Doktor Kim Brauner rannte im Eiltempo in Richtung des Notfalleinganges. Gerade hatte er einen Anruf erhalten, dass ein Polizist angeschossen wurde. Er blute sehr stark und die Kugel sei in einem kritischen Bereich eingedrungen.Als in Richtung des Ausganges rennen wollte, kamen ihm die Sanitäter mit der Trage entgegen. Sie schoben sie im Eiltempo voraus und Brauner war nicht minder erstaunt, als ein Mann mittleren Alters auf der Trage kniete und seine Hände, geschützt in Latexhandschuhe gekleidet, auf die Wunde des Verletzten gedrückt hatte. „Männlich, Mitte 30! Schusswunde unterhalb des linken Brustkorbbereiches. Schwere Blutungen, sowie weitere, innere Blutungen vermutet!“, sprach der Notarzt im Eiltempo herunter und Brauner sah in das Gesicht des Patienten Es war blutleer und die Lippen hatten jeglichen Farbe verloren Jedenfalls konnte er das unter der Atemmaske erkennen. „Komm, schon Alex! Stirb mir ja nicht unter den Händen weg!“, flehte der Mann auf der Trage. „Gerkan, sein Partner. Er hat uns unter die Arme gegriffen“, erklärte ein Sanitäter und Brauner nickte verstanden. „Gerkan, es ist gut, Sie können nun runter, mein Team und ich übernehmen!“„Er ist mein Freund, ich kann nicht...“
„GERKAN!“ Semir sah mit Tränen in den Augen zu Brauner und dieser nickte nochmals aufmunternd. „Wir kümmern uns um ihn“, sagte er nun sanfter und übernahm mit seinen Händen das Abdrücken der Wunde. Semir sprang von der Trage und musste mitansehen, wie Alex auf der Trage in den Not-OP geschoben wurde.
Brauner zog sich seinen Mundschutz und die Haarkappe an und sah zu der Operationsschwester. „Das Bewusstsein hat er im Krankenwagen verloren“, erklärte sie und riss Alex Pullover auf. Das Blut war über den linken Oberkörper verwischt. „Ich will sofort alle Daten. Atem, Puls, Blutdruck!“, befahl Brauner und die Schwester befestigte die EKG-Pats auf Alex Brust, anschliessend schloss sie ihn an die restlichen Überwachungsgeräte an. „Atmung 10, Puls 70 Blutdruck 80 zu 60...Tendenz fallend!“, gab die Schwester durch und Alex wurde für die Operation vorbereitet. Semir riss sich die Handschuhe von den Händen und warf sie in den Mülleimer. Er griff sich an den Kopf und irrte vor dem Operationsraum hin und her. In seine Nase drang der eklige Geruch von Plastik, dass von den Handschuhen noch immer an seinen Händen klebte.„Semir!“ Er sah auf und erblickte Andrea, die auf ihn zu gerannt kam und ihn stürmisch umarmte. Semir drückte sich sofort auf seine Frau und atmete tief durch. „Ich hatte nicht aufgepasst...ich Idiot hatte nicht aufgepasst!“ Andrea strich Semir über den Rücken. „Du hast nicht auf ihn geschossen, also ist es nicht deine Schuld!“, erwiderte Andrea und löste sich leicht von Semir, um ihm in die Augen zu schauen. Dabei drang in sein Blickfeld die blutigen Spuren, die, die befleckten Räder hinterlassen hatten.„Die Kinder?“, fragte Semir heiser und Andrea seufzte kurz. „Dana hat allen Schulkollegen von ihnen angerufen und gesagt, dass sie wegen einem Notfall morgen nicht in die Schule kommen können...seitdem passt sie auf die Kleinen auf, bis meine Eltern kommen...“, antwortete sie. „Gerkan...“ Semir und Andrea sahen Kim auf sich zukommen. Sie wirkte ebenso besorgt wie sie. „Ihre Kollegen sind nun am Tatort. Sie bleiben erst Mal hier!“ Semir hatte gar nicht die Kraft, abzulehnen. „Was Sie getan haben war nicht falsch“, begann Kim in ungewohnt sanften Ton. „Aber...“„Wenn es Alex das Leben kostet, komm’ ich trotzdem aufs Schafott!“, funkte Semir ihr ins Wort und Kim schüttelte mit dem Kopf. „Nein...das habe ich nicht...“ Semir blickte sie ernst an. „Ich meine auf mein persönliches! Ich werde mir, wenn es dazu kommt, niemals verzeihen können!“
Die Schwester blickte besorgt auf das leichenblasse Gesicht von Alex und sah, ob die Atemmaske noch richtig sass. Danach sah sie direkt auf die Monitore. „Vitalwerte stetig fallend...“, murmelte sie besorgt. Brauner beugte sich über die geöffnete Operationsstelle. „Da ist zu viel Blut...“, knirschte Brauner und zu seiner Bekräftigung, floss ein Schwall Blut zu Boden. „Scheisse...“, zischte Brauner und blickte auf seinen Assistenten. „Absaugen!“, sagte er und der Assistent tat wie ihm befohlen. „Ich finde die Kugel nicht!“ Brauner drang tiefer ein. „Hab ich dich, du Mistkerl!“, grummelte er und streckte seine Hand aus. Eine Schwester reichte ihm die Klammer und er entfernte vorsichtig das Projektil. Trotzdem schlugen die Anzeigen aus. „Blutdruck weiter fallend!“, murmelte die Schwester besorgt und Brauner blickte auf seinen Assistenten. „Da muss es eine weitere Blutquelle geben, nahe des Herzens, dass es unter Druck setzt!“ Brauner nickte. „Du weißt was zu tun ist!“ Brauners Assistent nickte und öffnete zusätzlich die Herzgegend. „Tatsächlich.“, stiess Brauner aus und nickte seinen Assistenten zu sich. „Kümmere du dich darum, ich klemm die andere Quelle!“ Der Assistent übernahm und Brauner sah sich die Herzgegend an. „Klemme“, bat er eine Schwester und bekam sie überreicht. „Okay, zu...wir müssen uns beeilen, oder...“ Die Geräte schlugen ein weiteres Mal aus. „Kammerflimmern!“, stiess eine Schwester aus und reichte sogleich Brauner die Defibrillatoren. Brauner erinnerte sich sogleich, wie seine kleine Tochter mal scherzhaft sagte, dass die Defibrillatoren, die man direkt am Herzen ansetzte, wie überdimensionale Milchaufschäumer aussahen. „Lädt!“, kündigte die Schwester an und Brauner setzte die Pedale an Alex Herz. „Weg!“, sagte er und gab eine Ladung ab. „Immer noch Kammerflimmern!“, sagte die Schwester und Braune blickte in Alex Gesicht, während erneut geladen wurde. „Sterben Sie mir hier nicht weg!“, drohte er und schockte Alex nochmals. „Wir haben ihn wieder!“, sagte eine Schwester, als das Piepen wieder regelmässiger wurde und Brauner blickte sein Team an. „Dann sehen wir zu, dass wir ihn hier sicher rausbekommen!“
Semir sass auf der Wartebank vor dem Saal und seine Füsse wippten nervös hin und her. Er sass zwischen Andrea und Kim, die ebenfalls nervös auf die Türe blickten. „Sollten wir nicht Felix und Alex Pflegemutter informieren?“, fragte Andrea auf einmal und Semir schüttelte mit dem Kopf. „Alex hat mich als Vertrauensperson eingetragen...weil er Felix vorerst erst Mal schützen will...die Beiden befinden sich momentan auf Sylt und Felix soll durchatmen können. Von den Therapien, den Befragungen...und Alex fragte mich eben letzte Woche, ob er mich für solle Notfälle als Kontaktperson eintragen dürfte...“ Andrea sah Kim an und diese nickte zustimmend. „Wurde auch bei mir so vermerkt“, gab sie Semir Recht. „Solange wir nicht wissen, ob es Alex schafft oder nicht, melden wir uns nicht. Das war sein Wunsch...“ Andrea nickte. „Hoffen wir nur, dass alles gutgeht...“ Kaum hatte Andrea diesen Satz ausgesprochen, ging die Türe auf und Doktor Brauner kam aus dem Raum. „Semir Gerkan?“, fragte er und der Angesprochene stand sofort auf. Fragend blickte Brauner auf die beiden Frauen. „Andrea Schäfer...meine Partnerin und Kim Krüger, Alex und meine Vorgesetzte“, stellte Semir vor und Brauner gab den Beiden die Hand. „Wie geht es Alex?“, brachte Semir das Gespräch wieder in die richtige Bahn. „Herr Brandt hatte sehr viel Glück im Unglück. Zwar erlitt er innere Blutungen und geriet ins Kammerflimmern, aber er ist ein zäher Bursche. Es wird ein wenig länger dauern und er ist momentan sehr schwach, aber er wird wieder vollständig genesen!“ Semir atmete erleichtert durch. „Zur Kontrolle, haben wir ihn auf die Intensivstation verlegt. Als eingetragene Person sind Sie natürlich berechtigt, zu ihm zu gehen. Allerdings wird er heute wahrscheinlich nicht mehr aufwachen...erwarten Sie also nicht zu viel!“ Semir nahm Brauners Hände und schüttelte sie. „Vielen Dank...“, stiess er aus und musste die aufkommenden Tränen unterdrücken. „Passen Sie gut auf ihn auf“, sagte Brauner nur und verabschiedete sich von ihnen. „Ein Glück...“, murmelte Kim erleichtert und auch Andrea legte sich eine Hand auf ihre Brust. „Ich gehe den anderen Bescheid sagen. Gerkan, ich will Sie Morgen am Tatort, um Ihre Version genau zu hören!“ Semir nickte und sah mit Andrea Kim nach. „Du solltest auch wieder zu den Kindern“, flüsterte Semir und Andrea blickte ihn besorgt an. „Ich komme klar...und melde mich. Aber dieser Platz ruft doch in dir auch keine positiven Erinnerungen hervor!“
Tatsächlich dachte Andrea nur ungern an das Ereignis vor ein paar Monaten. „Okay, aber wenn irgendwas ist...“„Natürlich“, versicherte Semir nochmals und liess seine Geliebte ziehen. „Herr Gerkan?“ Eine Krankenschwester kam auf ihn zu. „Schwester Susanne, Intensivstation. Ich bringe Sie zu Herrn Brandt!“ Semir nickte dankend und folgte ihr. Sie brachte ihn zum Zimmer am Ende des Ganges und Semir spürte sofort erneut, wie sehr er Krankenhäuser hasste. Diese ständige Aura des Todes die in der Luft hing, drohte ihn jedes Mal zu erdrücken. „Bitte legen Sie sich noch die Schutzkleidung an.“ Schwester Susanne reichte Semir die erwähnte Kleidung und Semir zog sie sich mit der Hilfe der Schwester an. Danach öffnete sie die Türe und bat Semir in das Zimmer.
Semir schluckte, als er Alex auf dem Krankenbett erblickte. Das gepunktete Krankenhaushemdchen konkurrierte von der Blässe her mit Alex Gesicht. Die Lippen hatten jegliche Farbe verloren und die Augenlider waren leicht rötlich. Zu der Erleichterung seiner Atmung trug Alex einer Sauerstoffbrille und durch ein paar Infusionen wurden ihm Blut und Medikamente zugeführt.Semir war eigentlich selbst von sich erschrocken, wie gut er die Geräte kannte. Pulsmesser, Blutdrucknehmer, EKG, alles war ihm nicht fremd. Leise nahm er sich einen Stuhl und setzte sich neben Alex Bett. Sanft nahm er Alex Hand. „Ich weiss nicht, wie ich dir danken soll“, flüsterte er und wusch sich mit der freien Hand eine Träne aus den Augen. „Ich schwör dir, ich kriege diese Typen Alex! Die sollen es ja bereuen, dir das angetan zu haben!“ Semir schluckte schwer. „Ich habe dir viel zu verdanken Alex...ich denke, unsere Freundschaft wächst immer mehr...ich hätte es Schade gefunden, wenn unser kleines Gebäude beim Aufbau schon eingestürzt wäre!“