Waldweg - 19:45 Uhr
Das Wasser trommelte auf das verzogene Dach des Mercedes, in dem weiter der arme Ben saß, eher lag, zitternd, mittlerweile tränenüberströmt. Er war endgültig zusammengebrochen, heulte wie ein Schloßhund vor Angst, nie wieder aus dem Auto rauszukommen. Seine Hand wurde weiter fest umklammert von seinem Kollegen und Freund, der neben dem Auto saß und unaufhörlich versuchte dem Polizisten gut zu zureden. Kevin konnte nichts tun, er war verzweifelt, denn er hasste es hilflos zu sein. Es erinnerte ihn immer wieder an seine furchtbare Nacht, als er mit ansehen musste, wie seine Schwester erstochen wurde, auch wenn die Situation hier nicht vergleichbar war. Trotzdem fühlte sich der junge Mann wie festgekettet und untätig mit an zu sehen, wie sein Partner litt, und nicht mehr weit vor dem absoluten Kollaps war.
Wie zum Zeichen der ausweglosen Situation blitzte und donnerte es über dem Unfallort, der Mercedes lag halb auf dem Weg, halb daneben, dass Benzin, das auslief wurde vom Regenwasser weiter verflüssigt und einzelne Funken hatten sich Gott sei Dank nicht entzündet. Die einzige Gefahr bestand durch das Wetter... ein Blitzeinschlag in einen Baum, ein Feuer in der Nähe hätte verheerende Auswirkungen, und jedes Knallen des Donners ließ Kevin zusammenzucken und sorgenvoll auf die einzelnen Bäume blicken, die dicht an der Unfallstelle standen. Auch das Metall des Autos hatte Anziehungskraft, Ben würde es nicht schaden solange er drinsaß, aber sein Partner, der ausserhalb stand und ungeschützt war, würde der Blitz erschlagen. Doch der Polizist dachte nicht dran, sich auch nur einen Centimeter vom Auto weg zu bewegen.
Erst als Kevin ein ihm bekanntes Geräusch hörte, sprach er mit ruhiger Stimme: "Ben, da kommt jemand. Bleib ganz ruhig, ich schau nach wer das ist." Ben nickte zuckend, er konnte sein Zittern nicht kontrollieren, jede Bewegung war beinahe unmöglich in diesem völlig verzogenen Fahrzeug... es war ein Wunder, dass sich keiner der beiden bei diesem Unfall schwer verletzt hatte.
Kevin ging einige Schritte vom Wagen weg, blickte zusammengekniffenden Auges durch die Regenwand und erkannte zwei Scheinwerfer sich schnell nähern. Als er erkannte, zu wem die Scheinwerfer gehörten entglitten ihm die Gesichtszüge, seine Hand fuhr automatisch zur Waffe, als das Rallyeauto dicht neben dem Mercedes-Wrack zum Stehen kam und Walter Trauscher ausstieg. Der Polizist richtete seine Waffe auf den alten Mann, der wiederrum keinerlei Anstalten machte, sich nicht zu bewegen und humpelnd zum Kofferraum seines Wagens ging. "Keine Bewegung, Hände hinter den Kopf.", rief Kevin, und es kam ihm mehr als komisch vor, dass Trauscher zurückkam... was wollte er hier? Ben und Kevin in der hilflosen Situation kalt machen? Hatte er vermutet, die beiden waren verletzt und er hatte seine Waffe geholt?
Doch Trauscher verwarf die Gedanken des jungen Mannes. "Kontrollier mich. Ich bin unbewaffnet!", rief er mit seiner knorrigen Stimme und blieb am Kofferraum stehen. "Kevin!!", rief die verzweifelte Stimme von Ben aus dem Auto, doch der konnte dem Killer jetzt nicht den Rücken zu wenden. Langsam, mit der Pistole im Anschlag ging er zu dem alten Mann hin, der sich widerstandslos durchsuchen ließ... er hatte tatsächlich keine Waffe. "Ich will euch helfen... ich lasse keinen Verunfallten zurück?"
Kevin schaute verwirrt, perplex, immer noch die Waffe im Anschlag. Doch er ließ Trauscher den Kofferraum öffnen, schaute jedoch selbst erstmal hinein, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Drinnen lag ein Rettungsgerät, ein Scherenspreizer und ein Kompressor für den nötigen Strom. Kevin konnte keinerlei Waffe finden. "Die Feuerwehr wird gleich hier sein.", sagte er ruhig und immer noch ungläubig. Warum wollte ein vierfacher Killer ihnen helfen? "Die Feuerwehr wird den Weg nicht passieren können bei dem Wetter.", sagte Trauscher mit überzeugender Stimme, und der Polizist hatte bei dem immer weicher werdenden Untergrund ebenfalls seine Zweifel. "Warum wollen sie uns helfen?", fragte er und ließ die Waffe langsam sinken. "Ich habe nichts gegen euch. Ihr steht auf der richtigen Seite, ihr sorgt für Ordnung auf den Straßen. Die Zuschauer und Fußgänger sind die Schlechten. Sie müssen weg.", sagte der Mann mit versteinerter Miene, und verwirrte den jungen Mann immer mehr. "Sie haben nichts gegen uns? Sie haben auf unsere Kollegin geschossen.", sagte der Beamte laut mit kaltem Ausdruck in den Augen. Der Mann blickte kurz auf den vermatschten Boden, und dann wieder auf Kevin. "Das war ein Warnschuss für euch... mich meine Arbeit machen zu lassen." "Und jetzt wollen sie einen von uns retten?" Walter Trauscher schnaubte und sah an Kevin vorbei zu dem verzogenen Mercedes, aus dem Ben leise wimmerte. "Ist er verletzt?" Kevin schaute kurz zu ihm rüber: "Ich glaube nicht, aber er hat Platzangst." "Dann sollten wir aufhören zu quatschen, und ihn endlich rausholen.", sagte er mit vorwurfsvoller Stimme, doch Kevin war sich immer noch nicht sicher, was die Intention des Mannes war. "Sie haben mir immer noch nicht gesagt, warum sie uns helfen wollen." "Mich haben sie in einem Wrack neben der Piste liegen lassen, vor 20 Jahren. Ich war 45, ich hätte noch 10 Jahre fahren können. Und weil ich über eine halbe Stunde eingeklemmt war, bis ein anderer Fahrer angehalten hatte, konnte ich mein Bein nie mehr richtig belasten. Aber die Zuschauer, die haben gegafft und Fotos gemacht. Niemand hatte geholfen." rief der Mann wütend und zeigte einmal kurz auf sein Bein. "Jetzt hol das Aggregat aus dem Auto, ich kann es alleine nicht heben.", sagte er und wandte sich einfach zum Kofferraum, und hob das Arbeitsgerät heraus.
Kevin hatte keine Wahl, Bens Zustand wurde immer schlechter... der junge Polizist hatte Angst davor, dass sein Kollege einen Kreislaufkollaps bekam durch sein schnelles Atmen, und er ihm dann aufgrund der misslichen Lage überhaupt nicht helfen konnte. Er steckte die Waffe weg, die tropfte wie eine Wasserpistole, und hob das schwere Dieselaggregat aus dem Rallyeauto. Gemeinsam brachten sie das Zeug zum Mercedes, Walter Trauscher warf fachmännisch den Generator an und schloß das Arbeitsgerät an. "Wir holen dich raus, Ben. Keine Angst, gleich kannst du dich frei bewegen.", sagte Kevin mit ruhiger Stimme zu Ben, der mittlerweile immer leiser wurde, zitternd, weinend im Auto hing und merkte, dass er müde wurde. Sein Kreislauf rutschte langsam in den Keller, und für ihn hatte es den Anschein, dass er jetzt sterben müsste, obwohl ihm eigentlich nichts passieren konnte. Auch gab er keine Antwort an Kevin, so dass der sich umso mehr beeilte.
Walter Trauscher zeigte ihm genau, wie er das Arbeitsgerät in die Kante zwischen Tür und Kotflügel setzen musste, wie er sich gegen das Gerät stemmen musste, damit es funktionierte. Normalerweise brauchte man zwei Mann dazu, aber Trauscher selbst konnte das nötige Gegengewicht nicht aufbringen wegen seines Beins. Der schlammige Untergrund machte es für Kevin noch schwerer, doch er brachte alle Kraft auf, die er hatte. Das Blech gab langsam nach. Das Gleiche wiederholten die beiden Männer an dem Übergang Tür und A-Säule des Fahrzeugs und es dauerte nur einige Minuten bis die Tür nachgab und Kevin sie leichte öffnen konnte. Er beugte sich hinein, griff Ben unter die Arme und zog ihn langsam aus der engen Umarmung des Mercedes. Hochheben konnte er ihn nicht, und so zog er ihn von den Bäumen weg, da das Gewitter immer noch tobte, und Ben war es gerade egal dass er im Matsch lag. Der Polizist benutzte den Dieselgenerator um Bens Beine hochzulegen, damit der Kreislauf sich stabilisierte. Walter Trauscher stand daneben und murmelte leise: "Ich lasse keinen Fahrer in seinem Auto verrecken."
Ben atmete schwer, sein Zittern beruhigte sich nur wenig, es wurde langsam besser als Trauscher eine Flasche Wasser aus dem Kofferraum des Auto nahm. Sie war noch verschlossen, der Ring am Verschluß unbeschädigt und somit keinerlei Gefahr eines heimtückischen Anschlags. Scheinbar gab es tatsächlich tiefere Gründe für die Mordanschläge des Mannes und aus irgendwelchen Gründen wollte er Ben und Kevin tatsächlich nichts tun. Der Anschlag auf Jenny war tatsächlich ein Warnschuss, ihm nicht zu nahe zu kommen. Anstalten nochmals zu fliehen machte er keine. Er blieb dicht in der Nähe der beiden Polizisten, erkundigte sich nach Ben. Der sah wieder klar, bekam alles mit und spürte, dass der Regen langsam weniger wurde. "Wie seit ihr auf mich gekommen?", fragte Trauscher irgendwann interessiert, und Kevin war immer noch sehr irritiert von der Situation. Offenbar sah der Killer keinen Sinn mehr im leugnen, vielleicht sah er seine Arbeit auch als getan. "Den Beitrag im Internet konnten wir zurück verfolgen. Und das überaus seltene Kaugummipapier." Beinahe anerkennend nickte Trauscher. "Wollten sie Jenny wirklich nur an der Kante der Schutzweste treffen?" "Würden sie es glauben, wenn ich sage 'Ja.'", fragte der Mann vielsagend. "Ich weiß nicht...", meinte Kevin.
Ben ging es langsam besser, er dankte Kevin und dem Mann für die Befreiung und setzte sich langsam auf. Nur wenige Minuten später kamen auch zwei Polizei-Jeeps und ein schweres Fahrzeug der Feuerwehr, was aus Köln direkt gerufen werden musste, die Ortsfeuerwehr umliegend konnte mit den herkömmlichen Autos wirklich nicht bis hierhin durchdringen. Trauscher wurde festgenommen, und auf die Autobahndienststelle verbracht. Ben und Kevin setzten sich, mit Matsch an den Kleidern und Haaren in einen Polizeijeep. "Danke Kevin...", sagte Ben nochmal mit erschöpfter Stimme, als er seinen Kopf gegen die Kopfstütze legte und die Augen schloß. "Dass du bei mir geblieben bist... ich wäre gestorben, wenn du nicht da gewesen wärst." Kevin sagte nichts, er strich seinem Partner freundschaftlich mit der Hand über den Oberschenkel. "Warum hat der Killer uns geholfen?", fragte er dann, denn das Gespräch hatte er natürlich fast gar nicht mitbekommen. "Das weiß ich selbst noch nicht so wirklich...", antwortete Kevin nachdenklich, als der Jeep losfuhr.