Köln - 10:15 Uhr
Die beiden Polizisten traten zurück in die Kälte und den aufpeitschenden Wind, der Bens Frisur sofort wieder zu einer wilden, unzähmbaren Mähne machte. Beide beschleunigten ihren Schritt um möglichst trocken in den Dienstwagen zu kommen. Dort wurde einmal mehr das Auto in ein mobiles Besprechungszimmer umgewandelt. "Was denkst du, welche Namen sollten wir priorisieren?", fragte Ben und sah, wie Semir sein Handy rausnahm und die virtuellen Notizen durchblätterte. "Die Konsumenten geben wir weiter an die Kollegen. Die sollen einfach mal nen Routinecheck machen. Wenn da aber keiner von uns inflagranti erwischt wird, wird da niemand seine Bezugsquelle verraten.", sagte der erfahrene Ermittler und scrollte die Namen wieder zur Seite. "Wir kümmern uns um die beiden Dealer.", fügte er an und sendete die Namen an Andrea um die jeweiligen Adressen heraus zu finden.
"Und das Mädchen?", fragte Ben neugierig, wobei klar war, dass sie dies auch nicht ausser Acht lassen sollten. "Das Mädchen ist weniger interessant. Eher der Vater. Wo hat der den Stoff her, der sich verticken lässt. Womöglich weiß er gar nicht, dass seine Tochter was von dem Zeug weggenommen hat." Wieder stimmte Ben nickend zu. Dann startete Semir den Wagen, nachdem sein Smartphone sich akkustisch erneut gemeldet hatte. Andrea hatte ihm drei Adressen geschickt, zwei davon in der Kölner Innenstadt, eine in einem Vorort.
Marvin Keuscher war zuerst an der Reihe. Er wohnte in einem recht schmucklosen Haus mit vier Wohneinheiten in einer Nebenstraße. Ben fragte sich immer, warum man hier wohnte... man hatte keinen Balkon, keinen Garten, die Wohnung war nicht mal in irgendeiner Form luxuriös, und trotzdem aufgrund der Innenstadtlage nicht besonders günstig. Ins Haus kamen sie, weil eine ältere Frau gerade die Haustür aufsperrte. Als sie an der Wohnungstür im zweiten Stock klopften, öffnete ihnen ein unrasierter Typ im Schlafanzug und zerzausten Haaren die Tür. "Wer seid ihr? Was wollt ihr so früh?", raunzte er und blickte unfreundlich. Ben war schon bereit, notfalls mit einem schnellen Schritt den Fuß in die Tür zu setzen, falls der Mann türmen wollte, doch Marvin war dazu viel zu müde, direkt zu schalten, als er den Ausweis sah. Ausserdem war er Besuch von der Polizei gewohnt.
Mit Murren wurden die beiden Männer hinein gelassen, Platz oder Kaffee bekamen sie natürlich keinen angeboten. "Wir sind gleich wieder weg, und an deinen Verkäufen haben wir weniger Interesse...", begann Semir sofort. "Wir wollen nur wissen, ob dir in der Szene der Name Zolda etwas sagt.", endete Ben die Frage und der Typ zog die Augenbrauen nach oben. "Zolda?", wiederholte er, als würde er nicht gut hören, dann schüttelte er den Kopf. "Nie gehört." Semir beobachtete den Mann genau, er hatte nicht nachgedacht, keine Phase der Unsicherheit gezeigt. Sein bester Freund zog sein Handy mit einem Bild der Leiche, weswegen sie eigentlich ermittelten, aus der Jackentasche. "Kommt dir der bekannt vor?" Jetzt zeigte Keuscher zumindest eine Gefühlsreaktion, wenn auch eher eine abstoßende bezüglich der übel zugerichteten Leiche. "Nein... auch nicht. Sorry, ich kann euch nicht helfen."
Der Besuch blieb kurz... die Fahrtzeit zum nächsten Ziel am anderen Ende der Stadt dauerte durch den Vormittagsverkehr länger. Wieder hielten sie in einer Nebenstraße, in der Nähe der Shoppingmeile von Köln. Bens Blick fiel auf die kleine Stadtkirche, wohin er vor einigen Monaten einem ziemlich verrückten Serienkiller hingefolgt war, der ihn stalkte. Bei dem Gedanken überkam ihn immer noch eine Gänsehaut, als die beiden in die Shoppingstraße zu Fuß einbogen. Zwischen einem Brillengeschäft und einem Videospielladen war der Hausaufgang in verschiedene Wohnungen über den Geschäften. Semir fiel vor dem Laden ein junges Pärchen auf, die dicht nebeneinander gingen, ohne Händchen zu halten. Der Junge, der einige schwarze Haarsträhnen unter seiner Mütze über dem Auge hängen hatte, blickte kurz zu Semir auf, das Mädchen, ebenfalls mit schwarzen Haaren, blickte zu Boden. Glücklich sahen sie beide nicht aus.
Er hatte die Gesichter schon wieder vergessen, als die beiden Polizisten nun beim zweiten Verdächtigen an die Tür klopften. Benedikt Ahrens war schon ausgeschlafener als Keuscher... vermutlich, weil er im Gegensatz zu dem verschlafenen Dealer etwas zu befürchten hatte. Als die beiden Männer die Ausweise zogen, schnellte die Tür so schnell wieder ins Schloß, wie sie geöffnet wurde. Ben war mit seinem Fuß zu langsam und sein kleiner Kollege hatte Glück, dass das Türblatt ihm die Nase nicht brach... sonst würde er genauso mit Pflaster durch die Gegend laufen wie Ben.
"Was soll der Scheiss!", rief Semir und hämmerte gegen die Tür. Benedikt rannte zuerst in sein Zimmer, packte sich die Beutel und Päkchen auf einem kleinen Tisch und sprintete dann ins Bad, wo er sich sofort vor die Toilette kniete. Der erste Deckel eines Döschen drehte und öffnete sich, bevor die Pillen allesamt den Weg in die Toilette fanden. Dabei zitterten Benedikts Hände, das Hämmern an der Tür wurde lauter und mittlerweile konnte man hören, dass die Polizisten einfache Gewalt anwendeten. Ben nahm zum zweiten Mal Anlauf und sprang mit ausgestrecktem Fuß gegen die Tür, so dass der Rahmen ätzte. "Meine Güte, Kevin hat immer nur einen Tritt gebraucht.", meckerte Semir und sein Partner atmete durch und strich sich die eine seiner langen Strähnen vom Gesicht. Der dritte Tritt saß dann und die Tür sprang auf.
Als die beiden Polizisten sahen, was Ahrens im Bad veranstaltete, statt abzuhauen, lehnten sie sich rechts und links an den Türrahmen des kleinen Badezimmers. Immer wieder sah sich der Dealer gehetzt um, bis er auch das letzte Tütchen entleert hatte. "Ihr könnt mir gar nichts.", schnaufte er nervös. "Wir wollen dir auch gar nichts, du Kasper. Deine Drogen interessieren uns nicht.", sagte Semir während Ben neben ihm noch etwas schwer atmete. "Was? Aber warum..." "Wir wollen nur wissen, ob du diesen Mann schon mal gesehen hast." Dabei hielt er wieder das Handy mit der Leiche von Zenner hoch. "Scheisse, das ist Zenner.", sagte Ahrens, in seinem Kopf vor Aufregung unfähig erst einmal abzuschätzen, was er sagen sollte, und was nicht.
Die beiden Männer sahen sich an. "Für wen hat Zenner gearbeitet?", fragte Semir sofort. Doch Ahrens Hirn war mittlerweile wieder auf Trab und schüttelte den Kopf. "Das kann ich euch nicht sagen." "Na komm schon... wer sich in der Szene kennt, der kennt auch die Arbeitgeber." Doch wieder erntete er nur wildes Kopfschütteln. "Ich kann es euch nicht sagen! Sonst bin ich der Nächste, der so aussieht. Ich bin nur ein kleiner Dealer, verticke hin und wieder etwas Stoff in der Disse." Ben meinte, mit einem schnippischen Blick auf die leeren Tüten neben dem Klo: "Nach einem kleinen Dealer sieht mir das nicht aus." Dann sah er zu Semir: "Vielleicht sollten wir einfach ins Protokoll schreiben, dass du uns gesagt hast, Zenner hätte für Zolda gearbeitet. Dann wäre Zolda unser Hauptverdächtiger. Wie der wohl reagiert, wenn du ihn belastest?"
Der Trick funktionierte, denn Ahrens reagierte bei dem Namen des brutalen Schlägers sofort. "Zolda?? Nein!! Für den arbeitet er nicht! Ganz und gar nicht!!" Ben beugte sich zu dem Mann, der immer noch am Boden des Badezimmers kniete, herunter und zischte: "Das ist uns doch egal! Glaubst du, ich will heute schon wieder Überstunden machen? Hast du hier irgendwo ein Diktiergerät gesehen? Ich schreibe das ins Protokoll, das du unterschreiben wirst, oder wir nehmen dich direkt mit zum Drogendezernat." Ahrens sah mit verzweifeltem Blick zu Semir, der nun still geworden war und nur mit den Schultern zuckte. "Das könnt ihr nicht machen!!" "Semir, ruf Thomas Bienert an." "Nicht Bienert!!!", klang es nun von dem Mann am Boden, als Semir zum Handy griff.
Ben ging vor dem Drogendealer, der vollends die Nerven verlor, in die Hocke. "Vor wem hast du nun mehr Angst? Bienert, Zolda oder dem großen Unbekannten?" Ahrens Herz klopfte. Er wusste, dass Bienert Knast und Zolda Prügel bedeutete. Der große Unbekannte bedeutete... Kopf ab. Frankie würde ihn umbringen... langsam und qualvoll. Und hätte noch seinen Spaß dabei. Also griff Ahrens mit zitternder Stimme zu einer Notlüge... er musste den Bullen einen Namen liefern. "Glaubst du, derjenige wird erfahren, wer ihn verpfiffen hat?", half Ben ihm nochmal auf die Sprünge. "Na gut! Na gut... ich sags euch." Die beiden Polizisten schauten herausfordernd, während sich Benedikt auf die Lippen biss. Es war vertrackt... der Name, der ihm im Kopf geisterte würde auch zu Frankie führen. Sagte er nichts, saß er bei Thomas Bienert ... und da wollte er um jeden Preis nicht noch einmal hin. "Deine letzte Chance!" hatte der gesagt.
"Gregor... Gregor Stimmer heisst er. Ich weiß, dass er in der Gruppe, wo Zenner war, etwas zu sagen hat. Mehr kann ich euch nicht sagen." Wieder ein neuer Name für die beiden Polizisten und Ben knurrte im "Bad Cop"-Stil: "Wenn du uns angelogen hast, werden wir Zolda besuchen. Du weißt, was das bedeutet." "Komm schon, wir haben noch was vor.", rief Semir, bereits zum Gehen gewandt. "Viel Spaß dabei, wenn du deinem Boss erklären musst, dass du völlig unnötig ... wieviel tausend Euro auch immer ... gerade ins Klo gespült hast.", sagte der Polizist mit den Wuschelhaaren zum Abschied. Benedikt liess den Kopf hängen, nahm eine Pille, die scheinbar neben die Schüssel gefallen war in die Hand und feuerte sie wütend durchs Badezimmer.