Semir stand auf und lief Richtung Eingangshalle des Krankenhauses, wo Hotte und Kim standen. Letztere lief auf Semir zu, sah ihn traurig an und legte ihre Hände auf seine Schultern. Eine Geste, mit der er nicht gerechnet hätte. „Wir werden alles tun, um sie zu finden Gerkan…wirklich alles!“ Semir nickte dankend.
„Wie geht’s Ben?“, fragte Hotte besorgt und Semir zuckte mit den Achseln. „Er sieht schrecklich aus…und es geht ihm auch so…“ Kim verschränkte die Arme. „Er wollte also Ihre Frau beschützten…deshalb ist die Wunde aufgebrochen?“ Semir bestätigte dies. „Tayfun will mich fertig machen…und die Mahler Ben…bitte lassen Sie den Schutz wegen Ben und den Kindern verdoppeln!“ Kim winkte ab.
„Alles schon getan! Nochmal soll sowas nicht passieren…ich bin ebenfalls sauer Gerkan…“
„Da sind wir schon drei“, mischte sich Hotte ein und stemmte die Hände in die Hüfte. „Tayfun wird sich sicher melden, er wird was von mir verlangen…“, sagte Semir leise und Kim schnalzte kurz mit der Zunge. „Das ist mir klar…aber er wird sie nicht kriegen Gerkan, geschweige denn Sie umbringen. Sie sind nicht alleine…“ Der letzte Teil des Satzes war leise ausgesprochen worden. Bedacht, ehrlich. Semir lächelte kurz. „Haben wir schon was, bezüglich der Videoaufnahmen?“ Kim nickte auf Semirs Frage, ihr Gesicht verfärbte sich selbst durch das Make-Up in ein rot. Ein rot voller Wut. „Mahler hat den Gefängniswärter bestochen, ebenso einige Gefangene, ein Aufruhr wurde angezettelt und im Wirbel des Geschehens, konnten Mahlers Ex-Frau und Tayfun flüchten!“
Semirs Augen rissen sich weit auf. „Bestochen?“, fragte er nochmals nach und Kim atmete tief durch. „Die Tracht Prügel hat der Wärter schon bekommen, glauben Sie mir“, sagte sie gehässig und rieb sich kurz symbolisch die Faust.
„Frau Krüger“, meinte Hotte entsetzt und diese wendete ihren Blick zum dicklichen Polizisten. „Er wollte mich begrabschen, wollte mich bestechen, auch ich kenne meine Grenzen“, zischte sie.
„Sonst noch?“, fragte Semir ungeduldig und lenkte so die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Melanie Mahler hatte ihrem Mann das Gefühl gegeben, dass sie ihn zurückwollte. Wir haben drum die Telefonaufnahmen bekommen. Ausserdem hatten Gefängniswärter berichtet, dass Melanie Mahler ab und an nicht in der Zelle aufzufinden war, wahrscheinlich bekam sie vom bestochenen Wärter des Frauengefängnisses nicht datierten „Freipässe“ um Mahler eben in die Paranoia zu treiben, was die Hundebiss anging, zumindest schien dies ihn ziemlich beschäftigt zu haben, er hatte sogar die Gefängnispsychologin aufgesucht gehabt.“
„Aber wieso Ben?“, fragte Semir entsetzt nach. „Melanie Mahler glaubt, dass Ben damals den Befehl zur Stürmung vorzeitig gegeben hatte. Hatte er aber nicht. Zudem kann sie ihm, laut Berichten von Mithäftlingen, nicht verzeihen, sie verhaftet zu haben. Angeblich bekommt man ihre Aggression nicht in den Griff. Sie ist eine wandelnde Zeitbombe.“
„Was sich Tayfun zu Nutze macht“, dachte Semir laut und Hotte stimmte ihm zu. Der Deutschtürke griff sich an den Kopf und trat gegen die Wand. „Verdammt…Andreas Todesurteil ist so gut wie unterschrieben…“, rief er laut und pessimistisch.
Kim packte ihn am Arm und drückte zu. „Ist es nicht, wir werden sie heil da rausholen!“ Semir atmete tief durch, biss sich auf die Unterlippe und nickte. „Herr Freund ist in alles eingeweiht, er legt gerade eine Nachtschicht ein, wir werden gleich zu ihm fahren…vielleicht hat er ja schon was für uns!“
Hartmut sass vor seinem Mikroskop und hatte ein Lächeln im Gesicht, breiter als sein Wissen über die Forensik. Er sah sich eine der Kugeln an, die aus dem Gewehr abgefeuert wurden, als Semir und Ben angegriffen worden waren.
„Melanie Mahler, du bist zwar eine geniale Schlampe, aber mich legst du nicht rein…“, murmelte er leise, obwohl er alleine war. Die KTU war verlassen. Er stand auf und schrieb sich die Ergebnisse auf, per Computer, versteht sich.
Er legte die Kugel zurück in die Aservatentüte und verschloss sie. „Dich krieg ich auch noch Tayfun…ich denke, dass du die Schüsse abgefeuert hast.“ Er legte die Tüte neben eine andere, in der eine silbrige Form, die aussah wie ein abgebrochener Zahn, lag. Er war in getrocknetem Blut getränkt. „Aber nun kann ich dir, Melanie, nachweisen, dass du Ben verletzt hast…genial, aber nicht genial genug!“
„Oh, danke für die lobenden Worte“, hörte er auf einmal eine Frauenstimme und drehte sich um. Melanie Mahler, stand vor ihm, eine Pistole auf ihn gerichtet. „Mahler“, zischte Hartmut und versuchte den kalten Schauer zu überdecken, den ihn überkam. „Man hört viel von Ihnen Herr Freund im Gefängnis, Sie tragen ja schwer dazu bei, dass Ben und Semir die Insassen kriegen, nicht wahr?“ Hartmut sagte nichts, er lehnte sich gegen den Tisch, seine eine Hand, griff nach einem Glas. „Was wollen Sie?“; fragte er nach einer Minute des Schweigens und Mahler nickte auf die Beweise. „Die will ich. Ich war ein wenig fahrlässig, aber das wird sich nun ändern.“ Hartmut schüttelte mit dem Kopf. „Auf gar keinem Fall“, erwiderte er laut und schüttete den Inhalt des Glases über die Frau. Ungefährliche Chemikalien, doch es reichte, dass die Frau erschrak und die Pistole sank. Hartmut packte die Beweise und rannte aus seinem Büro, die Treppen hinunter zu der Werkstatt, die zum Ausgang führte.
Doch leider hatte sich Mahler zu schnell wiedergefunden. Sie holte Hartmut noch auf der Treppe ein, trat ihm in den Rücken und der Rotschopf stürzte die Stufen hinunter. Er schlug mit dem Rücken gegen einer der Spiegel auf, welcher zerbrach. Die Scherben sammelten sich auf dem Fusse der Treppe, wo Hartmut zum Schluss auch hart aufprallte. Dabei liess er die Beweise los und blieb benommen liegen.
Melanie lief keuchend auf ihn zu, beugte sich und nahm die Beweise. „Nicht schlecht, für einen Forensikfreak“, sagte sie leise, richtete sich wieder auf und wollte los, als sich etwas Spitzes in ihre Wade bohrte. Sie schrie vor Schmerz auf und sah nach unten. Hartmut, dessen Kopf blutüberströmt war, hatte eine Scherbe in die Wade gestossen gehabt. Die Hand umgriff fest die Scherbe und er drückte sie weiter hinein. „Du mieses…“, stiess Melanie aus und trat Hartmut gegen den ausgestreckten Arm und traf dabei das Schlüsselbein. Sofort spürte er, wie es knackte, doch er wollte nicht loslassen.
„Lass‘ los!“ Sie holte noch einmal aus, traf Hartmut dieses Mal an die Schläfe und Hartmut sackte bewusstlos in sich zusammen, dabei liess er auch die Scherbe los. „Dieses kleine Arschloch“, wimmerte Melanie und zog die Scherbe aus ihrer Wade, dabei entglitt ihr ein kleiner, spitzer Schrei. Von weitem, hörte sie, wie sich ein Wagen näherte. Sie steckte die Beweise in ihre Jackentasche, steckte die Waffe in den Halfter und humpelte durch den Hintereingang nach draussen, durch den sie auch hereingekommen war.