sie sah ihn mit flehenden Augen an:
    "Was ist, wenn es zu viel für Semir ist?“ Alex nahm Andrea vorsichtig in den Arm. Er blieb stumm und hielt sie nur fest, bis sie sich löste. Dann musste er sich selbst setzen.
    "Alex, was ist?"
    "Oh, nichts... Ich sollte nur... zurück ins Bett," keuchte er.
    "Komm, ich bring dich hin," bot Andrea an. Alex' offensichtliche Schwäche verlangte ihre Stärke. Und so kam sie kurz darauf mit einem Transportstuhl, half dem inzwischen kaltschweißigen Alex hinein und beeilte sich, ihn zurück auf seine Station zu bringen. Dort war gerade ein Pfleger mit seinem Bettnachbarn, Ismael Güner, beschäftigt und sah Alex vorwurfsvoll an.
    "Wo kommen Sie denn her? Was verstehen Sie denn unter strenger Bettruhe?" Alex antwortete nicht - alles um ihn herum drehte sich. Der Pfleger griff ihm schnell unter die Arme und half ihm zurück ins Bett.
    "Danke," murmelte Alex und dann sah er Andrea, die noch immer an dem Stuhl stand, an:
    "Entschuldigung. Andrea? Semir hat es richtig schlimm erwischt, hm?" Sie nickte.
    "Aber du..."
    "Ach," Alex winkte ab "halb so schlimm... Morgen..."
    "Liegen Sie hoffentlich auch noch brav im Bett. Falls Sie die Ärztin vorher nicht richtig verstanden haben: Sie haben eine heftige Gehirnerschütterung. Und: Durch zu viel Anstrengung könnten Sie schwere innere Blutungen an den Nieren hervorrufen. Ist das angekommen?" Alex nickte vorsichtig und schloss die Augen.
    "Mann, Alex! Halt dich bitte an das, was dir geraten wird! So kannst du Semir doch auch nicht helfen! Gute Besserung," wünschte Andrea und verließ mit den Pfleger das Zimmer.

    Claus-Jürgen Torgau war mit seiner Frau Anneliese auf dem Rückweg von der Früh-Fastenwanderung des Siegerländer Wanderclubs. Es war eine ziemlich matschige Angelegenheit gewesen. Sein Leben lang - oder zumindest so lange seine Erinnerung reichte - war der pensionierte Stadtbaumeister großer Freund von Tradition, Recht und vor allem Ordnung gewesen. Dass es ausreichend Menschen gibt, die diese Liebe nicht teilten, war ihm durchaus bewusst. Und irgendwann wäre er sicher auch in einem so seligen Zustand, dass ihn das nicht mehr stören würde. Aber noch war er nicht bereit, sämtliche Gesetzesverstöße, Ordnungswidrigkeiten und Fehler kampflos hinzunehmen. Zwar hatte ihm sein Enkel eine Dashcam eingebaut - deren Sinn und Zweck er auch verstand und im Übrigen absolut befürwortete- aber Anneliese schien ihm mit der Bedienung heillos überfordert und seine Hände gehörten nun mal während der Fahrt ans Lenkrad. Auch vorhin hatte sie das Ding wieder nicht zum Laufen bekommen, was schon für gewissen Unfrieden im Auto geführt hatte. Nach dem Claus-Jürgen Torgau auf dem Mittelstreifen bereits für eine angemessen niedrige Durchschnittsgeschwindigkeit (und natürlich mehr Sicherheit) gesorgt hatte, sah er in den Rückspiegel. Sofort färbte sich sein Gesicht rot
    :"Da! Schon wieder! Immer diese rücksichtslosen Raser! Früher hätte es das nicht gegeben! Aber wir haben ja zu wenig Polizei und auch die... naja, lass stecken!"
    "Ach, Claus! Lass sie doch! Denk an deinen Blutdruck," sagte seine Frau ängstlich.
    "Nein, denen werde ich jetzt zeigen! Mir reicht's," sprach der 80 jährige Herr und zog direkt hinter dem vorbei rauschenden dunklen BMW in die Lücke
    "Claus-Jürgen! Blaulicht," rief seine Frau, doch da touchierte der nachfolgende Wagen schon ihr Heck.
    "Scheiße," fluchte der sonst so ruhige Endres, als er sah, dass der alte Mercedes in den engen Abstand zwischen ihnen und dem Verfolgten einscherte. Sofort trat er mit vollem Gewicht auf die Bremse. Jenny riss die Arme nach oben vor ihr Gesicht und duckte sich so gut es ging, bevor es krachte.

    Jenny und Endres trafen bald an der Adresse in Köln Kalk ein. Sie sahen sich um. Schon nach kurzer Zeit hatten sie den beschriebenen Honda gefunden. Während Endres aufpasste, tat Jenny so, als ob sie ihren Schuh binden würde. Dabei brachte sie den Peilsender am Accord an.
    Sie gingen zur Wohnung von Bayram Kader. Auf ihr Klingeln öffnete niemand, jedoch sah Jenny wie sich die Gardine hinter dem Fenster der Wohnung in der Bayram Kader wohnte, leicht bewegte.
    "Lass uns warten," schlug sie ihrem Kollegen vor. Sie gingen wieder zum Auto und warteten. Es dauerte nicht lange, bis ein bärtiger Mann, auf den die Beschreibung zutraf, aus dem Hauseingang kam. Vorsichtig sah er sich um. Er hatte mehrere große Taschen dabei. Es sah aus, als wolle er verreisen. Er stieg aber nicht in den Honda, sondern in einen dunklen BMW. Erstaunt flüsterte Jenny:
    "Und jetzt?"
    "Los, hinterher! Wenn es nicht Kader ist, sei's drum. Gibt ja noch den Sender. Aber wenn er es ist..." Endres startete den Motor. Sie folgten ihm. Zunächst fuhr er in südliche Richtung und dann auf die die Autobahn auf Richtung Bonn.
    "Zentrale für Cobra 9,"
    "Zentrale hört."
    "Wir verfolgen einen Verdächtigen, mutmaßlich Bayram Kader, in einem dunklen BMW Kölner Kennzeichen auf der A Richtung Bonn."
    Bis zur Autobahnauffahrt war alles gemächlich verlaufen. Nun aber gab der Verfolgte ordentlich Gas und änderte sein Fahrverhalten. Er fuhr deutlich risikobereiter und versuchte, sie abzuhängen. Endres volle Fahrkünste waren gefragt. Ein paar Mal musste er rechts überholen, um die Verfolgung nicht abbrechen zu müssen. Jenny steckte das mobile Blaulicht auf. Der BMW war gut motorisiert und so hatten Jenny und Endres wirklich alle Mühe ihm zu folgen. . Auf der rechten Fahrspur rasten sie hinter dem BMW Richtung Bundesstadt.

    „Was ist mit seinen Augen?“
    Die Ärztin blickte kurz durch das Fenster zu Semir und sah, wie die Pflegekraft die Pflaster an den Augen wechselte.
    „Für die OP, die ihr Mann hinter sich hat, waren Medikamente notwendig, welche die Muskulatur erschlaffen lassen. Auch fehlt durch die Narkose der Lidschlussreflex. Dadurch kann es vorkommen, dass sich die Augen während der OP oder dem jetzt eingeleiteten Koma etwas öffnen und austrocknen. Dem beugen wir durch eine Augensalbe und das Zukleben vor.“
    Andrea atmete tief durch. Wenigstens da schien alles in Ordnung zu sein.
    „Und das mit der Hirnblutung...Kann man da so gar nichts tun...“
    „Nun, im Moment ist der Hirndruck so, dass er unter den gegebenen Bedingungen toleriert werden kann. Wenn sich das verschlechtert, müsste man über eine Schädelöffnung...nein, daran wollen und brauchen wir jetzt nicht denken,“ sagte die Ärztin und nahm Andrea an der Schulter.
    „Wollen Sie noch einen Kaffee? Ich hab noch so viel übrig und ich würde ihn zu Hause nur wegschütten...“ Andrea nickte dankbar. Nach der Tasse lauwarmem Kaffee aus der Thermoskanne setzte sie sich zu Semir. Sie nahm die Hand, an der das Pulsoxymeter war. Dabei kam ihre ganze Verzweiflung hoch:
    „Einige Tage, Schatz! Was heißt das? Was soll ich den Kindern sagen?“ Sie zog die Luft zwischen den Zähnen ein. Hirn, Lunge, Milz, Darm und Oberschenkel. Jede Verletzung an sich war geeignet, ihr den Mann zu nehmen oder zumindest den Mann, den sie auf der PASt kennengelernt hatte. Sie strich ihm sanft über das Gesicht: „Mein Herz.“ Die Ärztin hatte Recht gehabt – es war ein kleiner Trost, sein ganzes Gesicht sehen und berühren zu können. Aber diese zugeklebten Augen...
    „Selbst wenn er wollte, wenn die Verletzung es zuließe, er könnte mich jetzt gar nicht ansehen,“ schossen ihr die Gedanken durch den Kopf. Sie dachte an die glühenden, liebevollen Blicke, mit denen er sie angesehen hatte. Sie hatte das Gefühl, man wolle ihr diese Augen nehmen und empfand es als brutal, einem Wehrlosen die Augen zu verschließen, auch wenn sie wusste, dass es nur zu seinem Besten war.

    " Endres, Dorn! Fahren Sie zu der Wohnanschrift von Bayram Kader und holen Sie ihn zur Vernehmung," wies die Chefin ihre Leute an."Vorsichtshalber sollten Sie vorher an seinem Wagen einen Peilsender anbringen," fand der Wichtigtuer. Herr Weinzierl schob Jenny einen kleinen knopfförmigen Gegenstand zu. " Auf ihn zugelassen ist ein silberner Honda Accord, Kölner Kennzeichen." "Wann ist denn dieser Abdel Waarit wieder ansprechbar," wollte junge Wichtigtuer wissen." "So schnell dürfte das nicht gehen. Gestern Abend war die Rede von einem schweren Schädel-Hirn-Trauma. Der Wachmann hat ihn wohl gut erwischt," stellte Endres in der Tür stehend fest.

    Am Ende des Ganges kam eine junge Ärztin gerade zur Tür herein. Andrea hatte Glück: Es war die diensthabende Stationsärztin. Sie rieb sich die müden Augen, freute sich sehr auf die Ablösung in 2 Stunden. Dennoch erklärte sie Andrea geduldig, was passiert war: Die erste Kugel hatte eine Rippe und die Lunge verletzt. Das hatte zu einem Hämatopneumothorax geführt, den man in der OP aber hatte beseitigen können. Die Kugel war weiter eingedrungen und hatte Milz und Darm verletzt. So war neben Blut auch Darminhalt in den Bauchraum geflossen. Man hatte in der OP den Bauchraum spülen müssen und hoffte nun, dass das Antibiotikum eine lebensgefährliche Entzündung verhindern konnte. Die zweite Kugel war tatsächlich in den Oberschenkelknochen eingeschlagen und hatte dort für weitere Blutungen gesorgt. Der Oberschenkelknochen war durch den Einschuss so labil geworden, dass sich die Ärzte zu einer Schienung mit einer schmalen Metallplatte entschieden hatten. "Alle Werte sind soweit zufriedenstellend. Insbesondere wenn man bedenkt, dass er in sehr kritischem Zustand in den OP kam. Aber, Frau Gerkan, da ist noch etwas: Durch den Aufprall mit dem Kopf auf den Boden und eine Blutdruckschwankung bei der Einlieferung hat Ihr Mann eine Hirnblutung und dadurch einen deutlich zu hohen Hirndruck erlitten. Die Blutung ist nicht besonders groß, aber - wie wir im CT sehen konnten - sitzt an einer Stelle, an die wir nicht ohne die Gefahr schwerer Schäden heran kommen. Wir überprüfen den Hirndruck mit einer neuartigen, nichtinvasiven Methode, die in Israel und Stuttgart entwickelt wurde. Ansonsten können wir nur abwarten und versuchen, den Körper so gut wie möglich zu entlasten und zu unterstützen. Das gelingt uns mit engmaschiger Überwachung, der Narkose und der Beatmung. Wir werden das mit Sicherheit einige Tage so aufrecht erhalten müssen. Ihr Mann befindet sich in sehr tiefer Bewusstlosigkeit. Er kann keine äußeren Reize wahrnehmen, Sie nicht hören oder spüren. Die Tracheotomie erleichtert dabei die Beatmung, die Pflege und vor allem das spätere Entwöhnen von der Maschine. Auch gibt es so keine Schäden an Stimmbändern und Kehlkopf. Für Sie selbst ist es sicherlich auch angenehmer, wenn Sie sein ganzes Gesicht sehen können....“ Das stimmte zwar, aber das nun gewonnene Hintergrundwissen mit der Unsicherheit war überaus schmerzhaft für Andrea.

    Auch auf der PASt hatte ein neuer Tag begonnen. Frau Krüger und die Kollegen des LKA trafen sich mit Hartmut, Jenny und Endres zu einer Besprechung.
    "Nun, meine Herren," begann Frau Krüger mit Blick auf die Kollegen vom LKA:
    "Ich muss Ihren Leuten Lob aussprechen - auf der operativen Ebene scheint die Zusammenarbeit deutlich besser zu funktionieren... Ich hoffe, wir bekommen das zukünftig genauso gut hin." Der Wichtigtuer von gestern nickte plötzlich beflissen.
    "Ja, das hoffen wir auch," sagte er und auch Herr Weinzierl nickte. Sie besprachen die Ereignisse des letzten Tages.
    "Wir haben eine Mitteilung aus Belgien bekommen. Top-Secret natürlich. Auf jeden Fall fehlen seit Anfang des Jahres mehrere Militärpistolen mit 5,7x28mm Munition. Wir konnten aber nur eine Pistole sicherstellen..." Die Ausführung des LKA-Mannes wurde unterbrochen durch Susanne. Sie meldete, dass die Polizeidirektion Köln nun die Polizisten vor Steffis Krankenzimmer abziehen wollten. Frau Krüger schüttelte den Kopf, während Herr Weinzierl aufstand und sagte:
    " Lassen Sie mal! Ich kümmere mich drum. Noch haben wir die Hintermänner nicht. Die Frau ist also weiterhin in größter Gefahr!" Alle nickten. Hartmut flüsterte Jenny zu:
    " Genau das habe ich mir auch gedacht! Das kann ich doch nicht zulassen... " Er zeigte Jenny einen Artikel in der online-Ausgabe der Zeitung. Darin stand, dass gestern zwei junge Frauen auf der Autobahn erschossen worden waren und dies zu einem Stau geführt hatte.
    ."Fake news," grinste Jenny. "Aber wenn das raus kommt..." "Dass irgendwer die Website der Zeitung gehackt hat... ach, die Kollegen von der LKA-Cybercrime-Abteilung haben echt viel Wichtigeres zu tun..." Jenny sah den Rotschopf bewundernd an. Doch Hr. Weinzierl erschien wieder und Hartmut berichtete von seinen Ergebnissen:
    "Wir haben in der Gartenhütte Spuren gefunden, die darauf hinweisen, dass es mindestens drei Sprengstoffwesten geben muss: An der Sprengstoffweste von Abdel Waarit gab es keinen Raspberry. Den haben wir aber nirgendwo sonst gefunden."
    "Wer hat die Bomben eigentlich gebaut?"
    "Ich bin noch ganz am Anfang, " gab Hartmut zu. "Aber die letzte Änderung auf dem Raspberry ist von vor vier Tagen." Deniz Ceylan ist ausgebildeter Bürokaufmann und sollte nach Syrien, Abdel Waarit hat zwar die Fähigkeiten, war aber da noch in Syrien," dachte Endres laut nach.
    ."Was ist denn mit Bayram Kader" fragte Frau Krüger. Alle schüttelten den Kopf. " An dem waren wir schon mehrfach dran - aber wir haben nie etwas Konkretes gegen ihn in der Hand gehabt. Aber - Moment - ich weiß nicht, ob wir alle auf dem gleichen Stand sind," erwähnte Herr Weinzierl erstaunlich kooperativ und tippte auf dem Laptop herum, bis der Beamer flackerte. Hartmut stellte ihn scharf und Jenny holte Susanne hinzu.
    "Bayram Kader, geboren 1975 in Kilis, Türkei. Der türkische Vater arbeitete seit 1966 im Ruhrgebiet, holte 1979 seine arabische Frau und seine 3 Kinder nach. Der Vater hatte scheinbar großes kaufmännisches Talent und erwirtschaftete mit Import - Export den Lebensunterhalt. Seine beiden Söhne führten nach dem Tod des Vaters 2000 das Geschäft weiter, wobei Bayram Kader sich mehr auf Immobilien spezialisierte und stets jemand war, der eher im Hintergrund agierte. Er wird seit 2009 mit der salafistischen Szene in Verbindung gebracht und vom Verfassungsschutz beobachtet, weil er entsprechend auffällige Organisationen großzügig unterstützt hat. "
    Auf der weißen Wand des Besprechungsraumes sah man die Passfotos und ein paar eher unscharfe Bilder eines Mannes mit dunklem, handbreitem Bart, Häkelmütze und weißem langen Hemd auf der Straße vor der Al-Aqsa-Moschee.
    "Er ist seit 2005 verheiratet mit Rima Bari, geboren 1983 in Köln. Die Ehe ist kinderlos." Auf der Wand erschienen Bilder einer Frau mit schwarzem Kopftuch, runden schwarzen Augen und etwas großer Nase. Ebenfalls zu sehen war ein Bild einer bis auf die Augen komplett in dunkelblauem Stoff verhüllten, eher kleinen Frau in einer Fußgängerzone im Gespräch mit einer anderen Frau.
    "Ich denke die Lage hat sich geändert, wenn wir ihn klar mit den Anschlägen in Verbindung bringen können und das können wir doch Herr Freund oder," fragte der Wichtigtuer. "Na ja," wich Hartmut aus, " ich bin noch nicht mit meinen Analysen fertig ich weiß - Dank der schnellen und guten Zusammenarbeit mit dem Provider - nur, dass die Anweisungen für den Anschlag von einem Rechner aus der Wohnung von Bayram Kader kamen. Wer sie wirklich abgesetzt hat, weiß ich nicht! "

    @susan : Schreib dir deine Kritik einfach mal zusammen und lass sie mir am Ende zukommen. Da kommt sicher noch was zusammen.

    Das mit dem lauten Trauern ist religiös gesehen eher verpönt. Der Verstorbene leidet, so lange jemand seinen Tod aus Sorge um sein Seelenheil beklagt - aber mal ehrlich : Das gönnen wir Deniz doch.

    Semir hatte die letztlich doch über 8 stündige Operation überstanden. Kurz bevor Andrea am frühen Morgen zurück kam, hatte man ihn auf die Intensivstation verlegt. Die Pflegekraft war gerade noch dabei, alle Kabel und Schläuche vom Transport zu ordnen und anzuschließen. Über eine Batterie an Perfusoren erhielt er Schmerz- und Betäubungsmittel. Sie hielten ihn in einem tiefen künstlichen Koma, die Maschine übernahm das Atmen für ihn. Vom Monitor führten Kabel zu den EKG-Elektroden, dem Oxymeter und der Blutdruckmanschette. Ein Infusionsschlauch endete in Semirs rechter Hand, ein weiterer im ZVK am Hals. Links und rechts an seinem Bett fingen mehrere Beutel den Urin aus dem Blasenkatheter und Wundflüssigkeit aus den Drainagen auf. Um seinen Kopf war ein Verband, aus dem weitere Kabel ragten. Andrea schauderte. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihren Mann nach einer schweren Verletzung so sah. Aber über die mit Pflaster verklebten Augen, unter deren Lidern eine weißliche Substanz hervortrat, erschrak sie sehr. Und es war das erste Mal, dass der Beatmungsschlauch nicht in seinem Mund sondern am Halsansatz endete. Was hatte das zu bedeuten? Andrea sah sich Hilfe suchend um.

    Jenny und Endres trafen Ibrahim Güner beim Abschließen des Moscheegebäudes an. Sie stellten sich vor, worauf hin der Hoca leicht amüsiert lächelte :
    " Also ich weiß ja, dass man sich auch bei der Polizei für den Islam interessiert. Aber der Andrang in meiner Moschee heute ist schon besonders. Wie kann ich Ihnen helfen?"
    "Können wir drinnen sprechen," bat Endres. "Natürlich," stimmte der Imam zu und schloss wieder auf. Er bat seine Gäste in das Büro neben dem Eingang. Ganz beiläufig fragte er : "Wo ist denn Semir? Hoffentlich schon zu Hause, bei seiner Familie?"
    "Leider nein. Herr Güner, kennen Sie Deniz Ceylan?"
    "Ja.Ihn und seine ganze Familie. Danach hat mich Semir heute aber auch schon gefragt. Ich habe ihm und seinem Kollegen schon alles gesagt..."
    "Herr Güner, Deniz Ceylan und Yves Signet alias Abdel Waarit hatten für heute Abend einen terroristischen Anschlag geplant. Sie haben Semir und Herrn Brandt teilweise schwer verletzt, als die das verhindern wollten." Jenny sah auf ihre Hände, während Endres sprach.
    "Ya Allah!" Der Imam war sichtbar schockiert. "Darum ist Semir nicht zu Hause! Er ist schlimm verletzt worden und Sie waren dabei," sagte der Imam zu Jenny, denn ihm waren das Blut auf ihren Schuhen, die sie vorne abgestellt hatte, ihre seltsame Kleidung und ihr Blick auf die Hände nicht entgangen. Sie schüttelte den Kopf.
    "Nein. Ich kam dazu, als er schon am Boden lag. Ich habe gewartet, bis der Notarzt da war."
    "Wie geht es ihm?" Die Sorge des Hocas klang echt. Endres schüttelte den Kopf
    "Er ist in der Klinik. Mehr wissen wir auch nicht. Aber wir sind nicht wegen ihm hier: Im Laufe der Auseinandersetzung mit uns und Polizisten des LKA ist Herr Ceylan so schwer verletzt worden, dass er noch vor dem Transport in die Klinik verstorben ist." Mit großen Augen sah er die Polizisten an. Dann sprach Ibrahim Güner:
    "Inna lillahi we Inna ilaihi raji'un."
    "Bitte," fragte Jenny
    "Wir gehören Gott und zu ihm kehren wir zurück," seufzte der alte Mann.
    "Nach dem Semir das nicht tun kann, möchten wir Sie bitten, mit uns zusammen der Familie die schlechte Nachricht zu übermitteln."
    "Natürlich, natürlich."
    "Seine Frau haben wir bereits persönlich informiert. Aber die Eltern..."
    "Lassen Sie uns gehen," forderte der Hoca die beiden Polizisten auf, die sich über die Eile wunderten. Der alte Mann holte noch schnell einen Umhang und eine Mütze. Dann stieg er in sein Auto und fuhr zu den Ceylans.

    Als Frau Ceylan die Tür öffnete und den Hoca in Begleitung der beiden Polizisten sah, war ihr sofort klar, dass Deniz nicht mehr lebte. Ihr lauter, markdurchdringender Schmerzensschrei hallte in dem dunklen Treppenhaus wider. Jenny, die schnell ihre Schuhe abgestreift hatte, fing die Frau auf, bevor sie ganz zu Boden fiel. Sie stützte Deniz Mutter, die weiterhin laut nach ihrem Sohn rief. Jenny ging mit ihr in die Küche, wohin auch Aylin kam. Endres und der Imam widmeten sich dem Vater, der ebenfalls zu weinen begann.
    "Ich habe ihn nicht mehr verstanden. Ich dachte, er ist traurig, weil sein Dede gestorben ist. Ich dachte, er ist wütend, weil er seine Arbeit verloren hat und keine mehr fand. Aber nein, ich habe ihn nicht verstanden..." Der Mann weinte und Endres setzte sich einfach nur ruhig neben ihn. Nach kurzer Zeit stellte der Vater Fragen nach den Umständen des Todes seines Sohnes, die Endres ihm so gut wie möglich beantwortete. Auch in der Küche erzählte Jenny von den letzten Stunden des Sohnes und Bruders. Dass sie auf ihn geschossen hatte, verschwieg sie. Aylin wirkte deutlich gefasster als ihre Mutter.
    "Weiß es Ruqiya schon?" Jenny nickte:"Ihr habe ich es als erstes gesagt."
    "Wie geht es ihr? Wo ist sie? Wie geht es dem Baby?" "Baby?" auf einmal ging ein Ruck durch Aylins Mutter, die teilnahmslos am Tisch gesessen hatte.
    "Ja. Ruqiya ist schwanger. Und Deniz wollte trotzdem mit ihr in den Krieg nach Syrien." Ihre Mutter schüttelte nur noch weinend den Kopf, immer wieder "Hayir, hayir" (Nein, nein) murmelnd. Jenny stellte ihr ein Glas Wasser hin. Die ganze Sorgen der letzten Stunden und Tage brachen aus Aylin heraus.
    ."Aber Ruqiya wollte nicht. Sie wollte ihr Kind hier bekommen, eine Familie mit uns sein. Aber die Leute, die bei Deniz das Gehirn versaut haben, sind total sauer auf sie. Weil Deniz nicht nach Syrien ist - heute Morgen hat man auf mich und Canan geschossen... Die dachten bestimmt, dass ich Ruqiya wäre..." sprudelte es aus ihr heraus. Die Mutter schüttelte nur weiter weinend den Kopf. Jenny legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter.
    "Das ist alles wahr, leider," stimmte sie zu. "Wir kümmern uns weiter um Ihre Freundin," versprach Endres, der gerade herein kam.
    "Lass uns gehen. Herr Güner kümmert sich."
    "Können wir sie alleine lassen," fragte Jenny die beiden Frauen. Aylin nickte und hielt ihre Mutter eng umschlungen.
    "Die sind total geschockt," bemerkte Jenny auf dem Heimweg. Endres stimmte ihr zu: "Ja, da war kein " Stolz auf meinen Sohn, den Märtyrer" oder was man sonst schon so gehört hat. Einfach nur - tiefe, dunkle Trauer."

    Er fand sie, kurz bevor sie an dem Zimmer ankam, in dem Steffi - inzwischen auf einer normalen Station - lag. Sie grüßten die Kollegen, die sie bewachten und zücken ihren Ausweis. Auf ein "Herein", betraten beide das Zimmer
    "Hallo, schön, dass es dir besser geht," begann Jenny das Gespräch, während Endres zwei Stühle holte.
    "Ja, elhamdulillah, ich fühle mich viel, viel besser. Wenn ich jetzt nur keine Angst haben müsste, dass Deniz mich findet..." gestand sie. Sie sah die beiden Polizisten an:
    "Habt ihr ihn?" Endres und Jenny sahen sich an. Jenny nickte leicht. Sie griff nach Steffis Hand, die das zuließ.
    "Ja. Aber..." Steffi erriet an Jennys Verhalten, was Fakt war:
    "Er ist tot?!" Sie brach in Tränen aus, schluchzte laut auf und flüsterte dann den Satz, den Jenny schon von Tareq gehört hatte, aber immer noch nicht verstand.
    "Es tut mir wirklich sehr leid," bekundete Jenny ihr Mitleid, Endres nickte:
    "Mir auch!"
    Unter Tränen sprach Steffi ihre Gedanken aus :"Ich habe ihn nicht erst heute verloren. Der Mann, den ich liebte, ist schon vor Monaten von mir gegangen. Aber etwas aus der Zeit vor der Veränderung wächst in mir." Sie legte die Hände auf ihren Unterbauch.

    "Ich habe noch eine Frage: Bevor er starb, hat Deniz Tilidin zu sich genommen... was meinst du, woher er das hatte?" Steffi sah Jenny entsetzt an :
    "Oh nein! Ich dachte, die Fläschchen wären alle leer?! Die waren noch von seinem Großvater. Der hat das schon vor Jahren gegen die Schmerzen bei einem üblen Bandscheibenvorfall bekommen. Aber er hat es nicht so gut vertragen und deshalb gesammelt...Als er starb, hat Deniz alles Mögliche von ihm mit zu uns gebracht, eben auch die Medikamente. Als Erinnerung, meinte er. Ich wollte das gerne wegwerfen, aber er war total dagegen" Sie schwiegen einen Moment, bis Steffi fragte :".....wissen meine Schwiegereltern schon Bescheid?" Jenny schüttelte den Kopf.
    "Nein, wir wollten einen Seelsorger mitnehmen. Aber das Kriseninterventionsteam hat nur eine Vereinbarung mit einer muslimischen Seelsorgerin, die gerade im Einsatz ist." Steffi lehnte sich im Bett zurück.
    "Holen Sie Ibrahim Güner. Wenn Sie sich beeilen, finden Sie ihn jetzt noch in der Moschee in der Wilhelmstraße. Er spricht auch sehr gut Deutsch..."