Semir konnte unbemerkt entkommen. Jedoch war sein Puls sehr hoch und das Herz schlug kräftig gegen den Brustkorb. Selbst das Atmen fiel ihm schwer – er fühlte sich wie nach einem Hundertmeterlauf. Bald, bald wäre er wieder im Versteck. Doch was sollte er den Anderen sagen? Ihr bester Freund war soeben pulverisiert worden. In Semir aber keimte noch wage die Hoffnung, dass Chris überlebt hatte – schliesslich hatte es Ben damals auch.
Er schlich an den Vätern vorbei. Viele hatten, den Blicken zufolge, die Hoffnung schon längst aufgegeben. Vielleicht schrieben viele schon innerlich schon ihr Testament oder verfluchten ihre Frauen, bei dieser Veranstaltung mitgemacht zu haben. Er wusste es nicht und tief im Inneren wusste er, dass er es nicht wissen wollte. Er kam in den Raum wo die Frauen und Ben sich versteckt hielten. „Elvira…“, zischte er leise und die Angesprochene kam aus dem Versteck. Ihre Hände, von Blut verschmiert. Semir wusste genau, wem dies gehörte. Sie kroch zu Semir und sah seinen Gesichtsausdruck, auch bemerkte sie, dass Chris fehlte. „Was zum Teufel habt ihr gemacht? Was war das für ein Krach?“, fragte sie und Semir schluckte. „Ich wollte eigentlich, dass Chris die Wache ablenkt und ich dann mit dem Auto Hilfe holen würde. Doch Chris übernahm diesen Part…und das Krachen…das….“ Elvira begriff, sie biss sich auf die Unterlippe und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Elvira…ich…“ „Zuerst…Elli reicht völlig, ausserdem haben wir keine Zeit darüber nachzudenken…nun zählt es die Anderen hier rauszuholen. Und alleine schaffst du das nicht. Du wirst uns also brauchen…“ Semir nickte langsam. Der Kloss in seinem Hals verdickte sich immer mehr. Elvira legte eine Hand auf seine Schulter. „Und…du hast Familie, ich hätte an Chris Stelle auch nicht anders gehandelt. Du hast zwei kleine Mädchen und eine bezaubernde Frau, die dich brauchen…“ Semir nickte langsam. Doch die Schuldgefühle, ebbten dadurch nicht ab. „Elli! Semir!“, hörten sie Jennifers Stimme und die Beiden hörten genau, dass ein Anflug von Panik in der Stimme mitschwang. Sofort krochen sie zurück.
Jennifer hatte sich über Ben gebeugt, der die Augen geschlossen hatte. Seine Haut war inzwischen käsig, in Schweiss getränkt und die Augenlider hatten eine rötliche Form angenommen. Sein Brustkorb hob sich nur noch stockend. Jennifers Hände waren ebenfalls mit Blut beschmiert. Allerdings, frischem, feuerheissem Blut. Sie hatte die Hände auf die Wunde gepresst, doch der Lebenssaft fand den Weg zwischen den Fingerritzen. Durch den Pullover in kleinen Rinnsalen sichtbar, fand das Blut den Weg über Bens Körper. Semir sah Elvira an und diese nickte. Sie krempelte die Ärmel hoch. „Ich halte, was ich verspreche…“, sagte sie leise und sah Jennifer an. „Ich werde helfen“, sagte sie und Semir schluckte schwer. Wieso hatte er Ben bloss mitgezerrt gehabt?