14. April 2004
Bundesstraße 265 bei Brühl: 17:15 Uhr
Eine halbe Stunde später steuerte Ben seinen Dienstwagen über die Landstraße hinter dem Audi A6, in dem Fux saß, her.
Neben ihm saß Semir, der hin und wieder einen verstohlenen Blick in den Rückspiegel warf, wo er die Rückbank des Mercedes sehen konnte.
Nach einer kurzen, aber hitzigen Diskussion hatte die Chefin durchgesetzt, dass sie mitkommen würde, was Semir für gar keine gute Idee hielt und auch Ben sich nicht sicher war, was er davon halten sollte.
Man hatte deutlich gemerkt, dass die Engelhardt hin- und hergerissen war, da sie offensichtlich eigentlich lieber zu Hause bei der Tochter geblieben wäre.
Allerdings wollte sie auch dem Mann in die Augen schauen, der es gewagt hatte ihr das Wichtigste im Leben zu nehmen. Auch, wenn es nur für einen Augenblick gewesen war.
Ausschlaggebender Grund war letztlich jedoch der entführte Junge selber gewesen.
Das Kind tat ihr unendlich leid und sie wusste, dass sie wohl jede nur erdenkliche Hilfe brauchen würden, wollte sie ihn rechtzeitig finden.
Außer ihnen, war auch noch Hartmut auf dem Weg in die Villa in der Berthold und seine Leute residierten.
Wobei es außer Camille und Albert Berthold nur noch der Hacker war, der sich in der Villa aufhielt. Die Übrigen hatten fluchtartig Villa und Land verlassen, als Fux von seinem Plan erzählt hatte die Polizei mit ins Boot zu holen.
Aber die Juwelendiebe waren ihnen im Moment sowieso ziemlich egal.
Villa am Stadtrand von Köln 17:30 Uhr
Albert Berthold war unendlich nervös, als die zwei Wagen vor dem Haus zum Stehen kamen.
Er wusste noch immer nicht, ob er da richtige tat oder nicht.
Obwohl das jetzt eigentlich auch egal war, da er nichts mehr daran ändern konnte. Er betete, dass Renard, oder wie er auch immer hieß, wusste, was er tat.
Berthold trat aus dem Haus und erkannte die drei Polizisten der Autobahnpolizei sofort, als sie aus dem Mercedes stiegen. Erst vor ein paar Minuten hatte er sich erneut kurz ihre Personalakten angesehen.
Er musste unwillkürlich schlucken, als er sie jetzt auf sich zukommen sah. Insbesondere als sein Blick den von Hauptkommissarin Engelhardt traf.
„Es tut mir leid! Ich wollte das nicht!“ sprudelte es sofort aus ihm heraus, aber auch diese Entschuldigung konnte das Nächste nicht verhindern.
Ehe Semir, Ben oder André es verhindern konnten, hatte Anna dem Mann einem Schlag ins Gesicht verpasst, der sich durchaus sehen lassen konnte, ihm eine blutige Nase verpasste und ihn umgehend in die Knie gehen ließ.
Schon in der nächsten Sekunde kniete die Polizistin neben ihm, die Waffe im Anschlag, sodass der Lauf nur wenige Zentimeter von Alberts Stirn entfernt war.
„Du solltest André Fux auf Knien dafür danken, das er so schlau war mir meine Tochter so schnell wiederzubringen! Denn ansonsten wärst du jetzt ein toter Mann und dein Sohn seinem unschönen Schicksal geweiht!“ zischte Anna bedrohlich, während Semir und Ben völlig perplex danebenstanden, die Hände zwar an ihren eigenen Waffen, aber total unschlüssig was sie jetzt tun sollten.
So kannten sie ihr Vorgesetzte beim besten Willen nicht!
Im nächsten Moment sicherte Anna ihre Pistole jedoch schon wieder und stand auf.
André hatte das Geschehen recht gelassen beobachtet und sagte mit vor der Brust verschränkten Armen:
„Respekt für so eine Rechte! Geht’s jetzt besser?“ Die Chefin nickte langsam. Ja, das hatte in der Tat gutgetan. Auch, wenn ihre Hand bereits leicht anfing weh zu tun.
Auch Berthold rappelte sich wieder vom Boden auf, sagte aber nichts zu dem kurzen Intermezzo, sondern wischte sich die blutende Nase mit dem Ärmel seines Pullis ab. Die kurze Abreibung hatte er wohl verdient...
„Zeigen sie uns alles was sie über diesen Van Beust haben. Und wir müssen sehen, was er ihnen geschickt hat.“ Warf Semir ein, um so alle Anwesenden daran zu erinnern, warum sie eigentlich hier waren.
***
Keine zehn Minuten nach ihnen tauchte auch Hartmut an der Villa auf und stand mit fragendem Blick vor seinen Kollegen.
„Okay, was soll ich hier?“ Er wusste das hier schon wieder eine Aktion im Gang war, die ganz sicher nicht von Oben abgesegnet war und in die Kategorie: ‚Alleingang Autobahnpolizei‘ gehörte.
Ben war es, der ihm erklärte, was passiert war und worum es ging. Hartmut hörte aufmerksam zu und bekam Augen groß wie Tennisbälle.
Schließlich deutete er auf den Mann, der in dem großen Wohnzimmer vor mehreren Computerbildschirmen saß.
„Dann ist das da Araignée? Der Hacker?“ Ben sah etwas verwirrt von Hartmut zu dem Mann am PC. War das etwa Ehrfurcht in der Stimme von Einstein?
„Ja, das ist der Spinnen-Hacker...“ Freunds Augen wurden noch größer und Ben war sich jetzt sicher auch Ehrfurcht in seinem Blick zu sehen.
„Soll ich ihm nach einem Autogramm für dich fragen?“, feixte Jäger, was dazu führte das Einstein mit glühenden Wangen den Kopf schüttelte. Bemüht die Schultern zu straffen, ging er doch noch recht schüchtern auf Araignée zu um am Tisch neben ihm sein eigenes, mitgebrachtes Equipment aufzubauen.
Während Hartmut noch einen auf schüchternen Fan-Boy macht, gingen die drei Polizisten weiter die Informationen durch, die Berthold mithilfe von Araignée bezüglich Van Beust zusammengetragen hatte.
Es war zwar durchaus einiges, aber bei der ersten Durchsicht fand keiner von ihnen einen wirklichen Ansatzpunkt wie genau sie an Van Beust herankommen konnten, ohne den Junge zu gefährden. Es gab auch überhaupt nichts zu einem möglichen Aufenthaltsort des Kindes.
„Wir haben Van Beust versucht so gut es ging zu beschatten. Aber er selber scheint mit der Entführung von Arnaud nichts am Hut zu haben, sondern hat die Drecksarbeiten andere machen lassen. Wir haben aber nicht herausfinden können wen er damit beauftragt hat...“, erklärte André. „Und es ist nicht leicht an ihn heranzukommen, da er immer zwei Leute von seinem Wachschutz dabeihat. Plus seinen Fahrer“
„Er muss mit den Leuten ja irgendwie in Kontakt treten. Kann euer Computer Genie sich nicht einfach in seinen PC hacken und E-Mails und sowas lesen?“ fragte Ben.
„Hat er gemacht. Allerdings nur am privaten Computer. In das Firmennetzwerk ist er nicht reingekommen. Das ist extrem gut gesichert und hat keinen Ausgang an Externe Server. Darüber kann die Kommunikation also auch nicht stattgefunden haben.“ War es Hartmut, der aus dem Hintergrund antwortete.
Er und Araignée unterhielten sich bereits recht angeregt und schienen Ideen auszutauschen.
„Okay... Hast du eine Idee, Einstein?“
„Wir denken beide, dass sie schlicht über Handy Kontakt halten. Da kommen wir aber nicht so einfach ran, da wir die Nummern nicht haben und es sich vermutlich um Pre-Paid-Modelle handelt.“
„Was wäre, wenn sie an eins der Handys drankommen würden? Würde das helfen?“ war es nun die Chefin, die fragte.
„Ja klar! Wir könnten es Klonen und mit den Nummern im Telefonbuch oder Wahlspeicher einiges anstellen, denke ich.“
„Hmm... Und wie lange bräuchten sie, um ein Handy zu klonen?“ Hartmut tauschte sich kurz auf Englisch mit Araignée aus und sagte schließlich:
„Circa zwei Minuten.“
Anna nickte, während sie angestrengt nachdachte und dann fragend zu Fux und Berthold sah. „Während sie den Kerl beschattet haben... Wann hat Van Beust meistens Feierabend gemacht?“
„Nie vor 19:00 Uhr.“
„Und er fährt auf dem Weg nach Hause immer dieselbe Strecke?“
„Ja, das tut er. Warum?“ André schien nicht ganz zu verstehen, auf was sie hinauswollte. Semir und Ben hingegen schon, weswegen Semir fragte:
„Hartmut habt ihr alles Equipment, um ein Handy zu klonen da?“ Nach einer erneuten Absprache mit dem französischen Hacker nickte Einstein. „Ja, er hat alles!“
„Habt ihr eine Ersatzkelle im Auto?“ Anna sah zu Ben.
„Klar, steht ja so in den Vorschriften...“ Der junge Kommissar grinste.
Jetzt begriff auch André was sie vorhatte zu tun. Clever!
Sie waren nicht nah genug an Van Beust herangekommen. Für die Polizei würde es jedoch kein großes Problem darstellen.
„Packen sie alles zusammen, was sie für das Klonen der Handys brauchen, Hartmut. Und dann kommen sie mit mir.“ An Fux gewandt sagte Anna. „Ich brauche ihren Wagen.“