1.
Semir Gerkan lag zusammen mit seiner Andrea im Ehebett, eng aneinander kuschelnd so, als wollten sie sich nie mehr loslassen. Es war Nacht, inzwischen schon Montag und der Deutschtürke musste am diesem Tag wieder arbeiten und das mit Hotte Herzberger an seiner Seite, da sein Partner eine Woche Urlaub genommen hatte.
Er genoss die Wärme seiner Frau, ihre zarte Haut und ihr lockiges Haar. Er wollte nicht schlafen, er wollte sie einfach spüren. Ihrem ruhigen, leichtem Atem zuhören und spüren, wie sich der Brustkorb hob und sank.
Manchmal fragte er sich, wie er ein solches Glück verdient hatte. Eine wunderbare Frau, zwei bildhübsche Töchter und einen Partner, der ihn alles mit Tom vergessen liess, ihn vergeben liess und sogar Patenonkel seiner jüngsten Tochter war – ein bester Freund, wie man ihn sich nur wünschen konnte und den er schon zwei Mal beinahe verloren hatte.
Doch Ben war nicht abgehauen wie ein Jan, oder hatte sein Vertrauen gegenüber Semir verloren wie ein Chris. Nein – Ben war wie Tom und Semir hoffte, dass er diesen Partner noch lange an seiner Seite haben würde.
Verträumt blickte er auf Andrea und strich ihr über die nackte Schulter. Sie regte sich kurz und drehte sich um. Ihre Augen, verschlafen und doch wunderschön. „Du bist noch wach?“, fragte sie schlaftrunken und Semir lächelte. „Wie soll ich bitte schlafen können, wenn ich meinen Blick nicht von deiner unendlichen Schönheit abwenden kann?“ Andrea hob eine Augenbraue und lächelte. „Immer noch der alte Casanova“, flüsterte sie und gab ihrem Mann einen Kuss. Ihre Lippen versiegelten sich und die Hände glitten je zum Körper des anderen. „Mein türkischer Hengst fängt wohl Feuer“, lächelte Andrea und küsste ihren Mann wieder leidenschaftlich. „Der türkische Hengst fängt immer Feuer“, erwiderte Semir und küsste seine Frau auf den Nacken und die Schulter. „Nicht aufhören“, flüsterte Andrea und Semir dachte auch nicht daran. Obwohl sie schon lange verheiratet waren, fühlten sich Beide noch immer so verliebt wie am ersten Tag. Sie hatten grosse Schwierigkeiten zusammenzukommen. Doch mit der Hochzeit vor ein paar Jahren, hatten sie dem ständigen Hin und Her endgültig ein Ende gesetzt gehabt.
„Ich bin der glücklichste Mann der Welt“, sagte Semir zwischen seinen Liebesattacken und Andrea strich ihrem Mann übers Gesicht. „Und ich die glücklichste Frau…“ Sie wollten wieder zu einem Kuss ansetzen, als Semirs Handy klingelte.
„Um diese Uhrzeit?“, protestierte Andrea da sie genau wusste, dass ihr Mann nun aufspringen würde, um den Anruf entgegen zu nehmen, was auch geschah. Semir zuckte mit den Achseln und setzte sein unschuldiges Grinsen auf. „Damit kommst du nicht durch!“, zischte Andrea und rollte sich in der Decke ein, um ihren Mann keines Blickes zu würdigen.
Semir sah auf den Display. Die Nummer war ihm bekannt, aber abnehmen wollte er irgendwie gerne, aber irgendwie auch nicht. „Was zum Teufel will Ben von mir um diese Uhrzeit?“, dachte er laut und Andrea drehte sich zu Semir um. „Ben?“, fragte sie nach und Semir nickte. Andreas Sinne schlugen Alarm.
„Er ruft nie spät in der Nacht an Semir…nimm‘ lieber ab…“ Semir nickte und nahm ab. „Hey Partner…schon solche Sehnsucht nach mir?“, versuchte er zu scherzen, worauf Andrea nur mit den Augen rollen konnte.
„Semir…ich störe dich wirklich nur ungern…“, Semir konnte hören das Bens Stimme zitterte, „aber hast du Verbandszeug bei dir Zuhause?“
„Ja habe ich…hast du dich verletzt?“
„Ich weiß es nicht…kannst du bitte kommen?“ Semir sah zu Andrea und formte mit den Lippen, „Er hört sich gar nicht gut an!“, worauf Andrea gestisch andeutete, dass er zu ihm gehen sollte. „Alles klar Kumpel…gib‘ mir zehn Minuten…“
„…danke…das bedeutet mir viel…“ Mit diesen Worten hängte Ben auf. „So habe ich ihn noch nie gehört. Er klang total verängstigt!“ Semir lief zu seinem Kleiderschrank und zog sich um. „Also stimmt wirklich was nicht?“, fragte Andrea besorgt und Semir nickte seufzend. „Deine Sinne lagen mal wieder richtig…“ Normalerweise freute sich Andrea über eine Einsicht von Semir, doch dieses Mal sagte ihr etwas, dass diese Freude nicht berechtigt war. Ausserdem war sie besorgt um Ben. „Warte kurz Semir…bevor du gehst…“ Sie stand auf und zog unter dem Bett einen grossen Erste-Hilfe-Koffer hervor. Sie ging zu ihrem Mann gab ihm den Koffer. „Der ist besser als den, den wir im Bad haben!“
Semir küsste seiner Frau aus Dank leidenschaftlich und ging dann nach unten, um mit seinem Wagen loszufahren.
Die Strassen Kölns waren in der Nacht friedlich und ruhig. So kam Semir ohne Probleme durch den Verkehr und parkte seinen Wagen vor dem Appartementhaus, wo Ben wohnte. Er stieg aus und nahm von der Rückbank den Erste-Hilfe-Koffer hervor. Er stand am Eingang und klingelte. „Wer da?“, erklang aus dem Lautsprecher. „Hey Ben ich bin‘s…versprochen ist versprochen!“
„Super…warte ich mach dir auf…die Tür oben ist offen, komm einfach rein!“
Es krächzte und Semir stieß die Türe auf. Er lief die Treppen auf und betrat sofort Bens Wohnung, schloss danach die Türe hinter sich zu. „Ben…? Wo bist du?“ „Im Wohnzimmer…“, kam die knappe Antwort und Semir lief direkt in den Raum.
Ben saß auf der Couch und auf dem Salontisch lagen lauter, blutverschmierte Papiertaschentücher. Semirs Partner war bleich im Gesicht und Augenringe zierten sein Gesicht. Mit neuen Papiertaschentüchern versuchte er eine enorme Bisswunde auf der linken Seite zu säubern. Das Unterhemd war hochgezogen.
„Ben, um Himmels willen…“ Semir legte den Koffer auf den Tisch und fasste seinen besten Freund besorgt an den Schultern. „Hey Semir…danke dass du gekommen bist…“ Semir nahm Ben die Tücher aus der Hand und sah sich die Wunde an. „Wie ist das denn passiert?“, fragte er, während er das Unterhemd hochhielt und mit der freien Hand nahm er den Erste-Hilfe-Koffer. „Wenn ich dir das sage…glaubst du mir das nie…“, erwiderte Ben und zuckte auf, als Semir begann, die Wunde mit Jod auszuwaschen.
„Komm Ben…wir sind beste Freunde…das kannst du mir doch sagen! Bist du nach der Schicht noch einen Trinken gegangen und hast dich mit einem Hund geprügelt?“
Ben schüttelte mit dem Kopf.
„Bist du schlafgewandelt?“
Wieder kopfschütteln.
„Hast du irgendwas nach unserer Schicht gemacht?“
„Nein Semir…ich…gleich nach unserer Schicht bin ich nach Hause und hab mich hingelegt. Ich habe einen riesen Mist geträumt und als ich aufgewacht bin…hatte ich AUA!“ Semir hob entschuldigend die Arme. „Leg dich mal auf die gesunde Seite, dann komm ich leichter ran!“ Ben nickte und tat wie ihm befohlen. Semir machte die große Lampe nahe dem Sofa an um eine bessere Sicht zu bekommen.
„Du bist also die ganze Zeit im Bett gelegen?“ Ben nickte auf Semirs Frage. Als dieser wieder begann die Wunde auszuwaschen, spürte er wie sein Partner zitterte.