Beiträge von Campino


    @susan Du schreibst davon, „eines der Opfer“ gewesen zu sein - betraf die Sache damals noch jemanden?

    Bzgl der Fanficitions und dem "Verunglimpfen" durch schlechte Feeds über einen Fake-Account, von dem Elvira wusste und die andere Userin dementsprechend "angestachelt" hat, war auch ich betroffen. Allerdings wesentlich weniger als Susan, weswegen das kein Thema sein darf, aus meiner Sicht.

    Viel schlimmer allerdings, nach wie vor wie auch mehrfach angemerkt, dass es eben keinerlei Entschuldigung gab. Nicht mal ein Einsehen, nicht mal mir gegenüber ein Geständnis, als längst klar war was lief.

    Nach dem ich erst dachte, dass Thorsten der Sache ernsthaft auf den Grund gehen wollte, und er mich dbzgl auch um Hilfe gebeten hatte, war die eigentliche Sanktion dann nur auf den ersten Blick konsequent, aber das sagte Eye bereits. Ein Nachhaken in meinem Falle würde dann zu unterschwelligen Sperr-Androhungen und immer wieder aufkommenden Provokationen der damaligen Führung mir gegenüber.

    Das aus meiner Sicht. Ansonsten kann ich susan und Eye vollkommen zustimmen. Und @jenni "Opfer sein oder nicht" ist ein Relativierungssatz, den man nur aussprechen sollte, wenn man selbst mal Opfer war oder nicht. Ansonsten betreibt man astreines "Victim Blaming".

    Köln - 13:00 Uhr


    Die Durchsuchung hatte ungewöhnlich lange gedauert, was an dem durchaus aufwändigen Sicherheitssystem des chemischen Labors hing. Hartmut war wie gefesselt von der neuartigen Firewall- und Verschlüsselungstechnik, mit der er sich schnell vertraut machte. Dann musste er dafür sorgen, dass allerlei Aufzeichnungen und Unterlagen auf die eigens dafür vorgesehenen Festplatten kopiert wurden, die er aus der KTU mitbrachte. Man konnte natürlich nicht, wie bei einer Privatdurchsuchung, einfach einen PC mitnehmen, da es sich hier um größere Server handelte. Schubert erschien kooperativ, auch der IT-Techniker mit dem Hartmut zusammenarbeitete und mit dem er sich ausführlich austauschte, stellte sich in keinen Fragen oder Forderungen quer. Man hatte den Eindruck, als wolle die Firma mithelfen, den Fall zu lösen. Semir war dementsprechend misstrauisch bei soviel Hilfsbereitschaft.
    Er und Lucas beugten sich mit Bretten über sämtliche analoge Archive, die ehemalige Projekte mit der amerikanischen Firma PEC zusammen betrafen. Man durchblätterte Ordner für Ordner, zwei Forscher halfen mit wenn es an die technischen und chemischen Details ging. Doch Bretten hatte Recht, als er früh sagte: "Ich müsste mich doch sehr wundern, wenn jene Verbrecher schmutzige Geschäfte in den normalen Ordnern abheften würden." Semir stimmte dem zu: "Richtig. Aber manchmal findet man Codewörter, die in mehreren Projekten auftauchen, die vielleicht keinen Sinn ergeben." Allerdings würde es wohl Wochen dauern, das alles durchzuarbeiten.


    Semir war enttäuscht. Er hatte gehofft, dass sich einer der Techniker mit irgendwas verdächtig machen würde. Ironischerweise waren heute sogar alle Mitarbeiter des betreffenden Labors da, niemand hatte Urlaub, niemand hatte einen kurzfristigen Krankenschein. Allerdings konnte sich auch in den Verhören niemand erklären, warum der Raum nun in dem Gebäudeplan tatsächlich so markiert ist, wie er war. Und niemand konnte sich erklären, wie man mit regenerativen Energien irgendeinen Schaden anrichten konnte, was auf ein Verbrechen hindeutete... ausser, man missbrauchte die Labore natürlich für andere Zwecke. "Wir sind nicht nur auf regenerative Energien ausgerichtet", gab Bretten zu bedenken.
    Der erfahrene Polizist war sowieso mit seinem Kopf ganz woanders... nämlich bei seinem Partner. Ben hatte sich dermaßen kurzfristig einfach abgemeldet, das war nicht normal. Das Misstrauen siegte aber gegen die Neugier und die Sorge, mit der er seinen besten Freund unbekannten Zieles ziehen ließ. Das Misstrauen galt nämlich Lucas... nach wie vor. Und Ben schien am Telefon selbst ebenfalls ziemlich kurz angebunden... scheinbar wollte vor allem der Anrufer nicht, dass andere mithörten. Im Laufe des Mittags reifte immer mehr der Verdacht, dass es tatsächlich Christian gewesen sein könnte. Allerdings erwartete Semir zügige Nachrichten oder Rückmeldung seines Kollegens, die allerdings ausblieb. Dementsprechend nervös wurde er mit jeder Viertelstunde, die ohne Meldung verging.


    Als sie endlich mit dem Gröbsten fertig waren und Polizistenschlangen Körbe voll Akten und bespielten Festplatten raustrugen, konnte er endlich zumindest einen Anrufversuch unternehmen. Doch Bens Handy war ausgeschaltet und Semirs Gesicht wurde misstrauisch. "Alles okay?", fragte Lucas, der scheinbar mit Adleraugen Semir beobachtete. "Hmm, ja ja." "Wo ist dein Kollege hin?" "Musste was dringendes erledigen. Der erzählt mir ja auch nicht alles.", sagte der Polizist schulterzuckend und spielte dem CIA-Agenten vor, dass das Verhältnis zu Ben nicht so dicke war, wie in Wahrheit. Doch der schaute nur etwas missbilligend. Semir unterschätzte die Beobachtungsgabe von Lucas, der sich ziemlich schnell ein Bild von Menschen machen konnte, und wie sie miteinander umgingen.
    Als sie nach draussen gingen fragte Semir einen der uniformierten Kollegen, ob er sich einen Dienstwagen ausleihen könnte, um zurück zur Autobahndienststelle zu kommen. "Kein Problem.", rief Rolf, den er gut kannte, und warf ihm den Schlüssel zu. "Und das ist dann so üblich bei euch, dass zwei Kollegen einfach irgendwo ohne Auto stehen gelassen werden?", meinte Lucas nochmal mehr neugierig als schnippisch und Semir spürte, dass Lucas das Gegenteil von naiv war. "Kommt schon mal vor.", war seine kurze, nichtssagende Antwort.


    Kaum in der Dienststelle angekommen, versuchte es Semir noch zweimal. "Verdammt...", murmelte er, als jedes Mal nur die Mailbox reagierte. Er wurde unruhig, ein untrügerliches Gefühl das ihn selten täuschte. Und er wusste nichts, keinen Anhaltspunkt wo Ben hingefahren sein könnte. Oder was überhaupt los war... er sah auf die Uhr. Es war bereits kurz vor 14 Uhr und um diese Zeit hätte er sich längst gemeldet. Lucas bemerkte die Unruhe des Deutschtürken, als dieser heraus zu Andrea ging. "Andrea, hat sich Ben vielleicht bei dir gemeldet?" Sie schüttelte den Kopf und blickte vom Monitor auf. "Was ist denn los?" "Ich...", wollte er gerade beginnen, doch er spürte fast schon den Blick des CIA-Agenten hinter sich, der gerade von der Toilette kam und interessiert aufsah. "Nichts... nichts wichtiges."
    Es war schrecklich in seiner gewohnten Umgebung nicht einfach frei reden zu können. Das merkte auch Lucas, dem das ganze mehr als unangenehm war, denn mittlerweile fühlte er sich innerlich zerissen. Er wusste um die Absichten, hinter denen seine Organisation stand, und er wusste was für ihn auf dem Spiel stand wenn er die Regeln brach. Andererseits hatte Semir ihm den Hals gerettet, und Lucas war niemand, der sowas vergaß.


    Als die beiden zurück ins Büro gingen, hielt Lucas Semir am Arm fest. "Ich weiß nicht, was mit deinem Partner ist...", begann er mit fester bestimmter Stimme. "... aber wenn es den Fall betrifft, dann solltest du mit mir reden." Semir sah den Mann an. Hier standen sich zwei Männer auf Augenhöhe gegenüber mit einem riesigen Schatz an Menschenkenntnis, die in ihren jeweiligen Job bereits alles gesehen und alles erlebt hatten. Semir fühlte sich keinesfalls mental überlegen, was ihm gegenüber Kevin und Ben hin und wieder vorkam. "Vertrauen setzt einiges voraus.", merkte der erfahrene Polizist an und zog dabei eine Augenbraue hoch. "Zum Beispiel die Beantwortung unserer Frage heute morgen. Wegen ihres Namens." Lucas schnaubte: "Ich hab ihnen doch schon gesagt, dass ich mich..." "Wenn sie sich schon mal in diese Organisation eingeschlichen hätten, würde die CIA sie nicht an vorderste Front gegen diese Typen stellen. Oder hat das CIA so wenig fähige Männer?", kam Semir ihm mit lauter Stimme zuvor, die autoritär klang und keine Widerworte duldete. Lucas lehnte ein wenig am Türrahmen und schüttelte nur den Kopf. "Du hast keinen Schimmer...", sagte er geheimnisvoll was den Polizisten noch wütender machte. "Ich kann dir nur sagen, dass du meine Hilfe nicht ausschlagen solltest gegen diese Typen. Ich denke, du weißt mittlerweile wie gefährlich sie sind." Dann drehte er sich um und öffnete die Bürotür... und Semir musste zugeben, dass er Recht hatte. Mit Lucas an seiner Seite hatte er gegen diese Leute wahrlich bessere Chancen. Und sein erstes Ziel auf der Suche nach Ben war dessen Wohnung... ob allein, oder mit Lucas.

    Also fährt man weiter die SOAP und GZSZ-Schiene. Gut zu wissen, verschwende ich keine Zeit am Donnerstagabend.

    Der Zeitungsaritkel könnte auch schlecht recherchiert sein und zählt jene Schauspieler auf, die in der Vergangenheit mal mitgewirkt haben, wie Jascheroff und Fehlow.

    Ich finds vor allem deswegen nachvollziehbar, weil die Geschichte eh am Ende ist. Wenn Duryn schlau ist, macht er auch Cut. Die letzen zwei Staffeln gerieten schon in die Tretmühle.

    Wald - 12:30 Uhr


    Sie durften keine Zeit verlieren, und zunächst vergass Ben die wichtige Frage nach dem Aufenthaltsort des begehrten USB-Sticks, als sie das Rotorgeräusch des Hubschraubers hörten. Sein Instinkt sagte ihm, dass da irgendetwas faul war... es konnte kein Zufall sein, dass gerade vielleicht ein belgischer Polizeihubschrauber im Wald nach einer vermissten Person suchte oder ein Rettungshubschrauber einen Unfall anflog. "Wir müssen hier weg.", sagte er noch kurz und knapp zu seinem Cousin, bevor er ihn am Arm packte. "Nein! Hier drin sind wir sicher!!", zeterte dieser und wollte sich unter Gewalt am Arm losreissen. "Wenn die den Wald überflogen haben, dann haben sie sicher mein Auto gesehen. Die werden uns hier ausräuchern! Wir müssen weg, zurück nach Deutschland und dann rufen wir Verstärkung."
    Ben musste zwischen Geduld und Konsequenz balancieren. Würde er seinen Cousin jetzt hysterisch anschreien, wonach ihm gerade durchaus war (wahlweise auch ein Schlag auf den Kopf), würde der komplett dichtmachen. Er musste aber auch klar machen, dass eine Flucht nun das Beste war. "Komm schon, vertrau mir! Ich häng die Typen ab." "Sie sind dir bestimmt gefolgt!" Er konnte einen Vorwurf in Christians Stimme hören, und Ben wurde lauter: "Komm jetzt, verdammt!!" Als müsse er einen geliebten Ort verlassen, folgte er seinem Cousin nur widerwillig.


    Der junge Polizist zog die Waffe, entsicherte sie und lud sie durch. An der Öffnung nach draussen lugte er erst raus, die Waffe im Anschlag, nach rechts und links. Der Wald lag stumm vor ihm, nichts bewegte sich, sogar die Vögel hatten das Zwitschern eingestellt. Nur das gleichmäßige Brummen des Helikopters war jetzt recht laut, obwohl er wieder abgehoben war um sich weiter Überblick zu verschaffen. Ben winkte hinter sich, ein Zeichen dass Christian ihm folgen sollte aus der schrägen Tür, die wie eine alte Kellertür angelegt war und sofort zur Treppe führte. Es waren einige Meter bis zum Auto und der Hubschrauber kam wieder etwas tiefer. Er war komplett schwarz, weder Polizei-Zeichen noch ADAC oder ähnliches. An der offenen Tür konnte Ben einen Mann mit Maschinengewehr ausmachen.
    "Fuck...", fluchte er leise und zog den Kopf wieder zurück. "Warte noch...", flüsterte er obwohl die Männer im Helikopter sicher nichts hörten, so laut wie das Fluggerät war. "Die warten nur auf uns, dass wir da raus kommen." "Scheisse scheisse! Wir sollten hier bleiben." "Nichts da!" Ben atmete tief durch, lugte wieder heraus und begann dann zu schiessen. Die Schüsse knallten in Christians Ohren und immer wieder zog Ben den Finger am Abzug durch. Der Mann im Helikopter zog den Kopf zurück, eine Kugel zersplitterte die Seitenscheibe, eine weitere prallte vom Flügel und vom Motor ab.


    Um den Helikopter zu schützen, zog der Pilot nach oben... genau was Ben wollte. "Los jetzt! Schnell!", rief er laut und zog Christian erneut mit sich. Sie überwanden die Meter bis zum Auto in wenigen Sekunden, so schnell dass Steine und Moos von den Schuhen flogen. Gerade als Christian schon eingestiegen war, senkte sich der Helikopter wieder etwas, was Ben, halb im Fahrzeug stehend, halb draussen, mit weiteren Schüssen beantwortete, bevor er sich blitzschnell ins Auto fallen ließ. "Die beiden sind garantiert nicht alleine hier.", meinte er gehetzt und startete den Motor. Mit lautem Poltern legte er den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Dreck und Sand flog von den Reifen nach vorne, der junge Polizist schaute durch die Heckscheibe nach hinten um nicht mit dem Kofferraum gegen einen Baum zu fahren. Die ersten Kugeln schlugen in die Motorhaube.
    Das Blech und die Federung des BMW ätzten und krachten, als Ben den Wagen brutal aus dem Waldweg auf die Straße schlittern ließ, weil der Übergang uneben war. Auch die beiden Insassen wurden durchgeschüttelt, so dass es Christian ein Schmerzstöhnen entlockte. Geübt und blitzschnell wechselte Ben in den Vorwärtsgang und gab auf der Landstraße Gas, ignorierte das Hupen des Verkehrsteilnehmers, dem er gerade die Vorfahrt genommen hatte... sie hatten jetzt andere Probleme. Sein Cousin blickte sich gehetzt um.


    "Die sind garantiert nicht alleine.", meinte Ben und seine Vorahnung bestätigte sich. Ein schwarzer Transporter kam ihm entgegen und stellte das massive Fahrzeug auf der Straße quer. "Neeein!", schrie Christian geschockt als Ben die Handbremse des BMWs zog und mit quietschenden Reifen den Wagen um 180 Grad wendete. Das Rücklicht zersplitterte als es von einer Kugel getroffen wurde und Ben beschleunigte das Auto sofort wieder, während Christian im Sitz zusammensank. Der Mann hatte Todesangst neben seinem Cousin, nachdem der letzte Überfall bereits glimpflich ausging. Er bereute es bereits, Ben angerufen zu haben. Der Motor röhrte laut auf als er von Bens Fuß beschleunigt wurde, doch die nächste Gefahr stellte sich ihnen nur zwei Kurven weiter in Form eines weiteren Transporters entgegen.
    Wieder kam er ihnen entgegen und wollte gerade ein Wendemanöver einleiten, doch diesmal war Ben schneller und näher dran. Statt zu bremsen drückte er das Gaspedal weiter durch, umklammerte das Lenkrad und blickte entschlossen die Lücke zwischen Transporterfront und Grasspur an, die wie in Zeitlupe immer kleiner wurde. Christian schlug sich schreiend die Hände vor die Augen weil er den frontalen Zusammenstoß schon kommen sah, doch Ben schaffte es. Mit dem rechten Rädern über die Grasnarbe holpernd schoss er an dem Transporter vorbei, der den BMW noch an der hinteren linken Flanke kurz erwischte, doch mit einer blitzschnellen Lenkbewegung hielt der Polizist sein Vehikel unter Kontrolle und sah in den Rückspiegel, wo die beiden Transporter erst mühsam wendeten. "Alles eine Frage der Physik.", meinte er erleichtert.


    Als die beiden Männer den Wald verließen, waren sie aber wieder der dritten Gefahr ausgesetzt. Der Helikopter konnte nun tiefer fliegen und der MG-Schütze nahm den BMW ins Visier, so dass sich die beiden Männer tief in ihren Sitz duckten. Nur noch einzelne Bäume säumten die Straße. "Hier kommen wir nie wieder raus.", schrie Christian, während Ben fieberhaft versuchte, Semirs Kontakt im Smartphone zu finden. Der Helikopter überflog sie nun, flog eine Schleife und begann, dem BMW entgegen zu fliegen, während der Mann mit dem MG nun auf Motor und Frontscheibe hielt. Es war beinahe unmöglich für die beiden Insassen, sich nun vor den tödlichen Kugeln zu schützen, obwohl mehr in die Motorhaube geschossen wurde, schließlich wollte man die beiden Männer lebend haben.
    Ben ließ geistesgegenwärtig das Smartphone fallen, nahm seine Pistole und hielt sie mit der linken Hand aus dem Fenster. Wieder knallte es mehrmals, so oft er abzog und gleichzeitig mit der rechten Hand das Lenkrad festhielt. Zwei Kugeln zersplitterten die Scheibe des Helikopters und der Polizist sah zu spät, was passierte. Der Helikopter sackte ab in dem Moment, wo der Pilot tot nach vorne auf den Steuerknüppel sank. Das mächtige Fluggerät trudelte, geriet in Schräglage und fiel wie ein Stein auf die Landstraße. Ben griff so schnell und heftig mit der zweiten Hand zum Lenkrad, dass er sogar die Waffe verlor, doch die Zeit reichte nicht mehr aus, zum Bremsen. Mit einem gewaltigen Knall und einem riesigen Feuerball explodierte der abgestürzte Helikopter. Die beiden Männer spürten die Hitzewelle, bevor der Polizist das Lenkrad verriss um nicht in das Inferno zu rasen. Die Alternative war allerdings ein Feld, auf dem mehrere große Findlinge standen, die die Wirkung einer Betonwand hatte, in die der BMW krachte. Ben spürte noch den Schlag des Airbags, dann wurde alles schwarz.

    Nochmal: Nur weil alle weiteren Schreiber noch schlechtere Drehbücher also Boris schreiben, sind Boris' Drehbücher nicht automatisch gut. Was Boris drauf hat, sah man in der Alex-Ära, und das war nicht viel.

    Wenn ich für 500m 2 Minuten brauche und gegen Leute antrete, die 5 Minuten brauche, seh ich natürlich besser aus, als gegen Leute die nur 30 Sekunden brauchen. Laufen kann ich dann trotzdem noch nicht.

    Aber egal, du darfst Boris' Drehbücher ja gerne gut finden, hindert dich niemand dran. Ich finde keinen aktuellen Drehbuchschreiber eine Bereicherung für Cobra 11, eher Totengräber, solange dermaßen belanglose Storys mit vernachlässigbarer und inkonsequenter Charakterentwicklung geschrieben werden, bzw jeder Drehbuchautor auf die ursprünglichen Charakterzüge und deren vorherige Entwicklung einfach nen großen Haufen setzt.

    Wenn man die Serie nicht mehr verfolgt, kann man das natürlich auch schlecht beurteilen, welcher Autor die Cobra in Ruhe lassen sollte und welcher nicht ;)

    Und DASS man die Serie nicht mehr verfolgt, hängt u.a. an solchen Drehbuchschreibern.

    Aber wenn ich deinen ersten Satz so nehme wie er da steht, bedeutet er eigentlich, dass Boris' Bücher nur deswegen eine "Bereicherung" sjnd, weil die restliche Riege der Schreiber noch schlechtere Arbeit abliefert.

    Und damit sind wir dann auch wieder beim ersten Absatz.

    Ansonsten sind es sehr gute Folgen gewesen. Es ist ja nicht der Fehler des Drehbuchautoren, wenn der Regisseur es nicht umsetzen kann.


    Dass das sehr gute Folgen waren ist vielleicht deine Meinung.

    Es ist aber der Fehler des Drehbuchautoren, wenn das Drehbuch mies ist.

    Und das war vor allem bei den Ben- wie auch den Paul-Folgen der Fall. Vendetta war mit die schlechteste Alex-Folge, vor allem der schlechteste Pilot. Einzig "Tag der Abrechnung" war überragend, allerdings nicht wg des Drehbuchs sonfern wg der Umsetzung (TROTZ des (dünnen) Drehbuchs).

    Autobahn - 11:00 Uhr


    Ben hatte die Koordinaten, nachdem er sie umgerechnet hatte, sofort in sein Navigationsgerät eingegeben. Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch, als das bunte Fähnchen, das im Navi das Ziel signalisierte, mitten in den Ardennen landete. Er steuerte den BMW im zügigen Tempo auf die Autobahn und folgte den Anweisungen des Navis. Dabe spürte der junge Polizist, wie ein wenig Nervosität in ihm hochstieg. Was würde ihn erwarten, wo hielt Christian sich versteckt und was jagte ihm diese Angst ein? Er klang am Telefon dermaßen überzeugend, dass es Ben schwer fiel auch nur einen Moment daran zu denken, dass sein Cousin ihn in eine Falle locken wollte. Was machte das für einen Sinn, schließlich waren die Asiaten hinter ihnen her, und auch hinter Christian.
    Seine Hände hatte er fest um das Lenkrad verkrampft, und viel schwerer als die Gedanken um Christian lagen ihm die Gedanken im Nacken, Semir anzurufen und Bescheid zu geben. Die Durchsuchung im Labor musste schon weit fortgeschritten sein, dachte er nach ungefähr einer Stunde Fahrtzeit. Aber es hielt ihn etwas zurück... was, wenn Lucas in seiner Nähe war. Hilfe hin oder her, dem angeblichen CIA-Mann trauten beide immer noch nicht über den Weg. Immer wieder griff Ben zum Handy, das auf dem Beifahrersitz lag, und immer wieder legte er es nach einer Minute Bedenkzeit wieder zurück.


    Als er nur noch wenige Kilometer vom Ziel entfernt war, klingelte sein Handy. Semir hatte die Initiative übernommen, gerade als Ben durch die ersten Wälder der Ardennen fuhr. Wieder zögerte der Polizist, aber er nahm das Gespräch an. "So Kollege... jetzt mal Tacheles: Was sind das schon wieder für Flausen in deinem Kopf?", bekam er sofort ins Ohr geschossen. Semir klang nicht gerade entspannt. "Bist du allein?", war eigentlich eine überflüssige Frage von Ben an seinen besten Freund. "Natürlich, sonst hätte ich nicht angerufen. Aber wohl nicht ewig, also rede er Klartext." Keine Zeit für Ausreden, Ben musste die Wahrheit rausrücken. "Christian hat mich angerufen, und will sich mit mir treffen." "Dann ist ihm also nichts passiert?" "Richtig. Allerdings hat er vor irgendetwas panische Angst."
    Semir schien einen Moment nach zu denken. "Du hättest mich doch unter einem Vorwand da rauslocken können.", sagte er dann vorwurfsvoll. "Christian hat verlangt, dass ich alleine komme." "Wie bitte?" Die Stimme des erfahrenen Ermittlers klang empört. "Ja... irgendwie hat er panische Paranoia, dass du oder irgendjemand in die Sache verstrickt ist, und ihn aufspüren will. Er hat sich irgendwo verkrochen, und ich bin der einzige, dem er vertraut." "Ben, das gefällt mir gar nicht. Wenn das eine Falle ist..." "Warum sollte es? Die Asiaten wollen doch auch ihn, und wissen selbst nicht wo er ist. Mach dir keine Sorgen um mich."


    Semir schien mit der Antwort nicht unbedingt zufrieden und er wollte gerade zu einer sehr wichtigen, entscheidenden Frage ansetzen: "Wo...", als er plötzlich das Thema wechselte. "... dann ruf mich einfach an, wenns dir besser geht, okay?" "Was?", fragte Ben verständnislos und verzog das Gesicht zu einer fragenden Miene. "Ja, das Hausrezept hilft bestimmt, Schatz. Ich muss jetzt wieder bisschen was arbeiten. Ich liebe dich, ciao!" Dann wurde die Leitung unterbrochen, und Ben verstand. Offenbar war gerade Lucas ins Zimmer gekommen, und Semir improvisierte blitzschnell. Es liess den jungen Polizisten kurz grinsen, bevor er sich jetzt darauf konzentrierte, die Abwzweigung zu finden. Irgendwann merkte er, dass kein, auf dem Navi eingezeichneter Weg zur Zielflagge führte.
    Ben musste sich nun konzentrieren, denn es konnte nur so sein, dass es ein Feld- oder Forstweg war, den er abbiegen musste. Und tatsächlich tat sich ein solcher hinter einer Kurve auf und führte tief in den Wald. Die Zeit wurde langsam knapp, aber er musste es versuchen, denn der Weg schien zumindest in die richtige Richtung zu führen. Der BMW wackelte und schwankte, als er über den Feldweg holperte. Ben versuchte nochmal seinen Cousin anzurufen, doch angeblich war die Nummer nicht erreichbar. Er kannte das von Leuten, die die SIM-Karte aus dem Handy genommen hatten. Es beunruhigte Ben gleichzeitig, wie es ihn beruhigte.


    Die Entscheidung für den Weg war richtig. Fast exakt dort, wo das Navi anhand der Koordinaten eine Markierung gesetzt hatte, war so etwas wie ein weit zugewachsener Bunker. Man konnte die Erhöhung sehen, ähnlich eines Hügels, Büsche, Gras und versteckt eine verrostete Tür. Ein Versteck, das niemand finden würde, wenn er nicht explizit in diesem Wald suchte... und selbst dann würde es, bei der Größe, Tage dauern. Der Polizist stoppte den BMW und stieg aus. Stille ergriff ihn, die Landstraße war weit weg und die Natur in den Ardennen atemberaubend. Die Herbstsonne schien durch das bunte Laub über ihm, irgendwo entfernt konnte man eifrige Vögel hören. Es war, als würde die ganze Welt um Ben herum einen Moment stillstehen, und am liebsten hätte er sich hier auf einen Stein gesetzt und diese Atmosphäre auf sich wirken lassen.
    Stattdessen wurde er, wie magisch angezogen von der verrosteten Tür, hinter der sich hoffentlich sein Cousin verbarg. Die Zeit war jetzt genau abgelaufen, und wie auf Signal bewegte sich die Eisentür und das bekannte Gesicht kam zum Vorschein... fluchtfertig. Christian wäre nicht mehr hiergeblieben und hätte seine Flucht weiter fortgesetzt, hätte Ben es nicht geschafft. "Gott sei Dank, bist du da.", sagte er mit aufgeregter, zittriger Stimme. Er war blass, tiefe Augenringe zeugten von schlaflosen Nächten. "Natürlich bin ich da. Was soll die Schnitzeljagd?" "Komm schnell rein... hast du das Handy aus?" "Ja, hab ich.", log Ben. Er wollte nicht, dass sein Cousin in Panik geriet und folgte ihm in den Bunker.


    Eigentlich waren es nur anderthalb Räume, kahl, nicht besonders warm und klamm. Er hatte sich hier ausgebreitet, mit Schlafsack und Wolldecke. "Ben... ich wollte dich da nicht mit reinziehen, aber ich weiß mir nicht anders zu helfen." "Das ist jetzt nicht wichtig.", wiegelte Ben sofort ab. "Wichtig ist, dass du mir jetzt genau erzählst, was hier abgeht. Was auf dem Stick ist, und warum die Asiaten so scharf auf das Ding sind." Ben konnte sehen, wie Christian die Hände zitterten, als er sich auf eine wackelige Britsche setzte. "Auf dem Stick... sind Dokumente. Dokumente für die Zusammensetzung der schlimmsten chemischen Waffe, die man sich vorstellen kann. Neun der giftigsten Chemikalien in richtiger Zusammensetzung, die ganze Technik und die nötige Menge Sprengstoff... und niemand wird mehr über Vietnam, Agent Orange oder Assads Giftgas in Syrien reden." Seine Stimme zitterte dabei. "Das IX-Projekt."
    Ben konnte sich selbst atmen hören und er sah seinen Cousin fassungslos an. "Was hast du damit zu tun?" "Ich... ich hab davon erfahren dass unser Labor für die Forschungsarbeit daran genutzt wurde." Der Cousin von Ben sah aus, als würde er Höllenqualen leiden. "Ich habe dann rausgefunden, dass die Forscher dazu gezwungen wurden. Von wem, weiß ich aber nicht." Ben hing an den Lippen seines Cousins, folgte ihm jedes Wort. Wenn das stimmte, was er erzählte, dann stank die Sache bis zum Himmel. Und er fühlte, wie er mit der ganzen Situation ganz plötzlich überfordert war.


    "Wieso bist du dann nach Deutschland gekommen? Wie bist du überhaupt an den Stick gekommen?" Christian rieb sich mit der Hand über den Nacken. "Ich... ich habe mitgemacht. Also... ich wurde genauso dazu gezwungen. Ich sollte das Ding übergeben." Er biss sich auf die Lippen, stand auf und wanderte in dem engen Bunker hin und her. "Aber ich... ich hab sie ausgetrickst. Der Typ, dem ich das Ding gegeben habe... es war nicht der richtige. Und danach bin ich direkt nach Deutschland." Ben blickte seinen Cousin direkt an, er verfolgte ihn mit den Augen, wie bei einem Verhör. Sprach er der die Wahrheit? Er sah so fertig aus, übernächtig, hypernervös.... konnte man das schauspielern und gleichzeitig noch perfekt lügen. "Gut, du bist also nach Deutschland gekommen. Warum? Wenn du gekommen bist, um mich um Hilfe zu bitten... warum hast du mir nicht gleich alles erzählt." Der Mann atmete schwer und sah an die Decke.
    "Das hatte ich auch erst vor... aber dann.... dann hatte ich Angst. Ich wollte dich, als ich sah dass du Familie hast, nicht mit reinziehen. Verstehst du, ich habe Skrupel bekommen. Dann haben uns im Parkhaus die Asiaten aufgelauert, und ich dachte dass ich nirgends wirklich sicher bin. Die haben doch Kontakte in alle Kreise, ich konnte deshalb auch nicht zur Polizei.", sagte er hektisch und sah sich wieder verängstigt um. "Du... du musst mir das glauben, Ben." Scheinbar blickte der gerade nicht so drein, als würde er seinem Cousin diese Story abkaufen. Aber was blieb ihm gerade anderes übrig... sie tappten im Dunkeln, und wenn es stimmte, was er sagte, waren das die ersten und einzigen handfesten Infos.


    "Warst du in der Hütte deines Vaters?" "Ja, da hab ich mich zuerst versteckt. Aber als ich da ein paar Typen herumschleichen sehen habe, bin ich auch von dort geflohen." "Ich habe dort den Plan eines Labors in Köln gefunden. Darauf war ein Raum verzeichnet. Was hat es damit auf sich?", fragte Ben mit fester Stimme. "In... in dem Labor sind einige Apparaturen, die in weltweit einmalig sind. Sie werden zur Herstellung benötigt und wir sollten diese Information beschaffen, in welchem Raum diese Apparatur zu finden ist." Der junge Polizist schüttelte entsetzt den Kopf. "Ihr hättet das sofort in Amerika zur Anzeige bringen sollen." "Die hätten uns alle umgebracht, Ben!", sagte dessen Cousin erregt... und Ben verstand diese Haltung natürlich. Sollte man für die Firma den Kopf hinhalten? Sicher nicht... für ein paar Tausende Menschenleben, die bei dem Einsatz der Bombe ums Leben kommen? "Habt ihr mal daran gedacht, was man mit den Bomben anrichten kann?" "Jede Minute!", zischte Christian nun wütend. "Aber guckst du überhaupt Fernsehen? Überall herrscht Krieg, gibt es Tod und Elend. Am Ende ist das "Wie bringen sie sich um?" nicht entscheidend. Soll dafür ein Familienvater sein Leben riskieren? Würdest du?" Ben biss sich für einen Moment auf die Lippen. "Du weißt nicht, an wen die Asiaten die Dinger verkaufen.", gab er dann zur Antwort. "Vielleicht an einen Diktator in Syrien, vielleicht aber auch an irgendwelche Fanatiker, die damit in Europa zu schlagen." Der Phsyiker schüttelte den Kopf und wollte diese Diskussion nicht fortsetzen, denn dafür war er nervlich gerade nicht in der Lage.


    "Okay...", brach auch Ben die Sache ab. "Wir packen jetzt deine Sachen zusammen, und du kommst mit zurück." "Nein, auf keinen Fall." "Was willst du denn sonst machen? Wir müssen die Sache irgendjemandem in die Hand geben. BKA, Verteidigungsministerium, irgendwem. Du kannst nicht dein Leben lang mit dem Stick davon laufen." Dann stockte er kurz: "Warum zerstörst du das Teil nicht einfach? Ich nehme an, es gibt keine Kopien... sonst würden die nicht einem einzigen Stick hinterher jagen." Christians Antwort kam kleinlaut: "Das... das Herstellungsverfahren dieses Stoffes... es wurde von mir entwickelt. Allerdings in guter Absicht, es ist das gleiche zur Herstellung eines umweltbewussten Treibstoffs und Energieträger. Nur eben mit anderen Stoffen. Wenn... wenn ich den Stick zerstöre, würde ich die komplette Entwicklung 10 Jahre zurückwerfen."
    Ben packte seinen Cousin am Kragen. "Bist du völlig bescheuert? Was sind denn 10 verdammte Jahre Entwicklungszeit gegen Tausende Menschenleben?", schrie er Christian erregt an. Er konnte es nicht fassen, Fortschritt hin oder her. Und er glaubte, auch die alte Profit und Geltungsgier in Christians Blick erkennen zu können, egal wieviel Angst er hatte. "Die werden mich töten, wenn ich das Ding zerstöre!!", rief er verzweifelt. "Was sollte ihnen das bringen, hä? Diese Typen haben einen Auftrag, die sind nicht auf Rache aus. Wir nehmen jetzt diesen verdammten Stick und bringen ihn postwedend zu einer Firma für Datenvernichtung!" "Der... der Stick ist nicht hier. Ich hab ihn versteckt.", gab Bens Cousin kleinlaut zu. "Wo?", war die scharfe, beinahe drohende Antwort, ohne dass Ben ihn losließ... dann blickten beide stumm zur Decke. Sie hörten ein Helikoptergeräusch, das nicht weit entfernt sein konnte...

    Labor - 10:30 Uhr


    Ben schaute sich kurz um, ein Blick auf Semir und auf Lucas. Im ersten Affekt wollte er seinen besten Freund herbei winken, doch etwas hielt ihn zurück. Das Misstrauen gegenüber Lucas und die ängstliche, leicht panische Stimme von Christian am Telefon. "Christian? Verdammt, weißt du was ich mir für Sorgen..." Doch weiter kam er nicht. "Ben!! Hör mir zu! Bist du alleine?" So hatte der junge Polizist Christians Stimme noch nie gehört. Er biss sich auf die Lippen und entfernte sich noch weiter von der Gruppe um Lucas, Semir und den Beamten, die zur Unterstützung gekommen waren. Semir sah nur, wie Ben auf dem Flur verschwand mit dem Handy am Ohr und wunderte sich ein wenig. War es Carina? Gab es etwas wichtiges zu klären? Die Chefin vielleicht, die mit ihrem Anschiss wegen den Pillen nicht mehr warten wollte? Wohl kaum, aber er vertraute seinem Partner... der erfahrene Beamte konzentrierte sich wieder auf die Unterlagen.
    Der wiederrum verließ den Raum und durchquerte den Flur bis zum Ende. Immer wieder blickte er sich um. "Okay, ich bin alleine. Wo, zum Teufel, steckst du? Weißt du, was hier los ist?" "Du musst hierher kommen. Ich glaube, ich steck echt in der Scheisse." Ben schüttelte den Kopf. "Das kannst du laut sagen. Wo bist du?" Wieder mal musste er sich über seinen Cousin wundern. Keine Frage danach, wie es Ben ging, immerhin war das letzte, was er von seinem Cousin mitbekommen hatte, dass gerade auf ihn geschossen wurde, während Christian selbst aus dem Parkhaus flüchtete.


    "Das kann ich dir nicht sagen." "Hä? Wie soll ich dann zu dir kom..." "Hör zu! Konzentrier dich jetzt. Erinnerst du dich an den Kirschbaum bei meinem Vater im Garten?" Der junge Polizist runzelte die Stirn. Wieso kam er jetzt auf den Kirschbaum? "Wieso, was soll mit dem Kirschbaum sein? Christian, sag mir wo du bist, und ich bin in kürzester Zeit da." "Ich kann dir nicht am Telefon sagen, wo ich bin. Sie würden mich sofort finden." Immer noch klang Christians Stimme panisch, aber halbwegs kontrolliert. "Wer würde dich finden?" "Alle! Sie sind alle hinter mir her. Sie hören auch garantiert mein Handy ab! Ich hab mir das alles einfacher vorgestellt." Sein Cousin sprach in Rätseln und eine innere Unruhe machte sich in Ben breit. Christians Nervosität schien anzustecken.
    "Bleib jetzt ganz ruhig. Dass diese Asiaten etwas von dir wollen, wissen wir mittlerweile. Sie haben uns mehrfach angegriffen." "Scheisse... scheisse.", murmelte der Mann am Telefon. "Okay, pass auf. Sag mir wo du bist und dann kommen wir vorbei und du erzählst uns alles. Und dann finden wir eine Lösung." "WIR? Auf keinen Fall. Du musst alleine kommen. Ich vertraue niemandem, auch nicht deinen Kollegen. Diese... diese Typen sind überall. Die hängen überall drin." "Christian, aber nicht mein Partner Semir. Den kenne ich in- und auswendig.", versuchte Ben seinen panischen Cousin zu beruhigen. "Ich aber nicht!! Du musst alleine kommen! Versprich mir das, sonst lege ich auf und du hörst nie wieder etwas von mir."


    Der Polizist seufzte, blickte sich wieder gehetzt um. Jeden Moment konnte ein Mitarbeiter durch den Flur kommen oder Semir aus dem Labor gucken, um zu sehen was Ben da draussen schon wieder trieb. Er rieb sich mit den Fingern über die Stirn. "Okay. Was ist mit dem Kirschbaum?" Christians Stimme beruhigte sich ein wenig, auch wenn sie zittrig und hektisch blieb. "Erinnerst du dich an unseren Kirschzweig? Den Besonderen, weißt du noch wieviele Kirschen daran hingen?" Würde man Ben von aussen betrachten, musste man meinen, dass sein Gesprächspartner auf der anderen Seite gerade spontan begann, eine fremdartige Sprache zu sprechen, so verstädnislos war sein Gesicht. Krampfhaft dachte er nach... ja, es gab einen Kirschbaum unter dem Ben und Christian als Kinder öfters mal spielten. Und ja, dort hing einmal ein "besonderer Zweig". An ihm waren nicht, wie üblickerweise zwei Kirschen mit den Stielen zusammengewachsen, sondern vier. Sie hatten ihn vorsichtig gepflückt und wie einen Schatz behütet. "Ja... ich glaub, ich erinnere mich. Da waren ..." "Sei ruhig! Nicht sagen, wieviel dran waren!!", schrie Christian panisch, so dass Ben zusammenzuckte. Offenbar hatte der gelernte Chemiker wirklich panische Angst, dass sein Handy angezapft wurde. Er hielt sich für das Telefonat auch nicht am Treffpunkt auf, sondern entfernt, wo er das Handy und die SIM-Karte verschwinden lassen wolle, falls man versuchte ihn zu orten. "Okay... ja, ich weiß wieviele Kirschen dran waren.", sagte Ben und versuchte, beruhigend zu wirken, was ihm nicht gelang.


    "Gut. Und du weißt doch sicher noch, als wir damals Spione gespielt hatten, wie wir uns die Nachrichten geschrieben haben. Weißt du das noch?" Wieder ein verständnisloser Ausdruck in Bens Augen, er sah sich gehetzt um. Schon als Kinder war Chrisitan Neunmalklug und verschlang jede Pfadfinder-Zeitschrift, in denen Morsecodes, Verschlüsselungsszenarien und ähnliches beschrieben war, während Ben sich mehr für Autoquartett begeistern konnte. Die Spiele, wenn sich die Eltern mal trafen, spielten sie zusammen. Und als 10jährige war es aufregend, mit einer Zahl Wörter zu Kauderwelsch zu verschlüsseln und danach wieder zu entschlüsseln. Daran dachte Ben gerade, und so langsam ging ihm ein Licht auf. Noch während er sagte: "Ja, ich glaube, ich erinnere mich.", setzte er sich in Bewegung. "Wart mal kurz", meinte er noch und steckte das Handy in die Hosentasche.
    Er steckte den Kopf kurz durch die Tür des Labors. "Semir? Ich brauch mal kurz den Autoschlüssel?" Semir drehte sich erstaunt um. "Was ist denn los?" Auch Lucas schaute kurz, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Unterlagen, die er vom Personalchef erklärt bekam... vorgergründig. Natürlich bekam er jedes Wort mit, aber die Blicke sah er nicht. "Ich muss nur kurz was holen." Ein kurzes Augenbrauen-Hochziehen von Ben und ein Blick Richtung Lucas' Rücken... und Semir verstand. Es war etwas, was Lucas nicht hören sollte... also spielte Semir mit.


    Ben lief raus aus dem Gebäude, Richtung Dienstwagen. Mit einem Ruck öffnete der Polizist die Tür, ließ sich in den tiefen Sportsitz gleiten und war mit einem Zug an der Tür von der Aussenwelt abgeschottet. Im Handschuhfach fand er, ganz altmodisch, Zettel und Kugelschreiber. "Okay, ich bin wieder da." Er konnte sich denken, was jetzt kam. "Schreib mit: 94.907119. Hast du?" Ben nickte, was Christian natürlich nicht sehen konnte "Ja... weiter." "Okay: 0.425220." Ben kritzelte die Zahlen auf den Block, begann zu rechnen und schrieb die echten Zahlen darunter. Natürlich waren es Koordinaten. "Okay, ich habs." Hastig gab er die Koordinaten in sein Navi ein. "In 90 Minuten!", gab Christian ihm zu verstehen.
    "Christian! Es wäre wirklich besser, wenn ich meinen Partner... " "Nein, Ben! Ich vertraue nur dir, keinem anderen. Bitte lass mich nicht hängen. Die Sache geht nicht nur uns was an, die Sache ist viel größer. Ich muss dir vertrauen!! Das kann ich doch, oder?" Ben biss sich einen Moment auf die Lippen, die Hand schon am Startknopf, die andere Hand ums Lenkrad gelegt. Er zögerte... Semir mochte solche Alleingänge nicht. Aber wenn Christian dort hinten die Nerven verlor, wenn sie zu zweit ankamen... es musste einen Grund für seine Angst geben. "Ben??" "Ja ok... ich bin unterwegs..." "Pass auf, dass dir niemand folgt!", hörte er noch, bevor Christian die Verbindung trennte. Dann startete er den BMW und fuhr los.

    Dienststelle - 9:00 Uhr


    Die Besprechung fand in einer, recht unterkühlten Atmosphäre statt. Es schien, als läge ein grundsätzliches Misstrauen in der Luft, die Stimmung war gedrückt. Semir und Ben blickten immer wieder arggewöhnisch auf den schweigenden Lucas, der undurchschaubar und undurchsichtig wirkte. Falsche Namen, richtige Namen, eine CIA-Akte die auffällig leicht auffindbar war... gleichzeitig rettet er völlig selbstlos und mit einer Überzeugung in der Stimme Ben vor einem möglichen Disziplinarverfahren, obwohl der ihn gerade beschuldigt hatte, eine falsches Spiel zu treiben. Es passte alles nicht zueinander. Keiner der beiden Polizisten war richtig bei der Sache, als Hartmut, der zur Besprechung gestoßen war, erklärte mit welchen technischen Mitteln man dem zentralen Computer des Labors auf den Leib rücken wolle.
    Die Chefin dagegen hatte ihre Mitarbeiter immer im kritischen Blick. Irgendetwas lief da schon wieder hinter ihrem Rücken, die Pillen hatten doch normalerweise nichts bei Ben zu suchen. Sie wusste von Kevins Vergangenheit, auch wenn ihr seine Drogen nie unter gekommen waren. Und sie hatte genau beobachtet, aus welcher Jacke das Döschen gefallen war... und das war nicht die von Lucas. Hatte Ben Probleme? Kam er so schwer über Kevins Tod hinweg, dass er sogar Medikamente oder Drogen nahm, neben seinen Stimmungsschwankungen? Und auch Jenny sah an diesem Morgen wesentlich "schlechter" aus, als die Tage zuvor. Sie hatte von dem "Döschen-Drama" zum Glück nichts mitbekommen und fuhr auch später bei der Durchsuchung nicht mit.


    Kremer versuchte, interessiert zu wirken, als Hartmut sich in technischen Erklärungen verlor, die die Chefin genervt immer wieder unterband. "Ja Hartmut... wie genau sie jedes Bit untersuchen ist jetzt nicht unbedingt von Belang. Wichtig ist, was wir tun müssen, um zu verhindern dass noch jemand die Möglichkeit hat, etwas zu löschen." Hartmut nickte und führte aus. "Wenn ich euch...", dabei deutete er auf Semir, Ben und Lucas, die zur Befragung gestern im Labor waren. "... richtig verstanden habe, ist ein Schlüssel im System hinterlegt, mit dem man auf die Daten zugreifen kann. Wenn die Sicherheitsstandards wirklich so hoch sind, dann dürften nicht viele Leute dort über diesen Schlüssel verfügen. Um zu verhindern, dass Daten gelöscht werden, müssen wir aufpassen dass der Geschäftsführer und der Verantwortliche Techniker nicht zum Handy greifen um Anweisungen zu geben oder selbst darüber auf das System zugreifen. Wenn der Techniker am Terminal ist, kann ich selbst aufpassen."
    Die Chefin nickte: "Semir, sie passen mir darauf auf. Notfalls beschlagnahmen sie auch das Handy." "Dateien restlos zu löschen dauert auch ein wenig. Das geht nicht innerhalb von Sekunden, ansonsten sind die Daten wieder herstellbar." Hartmut war ein Experte auf diesem Gebiet, die Polizisten glaubten ihm dahingehend jedes Wort und vertrauten ihm blind. Drei seiner Mitarbeiter waren dabei und stiegen sogleich in den Van aus der KTU, während Ben, Semir und Lucas in den Ersatz-BMW einstiegen. Kremer fuhr in einem Mercedes hinterher.


    Ben kam um ein kurzes, zerknirschtes "Danke" nicht herum, als die drei Männer im Wagen saßen. "Kein Ding.", wiegelte Lucas ab und gab das Döschen wieder an Ben. "Aber warum brauchst du das Zeug?" "Das gehört mir nicht. Das gehört einem Freund.", sagte der Polizist mit der Wuschelfrisur. "Mann, warum hast du das Zeug nicht einfach entsorgt, du Esel!", raunte Semir vom Fahrersitz aus, er wusste natürlich dass es die Pillen waren, die Jenny gestern Abend genommen hatte, und die eigentlich Kevin gehörten. "Weil... ach, ich hab halt nicht dran gedacht. Ich hab sie eingesteckt und heute morgen waren sie noch in der Tasche." Semir kannte ja Bens Zerstreutheit, und es brachte jetzt nichts, weiter darauf herum zu hacken. Lucas hatte die Situation geistesgegenwärtig geregelt, zumindest für Staatsanwalt Kremer. "Anhand des Gesichtsausdrucks der Chefin kann ich dir sagen, dass sie gemerkt hat, dass du die Pillen verloren hast, nicht Lucas.", kündigte Semir schon mal einen späteren Anschiss an. "Ja, dann muss ich es ihr halt erklären.", meinte Ben nur kurz. Er drehte sich dann zu Lucas um. "Stimmt das, was du gesagt hast?" Der kahlköpfige Mann blickte mit seinen wachen Augen vom Fenster weg nach vorne zu Ben. "Was meinst du? Mit dem Trauma?" Ben nickte. "Ja... beziehungsweise generell. Warst du wirklich in Afghanistan?" Die Frage resultierte aus reiner Neugier, aber natürlich auch mit dem Hintergrund, ein wenig hinter die Fassade dieses Mannes zu blicken. Auch Semir hörte aufmerksam zu und Lucas räusperte sich kurz. Eigentlich wollte er nicht zuviel von sich preisgeben.


    "Ich habe kein Trauma. Aber ja, ich war bei der US-Navy und ich war in Afghanistan vor einigen Jahren." Dabei nickte er. Ein Szenario, das für Ben und Semir nicht vorstellbar war. Klar hatten sie einiges über den Nahost-Konflikt gehört, gelesen, in den Nachrichten gesehen. Für Semir war Krieg immer unwirklich, er passierte Tausende Kilometer weit weg und war einfach nicht greifbar. In gefährlichen Situationen, in die sie ja zur Genüge gerieten, war ihm die Gefahr immer bewusst. Sie ließen sich darauf ein, manchmal war es ja auch kontrolliert. Aber in einem Krisengebiet, ständig unter Beschuss, der Gefahr eines Anschlages... es war eine andere Welt. Aber es passte auch irgendwie zu dem Mann, der bei ihnen auf der Rückbank saß, dachte der erfahrene Ermittler, der Lucas durch den Rückspiegel kurz beobachtete.
    "Und warum nicht mehr?", fragte Ben interessiert, und er glaubte zu sehen, dass die Augen ein wenig kühler wirkten. "Ein schlechter Einsatz der auf meine Verantwortung ging." Eine kurze Antwort, die nichts aussagte... ausser, dass ein Einsatz schiefging. "Schlechter Einsatz?", wiederholte Ben, was sich eher wie ein "Erzähl mehr" anhörte. "Ja genau... schlechter Einsatz. Jedenfalls wurde mir danach die Stelle beim CIA angeboten, und das wars soweit." Man merkte das Abblocken, etwas was die beiden Polizisten schon von Kevin kannten. "Wars schlimm dort?" Ein kurzes Nicken. "Ziemlich schlimm."


    Die Ankunft am Labor beendete das Fragespiel, und die drei Männer stiegen aus. Staatsanwalt Kremer bat sofort um den Geschäftsführer, der glücklicherweise auch im Haus war. Unter Argusaugen beobachtete Semir und Ben, dass der Mann nicht zum Handy griff, während er den Durchsuchungsbeschluss las, dann rief er seinen Leiter der IT-Sicherheitsabteilung an. "Kommen sie bitte in mein Büro." Keine Anweisung und wenn "Kommen sie bitte in mein Büro" nicht ein Codesatz für "Vernichten sie alle heißen Daten" war, waren die Polizisten auf der sicheren Seite. Der Mann, der sich als "Herr Michels" vorstellte, las den Durchsuchungsbeschluss ebenfalls. Beide Männer waren nicht sonderlich erfreut, doch der Geschäftsführer machte professionell gute Miene zum bösen Spiel. "Natürlich werden wir die Arbeit der Polizei unterstützen."
    Während Hartmut und seine Mitarbeiter sich von Herr Michels den Serverraum zeigen ließen, bat Semir um die Personalakten, die der Durchsuchungsbeschluss ebenfalls mit einschloss. Herr Bretten, der Personalchef den die Polizisten schon kannten, kam wenig später mit mehreren gefüllten Ordnern. Der Klingelton von Bens Handy unterbrach das Arbeiten. "Sorry...", meinte er nur und entfernte sich ein wenig von der Gesprächsgruppe aus Semir, Lucas, dem Geschäftsführer und Bretten. "Ja?" "Ben... du... du musst mir helfen! Bist du allein?" Es war Christian...

    Dienststelle - 8:30 Uhr


    Die Temperatur im Raum kühlte innerhalb von Sekunden ab, als Lucas das Büro betrat und sofort auf die gestrige Überwachungsaktion zu sprechen kam. Bens Augen verengten sich zu Schlitzen und Lucas' Ruhe hatte ein wenig etwas von Kevins Arroganz, die er ausstrahlte wenn er seinen Schutzwall errichtet hatte. Und Lucas wusste das... er hatte sich heute morgen lange überlegt ob und wie er auf die gestrige Observation reagieren sollte. Natürlich wusste er, warum diese stattfand. Die beiden Polizisten waren ja auch nicht blöd und hatten sicherlich mitbekommen, dass die Angreifer gestern bei der Schiesserei seinen Namen gerufen hatten, dabei aber einen anderen Nachnamen nannten. Würde er nicht darauf reagieren und einfach nur seinen Stiefel durchziehen, wäre er der Beobachtung weiterhin ausgesetzt und müsste sich jeden Schritt überlegen. Also wählte er die offene Konfrontation.
    "Du solltest dir eher die Frage stellen, ob du uns weiterhin belügen willst.", trug Ben sein Herz mal wieder auf der Zunge und Semir verdrehte innerlich die Augen. In seinen Augen hätte man diese Konversation auch etwas gemäßigter beginnen können, um eventuelle Missverständnisse aufzuklären oder Lucas weitere Informationen zu entlocken. "Oder hatte der Asiate nur nen komischen Akzent?", legte Ben noch nach, so dass der Kahlkopf nur langsam nickte. "Ich hab mir schon gedacht, dass das der Grund für eure Verfolgungsfahrt war."


    "Und? War sie berechtigt?", fragte Semir mit Skepsis in der Stimme. Ihm war Lucas' Sicherheit verdächtig, als hätte er sich eine Story ausgedacht, die er jetzt zum Besten gab und die für die beiden Polizisten nur schwer widerlegbar war. "Ich habe mit dieser kriminellen Organisation schon öfters zu tun gehabt.", sagte er mit seelenruhiger Stimme, ging ein paar Schritte und sein Blick haftete dabei auf Ben, was diesen innerlich noch mehr provozierte. "Unter anderem habe ich mich schon einmal dort eingeschlichen. Und ich weiß nicht, ob ihr Erfahrung mit Undercover-Einsätzen habt, aber für gewöhnlich schleust man sich nicht unter seinem richtigen Namen in diese Organisation." Lucas drehte seine Geschichte um und sah in zweifelnde Augenpaare. "Tss...", war Bens kurze Antwort darauf und er schüttelte den Kopf.
    "Klingt etwas konstruiert." Semir saß mit verschränkten Armen im Stuhl und blickte zu den beiden, sich gegenüber stehenden Männern. Die Atmosphäre war zum Schneiden, auch wenn keine lauten Worte fielen und zumindest Lucas äusserlich völlig ruhig war. "Für euch vielleicht. Jedenfalls könnt ihr gerne über das auswärtige Amt eine Überprüfung meiner Person anhand meines CIA-Ausweises stellen... oder auch direkt beim CIA selbst, wenn jemand von euch der englischen Sprache mächtig ist." Bei diesem Satz nahm Lucas sein Smartphone aus der Tasche und hielt es erst Ben, dann Semir vor die Nase. Eine stumme Aufforderung, dass einer der beiden die CIA-Zentrale direkt anrufen sollte... und natürlich wussten die beiden, was im Zentralcomputer in der Personalakte gespeichert war.


    So ging auch keiner der beiden auf das Angebot ein. Lucas' Verhalten nährte weiter ihre Skepsis, es entkräftete nichts. Sie mussten höllisch aufpassen, dass er kein doppeltes Spiel spielte. "Ich verspreche dir... wenn du dafür verantwortlich bist, dass meinem Cousin etwas passiert... oder anderen Unschuldigen... dann nutzt dir auch dein CIA-Ausweis nichts.", drohte Ben, kam während er das sagte zwei Schritte auf Lucas zu und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. Mit einem kurzen Blick auf Kevins Bild neben der Kerze auf Bens Sideboard, das gleiche "Gedenken" wie bei der jungen Kollegin und dem Gedanken an das kurze Gespräch mit Jenny gestern, sagte er: "Man sollte nicht in Fällen ermitteln, in denen man privat beteiligt ist. Schon gar nicht, wenn man gerade mit in einer Trauerbewältigung ist."
    Was eigentlich gar nicht als Provokation gedacht war, sondern tatsächlich als gut gemeinter Rat eines erfahrenen Navy-Soldaten, geriet bei Ben völlig in den falschen Gehörgang. Es klang, als würde er Kevin verhöhnen... und nur weil er sich bei Semir für sein unmögliches Verhalten entschuldigt hatte, hieß das nicht dass er sofort weniger angespannt ist. Schon gar nicht im Bezug auf Kevin. Er packte Lucas am Kragen. "Was hast du da gesagt?", schnauzte der junge Polizist den Mann an, den er körperlich völlig unterschätzte.


    Semir konnte gar nicht so schnell aufspringen und eingreifen, wie Lucas sich mit einem festen Griff von Bens Händen befreite und den Polizisten zurückstieß. Die schnelle Bewegung hatte fatale Folgen, denn Bens Jacke war recht weit geschnitten und entsprechend waren seine Taschen groß. Bei der schnellen Bewegungen flog die Seite seiner Jacke ein wenig auf und aus der breiten Tasche fiel das Röhrchen mit den pinken Pillen. Mit Entsetzen in den Augen betrachtete Ben, als würde er einen Film in Zeitlupe sehen, wie das Plastikteil über den Boden rollte, durch die offnene Tür und erst an den Schuhen eines Mannes zum Stillstand kam. Die Schuhe gehörten Staatsanwalt Kremer, der gerade mit Anna Engelhardt zusammen die Vorgehensweise für die anstehende Untersuchung besprechen wollte. Jetzt blickte er mit großen Augen erst auf den Boden, dann zu Ben und Semir, bevor er sich bückte und das Plastikröhrchen aufhob.
    "Was zum Teufel...", zischte Anna Engelhardt mit Wut in den Augen, als Ben selbst merkte, dass ihm gerade schlecht wurde. Semir sah das Unheil ebenfalls schon kommen... ausgerechnet Kremer, der Kollegenschreck. Disziplinarverfahren, Suspendierung, das ganze Programm. Oh Mann... "Ist ihnen das gerade aus der Tasche gefallen?", fragte Kremer mit stechendem Blick und fast schon bedrohlichem Unterton in Bens Richtung... scheinbar hatte er, im Gegensatz zu allen anderen, nicht genau gesehen, wem das Ding aus der Jacke gefallen war.


    Doch bevor Ben antworten konnte, kam ihm Lucas zuvor. "Nein, das gehört mir." Ben und Semir versuchten, nicht alzu überrascht zu gucken und Ben fochte sofort einen Kampf mit sich aus, ob er es zulassen sollte, dass Lucas sich wie ein schützendes Schild vor ihn stellte. "Ach ja... und was ist das? Sieht mir nicht wie Smarties aus.", sagte Kremer mit prüfendem Blick, als könne er das erkennen. Semir erinnerte sich daran, dass nicht mal Drogenexperten wie Thomas Bienert diese Teufelspillen von Smarties unterscheiden konnte, und umgekehrt. "Sind es auch nicht. Das sind Psychopharmaka." Lucas redete ohne eine Miene zu verziehen und hielt die Hand offen, eine stumme Geste mit der er die Pillen zurückforderte. Auch Anna Engelhardt blieb stumm, genauso wie Semir und Ben. Eine Suspendierung konnten sie nicht gebrauchen, und Lucas war in seiner spontanen Rolle unglaublich selbstsicher.
    "Ein Polizist im Dienst, der Psychopharmaka braucht, gefällt mir aber gar nicht." "Ich habe sie auf Reisen nur für den Notfall bei mir, wegen eines Traumas aus Afghanistan bei der Navy. Und falls ich sie für einen Notfall brauche, können sie sicher sein, dass ich danach sofort den Dienst beende für diesen Tag, oder ihn gar nicht erst antrete." Ein Zucken mit den Fingern, eine erneute Aufforderung. "Ich hoffe, sie wollen mich deswegen nicht verhaften, Herr..." "Kremer. Na schön. Darum soll sich das CIA kümmern, solange sie hier unsere Ermittlungen nicht behindern mit ihrem... Trauma." Er gab Lucas das Döschen, der es, mit einem kurzen Blick auf Ben, in der Jackentasche verschwinden ließ, damit sie endlich die Besprechung beginnen konnten.

    Dienststelle - 8:00 Uhr


    Beide fühlten sich nicht besonders wohl, als sie geradewegs auf die Dienststelle zuhielten. Ben war erst gegen vier Uhr bei Jenny auf einem Sessel sitzend eingeschlafen, hatte Nackenschmerzen und rötliche Augen. Ausserdem pochte in ihm das schlechte Gewissen, seit er nach dem nächtlichen Erlebnis klarer sah. Auch wenn er sich ganz sicher war, aus jahrelanger Erfahrung mit Semir zusammen, dass dieser ihm keine Szene machen würde wenn Ben sich jetzt gleich aufrichtig für die letzten Tage und Wochen entschuldigt. Trotzdem fiel im dieser Gang jetzt schwer, zusätzlich stand heute wieder die Begegnung mit Lucas an. Wer weiß, ob der sie gestern bei der Observation bemerkt hatte... wenn er heute überhaupt nochmal auftauchte. Hatte er wirklich Dreck am Stecken und die Observation war aufgefallen, würde er vielleicht die Flucht nach vorne antreten.
    Jenny ging es aus anderen Gründen schlecht... Nachwirkungen ihres Horrortrips äusserten sich in Müdig- und Übelkeit, Kopfschmerzen und Augenbrennen. Doch sie wollte, gerade nach den letzten Monaten, nicht schon wieder krankmachen. Auch damit es keine Spekulationen unter den übrigen Kollegen gab, ob sie vielleicht doch mehr Probleme hatte, Kevins Tod wegzustecken. Äusserlich wollte sie die Rolle der starken, unerschütterlichen Frau aufrechterhalten, weswegen sie sich heute mehr schlecht als recht zum Dienst schleppte.


    Semir blickte am Schreibtisch auf, als er Bens Frisur durch die große Glasfront sah. Nachdem er gestern wütend abgedampft war, hätte er nach einer Viertelstunde schon wieder zurückkehren können und den nächsten, ruhigen Gesprächsversuch unternehmen. Nicht nur weil Ben ihm natürlich am Herzen lag, auch weil Semir unerschütterlich daran glaubte, dass sich Konflikte nur so lösen lassen. Zumindest unter Freunden hatte er die Fähigkeit einer sehr langen Zündschnur und einer hohen Leidensfähigkeit. Aber, und das musste er dann abends zugeben, als er nach Hause kehrte und die ganzen Erlebnisse seiner Frau erzählte... diesmal hatte es ihn getroffen. Es hatte Semir traurig gemacht zu sehen, was ein Todesfall aus seinen Freunden, in diesem Fall Ben, machte.
    Und es kamen ihm wieder Gedanken, die er gerne aus seinem Kopf verbannte. Vielleicht war es doch irgendwann an der Zeit, die restlichen Jahre seiner Berufslaufnahm irgendwo zu verbringen, wo man nicht immer mal mit dem Tod von Freunden und Kollegen konfrontiert wird. Ihm wurde von anderen Dienststellen, aufgrund seines kriminalistischen Geschicks oftmals Leiterposten angeboten. Viel Organisation, Verantwortung, Koordination... und natürlich mehr Geld. Mit jedem gefährlichen Einsatz dachte er, dass ihm nicht mehr viele Chancen bleiben würden, die letzten Jahre ein wenig sicherer zu verbringen. Auch darüber dachte er in dieser, für ihn auch, unruhigen Nacht nach. Und das war unabhängig von Bens Launen.


    Dem erfahrenen Kommissar entging natürlich Jennys "Zustand" nicht. Sie sah wirklich nicht gut aus, kränklich und blass. "Frauenkrankheit", murmelte er in die Tasse und beruhigte sich damit selbst, als Ben zur Tür herein kam und nur ein zerknirschtes "Morgen" fallen ließ. "Guten Morgen." Semir hatte die Angewohnheit, Streitigkeiten nicht auszutragen. Sie hatten sich gestern gezofft... okay. Darüber musste man heute reden und ehrlicherweise erwartete der Polizist auch eine Entschuldigung von seinem Partner. Aber er ließ seinen jungen Freund nicht spüren, dass er sauer war oder dass man sich gestern in den Haaren hatte. Das Schokocroissant, mit dem Semir diese Woche an der Reihe war, lag auf seinem Platz. Semir hätte ja genauso gut sagen können: "Ne, heute nicht." und schmollen.
    Das machte es für Ben natürlich noch schwerer, zeigte es doch die Unsinnigkeit seiner Angriffe, wenn der Angegriffene so besonnen reagierte, zumindest im zweiten Moment. Und dennoch spürte der junge Polizist den durchaus fordernden Blick seines Partners auf sich. "Hmm... also... ich wollte mich bei dir entschuldigen.", meinte er kleinlaut und Semir atmete innerlich auf. Er hatte durchaus Befürchtungen, dass Ben dieses Spiel weiterführte, was die nächsten Tage sicher nicht angenehm gemacht hätten. Jetzt nickte er zufrieden... und hoffte, dass es nicht nur leere Phrasen waren.


    Mit dem Grund für die Entschuldigung wurde Semir dann aber geschockt. "Ich hab gestern vor Augen geführt bekommen, dass Kevins Tod bei Jenny mehr Schaden hinterlassen hat... und ich mich deshalb ziemlich egoistisch verhalten habe, dies nicht gemerkt zu haben." Der kleine Polizist zog die Stirn in Falten. "Was meinst du damit?" Ben seufzte: "Jenny hat mich gestern Nacht angerufen. Sie war vollkommen verängstigt, redete davon dass Kevin in ihrer Wohnung sei, dass sie ihn hören könne. Ich bin zu ihr gefahren und habe sie quasi... gefunden. Sie hat von Kevins Pillen etwas genommen, weil sie sich so schrecklich einsam gefühlt hat." Semir wurde mit einem Schlag schlecht und er blickte sorgenvoll über die Schulter in Jennys Richtung. "Ach du Scheisse...", murmelte er. Ben hatte mit Jenny abgesprochen, dass er Semir einweihte, und sie war einverstanden.
    "Genau... aber es war eine einmalige Sache, weil sie gemerkt hat, auf welchen Höllentrip sie von den Dingern geschickt wurde." "Ganz sicher?" "Todsicher. Glaub mir, sie hat die Wirkung völlig falsch eingeschätzt." Ben nickte und er vertraute Jennys Worte, was wiederum Semir überzeugte. "Am besten, wir sprechen sie erstmal nicht drauf an. Ihr gehts jetzt auch dementsprechend mies, aber sie wollte nicht krank machen. Sie hat versucht, das Ganze zu überspielen." Und etwas leiser, selbstkritischer fügte der Mann mit der Wuschelfrisur hinzu: "Und da ich mehr damit zu tun hatte, ein Arschloch zu sein, hab ich es nicht gemerkt." Semir legte seinem besten Freund eine Hand auf die Schulter. "Mir ist auch schon aufgefallen, wie stabil Jenny das Ganze wegsteckt. Letztlich können wir ihr aber nicht in den Kopf schauen. Aber jetzt wissen wir Bescheid."


    Ben war froh, dass Semir nicht weiter auf seinem Verhalten hackte, sondern still die Entschuldigung akzeptierte. Er nickte und setzte sich, wobei er den Mann mit längeren grauen Haaren bei der Chefin im Büro sah. "Das ist doch Staatsanwalt Kremer, oder?", meinte er. Semir nickte: "Ja... ließ sich nicht vermeiden. Er ist heute bei der Durchsuchung in dem chemischen Labor dabei." Beide Polizisten konnten den Mann nicht besonders gut leiden, der zwar vor Gericht ein ausgezeichneter Staatsanwalt war und sich gerne mit seinem Gegenüber, dem Verteidiger, anlegte, dabei rhetorisch meist die Überhand behielt, aber gleichzeitig ausserhalb des Saals zwischen Hochnäsigkeit und Cholerik schwankte. Ausserdem war er berüchtigt als "Killer", wenn es darum ging, Verfehlungen bei Polizeibeamten zu ahnden.
    Was, wie der erste Wermutstropfen auf den Morgen war, nachdem sich Ben und Semir nun stumm ausgesöhnt hatten, folgte der zweite in Form eines stämmigen Mannes mit kahlem Kopf und stechendem Blick. Lucas kam ins Großraumbüro, nickte zur Begrüßung in Richtung Jenny, statt "Guten Morgen" zu sagen und ging dann zielstrebig ins Büro von Semir und Ben. Die beiden hatten keine Chance sich kurz abzusprechen, wie sie auf den Mann, den sie gestern beschattet hatten, und dem sie nicht unbedingt vertrauten, gegenüber treten sollten heute. Beiden wäre es lieb gewesen, wenn er nicht bei der Durchsuchung dabei gewesen wäre, doch wie sollten sie das begründen? Lange überlegen, ob sie überhaupt etwas zu der letzten Nacht sagen sollten, brauchten die beiden Autobahnpolizisten sowieso nicht... denn Lucas kam ihnen zuvor, als er ohne Begrüßung Richtung Ben ein "War das nicht unbequem im Auto zu schlafen?" warf und den jungen Polizisten provokant und herausfordernd ansah...

    Jennys Wohnung - 1:15 Uhr


    Ben war erschüttert, was er gerade erlebt hatte. Jenny in einem Fiebertraum, im Drogenrausch vor Trauer um ihren Freund Kevin, und dann auch noch mit dessen Drogen. Das Röhrchen war noch beträchtlich gefüllt, so dass Ben keine Angst haben musste, dass die junge Frau eine Überdosis geschluckt hatte und sie hatte auch zwischen ihren wirren Sätzen gemurmelt, dass sie nur eine Pille genommen hatte. Die offenbar reichte vollkommen aus, um drogenunerfahrene Menschen auf einen Höllentrip zu schicken. Kevin schien kein Weicheier-Zeugs genommen zu haben, damals, sondern Zeug das reinhaut. Auch das erschütterte ihn... nachträglich immer noch.
    Jenny war ruhiger geworden, sie hatte über der Toilettenschüssel gekniet und hatte nochmal erbrochen, diesmal ohne fremde Hilfe. Danach war sie vor der Toilette zusammengeklappt, und nur von Bens Händen aufgehalten. Er hatte sie gestützt, zur Couch geschleppt und ihr dort ein weiches, warmes Lager mit Kissen und Decken eingerichtet. Immer wieder gab er ihr etwas Wasser zu trinken, damit ihr Kreislauf nicht in den Keller ging, damit die Drogen aus dem Körper geschwemmt werden konnten. Ähnlich, wie mit Alkohol und einem Kater. Irgendwann hatte sie auf der Couch leise angefangen zu weinen, so dass Ben ihr immer wieder durchs Haar strich. Ein Weinkrampf vor lauter Trauer, den sie in den letzten Tagen und Wochen scheinbar immer mal zurückgehalten hatte.


    Der junge Polizist beobachtete Jenny und er fühlte sich hundeelend. Nicht nur, weil es ihm nahe ging, wie sehr Jenny um Kevin trauerte. Nicht nur, weil er selbst erneut brutal von der Tatsache eingeholt wurde, dass gerade soviel in seinem Leben und in dem Leben seiner Freunde aus dem Ruder lief. Er fühlte sich gerade schrecklich egoistisch, wie er sich in den letzten Tagen benommen hatte. Mit seinem Eigensinn, seiner aufgestauten Wut, die er gegen jeden herausließ, angetrieben von der Trauer. Statt die Trauer zu teilen und damit eine Stütze für Jenny zu sein, und auch für Semir, war er ein ekelhaftes Arschloch geworden und hatte sich auch so gezeigt. Gegenüber den Menschen, die ihm am wichtigsten sind. Semir, Jenny und vor allem Carina. Jenny hatte ihre Trauer verborgen, in sich hineingefressen und anders, als bei Kevins erstem Verschwinden, einfach in sich gefressen. Bewusst unterdrückt, wie es ihr Kopf ihr vorgespielt hatte, als Kevin in der Wohnung war und darum bat, dass die Trauer Jennys Herz nicht fesseln sollte. Sie hatte es zu wörtlich genommen und ihr selbst jede Trauer verboten. Doch das konnte nicht funktionieren, wie sie spätestens in dieser Nacht oder am nächsten Morgen feststellen würde. Semir, als erfahrener Polizist, der schon mehr als einen Freund verloren hatte, ging professionell damit um. Er hatte eine Schulter, eine Stütze bei seiner Frau, nachdem er merkte dass Ben im Bezug auf Kevins Tod nicht ansprechbar war... zumindest nicht als Freund. Deswegen war der Älteste der drei auch der souveränste und der, der nicht nur vordergründig mit der Tragödie am besten umging.


    Aber Ben übersah, dass es Jenny schlecht ging und sie das perfekt überspielte. Wäre er nicht mehr mit sich beschäftigt gewesen und vor allem damit beschäftigt, seinen Freunden das Leben schwer zu machen, hätte er es vielleicht erkannt... und hätte ihren jetzigen Zustand verhindern können. Sein Herz klopfte laut. Kevin war immer und für jeden, wenn er gebraucht wurde, ein Fels in der Brandung... egal wie schlecht es ihm selbst ging. Er schaffte es, die eigenen Probleme hinten anzustellen, und solange er gebraucht wurde, da zu sein. Ben hatte das nicht getan. Er war egoistisch, hatte zuerst sich gesehen und die ganze Welt für ungerecht erklärt. Hatte sich mit Semir gestritten, Carina vor den Kopf gestoßen und Jenny ignoriert. Es hatte diesen Zusammenbruch gebraucht, um ihn zu der Erkenntnis zu bringen. "Es tut mir so leid, Jenny", sagte er leise und die junge Frau wusste nicht, ob er es sagte um sich für sein Verhalten zu entschuldigen, oder ob es ein Ausdruck von Beileid war.
    Er kümmerte sich um die junge Frau und blieb bei ihr, er konnte sie jetzt nicht alleine lassen. Mit der Zeit wurde sie ruhiger, sie hörte auf zu weinen und sah langsam wieder klarer. Kein Klopfen mehr, keine Stimmen mehr und nicht dieses untrügerliche Gefühl, dass Kevin irgendwo in der Wohnung war. Sie erzählte langsam, wie heute abend plötzlich alles über sie hereinbrach, sie sich einsam fühlte, mehr als sonst. Und dass sie der Gedanke quäle, Kevin wäre nicht bei ihr, würde nicht auf sie aufpassen, würde sie vergessen. "Da habe ich die Pillen gefunden... und eine genommen. Weil ich dachte, ich könnte es dann vergessen." Sie tat den gleichen Fehler, den Kevin getan hatte.


    Jennys Glück war, dass sie nicht in der Jugend schon aus Spaß Drogen genommen hatte. Weil Kevin bereits vorher einmal abhängig war, kam er bei seinem depressiven Absturz nicht mehr davon weg. "Ich nehm die Dinger mit, okay? Damit du nicht mehr in Versuchung gerätst.", sagte Ben mit vertrauensvoller Stimme und steckte das Döschen in seine Jackentasche. "Würde ich... wohl sowieso nicht mehr. Aber es ist besser, wenn sie nicht mehr hier sind.", sagte Jenny mit schwacher, stotternder Stimme. Sie war froh, dass Ben bei ihr war. "Ich vermisse ihn einfach so sehr.", fügte sie leise hinzu und Ben nahm sie in den Arm. "Ich auch, Jenny... ich auch.", pflichtete er ihr bei, auch wenn er Kevin natürlich auf einer anderen Ebene vermisste. Als Freund, als Partner, als Musikerkollege.
    "Es tut mir leid, wie ich mich die letzten Tage verhalten habe. Wie ein Esel... dabei geht es dir soviel schlechter, und du knabberst soviel mehr daran.", gab er zu und schämte sich. Er war zwar nicht besonders eklig zu Jenny, aber ablehnend. Semir und Carina bekam den größten Teil seiner Wut ab. "Jeder trauert anders. Natürlich knabbert es auch an dir.", beschwichtigte die junge Frau. Aber sie verstand was er meinte. Während sie ihre Trauer auf niemanden projeziert hat, hat er jeden anderen Menschen in Mitleidenschaft gezogen.


    "Oh verdammt...", entfuhr es Ben plötzlich. Gerade fiel ihm ein, dass er Carina mit keinem Wort Bescheid sagte, wo er ist. Sie würde vermutlich längst zuhause wahnsinnig werden, vor Angst. Immer noch war er es nicht gewöhnt, sich zu Hause für ein späteres Kommen zumindest abzumelden. Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte Carinas Nummer. Sie meldete sich schläfrig: "Ben?" Der junge Polizist war erstaunt... ein wenig auch traurig. Hatte sie sich gar keine Sorgen gemacht, dass sie scheinbar friedlich schlief, obwohl er nicht nach Hause kam. "Carina... es tut mir leid, ich habe vergessen anzurufen, dass ich noch in einem Einsatz war." "Hmm... aber dein Kollege hat doch angerufen?" Ben schaute ein wenig verwirrt. "Mein Kollege? Meinst du Semir?" Jenny blickte bei Bens überraschtem Gesicht ebenfalls auf.
    "Na klar. Er hatte so gegen acht Uhr angerufen und gemeint, dass ihr beide noch eine Observation am Laufen habt, die auch bis in die Nacht dauern könnte. Oder meinst du, ich würde ruhig schlafen, wenn ich nicht wüsste wo du bist." Semir hatte wohl, direkt nach dem sie im Streit auseinandergingen, Carina angerufen. Im Wissen, dass ein Ben auf Hochtouren sowas natürlich vergessen würde, und der erfahrene Polizist hatte Recht. Ben lächelte insgeheim über seinen Partner, der scheinbar seine Gedanken lesen konnte...

    Jennys Wohnung - 0:30 Uhr


    Ben hatte das Blaulicht angeschaltet und war sofort hellwach, als er Jennys angstdurchtränkte Stimme am Telefon wispern hörte. War wirklich jemand in der Wohnung? Wen meinte sie mit "er"? Und warum war sie so ängstlich? Jenny war Polizistin, eine toughe Polizistin die im Einsatz nie Anzeichen von Angst zeigte. Sie war vielleicht nicht ganz so wagemutig wie Ben und Semir, wog Risiken eher ab... aber dass sie bei einem nächtlichen Besucher in Schockstarre verfiel, war ungewöhnlich. Diese Gedanken gingen Ben durch den Kopf, als er durch die nächtliche Innenstadt raste und dabei über zwei rote Ampeln fuhr, nachdem er vorsichtigerweise den Querverkehr gecheckt hatte. Mit quietschenden Reifen kam er vor dem Wohnhaus von Jenny, die in einem Mehrparteienhaus der gehobeneren Klasse wohnte, zum Stehen.
    Die Nacht war kalt, der Wind frischte auf, doch Ben spürte kein Empfinden. Sein Herz klopfte bis zum Hals, als er zur Haustür lief und Jennys Klingel drückte. Ungeduldig wartete er darauf, dass Jenny den Knopf betätigte um die Tür zu entriegeln, doch nichts passierte. "Scheisse...", fluchte der Polizist. Sollte doch jemand in der Wohnung sein, und Jenny war in Gefahr? Er rüttelte an der Tür, doch das Haus war renoviert und die Tür eine Sicherheitstür, die so einfach nicht zu knacken sei, zumindest nicht mit der Kreditkarte.


    Ben griff in seine Mantelinnentasche, wo er sein Dietrich-Set hatte, das er mal "für Notfälle" von Semir geschenkt bekommen hatte. Dies war ein Notfall, Gefahr im Verzug... theoretisch hätte er auch die Tür eintreten können, doch den Sachschaden müsste er dann ausführlicher erklären. Er ließ das Werkzeug ins Schloß gleiten und hantierte herum. Kevin brachte ihm einige Kniffe bei, jedesmal mit einem mulmigen Gefühl im Bauch bei Ben. Immer wieder stellte er sich dabei Kevin in dunkler Kleidung und Basecap vor, wenn er als Jugendlicher Türen aufgebrochen hatte, um ihn Wohnhäuser oder Geschäfte einzusteigen. Er wollte sich das nicht vorstellen, und doch musste er im Laufe der Zeit damit umgehen, dass es bei Kevin zwei Leben gab. Eins vor seinem Polizeidienst, und eins danach. Zwei Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und doch hatte er sich von seinem ersten niemals ganz trennen können.
    Immer wieder sah der junge Polizist nach links oder rechts, doch die Straße war wie leergefegt. Es wäre peinlich gewesen, wenn ihn jemand erwischt hätte. Endlich sprang der Zylinder zurück und Ben konnte die Tür aufdrücken. Mit schnellen Schritten hetzte er nach oben zu Jennys Wohnungstür, wo er leise klopfte, um nicht die ganze Etage zu wecken. Als sich nichts rührte, klopfte er etwas lauter... unwissentlich, dass er Jenny damit große Angst machte. Es gab keine Reaktion hinter der Tür und Ben begann zu schwitzen. Wieder klopfte er und meinte plötzlich, er könnte ein leises Wimmern hören.


    Im Dunkel ein Wimmern hinter der Tür zu hören, ohne zu wissen was passierte, jagte ihm Schauer über den Rücken. Nun wollte er doch auf Nummer sicher gehen... er nahm die Waffe zur Hand und begann einhändig ebenfalls mit dem Dietrich zu hantieren. Die Kratz- und Klickgeräusche drangen auch im Inneren der Wohnung durch den Raum. Hier war das Schloß etwas nachgiebiger, und Ben brauchte nur einige Augenblicke, bis er die Tür vorsichtig aufdrückte, die Waffe im Anschlag. Das Wimmern wurde lauter, es mischte sich mit schnellem, ruckartigen Atmen, als würde jemand gerade einen Marathon laufen. Im gesamten Zimmer war es dunkel, und der junge Polizist musste die Geräusche orten. "Jenny?", flüsterte er leise und tastete nach dem Lichtschalter. Endlich... das Licht erhellte den Raum und schnell sah sich der junge Mann um, um nicht überrascht zu werden. Doch nichts war zu sehen.
    Aber er konnte erkennen, von wo das Wimmern jetzt kam... die Tür zum Bad war nur angelehnt, und die Geräusche kamen aus dieser Richtung. "Jenny?", flüsterte Ben leise und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Das Wimmern wurde lauter, Ben machte Jennys Stimme aus, Bruchstücke von erstickten Worten zwischen Panik. Im Bad war es ebenfalls dunkel, aber der Polizist griff sofort um den Türrahmen herum, wo er den Lichtschalter in Erinnerung hatte. Auch das kleine, aber modern eingerichtete Bad wurde von dem Deckenfluter erleuchtet... und sofort ließ Ben die Waffe sinken. Was er sah ließ in seinem Hals einen Kloß wachsen.


    Jenny saß zusammengekauert in ihrer Dusche, die Beine fest an den Leib gezogen, den Kopf auf die Knie gelegt und sie hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Immer wieder kam neben Wimmern ein "Hör auf damit. Lass mich in Ruhe. Geh weg!" aus ihrem Mund, ohne dass sie aufblickte. Ben sicherte seine Waffe sofort, steckte sie weg und ging vor Jenny, die nur Unterhose und Shirt trug, in die Hocke. Vorsichtig, um die junge Frau nicht zu erschrecken, fasste er an ihr Handgelenk, damit sie ihn hören konnte. "Jenny... ich bins, Ben! Du hast mich angerufen." Ruckartig blickte sie in Bens Gesicht, und im Ausdruck ihrer Augen lag die pure Angst. Sie erkannte den jungen Polizisten, ihre Haut war kalt und sie zitterte. "Ben... er ist hier. Ich habe ihn gehört.", flüsterte sie. "Wer ist hier?" "Kevin... er ist in meiner Wohnung."
    Betroffenheit befiel Ben. Jennys Zustand war weitaus schlimmer, als sie alle ahnten. Die perfekte Fassade, dass sie relativ gut mit seinem Tod umging und vor allem ihre Arbeit ihr half, brach mit einem Mal zusammen. Die junge Frau steckte ganz tief in ihrer Trauer, die sich bei ihr völlig anders äusserte als bei Ben. Aber wer konnte es ihr verübeln?


    Den Grund für ihren Zustand sah er auch sofort. Neben ihr lag ein Döschen, das Ben sofort bekannt vorkam. Genauso wie der Inhalt... Kevins Hinterlassenschaft. Nachdem er es mit Jennys Hilfe schaffte, von den Drogen wegzukommen, hatte er immer ein Döschen zu Hause behalten. Für den "äussersten Notfall". Er füllte sich damit einfach sicherer als mit dem Gefühl, nichts zu haben. Er hatte es danach nicht mehr gebraucht, zumindest nicht so lange er bei Jenny war, und die hatte nicht mehr daran gedacht, dass es in ihrer Küche stand. Heute abend hatte sie sich im Zustand tiefer Trauer daran erinnert... mit jenen fatalen Folgen dass sie es Klopfen hörte, dass sie Kevins Stimme hörte und seine Anwesenheit spürte. Erst erfreut, dann hatte seine Stimmt bedrohlich geklungen und Jenny bekam furchtbare Angst.
    "Jenny komm... du musst aufstehen.", sagte Ben als er das Döschen sah... vielleicht konnte er noch etwas retten. Jennys Beine knickten beim ersten Versuch weg, sie wehrte sich nicht, gab aber unverständliche Laute von sich. Ben hob sie nur bis zur Toilette, wo er sie langsam wieder auf die Knie sinken ließ und den Deckel hochklappte. Er reagierte besonnen, im Notfallprogramm. "Sorry Jenny...", sagte er noch, obwohl sie es vermutlich gar nicht richtig mitbekam, dass er ihr zwei Finger in den Hals schob, damit sie sich erbrechen konnte in der Hoffnung, dass vielleicht ein Teil der Pillen nochmal mit heraus kommen würden. Das Döschen war noch sehr gut gefüllt, so dass Ben keine Überdosis befürchtete... aber er konnte Jenny jetzt erstmal nicht alleine lassen...

    Köln - 19:45 Uhr


    Sie hatten so gehofft, durch ihre Observationsaktion etwas zu Lucas heraus zu finden... doch letztlich war es umsonst. Nachdem der, ab dem Café ahnungslose Mann, die Fahrt fortsetzte machte er nur eine Stunde in einem Restaurant Halt, um danach ins Hotel zu fahren. Dort harrten die beiden Polizisten bis kurz nach halb acht aus. Es dunkelte bereits deutlich, der Herbst war über sie gekommen und der Winter klopfte bereits langsam an die Tür. Ähnlich trübe und kalt wie das Wetter, war auch immer noch die Stimmung im Auto. "Lass uns zurück fahren. Das bringt nichts.", sagte Semir dann irgendwann genervt. Er war von dem Streit genervt, von Bens Laune mittlerweile auch. Sein unendlich wirkendes Verständnis für den Kollegen, der unter dem Tod Kevins litt, war aufgebraucht.
    "Hast du noch nen Termin?", war die schnippische Antwort von Ben und Semir seufzte mit geschlossenen Augen. "Ben, der hat sich jetzt über anderthalb Stunden nicht mehr aus dem Hotel bewegt. Wenn der da drin verdächtig telefoniert, bekommen wir es hier eh nicht mit. Du kannst ja gerne noch bleiben, ich hole mir ein Taxi zum Benz und fahre nach Hause." "Wenn jemand aus deiner Familie in Gefahr wäre, würdest du hier vermutlich ein Zelt aufschlagen." Schon wieder dieser aggressive Unterton, dachte Semir und kopfschüttelnd sah er Ben an.


    Er beugte sich, ein wenig zur Seite näher an Ben... als wolle er ihm im Geheimen etwas sagen, was niemand hören sollte. Doch das war nicht der Grund... der Grund war, dass es dem erfahrenen Polizisten wichtig war, was er zu sagen hatte. Sehr wichtig... und an diesen Sätzen hatte er die letzten Stunden bereits überlegt. "Pass auf Ben. Pass jetzt gut auf." Es sollte nicht drohend klingen und Ben bewegte den Kopf nur unmerklich. Eben war die Situation schon eskaliert, mit Worten die vermutlich beiden leid taten, auch wenn sie es jetzt gerade nicht zugeben würden. "Ich hab dir gesagt, dass ich verstehen kann, dass du dich scheisse fühlst. Und wir sind jetzt seit fast 10 Jahren Partner und beste Freunde. Wir haben mehr zusammen erlebt als jeder einzelne für sich und ich kann, oder konnte mir bisher niemals vorstellen, das zu sagen, an was ich heute mehrfach gedacht habe."
    In Ben breitete sich ein seltsames Gefühl aus. Semirs Stimme klang ernster als bei jeder Standpauke oder psychischer Hilfe, der er bisher von ihm zu hören bekommen hat. "Aber ich werde mir nicht weiterhin diese, deine Laune aufbinden lassen. Das belastet mich und ich bekomme schlechte Laune, und bevor dann zu Hause meine Kinder anpampe oder meine Frau, und meine Wut genauso an Unschuldigen auslasse, so wie du es derzeit tust, frage ich lieber die Chefin ob Jenny nicht diesen Fall mit der bearbeiten will." Der junge Polizist hielt innerlich den Atem an, während Semir sich abschnallte.


    "Und das lass dir gesagt sein. Im Bezug auf Jenny würde ich mich für dein Verhalten doppelt und dreifach schämen. Sie hat Kevin geliebt, über alles geliebt und ihn verloren. Sie war es, der er absolut vertraut hat, sie hatten ein Kind gemeinsam. Und es ist bewundernswert, wie sie damit umgeht, während du deine Trauer an jedem auslässt. Und jetzt wird sie durch diesen Fall auch noch belastet. Mach dir mal deine Gedanken, aber ich hab so keinen Bock mehr. Ich habe heute morgen erreicht, dass du offiziell Christian suchen darfst und gesagt, dass ich dir helfe... und das tue ich auch, aber ich arbeite euch von aussen zu. Ausser du überlegst dir, ob du das hier noch weiterhin so durchziehen möchtest." Semirs Stimme zitterte am Schluß, denn ihn nahm das Ganze selbstverständlich auch mit. Ben war sein bester Freund, eine Freundschaft die scheinbar bröckelte, und ganz kalt ließ ihn Kevins Tod natürlich auch nicht. Aber von seinem Nebenmann kam keine Reaktion, keine Antwort. "Man kann nicht alles, was man kaputt macht, einfach wieder zusammenkleben, Ben. Vergiss das nicht." Mit diesen Worten öffnete der Polizist die Beifahrertür und stieg aus, während sein junger Partner krampfhaft versuchte, nicht den Kopf zu drehen. Tausend Gefühle brachen über Ben herein, Bilder, Stimmen von Kevin und Semir. Erst nach einigen Sekunden, als Semir sich längst vom Auto abgewendet hatte und mit schnellen, großen Schritten Kurs auf einen Taxistand in der Nähe nahm, blickte er kurz rüber. Für einen Moment hoffte er quasi, dass Semir sich nochmal umdrehte und zurückkam... aber er tat es nicht.


    Ben blieb standhaft... würde Lucas das Hotel nachts nochmal verlassen, musste er da sein. Immer mit Blick auf das Hotel kaufte er sich an einer Bude eine Currywurst zum Abendessen, bevor er wieder Platz auf dem Fahrersitz nahm. Es war mittlerweile stockdunkel, nur der Eingang des Hotels hell erleuchtet, innen konnte man gut gekleidete Leute sehen, die im Hotel zum Restaurant gingen. Anzugträger gingen ein- und aus, sie kamen von einer Tagung und zogen, in lockerer Kleidung, danach wieder in die Innenstadt. Immer wieder sah Ben auf die Uhr, immer wieder hallten ihm die Worte von Semir durch den Kopf. Er war traurig und wütend zugleich. Die Freundschaft fochte einen Zweikampf mit der Sturheit aus, und noch immer war Zweitere stark und gewandt und redete dem jungen Mann ein, dass es von Semir nicht richtig war, ihn allein zu lassen und persönliche Befindlichkeiten hinten an zu stellen. Immerhin ging es hier um seinen Cousin, verdammt. Wie konnte er da nur so dünnhäutig sein, nur weil Ben selbst man nicht besonders gelaunt war. Doch sein Kopf widersprach ihm direkt selbst... und warf ihm quasi selbst vor, eine jahrelange enge tiefe Freundschaft zu gefährden. Um dann die Schuld auf andere zu schieben... auf Kevin. Im Prinzip war er an allem schuld. Hätte er sich damals nicht mit Anis angelegt... Ben merkte, wie er sich in Gedankenfetzen verlierte, während er den Hoteleingang ansah, und langsam schläfrig wurde.


    Plötzlich schreckte er hoch. Der Klingelton seines Handys hatte den jungen Polizisten geweckt. "Oh Fuck...", murmelte er verschlafen und blickte auf das Armaturenbrett, wo im Standby des Wagens die Uhrzeit angezeigt wurde... es war kurz vor Mitternacht. "Scheisse, verfluchte...", dachte er zuerst, weil er Angst hatte, dass Lucas ihm jetzt doch durch die Lappen gegangen war. Doch als er den Namen "Jenny" aus seinem Smartphone las, die mitten in der Nacht anrief, vergass er Lucas für einen Moment. "Jenny? Bist du das?", fragte er, als er nur einen zitternden Atem hören konnte. "Ben...?", flüsterte die Stimme angstvoll. Sie gehörte eindeutig zu Jenny, hörte sich aber fremd an. "Jenny? Was ist los? Wo bist du?" "Er... er ist hier.", flüsterte sie in einer Mischung aus Schluchzen und panischer Angst. Dem Polizisten schnürte es die Kehle zu und ihn befiel eine Gänsehaut.
    "Was meinst du? Bist du zu Hause?" Wieder ein Schluchzen. "Ja. Er ist hier... er ist hier in meiner Wohnung. Ich kann es spüren..." Ihre Flüsterstimme befahl Ben wie ein Schauer und sofort startete er den fremden Wagen. "Wer ist bei dir? Jenny?" "Ich bin mir sicher. Er ist es... ich kann ihn spüren... Ben... er macht mir solche Angst!" Der Polizist konnte nicht ordnen, was Jenny meinte und ihre Stimme machte ihm unglaublich Angst. "Ich bin gleich bei dir!", versprach er.

    Köln - 14:15 Uhr


    Lucas hatte gerade per Tastendruck auf sein Lenkrad das Gespräch beendet, als er zur Überprüfung nochmal in den Rückspiegel sah. Tatsächlich war es Bens grauer Mercedes, der ihm folgte. Sicherlich kein Zufall, allerdings versuchte der Autobahnpolizist gar nicht, die Verfolgung unauffällig zu gestalten. Das verwirrte Lucas. Wollten die beiden ihn beschatten, würden sie das doch unauffälliger machen. So dilettantisch, das hatte der vermeintliche CIA-Mann nicht erwartet. Oder waren sie gerade nur unaufmerksam? Der kahlköpfige Mann fuhr weiter, behutsam und nicht auffällig schnell, als hätte er die beiden bemerkt. Der Weg führte jetzt auf eine Schnellstraße, die auf ihrer Seite für einige Kilometer zweispurig wurde. Lucas beschleunigte auf die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und blickte wieder in den Rückspiegel.
    "Aha... doch nicht ganz so zufällig.", murmelte er als er beobachtete, wie Ben sich von zwei anderen Autos bereitwillig überholen ließ. Er blinkte rechts und fuhr die nächste Abfahrt Richtung Innenstadt. Die beiden Autos folgten ihm, sowie der graue Mercedes, den Lucas nun nur noch wahrnehmen konnte, wenn er während des Abbiegens auffällig und konzentriert in den Rückspiegel sah. Würde er nun ohne Wissen, verfolgt zu werden, fahren, hätte er die beiden Polizisten nicht gemerkt. Doch jetzt war er gewarnt.


    "Der hat uns längst bemerkt.", sagte Semir mit grummelnder Stimme, als die beiden ebenfalls die Abfahrt nahmen. Ben biss sich auf die Zähne, um die spitze Bemerkung nicht aus seinem Mund zu lassen. Es war das erste Wort, das sie seit einigen Minuten miteinander sprachen, nachdem sie sich eben gerade noch angeschrieen hatten. Und es kam deutlich genervt bei Ben an, der mit seinem emotionalen Ohr hörte. Trotzdem hielt er die, nun wieder verdeckte Verfolgung aufrecht. Wenn Lucas sie bemerkt hatte, würden die beiden das wohl gleich bemerken, entweder dadurch, dass er sie versuchte abzuhängen, oder anhielt um sie zur Rede zu stellen. Zweiteres würde vermutlich ziemlich peinlich werden. Aber innerlich dachte der junge Polizist gerade, dass das dann Semir übernehmen könnte.
    "Dann schauen wir mal, wie gut ihr wirklich seid.", dachte Lucas sich und begann, wie ein Hase Haken schlägt, abzubiegen. Innerhalb der Innenstadt war das irgendwann für den Amerikaner kein Problem mehr, hatte er doch genügend Gelegenheiten, die Fahrspuren zu wechseln, ohne Blinken doch schnell nach rechts zu fahren und damit vor allem Mitfahrer in seinem Umfeld zur Weißglut zu bringen. Und Ben damit auch, der sich immer wieder zwischen Fahrzeuge drängeln musste und auch öfters erst im letzten Moment sah, dass der dunkle Audi doch noch abgebogen ist. "Der hat uns längst bemerkt.", wiederholte Semir in gleicher Tonlage wie vorher, als würde er eine Kasette abspielen. Er wusste natürlich um die Wirkung bei seinem Partner, doch beide Polizisten waren einander gereizt. "Wie oft willst du das jetzt noch wiederholen?", war die bissige Antwort, die Ben sich diesmal nicht verkniff.


    Eine halbe Stunde kurvten die beiden Fahrzeuge nun, immer mit ein paar Autos dazwischen, durch die Kölner Innenstadt. "Du hängst mich nicht ab.", sagte Ben zu sich selbst, als sei das ganze mittlerweile ein persönliches Spiel. Bringen tat die Überwachung nun wirklich nichts mehr, denn Lucas würde nun nichts tun, was für die beiden Polizisten von Interesse wäre. Einige Minuten später hielt er sogar am Straßenrand, so dass Ben den Atem kurz anhielt. Geistesgegenwärtig beschleunigte er, wechselte eine Spur nach links und war gerade, als Lucas ausstieg und von Ben und Semir passiert wurde, im Schatten eines kleinen Transporters. Danach bog der graue Mercedes rechts ab und war aus Lucas Sichtfeld verschwunden, der über den Bürgersteig schritt und sich in ein Café setzte. "Mal sehen, wie lange die beiden Überstunden machen wollen.", dachte er sich und setzte sich extra an die Fensterfront, um beobachten zu können, ob die beiden irgendwo auf einem anderen Parkplatz an der Straßen parkten. Beim Kellner bestellte sich Lucas einen Latte Macciato.
    Ben hatte, nachdem er in die Seitenstraße abgebogen war, den Mercedes direkt an der Straße im Halteverbot geparkt. "Und jetzt?", fragte Semir missmutig, denn wenn es nach ihm ginge, hätte er die Verfolgung an dieser Stelle abgebrochen, weil er sicher war, dass Lucas die beiden Polizisten schon längst bemerkt hatte. Doch Ben hatte noch nicht aufgegeben. "Wir machen einen VFW.", sagte er und stieg aus. "Einen was?", rief sein Partner ihm hinterher und öffnete seinerseits die Tür, um halb auszusteigen.


    Ben war währenddessen auf die Straße gelaufen und hielt einen weißen KIA Kombi mit gezücktem Ausweis an, der in umgekehrter Richtung die Straße entlang Richtung Hauptstraße fuhr und abrupt abbremste. "Ein Verfolgungsfahrzeugwechsel!", rief er seinem Partner noch zu, als der Fahrer des Wagens die Seitenscheibe herunterließ. "Was ist denn los?" "Autobahnpolizei Jäger. Wir müssen ihr Fahrzeug beschlagnahmen, das ist eine Amtsmaßnahme.", sagte er und ließ dem Mann gerade noch Zeit, den Ausweis zu studieren, bevor er ihn, mehr als eilig, aus dem Fahrzeug bat. "Aber..." "Wir lassen sie abholen!", hörte er gerade noch von dem Mann mit der Wuschelfrisur, während Semir kopfschüttelnd auf der Beifahrerseite einstieg. Ben legte den Wählhebel des Autos auf D und ließ ihn zurück zur Hauptstraße rollen, entgegen der vorherigen Fahrtrichtung am Cafe vorbei und dann auf der anderen Straßenseite parkend. Sie setzten sich beide etwas geduckt und Ben stellte den Seitenspiegel so ein, dass er den Ausgang des Cafes genau im Blick hatte.
    "Wenn wir der Chefin nachher noch erklären müssen, dass unser Auto abgeschleppt wurde...", hörte er die Stimme von Semir, die er sofort abwürgte. "Du kannst ja gern am Auto warten. Aber im Benz hat er uns wirklich erkannt." Lucas bekam in der Zwischenzeit seinen Kaffee und blickte immer wieder hinaus. Der weiße KIA war ihm natürlich nicht aufgefallen im Verkehrsgewirr, vor allem weil er primär auf den grauen Mercedes achtete, doch der war nirgends zu sehen.


    Trotzdem verbrachte er über eine halbe Stunde im Café, bevor er bezahlte und wieder auf die Straße trat. Er sah sich aufmerksam um, er war vorsichtig, geübt... denn er traute den beiden Autobahnpolizisten nicht. Doch der graue Mercedes war nirgends zu sehen, und soweit er es überblicken konnte, saß auch niemand in den direkt umliegend stehenden Autos. Sein naheliegender Gedanke: Die beiden hatten aufgegeben, nachdem durch seine Irrfahrt klar war, dass er sie bemerkt hatte. Ein wenig siegessicher lächelte er, auch wenn in ihm drin der Ärger überwog. Sie waren misstrauisch... vermutlich hatte doch einer der beiden mitbekommen, als der Asiate ihn bei seinem wahren Nachnamen gerufen hatte. Er stieg in seinen Audi, startete und fädelte sich in den Verkehr ein. Ben startete den weißen KIA, drehte über die Hauptstraße allerdings erst, als Lucas bereits einiges an Abstand hatte. Diesmal waren die beiden Polizisten vorsichtiger.
    Lucas wählte währenddessen eine, ihm sehr gut bekannte Handynummer. Es läutete nur zweimal, dann wurde abgehoben und eine asiatisch klingende Stimme meldete sich. "Hier ist Lucas. Was soll der Scheiss?", knurrte er. "Lucas... liebster Freund. Ich hoffe, meine Leute haben dir keine Umstände in Deutschland gemacht." Die Stimme klang gönnerhaft, hell, voll Freude. Beinahe konnte der Amerikaner das Grinsen hören. "Deine Männer haben mich heute mittag beinahe um die Ecke gebracht." Immer wieder schaute er dabei in den Rückspiegel, doch er konnte keinen grauen Mercedes mehr sehen. Die beiden hatten tatsächlich aufgegeben. "Zu schade.", hörte er. "Dann sollte dir das eine Lehre sein. Flieg zurück nach Amerika, und überlass uns den Stick. Ihr wisst damit eh nichts anzufangen." Lucas grinste, ein böses selbstsicheres Grinsen. "Ich gebe dir jetzt mal einen Rat. Beim nächsten Mal ziele ich besser, und dann kannst du schon mal ein Charterflugzeug neuer Männer nach Deutschland schicken. Also geb dich mit deinen Geldwäsche-Firmen, Drogenproduktion und Prostitution zufrieden und lass die Finger davon. Die Sache ist eine Nummer zu groß! Ihr wisst überhaupt nicht, auf was ihr euch einlasst." "Hauptsache du weißt es, Lucas... hauptsache, du weißt es." Dann trennte der unbekannte Mann die Verbindung.

    Köln - 14:00 Uhr


    "Du spinnst." Es waren zwei Worte, aber sie kamen direkt und unvermittelt, nachdem Semir seine theoretischen Gedankenspiele beendet hatte. Und es war ein Satz, den man als scherzhaftes Kompliment, als auch als abwertende Beleidigung aufnehmen konnte. Oder aber als Übertreibung. Für einen Moment war sich der erfahrene Polizist nicht ganz sicher, wie er den Satz verstehen sollte und er drehte den Kopf ein wenig in Richtung seines besten Freundes, der auch damit beschäftigt war, hinter Lucas' Audi nicht aufzufallen. Doch die Bestätigung kam sofort: "Ernsthaft, du hast sie nicht alle. Was soll das?" Bens Stimme klang erregt, verärgert... von einem auf den anderen Moment die Laune verändert. Als hätte Semir einen Kippschalter betätigt, der Ben in den Rasend-Modus versetzte.
    "Ben, ich versuche nur jede Möglichkeit abzuwägen. Fakt ist, dass die Asiaten scheinbar hinter deinem Cousin her sind. Also, wo soll er sein und vor allem, warum meldet er sich nicht?" Semirs Stimme blieb ruhig und sachlich... noch. Er sah Bens verkniffenen Gesichtsausdruck, das Kopfschütteln. Seine Hände, wie sie sich um das Lederlenkrad krampften und sein Blick, stur auf den Asphalt. "Ich versuche doch einfach nur, ein wenig logisch nachzudenken. Es ist nur eine Theorie, ich hab das doch gar nicht als Vorwurf formuliert."


    "Logisch nachdenken?", giftete Ben mit aggressiver Stimme zurück. "Dann denk mal logisch nach: Warum sollte Christian dann ausgerechnet zu mir kommen, wenn er mit den Informationen auf dem Stick das große Verbrechen vor hat? Zu einem Polizisten? Dann lässt er sich von mir noch in ein Hotel fahren? Wo liegt denn da die Logik?" Semir musste zugeben, dass Bens Einwand berechtigt ist, doch dessen aggressiver Ton gefiel ihm nicht. Für einen Moment erwischte er sich bei dem Gedanken einfach zu schweigen und seine Theorien für sich zu behalten. Aus Rücksicht auf Ben, auf Rücksicht auf seine eigenen Nerven. Aber das war doch keine Zusammenarbeit. Sie mussten sich doch austauschen können, ihre Gedanken teilen, ohne sich sofort anzugreifen. Na klar gab es Meinungsverschiedenheiten, auch zwischen den beiden besten Freunden. Aber Bens Verhalten war unausstehlich, und gerade jetzt, nachdem es die letzten Stunden wieder halbwegs normal war.
    "So läuft das nicht. Ich habe keinen Vorwurf gemacht.", sagte Semir nochmal und sein erster Satz war gleichzeitig dann doch ein Vorwurf. Allerdings gegen Ben, nicht gegen dessen Cousin. "Wir müssen doch offen miteinander über den Fall reden. Ich hab wirklich das Gefühl gerade, mit Kevin zu reden statt mit dir, wo ich mir jedes Wort zweimal überlegen muss, ob ich es nun sagen kann oder nicht." Und auch Semirs Stimme wurde jetzt lauter, was wiederrum Ben nicht gefiel. Die Stimmung im Wagen schaukelte sich hoch.


    "Ja toll.", blaffte nun der jüngere Kollege und meinte sarkastisch. "Dann schreib Christian zur Fahndung aus. Tot oder lebendig." Dabei nahm er das Funkgerät von der Halterung und warf es seinem verdutzten Kollegen in den Schoß. Er wusste, es war nicht richtig was er tat. Aber ein unangenehmes Engegefühl machte sich in seiner Brust breit, das er scheinbar nur dadurch los wurde, dass er wütend war. Ein Gefühl, das er nie zuvor gespürt hatte und erst seit ein paar Wochen seinen Kopf dominierte. Wenn er jemanden beschimpft hatte, oder gemein zu jemandem war, fühlte er sich besser. Es war grotesk. Ben wollte das nicht, und doch konnte er nichts dagegen tun. Weder konnte der Polizist dieses Gefühl unterdrücken, noch ignorieren und alle Menschen, die ihm wichtig waren, hatten darunter zu leiden.
    "Ich weiß, was mit dir ist.", hörte er dann nach ein paar Minuten der Stille, sowie dem lautlosen Zurücklegen des Funkgerätes in die Halterung durch Semir, dessen Stimme. "Und ich kann dich verstehen. Ich kann es nachvollziehen." Ähnliche Worte hatte er vor einigen Tagen schon mal benutzt, und sie endeten im Fiasko weil der erfahrene Kommissar Bens Beziehung miteinbezogen hatte. In dessen Augen ein böses Foul.


    "Nachvollziehen, aha." Wieder dieser sarkastische, völlig uneinsichtige Unterton. Früher hatte Semir Ben oft auf der ruhigen Ebene erreicht, ihn quasi zur Vernunft gebracht, wenn mit ihm mal wieder die Pferde durchgingen. Doch auf dieser Ebene erreichte Semir seinen besten Freund überhaupt nicht mehr. "Erst ist dieser Verräter bei Kevins Beerdigung, und euch scheint das alles scheissegal zu sein...", spielte er gereizt darauf an, dass Jerry an der Beerdigung teilnahm... der Mann, der dem Mörder von Kevins Schwester Janine damals den entscheidenden Tipp gab und somit für größtenteils für Kevins Lebenslauf verantwortlich war. Semir musste mit Engelszungen vor der Beerdigung reden, dass Ben keinen Aufstand machte, als er den Boxer und Ex-Knacki sah. Semir schüttelte innerlich den Kopf, während er ruhig zu hörte. Er hatte auch Aversionen gegen Annie, die Frau war verantwortlich für die vermutlich schlimmste Nacht seines Lebens im Keller einer Kneipe, als er dort von Neo-Nazis psychisch gefoltert wurde... und trotzdem war es für den erfahrenen Polizisten wie selbstverständlich, dass die junge Punkerin von ihrer Jugendliebe Abschied nahm, mit dem sie so viel schönes und schlimmes erlebt hatte. Aber Semir dachte da mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen, im Gegensatz zu seinem Kollegen. "Und jetzt tut ihr einfach so, als wäre nichts geschehen. Als wäre Kevin tatsächlich mit Jerry nach England gefahren. Die Blumen auf seinem Grab sind gerade frisch gepflanzt, da schleppts du schon irgendeinen anderen Kommissar an." Semir schluckte für einen Moment, den er spürte, dass die Angriffe nun unter die Gürtellinie gingen. Und es traf ihn bis ins Mark, so dass er selbst nicht mehr wirklich auf die Verfolgung von Lucas achtete.


    "Sag mal, bist du noch ganz dicht?", fuhr er seinen Partner auf dem Fahrersitz an, und mittlerweile hatte der Streit der beiden Polizisten eine Dimension erreicht, die noch nie schlimmer war. "Das ist mein Job! Das habe ich dir schon mal erklärt." Seime Stimme zitterte. Warum konnte Ben es nicht verstehen, dass man zwischen dem Menschen Kevin und dem Polizisten unterscheiden musste. "Verdammt nochmal, Kevin ist tot! Er ist tot, begreif das endlich! Und er wird nicht mehr wieder lebendig werden dadurch, dass du dich hier wie ein Arschloch aufführst!", schrie der sonst so besonnene Polizist, dem aber auch durchaus mal der Kragen platzen konnte. Er hatte Streit mit seinen Partnern, mit Chris als dieser in einem Einsatz das Leben seiner und Semirs Tochter gefährdete, mit André als dieser Semirs Cousin des Mordes verdächtigte und die beiden sich beinahe auf der Dienststelle prügelten. Dabei war Semir zwar immer aufgeregt, in Chris' Fall eher ängstlich, aber jetzt war er verletzt von Bens Worten, und das hörte man seiner Stimme an. "Im Polizeidienst müssen wir damit klar kommen, dass wir unsere Freunde verlieren! Und wenn du das nicht kannst, dann solltest du dir gut überlegen, ob du noch weiterhin Polizist sein willst! Du musst jetzt endlich wissen, ob du das hier noch alles willst, Ben!" Die Worte flogen in Bens Kopf und stachen ihn wie Messer ins Hirn. Krampfhaft biss er die Zähne aufeinander, bis er seinen Kopf rüber zu Semir drehte. Der erschrak innerlich bei Bens Kälte in seinen Augen, etwas was gar nicht zu dem Sunnyboy passte. Doch es machte den Eindruck, als sei der Sunnyboy in Ben mit Kevin gestorben. "Ja... vielleicht sollte ich mir überlegen, ob ich noch weiter Polizist sein will.", sagte er mit einer unheimlichen Ruhe in der Stimme. Beide merkten nicht, dass sich gerade kein Auto mehr zwischen ihnen und Lucas befand.