Es dauerte noch eine Stunde, bis Ben wieder Farbe im Gesicht hatte und sich wieder aufrichten konnte. In der Zwischenzeit hatte der Notarzt die Wunde genäht und verbunden gehabt und auch noch die Infusion entfernt.
Er reichte Semir eine Armschlinge, da Bens Knochen ja leicht verletzt war.
„Sollten Sie keine Schmerzen mehr haben, können Sie es auch ohne versuchen, im Moment, würde ich Ihnen aber raten, die Schlinge zu gebrauchen…“, riet er Ben und Semir nahm die Schlinge entgegen, da sein Partner sich, mal wieder ohne nach Hilfe zu fragen seinen Pullover wieder anzog. Der Stoffteil, wo sich das Messer reingebohrt hatte, wurde abgeschnitten, so war der Verband deutlich sichtbar.
„Danke Herr Doktor.“ Der Arzt nickte auf Semirs Dank hin und reichte dem Deutschtürken noch ein Döschen mit Pillen. „Eine pro Tag sollte reichen“, mit diesen Worten verabschiedete er sich.
„Okay…“, murmelte Semir und steckte die Pillendose in die Brusttasche seiner Jacke, er sah, wie Ben ihn ansah. „Geht’s wieder?“, fragte Semir besorgt und Ben nickte. „Fühl mich zwar immer noch leicht wie auf einem Trip, aber dafür tut mein Arm im Moment nicht so weh.“ Semir wusste genau, worauf Ben hinauswollte.
„Das Ding wird angelegt!“, sagte er mit gespielter, väterlicher Strenge in der Stimme. „Aber Semir…“, jammerte Ben wie ein kleines Kind zurück. „Nichts aber, du hast den Arzt gehört. Erst wenn er nicht mehr weh tut und im Moment sollst du sie tragen!“
„Ein Brunch gegen?“
„Du weisst, dass ich mit Essen nicht zu bestechen bin, im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten hier im Raum!“ Ben zog einen Schmollmund und Semir stellte sich vor ihn. Ben liess sich helfen, wenn auch mit so manchem Grummeln. Semir legte seinem Partner die Schlinge an. „So, am besten sehen wir nach, was nun läuft!“ Semir lief voraus und Ben blieb skeptisch stehen. „Einfach so?“, fragte er und Semir drehte sich nach ihm um. „Einfach was?“, fragte der Deutschtürke zurück und Ben ging auf ihn zu – sein Gang war sicher. „Du lässt mich einfach weitermachen? Kein“, er begann Semir nachzuäffen, „Ben du solltest dich lieber hinlegen, oder ich halte das nicht für eine so gute Idee!“ Semir grinste, das erste Mal seit langem, wieder. „Würde bei dir sowieso nichts bringen, ich hab ja schon alles versucht was ich kann, aber dir ist ja nicht zu helfen“, antwortete er und lief weiter. Ben zog eine Augenbraue hoch, dann begriff er.
„Oh, miese Tour! Ganz miese Tour Freundchen!“, zischte er, lief hinterher und gesellte sich dann neben Semir, „Einem Schwerverletzten ein schlechtes Gewissen zu machen! Du hast wohl keine Skrupel!“
„Ach, auf einmal bist du schwer verletzt?“ Ben wollte zur Erwiderung ansetzten, hörte aber noch rechtzeitig auf da er wusste, dass diese Diskussion nur Semir gewinnen konnte. „Gemeiner Schachzug!“, protestierte Ben und Semir zuckte mit den Achseln. „Hey, ich bin der Vater von zwei Mädchen, an dir kann ich mich perfekt für deren Pubertät vorbereiten!“ Ben sagte nichts. Der Klügere gab bekanntlich nach, obwohl er sich nicht sicher war, ob er bei dieser Neckerei wirklich der Klügere war, trotzdem liess er es einfach im Raum stehen.
Sie kamen zu dem Zimmer, wo der Überfall geschah. Hartmut war inzwischen eingetroffen und schoss Fotos. Kim stand an der Türschwelle und beobachtete jeder seiner Bewegungen. „Chefin!“, rief Semir und zeigte so, dass sie kamen.
„Herr Jäger – na, geht’s wieder?“, fragte sie nach und Ben nickte. „Sieht schlimmer aus, als das es in Wirklichkeit ist.“, antwortete er und Semir prustete kurz, vorauf Ben ihm mit dem gesunden Arm, eine in die Seite puffte. Kim ignorierte dies. „Der Angreifer, der von Riemann ausgeknockt wurde, ist gerade auf den Weg zum Verhörraum. Wenn Sie Lust haben!“ Semir sah zu Ben und dieser nickte. „Mit dem hab‘ ich noch ein Hühnchen zu rupfen!“, knurrte er und lief voraus.
„Ihr Kollege ist bereits bei Riemann Gerkan, allerdings würde ich ihn momentan nicht stören…“ Semir begriff. „Danke…“, sagte er knapp und rollte dann mit den Augen als Ben ein lautes „Kommst du endlich?“, von sich gab. „Sehen Sie, allzu schlecht kann es ihm wirklich nicht gehen!“ Kim nickte zustimmend. „Wenn er Ihnen schon wieder so auf den Senkel gehen kann“, fügte sie noch zwinkernd hinzu und Semir verabschiedete sich mit einem kurzen Winken.
Schnell rannte er zu Ben und gemeinsam gingen sie hinaus. „Tut mir leid, dass ich dir deinen Abend mit Andrea versaut habe“, sagte Ben dann leise, als sie beim Wagen warn. Semir winkte ab. „Vergiss‘ es, war sowieso im Eimer“, grummelte er und Ben zog eine Augenbraue hoch. „Nun wird sie doch zu meiner Schwiegermutter fahren und…na ja…“
„Lass mich raten, mein türkischer Hengst hat wieder gemeckert wie ein altes Waschweib!“ Semir sah in Bens Gesicht und nickte dann mit gerümpfter Nase. „Oh man Semir, du müsstest echt lernen, dein Temperament zu zügeln…“
„Und du solltest lernen, nicht immer in Schwierigkeiten zu geraten!“, gab Semir pampig zurück und gemeinsam stiegen sie in den Wagen ein, um in die PAST zu fahren.