'Abschied'
10. April 2003
PAST, 16:45 Uhr
Bonrath, Herzberger, Andrea und die Chefin standen geschlossen vor einem der Büros in der PAST und beobachteten Semir dabei, wie er versuchte Informationen von einem der Männer, der mit Leon Zyrs in Verbindung gebracht wurden, zu bekommen.
Dabei wurde Semir immer grober, sodass Anna befürchtete, jeden Moment einschreiten zu müssen.
Auch wenn sie dem Scheißkerl selber gerne den Hals umgedreht hätte!
Es war noch keine vier Stunden her, das Tom Kranichs schwangere Freundin bei einem Bombenanschlag, angeordnet von Leon Zyrs, ums Leben gekommen war.
Das allgemeine Entsetzen über diese Gräueltat, war nicht messbar und Anna wollte und konnte sich nicht vorstellen, wie sich Tom in diesem Moment fühlen musste.
Zumal der Anschlag eigentlich ihm gegolten hatte...
Sie holte tief Luft und versuchte sich wieder auf das Geschehen vor ihr zu konzentrieren, da Semir in dem Moment aufgebracht aus dem Raum stürmte.
„Der Penner sagt nichts!“ Der kleine Polizist schlug wütend gegen eine Wand. „Bonrath, der Kerl kommt sofort in U-Haft!“
„Hat er irgendetwas gesagt?“ Anna ging neben Semir her der anscheinend ziellos, auf dem Revier umherlief.
„Nein, gar nichts! Außer: ‚Ich will meinen Anwalt sprechen‘!“ Er schüttelte den Kopf. „Manchmal kotzt mich das alles einfach nur noch an!“ Die Chefin nickte bedächtig, wusste sie doch genau, wovon er sprach.
„Hat sich Tom bei ihnen gemeldet?“
„Nein... Er hat vorhin nur gesagt das ich ihn in Ruhe lassen soll und ist zu Fuß losgezogen...“
„Worauf warten sie dann noch?“ Semir sah sie fragend an.
„Gehen sie ihn suchen und sein sie für ihn da! Wir kommen hier einen Nachmittag auch ohne sie zurecht. Und wenn sich etwas tut, rufe ich sie an. Versprochen.“
„Danke Chefin!“ Er nickte ihr aufrichtig dankbar zu und war auch schon auf dem Weg nach draußen.
***
Nach längerer Suche fand er seinen Partner schließlich an der Bar eines kleinen Hotels im Kölner Süden.
Auf den ersten Blick war klar, dass Tom hier schon eine ganze Weile sitzen musste und der mit Whisky gefüllte, vor ihm stehenden Tumbler, nicht sein erster war.
Semir setzte sich schweigend neben ihn auf einen der Hocker.
Er setzte mehrere Mal an, wusste aber einfach nicht was er sagen konnte, um seinem Freund ein wenig Schmerz zu nehmen.
Also saßen sie eine ganze Weile einfach schweigend nebeneinander und tranken.
„Weißt du wie das ist, wenn man genau weiß das man angekommen ist? Das man den Menschen gefunden hat, mit dem man alt werden will?“ Tom sprach leise und nicht mehr ganz deutlich.
Semir schüttelte zaghaft mit dem Kopf. Wobei er sich da nicht sicher war. Er konnte sich vorstellen, mit Andrea diese Person vielleicht doch schon gefunden zu haben. Möglich war es...
„Und dann wird dir diese Person genommen... Sie ist einfach weg. All die Dinge, von denen du gedacht hast, dass du noch ein ganzes Leben Zeit hast sie zu sagen, bleiben für immer ungesagt und ungehört...“
Semir schluckte schwer und beobachtete wie Tom ein weiteres Glas leerte. Er wusste nicht was er darauf sagen sollte. Also saßen sie weiter einfach nur nebeneinander.
14. April 2003
PAST, Büro der Dienststellenleitung, 09:54 Uhr
„Sind sie sicher? Tom, wenn sie einfach nur eine Pause und Zeit zum Nachdenken brauchen...“
„Nein. Ich brauche nicht nur eine Pause.“ Kranich schüttelte müde mit dem Kopf, auch wenn er seine Vorgesetzte verstand und es zu schätzen wusste, dass sie versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
„Chefin, ich habe die letzten Tage lange darüber nachgedacht. Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll oder was ich machen will. Aber ich weiß, dass ich kein Polizist mehr sein will.“
Anna lehnte sich weiter in ihrem Schreibtischstuhl zurück und musterte ihn aufmerksam. Auch wenn sie, zum Glück, keine Ahnung hatte, wie sie selber in so einer Situation reagieren würde, verstand sie ihn und konnte sein Handeln durchaus nachvollziehen. Und sie war sich auch bewusst, dass es nichts bringen würde, zu versuchen, ihn weiter zum Bleiben zu überreden.
„Tom ich kann nicht sagen, dass ich auch nur ansatzweise weiß, was sie im Moment durchmachen. Aber ich bin mir sicher, dass sie sich diesen Schritt gut überlegt haben. Auch wenn ich es sehr schade finde, dass sie sich dazu entschieden haben. Man wird sie hier vermissen.“ Sie lächelte und spezifizierte: „Ich werde sie hier vermissen.“
„Danke Chefin...“ Er brachte ein knappes Lächeln zu Stande, wirkte im nächsten Moment jedoch schon wieder bedrückt und unsicher.
„Ich möchte auch, dass sie wissen, das keiner der Kollegen hier glauben wird, dass sie uns im Stich lassen.“ Kranich nickte und sie glaubte Erleichterung in seinen Augen zu sehen. Bis sein Blick in Richtung seines und Semirs Büro glitt und sich wieder ein Schatten über sein Gesicht legte. Die Chefin folgte seinem Blick und sagte sanft:
„Auch Semir wird es verstehen. Er wird zu Anfang vielleicht ein wenig enttäuscht sein, aber er wird es verstehen.“ Tom nickte bedächtig und eine etwas längere Pause entstand, ehe er sagte:
„Sagen sie den Kollegen bitte erst einmal nichts? Ich möchte heute Abend in Ruhe mit Semir reden und will das er es von mir erfährt. Genau wie die übrigen Kollegen.“
„Selbstverständlich, Tom.“
***
Genau wie die Chefin es gesagt hatte, war Semir im ersten Moment in der Tat sehr enttäuscht und gab sich alle Mühe Tom davon zu überzeugen doch nicht zu kündigen.
Letztlich hatte er es, nach ihrem mehrstündigen Gespräch am Rhein, aber doch verstanden und konnte das Handeln seines Freundes nachvollziehen.
Dennoch kam es ihm unglaublich unwirklich vor, als Tom Kranich zwei Tage später die PAST ein für alle Mal verlies, einen kleinen Karton mit seinen persönlichen Dingen unterm Arm.