"Semir!" Bens Stimme überschlug sich beinahe und der junge Kommissar rannte sofort zu seiner Couch, wo seine vorbereiteten Sachen lagen. Schnell zog er sich seine Jeans, seinen schwarzen, dünnen Pullover, das weisse T-Shirt darüber und die Socken an. Das Handy liess er dabei an, schaltete es auf "Lautsprecher", in der Hoffnung, dass Semir antworten würde. Als er mit dem Pullover über das Pflaster fuhr, durchzog in ein schwacher, stechender Schmerz. Als er fertig war, rannte er wieder zu dem Mobiltelefon und drückte es wieder an sein Ohr. "Semir! Komm' schon antworte!", flehte er doch nichts. Er hängte auf und wählte sofort Susanne Königs Nummer in der Dienststelle. Diese meldete sich, wie immer, freundlich und beherzt. "Susanne du musst mir sofort Semirs Handy orten!", befahl Ben etwas schroff und Susanne zuckte an dem Ende der anderen Leitung zusammen. "Sofort, aber wieso?"
"Tu' es einfach! Ich weiss nur, dass Semir auf der A1 ist!" Ben hatte sich seine Chucks angezogen - befand sich schon auf dem Treppenansatz und lief zu seinem Wagen, als er auflegte und eine völlig verwirrte Susanne hinterliess. Ein bisschen tat es Ben schon leid aber, die Sorge um Semir war stärker als jede Vernunft, geschweige denn jeder Manier. Mit einem Satz sprang er in seinen Porsche und steckte den Schlüssel. Mit einer Handbewegung zündete er den Motor und drückte das Gaspedal durch. Die Reifen quietschten unter dieser Anstrengung. Mit einem Eiltempo fuhr Ben auf die Autobahn und horchte bei einer Durchsage beim Radio auf. "Liebe Hörer, gerade habe ich eine SMS von Holger bekommen, dass sich auf der A1, nahe der Ausfahr "Stadt Mitte" ein Unfall ereignet hat. Die Polizei ist gerade dabei, das Gebiet zu sperren. Benutzt bitte die Umleitung und fahrt vorsichtig!" Ben beschleunigte seinen Wagen noch stärker und fuhr auf das angekündigte Gebiet zu. Sein Handy klingelte. Er steckte es in die Halterung am Amaturenbrett und stellte auf Lautsprecher. "Hier Susanne", kündigte der Anrufer an. "Semir befindet sich auf der..." "...A1 Richtung Stadtmitte", vollendete Ben den Satz. "Woher weisst du...?" Susannes Stimme wirkte verwirrt und perplex. "Ich habe geraten", erwiderte Ben und hielt vor der Polizeiabsperrung.
Ein junger, uniformierter Polizist stand davor und sah, wie Ben ausstieg und auf ihm zukam. "Moment, hier ist gesperrt!" wies er mit freundlicher, aber doch mahnender Stimme hin und zeigte auf das Absperrband. Ben zog seinen Ausweis hervor. "Oh, Hauptkommissar Jäger, entschuldigt!" Mit einer kleinen Geste hob der Mann das Absperrband und Ben lief mit einem dankenden Nicken unten durch. Er sah die Krankenwagen, die Streifenwagen und den Wagen des Gerichtsmediziners. Bitte nicht!, dachte Ben und rannte zu Hotte und Dieter, die er neben dem Wagen des Pathologen vorfand. "Da bist du ja", sagte Hotte erleichtert und Ben sah sich um. "Wo ist Semir?" fragte Ben hastig und mit zitternder Stimme. Dieter wies auf einen Krankenwagen. "Er wird gerade untersucht!" Ein kleiner Stein fiel Ben vom Herzen, doch vollkommen erleichtert war er noch nicht. Wie schwer war Semir verletzt? Er bedankte sich bei den Beiden und rannte auf den Krankenwagen zu, wo Semir auf einer Trage sass und sich in aller Ruhe verarzten liess. Als er Ben erblickte, lächelte er müde. "Hab' ich dir einen Schrecken eingejagt?" Ben rollte mit den Augen. "Mein Herzinfarktrisiko hat sicher gerade auf 30% gestiegen! Wegen dir mach ich's sicher nicht mehr lange!" Semir grinste und sah dann Bens besorgtes Gesicht. Der junge Kommissar setzte sich neben Semir und atmete tief durch. Semir bemerkte wie sein Partner keuchte und schweissüberströmt war. "Wie geht's dir?" Semir nickte zum Arzt. "Er meint dass ich nur diese nervige Platzwunde habe. Ansonsten bin ich gesund wie ein Backfisch!" Ben atmete erleichtert aus.
"Hast du dir solche Sorgen um mich gemacht?" Ben liess sich nach hinten auf die Trage fallen und stöhnte. "Hör mal! Ich möchte dich sehen, wenn es am Ende deiner Leitung kracht, du im Radio was von einem Unfall hörst und als erstes den Wagen des Docs siehst!" Semir klopfte Ben auf die Brust und erwischte gerade die Stelle, an der er verletzt war. Sofort schoss der Jüngere hoch und stiess ein lautes "Aua!" hervor. "Entschuldige!" Ben zog einen Schmollmund und sah den Arzt an. "Gibt es noch weiter Verletzte?" Der Arzt schüttelte mit dem Kopf. "Eine Frau hat einen Schock erlitten. Ansonsten sind alle wohlauf!" Er vollendete Semirs Verarztung und liess ihn dann ziehen. Gemeinsam mit Ben ging er zum Hummer, wo sich der Pathologe bereits über die Frau gebeugt hatte. "Und?" fragte er neugierig und der Gerichtsmediziner drehte sich um. "Sieh' an! Ben! Geht's dir wieder besser?" "Bis vorhin schon", begann Ben und sah vorwurfsvoll auf Semir, "trotzdem danke der Nachfrage!" Der Doc konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Todesursache?", fragte der Deutschtürke ablenkend. "Eindeutig die Schusswunde im Bauch. Wahrscheinlich ein Schrotgewehr. Da der Blutverlust noch grösser sein sollte, ich hier aber kaum Blut sehe, denke ich, sie wurde erschossen, bevor sie in den Wagen gelegt wurde." Ben sah sie sich an. Die Frau war sicherlich gerade erst 20 geworden. Hatte langes, schwarzes Haar und wirkte ausländisch. "Zeitpunkt?" "Ich denke vor zwei Stunden! Genaueres natürlich wie immer erst nach der Obduktion!" Semir nickte und der Pathologe winkte die Männer mit dem Sarg zu sich.
Ben besorgte sich Einweghandschuhe und öffnete den Kofferraum. Ihm war nicht ganz geheuer, wieso eine Frau einen Hummer fuhr. Für ihn war dies ein Machoauto. Für Männer, deren die Umwelt vollkommen egal war und etwas mit der Grösse des Wagens kompensieren wollten. Im Kofferraum lag bloss ein Koffer mittlerer Grösse. Schwarz und aus Leder. Ben hievte ihn aus dem Wagen, legte ihn auf den Boden und öffnete ihn. Zunächst ein normaler Koffer mit Wäsche, Badezeug und Duschutensilien. Als er jedoch die Kleidung anhob, erblickte er etwas sonderbares. "Semir, komm' doch mal her!" Der Deutschtürke verabschiedete sich vom Gerichtsmediziner und ging auf seinen Partner zu. Ben zog aus dem Koffer eine Glock. Eine Waffe mit fulminanter Schusskraft. "Nicht gerade eine Frauenwaffe", bemerkte Semir trocken und Ben nickte. "Allerdings. Und sieh dir das an. Lauter Pässe." "Wahrscheinlich alle gefälscht!" Wieder nickte Ben. "Das passt irgendwie alles nicht zusammen! Ein Hummer, eine Glock! Alles nicht typisch Frau!" Semir hob die Schultern. "Frauen spielen inzwischen Fussball, haben hohe Stellen in der Chefetagen, korrigieren Autobahnpolizisten nach Lust und Laune!" Bens Mundwinkel zogen bei Semirs Kommentar nach oben. "Ich meine nur. Das ist doch nicht der Style einer Frau. Eine Frau fährt, wenn sie schon die Kohle hat, einen Jaguar und Schiesswafen sind doch meistens handlich und doch gefährlich. Wieso hatte sie diesen Weg gewählt?"
"Das Ben, ist nun an uns herauszufinden!"