In diesem Moment klingelte Krügers Handy und sie nahm ab. Je mehr sie zuhörte, desto mehr begannen sich die Tränen in den Augen zu sammeln. "Das kann nicht sein", stiess sie immer wieder hervor und als sie aufhängte, begann sie bitterlich zu weinen. Und Semir wusste genau, wieso. "Er ist es! Er hat mich verlangt!" schrie sie verzweifelt und Semir ging zu ihr. Umarmte sie. Zunächst war die Chefin über die Geste erstaunt, doch war sie über eine Schulter froh, an die sie sich lehnen konnte. In diesem Moment waren jene Streitigkeiten vergessen, jeder Vorwurf, jede Falscheinschätzung, wurde begraben. "Könnten Sie mich begleiten Herr Gerkhan?" schniefte sie und Semir nickte. "Ich möchte Ben da rausholen Chefin. Und ich möchte, dass ihr Neffe keinen Mist baut!" Sie sah ihn mit raufgezogener Augenbraue an. "Okay, dass er nicht noch mehr Mist anstellt", ergänzte er und in diesem Moment kündigte die Nachrichtensprecherin eine Neuigkeit an. "Meine Damen und Herren", begann sie mit aufgebrachter Stimme, "wie wir erfahren haben, hat der Geiselnehmer jemanden erschossen. Die Polizei kann nicht eingreifen, sie befürchtet sonst ein Blutbad!" Kim Krüger schlug sich die Hand vor den Mund und klammerte sich an Semir. "Das ist ein Alptraum!" schrie sie verzweifelt und Semir erkannte seine Chefin gar nicht mehr. Das kühle Ding, war verschwunden und wich einer verzweifelten, enttäuschten Patentante.
Adriano atmete tief durch und Ben legte einen Arm um ihm. "Es kommt alles wieder gut!" flüsterte er seinem Freund ins Ohr und Adriano lächelte. "Wenn du das sagst", begann er leise, "muss es ja stimmen!" Ben sah, wie der Junge zu den Schalousinen ging und sie hinunterliess. Sofort verdunkelte sich der Raum. Das Wimmern von Mädchen war zu hören. "Ich kann nicht glauben, dass er das tut!" Ben sah Adriano an, dessen verdunkeltes Gesicht durch die dumpfe Lichteinwirkung, noch unheimliche aussah. "Wenn das stimmt was du erzählst, ist er eine verzweifelte Seele! Sie fressen alles in sich herein, bis sie explodieren!" Adriano nickte und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Wärst du nicht so kampfsportlich begabt, hättest du Kriminalpsychologe werden können!" Ben lächelte leicht und seine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Der Junge beugte sich zu der Leiche und nahm mit dem Finger etwas Blut von der Wunde und leckte es. "Wie schön salzig es doch ist!" sagte er mit sardistischem Unterton und Ben jagte es einen Schauer über den Rücken. Er musste dies beenden. Der Junge war so in seinem Blutrausch, dass er noch jemanden töten würde. Er begann zu robben und hörte nur noch wie Adriano hinter ihn fragte: "Ben, was hast du vor?"
Semir führte Krüger zum Wagen und fuhr mit ihr zu dem Ort, wo sich die Polizei mit dem GSG 9 versammelt hatte. Doch bevor sie ausstiegen, schminkte sie sich neu und setzte einen ernsten Blick auf. Keine Schwäche zeigen. Sie stieg mit Semir aus und lief zu der Gruppe zu. "Meine Herren", sagte sie nun wieder mit ihrer bekannen, kühlen Stimme und die Angesprochenen drehten sich zu ihr um. Ein Mann in ihrem Alter, attraktiv und sportlich gebaut, kam auf sie zu. "Sie müssen Frau Krüger sein!" stellte er fest und sie gaben sich die Hand. "Friedrich mein Name. Eine Flüchtige, konnte noch hören wie der Geiselnehmer sie verlangte." Krüger nickte und ging auf einen Bildschirm zu. Sie sah nur heruntergelassene Schalousinen. "Wir wollten durch das Zimmer einen Blick erhaschen. Doch der Junge ist nicht dumm!" Friedrich sah zu Semir, der sich neben die Chefin gesellte. "Wer ist das?" fragte er ein wenig abschätzend und erntete dafür schon zwei dunkle Blicke. "Das ist Hauptkommissar Gerkhan, sein Parnter ist..." in diesem Moment knallte es laut und Schreie waren aus dem Gebäude zu hören. Und Semir erkannte die, die von Schmerz geplagt war. "Ben!" stiess er entsetzt hervor und Kim Krügers Augen rissen sich weit auf.
Ben lag auf dem Boden, die Hand die nach der Waffe gegriffen hatte, war noch ausgestreckt. Der junge Kommissar begann fürchterlich zu zittern und hielt sich an der Schulter, wo die Kugel durchdrang, die der Junge losgelassen hatte. "Sag mal, hälst du mich für so dumm!" schrie er und donnerte auf Ben zu, doch Adriano hielt sich schützend vor ihm. "Bitte, bitte Stefan, verschon ihn!" Der vermummte Junge blieb stehen und sah Adriano durch die Augenschlitze eindringlich an. "Er ist Polizist Stefan! Wenn du ihn nun umbringst, kannst du den Rest deines Lebens im Knast verbringen!" Ohne ein Wort zu sagen, drehte sich der Junge um und ging wieder zu der Gruppe. "Ihr habt es gesehen", kündigte er an und hob die Arme, "was passiert, wenn man sich mir widersetzt!" Adriano beugte sich zu Ben, der auf die Zähne biss und liegen blieb. Der Schock hielt ihm auf dem Boden fest, wollte ihn nicht loslassen. "Ben!" stiess Adriano hervor und spürte, wie sein bester Freund bebte. Er half Ben hoch und spürte das feuerheisse Blut, dass über den Rücken lief. Er lehnte Ben an die Wand und öffnete sofort das Hemd, dass er trug. Die Schusswunde wurde sichtbar. "Scheisse." Der Deutschitaliener zog seinen Schal aus und begann ihn auf die Wunde zu pressen. Ben atmete heftig ein und aus. Er stand unter Schock. "Kumpel was machst du für Sachen?" fragte Adriano entsetzt und fühlte, wie das Blut über seine Finger lief. "Ich brauche sofort etwas zum verbinden!" schrie er und ein Mädchen sah den Geiselnehmer an. "Mein Vater ist Arzt, ich kann helfen! Ich weiss wie!" kündete sie an und der Junge nickte sie zum erste Hilfekasten.