Als sie vor der Türe standen, hielt die Ärztin Andrea kurz an. „Wir haben die Eltern des Verletzten kontaktiert. Allerdings sind Sie auf einer Kreuzfahrt und stecken inmitten auf dem Meer fest. Sie haben gebeten, auszurichten, dass sie wissen, dass ihr Sohn bei Ihnen in den besten Händen wäre...“
Andrea nickte verstanden. „Gut. Und, momentan schläft er noch, sollte aber bald aus der Narkose aufwachen. Seien Sie bitte leise und nachsichtig.“
„Werde ich, leider nicht das erste Mal, dass ich so etwas miterlebe“, murmelte Andrea und die Ärztin verabschiedete sich mit einem traurigen Lächeln.
Andrea atmete kurz durch und begab sich in das Zimmer. Langsam ging sie an Pauls Bett und setzte sich auf den Stuhl, der sich nebendran befand.
Sie nahm Pauls Hand und strich mit dem Daumen darüber. Sie fühlte den Netzverband an ihrer Haut, der die Kanüle zum intravenösen Tropf hielt.
Mütterlich, richtete sie die Sauerstoffbrille, die verrutscht war und strich störendes Haar aus dem Gesicht. Besorgt sah sie Paul ins Gesicht. Die Augenlider waren feuerrot, dafür hatten die Lippen jegliche Farbe verloren.
Jetzt verstand sie, wie Semir sich gefühlt haben musste, als sie angeschossen im Krankenhaus gelegen hatte und er wartete, bis sie aufgewacht war.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll“, murmelte sie und strich Paul sanft über den Kopf, „Ayda und Lilli geht es gut. Nun ja, wie es jemanden nach einer solchen Situation geht. Susanne passt auf sie auf und sagt ihnen dann, wie es ihrem „Onkel Paul“ geht. Ich wäre echt froh, dann melden zu können, dass du wieder wach bist, in Ordnung?
Sie atmete tief durch, sah kurz durch das Fenster (wo der Himmel inzwischen sich zu verdunkeln begann) und zuckte zusammen, als sich Pauls Finger um ihre Hand wickelten. „Paul?“, fragte sie leise und tatsächlich begannen sich die Augen leicht zu öffnen, als Andrea ihn ansah. Andrea stand auf, beugte sich über Paul und nahm Pauls Gesicht sanft in ihre Hände.
Pauls Kopf legte sich leicht in ihre Richtung und zwei müde, gerötete Augen sahen sie an. „Hey, da bist du ja wieder“, lächelte sie und Paul wollte etwas sagen, doch wurde er von einem Hustenanfall übermannt.
„Scht...du musst dich schonen...“, mahnte sie, doch wieder öffnete sich Pauls Mund. „Ayda...Lilli?“, fragte er heiser und ohne es zu wollen, musste Andrea lächeln und gab Semirs Partner als Antwort einen Kuss auf die Stirn.
Kim und Hartmut begaben sich zum Eingang, als sie eine Nachricht von Semir erhalten hatten. Sie fragten eine Schwester, wo sich Untersuchungsraum 4 befand. Ohne Nachzufragen gab ihnen die Schwester sofort Bescheid und die Beiden begaben sich in den Raum.
Johanna saß auf der Liege und hielt sich die verletzte Schulter, während Semir ihr über den Rücken strich und ihr gut zusprach.
Die Beiden blickten auf, als sie Hartmut und Kim reinkommen hörten. „Joshi“, flüsterte Hartmut und ging auf sie zu und umarmte sie heftig.
„Hartmut, Schulter ausgekugelt! Schulter ausgekugelt!“, stöhnte Johanna und Hartmut wich sofort zurück. „Entschuldige“, murmelte er rot anlaufend und Kim ging auf sie zu. „Sie sehen furchtbar aus, Schimke!“ Johanna lächelte traurig. „Dann sehe ich anscheinend besser aus, als ich mich fühle“, scherzte sie leise. „Paul?“, fragte sie nun wieder mit ernsterem Gesicht und auch Semir, blickte zu Kim. „Er wird wieder. Es sah zunächst nicht gut aus, aber er wird wieder. Ihre Frau ist bei ihm Gerkhan.“ Johanna sah Semir an. „Dann solltest du da hingehen.“, sagte sie und Semir schüttelte langsam mit dem Kopf. „Ich bleibe bei dir, bis dein Problem da behoben wurde“, sagte er bestimmt und wies auf Johannas Schulter. „Das habe ich eben befürchtet“, murmelte Johanna und alle sahen auf, als ein Arzt den Raum betrat. „Frau Schimke?“ Johanna nickte. „Ich werde Ihnen die Schulter wieder einrenken.“, kündigte er an und Johanna seufzte.
Semir machte dem Arzt Platz und dieser sah sich die Schulter an. „Okay, das wird nun leider wehtun, Frau Schimke. Ich zähle auf drei okay?“
Johanna nickte.
„Eins…“ Mit einem Ruck verschob der Arzt Johannas Gelenk und diese schrie kurz auf, was danach in ein leises Ächzen überging. „Heilige Scheiße…“, murmelte sie und beugte sich nach vorne. Die anderen Drei, verzogen mitleidend das Gesicht. Kim blickte auf ihre Hosentasche, als sie spürte, wie ihr Handy vibrierte. „Bin gleich wieder da“, kündigte sie an und verließ den Raum.
„Gut, ich werde Ihnen noch einen Stützverband anlegen. Anschließend werde ich Sie komplett durchchecken.“
Johanna bemerkte, wie Semir immer wieder zur Tür schaute.
„Jetzt geh schon. Das Gelenk ist wieder drin, also fühl‘ dich nicht verpflichtet! Ich hab ja noch Hartmut hier!“, sagte sie und Semir küsste sie sanft auf die Schläfe und ging dann aus dem Raum.