Disco "99Grad" - 22:30 Uhr
Der Parkplatz der angesagten Szenedisco in Köln war erst halb gefüllt, als der graue Mercedes zwischen zwei anderen Wagen einen Platz fand. Der junge Mann, der aus dem Wagen ausstieg, blickte sich um, fuhr sich mit einer Hand durchs dunkle, etwas wuschelige Haar und wartete, bis seine weibliche Begleitung ausgestiegen war. Zusammen gingen sie, Hand in Hand, in Richtung des Einganges, wo ein breiter Türsteher jeden Gast aufmerksam beäugte. Leute, die schon betrunken waren oder eindeutig auf Krawall gebürstet würden hier keinen Zutritt erfahren, denn alles was die, in Drogenkreisen bekannteste, Disco der Stadt nicht brauchte, waren Polizeieinsätze aufgrund von Schlägereien, denn meistens hängte sich dann unangekündigt die Drogenfahndung hinten dran um eine kleine Razzia durchzuführen.
Ben und Jenny wurden vom Türsteher quasi durchgenickt, bezahlten Eintritt und erhielten beide einen Stempel auf die Handfläche, als Eintritt für den heutigen Abend falls sie die Disco mal verlassen sollten. Das Wummern der modernen Musik dröhnte bereits durch den schmalen Gang in die Ohren der beiden, einige Lichteffekte in Rot und Grün blendeten sie. Jenny hatte ein unangenehmes Gefühl, sie wurde angerempelt, zufällig im Gedränge berührt bis sich die beiden an den Tresen vorgearbeitet hatten. Währenddessen umgriff sie Bens Hand fester und fester...
Der junge Polizist musste seine Kollegin nicht überreden. Er wusste genau, dass sie sofort mit ihm mitkommen würde, weil sie selbst Kevin gerne helfen wollte, und so erzählte er ihr quasi beiläufig, nachdem Semir Feierabend gemacht hatte, dass dieser nicht in die Disco gehen würde, weil die beiden auffallen würden. "Dann komme ich mit dir.", hatte Jenny sofort gesagt, trotz ihrer Bedenken dass gewisse Erinnerungen wieder nach oben kommen würden. Doch noch hatte sie ihre Gedanken unter Kontrolle, als Ben zwei Getränke bestellte.
"Was hast du jetzt vor.", rief Jenny ihm direkt ins Ohr, um gegen die Lautstärke der Musik anzukämpfen, aber trotzdem nicht so laut war, dass andere um sie herum mitbekamen, was sie sprachen. Ben beugte sich ebenfalls zu ihr nach vorne und konnte noch den Duft ihres Haarshampoos und des Parfüms vernehmen. "Abwarten, beobachten. Irgendwo wird ja mal einer in die Jackentasche greifen, Geld bekommen und Päkchen verteilen. VIelleicht auf dem Klo, keine Ahnung. Und dann fragen wir nach Mark." Jenny überkam der Ekel, als sie den Namen nur hörte, doch sie ließ sich nichts anmerken, nickte und zog am Strohhalm ihres süßen Getränkes. Mit dem Fuß wippte sie mit der Musik, sie schauten sich um, redeten aber immer mal belangloses Zeug miteinander um nicht als reine "Umherschauer" anderen aufzufallen. Es waren viele junge Leute da, Ben fühlte sich älter als er wirklich war und bemerkte dass Jenny gut auch noch als 18jährige durchging, obwohl sie schon 25 war. In ihrer Jeans und dem figurbetonten Top, dass nur knapp bis über den Gürtel ging sah sie wirklich anziehend aus, fand er und war verwundert, dass ihm das gerade jetzt zum ersten Mal auffiel.
Der DJ war nicht besonders einfallsreich, so lief fast immer die gleiche Musik zu den gleichen Beats. Irgendwann gingen die beiden auch mal auf die Tanzfläche um nicht ausschließlich an der Bar zu sitzen, dann beugte sich Jenny zu Bens Ohr und sagte: "Ich geh mal auf die Toilette." Sie strich ihm dabei kurz über den Arm, dann kämpfte sie sich durch die, immer voller werdende, Disco zu den beiden Türen am hinteren Teil des Tanzraums.
Eine unangenehme Mischung aus Schweißgeruch und Putzmittel kam ihr entgegen, als sie die Tür zur Toilette aufmachte. Nachdem sie die Kabine wieder verließ, wusch sie sich die Hände, richtete sich die Haare ein wenig und zog ihren dezenten Lippenstift nach. Ein Mädchen, vielleicht gerade mal 16 oder 17 stand neben ihr, öffnete ein kleines Döschen und warf sich eine Pille ein... ungeniert, ohne darauf zu achten dass sie beobachtet wurde. Sie lächelte Jenny an, ihre Augen waren bereits leicht glasig. "Kann ich mal deinen Lippenstift haben?", sagte sie und die junge Polizistin fand, dass ihre Stimme nicht mehr alzu nüchtern klang. Trotzdem nickte sie und übergab ihr den LIppenstift, mit dem das junge Mädchen sich dann wieder frisch machte.
"Was hast du denn da?", fragte Jenny mit gespielter Neugier. "Hmm?", schien das Mädchen nicht sofort zu bemerken, auf was die junge Frau hinauswollte, also machte sie eine eindeutige Nickbewegung zu dem kleinen Döschen, das noch auf dem Waschbecken stand, dass das Mädchen aber dann sofort umklammerte. "Ach... nur ein bisschen Speed, um nicht so schnell müde zu werden?" Dann lächelte sie wieder und schob den Lippenstift zu Jenny zurück. "Willst du was?" Jenny blickte sich um, sie überwand ihren eigenen Schweinehund den Namen auszusprechen. "Ich warte schon den ganzen Abend auf Mark, damit er mir was verkauft... ist er nicht da?" Das Mädchen dachte kurz nach: "Meinst du Schneider?" Die Polizistin nickte sofort, spürte dabei ihre eigene Gänsehaut auf den Armen. "Der war die letzten zwei Tage schon nicht da. Komm mit, wir gehen zu Harry... der verkauft dir was."
Mit unsicheren Schritten ging das Mädchen voraus, wieder durch das zuckende bunte Licht und die, sich langsam hin und her bewegende Menschenmasse. Sie gingen an der Bar vorbei nach hinten, wo das Gedränge ein wenig lichter wurde, und steuerten auf einen recht klen wirkenden jungen Kerl, der seitlich an der Wand lehnte und sich unterhielt. "Eeeey, Harry.", rief das Mädchen quietschend und drückte dem Mann, der vielleicht in Jennys Alter war, aber einen halben Kopf kleiner einen Kuss auf die Wange. Wirklich begeistert schien Harry nicht zu sein, aber er rang sich dennoch ein Lächeln ab. "Sitzt du schon wieder trocken, Mädchen?", fragte er mit einer eigenartig hellen Stimme, doch das Mädchen schüttelte den Kopf. "Sie sucht Mark, aber der ist nicht da." Harry blickte zu Jenny, blickte die junge Frau von Kopf bis Fuß an, was ihr extrem unangenehm war... Harry schien zu gefallen, was er sah. "Das tut mir Leid, Süße.", sagte er grinsend. "Aber Mark wird nicht mehr kommen?" Der vermeintliche Drogendealer lachte auf, und sofort setzen sich Gedanken in Jennys Kopf frei... der Dealer würde sicherlich nicht lachen, wenn sein Dealer-Kollege von einem wildgewordenen Polizisten totgeprügelt wurde. "Na, weil er eben nicht mehr kommt. Er ist aus dem Geschäft... ausgestiegen." Auch das letzte Wort betonte Harry eigenartig, und eine gewisse Form von Erleichterung machte sich in Jenny breit. Sprach das für Kevins Unschuld? Dafür, dass Schneider vielleicht von seinem eigenen Ring umgebracht wurde? Die Polizistin bekam vor Aufregung feuchte Hände.
"Na, was brauchst du denn?", fragte Harry dann irgendwann, denn er schien eine weitere Kundin zu wittern. "Na... ein paar Muntermacher wären nicht schlecht." Jenny fühlte sich aufgeregt, sie war nie bei Zielfahndern gewesen, die diese Scheinkäufe öfters machen, aber sie war bei einem Lehrgang. Und sie wusste auch, dass sie selbst keinerlei Drogen konsumieren durfte, manchmal war es jedoch nötig. "Hast du sowas schon mal genommen? Speed, Ecstasy?", fragte der Mann und hielt dem Mädchen ein Döschen mit bunten Pillen hin. "Na klar...", log die Polizistin und versuchte so überzeugend wie möglich zu sein. "Dann... bitte." Jenny begriff... probieren, dann kaufen. Eine Absicherung für so manchen Drogendealer, es eben nicht mit einem Zielfahnder zu tun zu haben. Die junge Frau blickte sich um, langte in das kleine Röhrchen und schluckte eine der bunten Pillen. Harry schien zufrieden. "100 Euro." "Für ein einziges Döschen?", fragte Jenny fassungslos... sie hatte nur 50 Euro dabei. Auch das junge Mädchen, das noch dabei stand, machte große Augen. "Mir verkaufst du sie immer für 50..." "Das ist Stammkundenrabatt, Süße. Aber du...", er blickte nochmal über Jenny "...könntest natürlich auch anders bezahlen."
Jennys Herz schien in die Hose zu rutschen, ihr Hände schienen noch feuchter als vorher... doch das Grinsen verschwand aus Harrys Gesicht, als sich eine große Hand auf seine Schulter legte, und ein weiterer 50 Euro Schein von hinten vor seinen Augen hing. "Ich bin fast bereit dir 10 Euro für den Zahnarztbesuch zu spenden, wenn du meiner Freundin nochmal so ein Angebot machst.", sagte Ben, der zumindest die Preisverhandlung mitbekommen hatte, und klang dabei alles andere als freundlich, aber sehr überzeugend. Harry bemerkte, dass ihm der Polizist um mindestens einen Kopf überragte... und der Dealer war ein hervorragender Verkäufer, zog aber bei Konfrontation sofort den Kopf ein. Er lächelte, beinahe entschuldigend und nahm den 50 Euro-Schein von Ben, dann den zweiten Schein von Jenny und sagte: "Es ist nett, mit euch Geschäfte zu machen." Innerlich verfluchte er gerade den Polizisten...
Ben nahm Jennys feuchte, eiskalte Hand und gemeinsam gingen sie von Harry weg. "Danke, dass du gekommen bist...", seufzte sie, doch bevor sie erzählen konnte, meinte sie kurz angebunden... "Wir müssen mal schnell raus..." Ihre Schritte wurden schneller, sie zog Ben beinahe durch die Menschenmenge in Richtung Ausgang. "Was hast du denn?", fragte ihr Kollege etwas überrascht und befürchtete schon, dass diese kurze Situation ihre Erinnerungen geweckt hatten, und sie gerade einen emotionalen Zusammenbruch hatte.
Doch dem war nicht so... natürlich kamen Erinnerungen hoch, doch Jenny fühlte sich an diesem Abend mental stark... und war erleichtert ob dem Eindruck, denn sie von Harrys Reaktion auf Schneider hatte. Jetzt hatte sie etwas anderes im Sinn, als sie an die frische, aber herrlich angenehm lauwarme Sommerluft kamen. Als der Weg vor ihr frei war, verfiel sie in einen leichten Laufschritt, steuerte auf eine dichte Gruppe Hecken zu, wo Ben dann verlangsamte und nochmal fragte: "Ist alles okay?" Er hörte noch ein kurzes: "Jaja" und musste dann erstaunt beobachten, wie Jenny sich nach vorne beugte, zwei Finger tief in den Hals steckte um damit einen Brechreiz auszulösen, was auch funktionierte. Die Polizistin erbrach einerseits ihr Abendessen, andererseits spürte sie auch sofort die kleine Pille mit herauskommen, was vordergründig ihr Ziel war... auch das lernte man bei dem Lehrgang eines Zielfahnders, wenn man beim Scheinkauf zum Drogenkonsum aufgefordert wurde. Möglichst nichts Rauchen, Schnupfen, auf keinen Fall Spritzen. Pillen zu schlucken war am günstigsten, weil man die ungefährlich wieder los wurde, bevor sie wirkten.
Jenny stand noch kurz, etwas schwer atmend an den Hecken, spuckte nochmal aus, und wurde dann von Ben am Arm berührt. "Musstest du eine Pille schlucken?", fragte er mit ruhiger Stimme, und seine Kollegin nickte. Ben war stolz auf die junge Polizistin, und tätschelte sie vertraut an der Schulter. "Na komm, ich hab Wasser im Wagen.", meinte er und gemeinsam gingen sie zum Auto zurück.