Drogendezernat - 16:00 Uhr
Man hätte eine Stecknadel auf den, zugegeben nicht ganz sauberen Boden, in Bienerts Büro fallen lassen hören, nachdem Semir mit der Neuigkeit rausrückte, dass Kevin verhaftet wurde. Die Reaktion des erfahrenen Drogenfahnders war absolut natürlich und aus dem Bauch heraus, das erkannte Semir und Ben sofort. Kein gespieltes Erstaunen, im Gegenteil... scheinbar schien eine Fassade gerade zu fallen. "Liest du keinen Lagebericht?", fragte Semir und zog dabei die Augenbrauen ein wenig nach oben, während sein Gegenüber sich mit den Fingern über die Lippen strich, im ersten Moment auf seinen Computermonitor blicken wollte, die Maus nicht sofort traf, und dann doch davon absah. "Ich... nein, die letzten Tage nicht."
Bienert versuchte krampfhaft seine Gedanken zu ordnen. Mein Gott, was hatte der Kerl getan... wieso saß er wegen Todschlags im Gefängnis? Warum hatte er davon nichts mitbekommen? Es konnte nicht mit Kevins Untersuchungen im Drogenring zu tun haben, ansonsten wäre die Sache garantiert auf seinem Schreibtisch gelandet, und er hätte davon erfahren. Aber so... sein wichtigster Informant saß, das würde die Ermittlungen um Monate, wenn nicht gar Jahre zurückwerfen. Und nun blickte er in die verwunderten Augen von Semir, der auf eine Antwort wartete... auf eine Antwort, woher die überraschte, beinahe schockierte Reaktion kam.
"Wieso bist du so überrascht? Ein Drogendealer ein Totschläger... der Schritt ist meist nicht weit." Thomas fing sich wieder, rückte sich den Kragen seines Hemdes zurecht und spürte Bens extrem misstrauischen Blick auf sich. "Naja... er ist... also war immerhin ein Kollege. Und ich fand ihn nicht gerade unsympathisch, er war sehr kooperativ." Ein kurzes Lächeln zuckte über seine Mundwinkel. "Da ist man natürlich erstmal baff." Semir nickte, scheinbar verständnisvoll und lächelte. Bienert war ein 1A Drogenschnüffler, ein kollegialer Polizist, er strahlte ungeheure Souveränität und Autorität aus, vor allem wenn es um schwierige Verhöre ging, oder im Umgang mit jungen Kollegen. Aber eins war er nicht: Er war kein Schauspieler. Er hatte seine Rolle ohne Druck gut gespielt, doch die Fassade war gefallen. Er hatte mehr mit Kevin zu tun, als "nur" eine Verhaftung und ein Verhör, da war sich der erfahrene Polizist sicher.
"Thomas, wie lange kennen wir uns jetzt?", fragte er mit einem aufgesetzten Lächeln, und die Reaktion war ein fragender verwirrter Blick. Sie kannten sich viele Jahre, sahen sich immer mal bei Fortbildungen oder Veranstaltungen, schätzten sich und ihre Arbeit. "Warum belügst du uns?", knallte Semir ihm dann den Vorwurf mit voller Wucht auf den Schreibtisch, der verwirrte Blick verschwand. Nur Ben schaute erleichtert und dankbar in Semirs Richtung, ihm tat der Kiefer schon weh, so fest biss er sich auf die Backenzähne um Bienert nicht ein lautes: "Hör auf, Scheisse zu erzählen.", an den Kopf zu werfen. Gerade jetzt war er froh, es nicht getan zu haben, denn sein Freund war auf der richtigen Spur.
Bienert war von Semirs Vorgehen überrascht. Er strich sich zweimal durch die Haare, er könnte jetzt nochmal das wiederholen, was er eben gesagt hatte... aber da wusste er noch nicht, warum Kevin im Gefängnis saß. "Weißt du Hintergründe, warum Kevin sitzt?", fragte er ihn, als wolle er Semir einen Deal anbieten... die Wahrheit gegen Informationen. Der wusste natürlich, dass seine Informationen nicht ganz legal beschafft wurden, aber Bienert war kollegial... bei ihm hatte der erfahrene Polizist nichts zu befürchten... Polizisten, die Bienert zu schätzen wusste, konnten ihm vertrauen. Er nickte ihm zu.
Der Drogenfahnder blickte kurz zu Ben, und sagte: "Es ist nichts persönliches... aber könnten wir vielleicht unter vier Augen, Semir und ich...", doch er wurde sofort von Semir unterbrochen: "Vergiss es. Wenn du mir vertraust, vertraust du auch Ben. Ich würde es ihm sowieso sofort draussen erzählen. Also?" Ben war stolz, so etwas von seinem Freund zu hören. Er wollte schon entschieden protestieren, aber Semir's Einwand kam genau rechtzeitig. Und auch Bienert erkannte aus Semirs Worten sofort die innige Beziehung zwischen den beiden Polizisten, die ihm gegenüber saßen. Das waren nicht einfach Kollegen oder zusammengewürfelte Partner, sondern Freunde... und das gleiche schien für Kevin zu gelten, wie Semir deutlich machte: "Also, nun raus mit der Sprache. Was hat Kevin erzählt? Wir sind seine Freunde, und wir wollen ihm helfen.", sagte er eindringlich.
"Okay... Kevin hat für mich gearbeitet.", ließ Bienert raus, und sowohl Semir als auch Ben schien ein zentnerschwerer Stein vom Herzen zu fallen. Er war nicht wieder zu den Drogen abgerutscht, der Kauf war scheinbar fingiert, und die Bestätigung folgte sofort: "Er sollte sich in diesen Drogenring einschleusen. Der Kauf war also fingiert, um rein zu kommen, beziehungsweise weiter an die Hintermänner ranzukommen. Dass ihr den anonymen Hinweis bekommen habt, war Zufall." Ben brach endlich sein Schweigen: "Durfte er uns nichts erzählen?" Bienert nickte sofort, und der junge Polizist legte den Kopf in den Nacken und hauchte ein "Gott sei Dank." Emotional war Ben unglaublich erleichtert, dass diese abweisende Kälte den beiden Beamten gegenüber scheinbar grandioses Schauspiel ihres Freundes war. "Daran hat er sich beeindruckend gehalten.", gab auch Semir zu. "Warum weiß davon niemand? Soviel ich weiß dürfen suspendierte Ermittler keine Undercover-Operationen bestreiten, und in der Akte der verdeckten Ermittler ist Kevin auch nicht." Thomas Bienert nickte erneut, diesmal nachdenklicher. "Ich habe von der Suspendierung gehört, und mich mit Kevins Akte beschäftigt. Ich finde es beeindruckend, dass ein Mann mit solch einer Vergangenheit es schafft, sich im Polizeidienst einen Namen zu machen." Dann sah er Semir direkt in die Augen: "Du weißt doch, wie das bei Undercover-Einsätzen ist. Wir sehen alles aus dem Auge eines Polizisten... wir dürfen dies nicht, und jenes nicht. Machen wir etwas falsch, ist ein Beweis vor Gericht nicht zulässig und 1 Jahr Arbeit ist beim Teufel." Der erfahrene Polizist fühlte sich unwohl, als hätte er eine böse Vorahnung.
"Worauf willst du hinaus, Thomas?", fragte er und Bienert fuhr fort: "Kevin ist nicht offiziell undercover. Ich hab ihn kontaktiert, vor ungefähr vier Wochen, als ich rausfand dass einige ehemalige Mitglieder aus Jugendgangs in dem Ring drinhängen. Ein Ermittler von aussen käme da nie rein, und wenn, dann erst nach Jahren regelmäßigen Handel. Kevin kannte zwei der Mitglieder von früher, und ich habe ihm dann ein Angebot gemacht." Wieder entstand eine Pause, die Ben zum Nachfragen zwang: "Ein Angebot? Was für ein Angebot?" Bienert saß immer noch aufrecht und autoritär in seinem Stuhl, trotz dass er quasi ein Geständnis ablegte hatte er nichts von seiner Souveränität eingebüßt. "Er sollte in den Ring hereinkommen, und mir mögliche Beweismittel liefern... nicht undercover, nicht unter dem Schutz des Staates... sondern als Kevin... als er selbst. Wenn wir es schaffen, den Ring zu sprengen, wäre es ein leichtes, die Innere von einer Kündigung abzubringen. Niemals würden sie einen so anpassungsfähigen Ermittler vor die Tür setzen." Ben bekam den Mund nicht zu, und er überlegte ob er ausrasten sollte, Bienert am Kragen packen sollte, oder einfach aus dem Büro dampfen sollte. Semir reagierte besonnener, allerdings nur im begrenzten Maße: "Bist du völlig wahnsinnig geworden? Weißt du, gegen wieviele Regeln du damit verstößt?" Der Drogenfahnder sah seinen Kollegen fest an und nickte: "Ja, das weiß ich. Aber dieser Fall verlangte nach solchen Maßnahmen. Wir ermitteln schon Jahre und landen keinen Schlag gegen diese Verbrecher. Kevin ist...", er stockte kurz... "war unsere einzige Hoffnung."
"Ich glaub das einfach nicht. Sie lassen ihn schutzlos wieder ins Drogengeschäft einsteigen? Woher wollen sie wissen, dass er nicht wieder rückfällig wird, oder dass er bei etwas gefasst wird, bei dem sie ihm nicht helfen können?", rief Ben erregt. "Weil ich ihm vertraue!", war Bienerts scharfe Antwort, was vor allem für Bens erste Frage galt. "Kevin lebt für den Polizeidienst, und er hat die einzige Möglichkeit ergriffen, um wieder darin zurück zu kehren. Ich kenne den Leiter der Inneren und ich weiß, dass es für ihn nicht gut aussieht. Ich habe ihn nicht dazu gezwungen." Semir sah sein Gegenüber abschätzend an: "Und ich soll dir jetzt glauben, dass du das aus reiner Nächstenliebe getan hast?" Thomas Bienert lächelte. "Es wäre dumm, das zu behaupten. Natürlich verspreche ich mir in erster Linie endlich einen Ermittlungserfolg. Aber wenn es dazu kommt, würde ich mich niemals mit fremden Federn schmücken, falls du das meinst. Und das weißt du." Nun nickte Semir wiederrum, denn das wusste er tatsächlich. Bei der Zerschlagung eines internationalen Drogenrings titelte die Zeitung auf ausdrücklichen Wunsch Bienerts nicht mit seinem Namen und erwähnte immer nur den Namen der SoKo, obwohl nahmhafte Tageszeitungen gerne eine Person der Zerschlagung nennen wollten. Bienert hatte die SoKo damals geleitet, verzichtete aber auf Lobhudeleien.
Doch eine dringende Bitte hatte er dennoch: "Ich habe keine Angst um meine Person. Sollte das rauskommen, bekäme ich ein Diszi, was mich nicht stört. Aber für Kevin wäre es nicht gut, wenn es rauskommt, das wisst ihr. Behaltet es für euch." Semir und Ben sahen sich kurz an, blindes Verständnis, denn sie wussten: Käme das an die große Glocke, wäre es sicherlich nicht gut für Kevin. "Wer weiß davon Bescheid?", sicherte sich der erfahrene Autobahnpolizist ab. "Niemand... nur wir drei und Kevin." Dann lehnte sich Bienert ein wenig zurück, fühlte sich etwas erleichtert. "Und nun erzähl... warum sitzt Kevin im Knast?"