Waldweg - 17:30 Uhr
Der Himmel über dem Land verdunkelte sich, es roch ein wenig nach Regen oder sogar Gewitter. Der ganze Tag war grau, dunstig und irgendwie für den Sommer unangenehm. Kevin hatte seine Jacke mittlerweile in den Dienstwagen gelegt, während Ben den Weg ein wenig auf und ab ging. Doch nichts auffälliges tat sich vor seinem Auge auf, weder ein Zigarettenstummel mit DNA, noch Fußabdrücke.
Es dauerte etwas, bis der Polizeijeep von Hartmut kam, einige Kollegen ausstiegen und den Anweisungen des Rotschopfes Folge leisteten. Dann begann auch Hartmut mit der Arbeit, nachdem er die beiden Polizisten mit Handschlag begrüßt hatte. Als er in die offene Beifahrertür lugte, sagte er, als könne er in die Vergangenheit blicken: "Hat doch jemand von euch schon drin gesessen.", und drehte sich zu den beiden um. Ben hatte anscheinend einen Moment nicht zugehört und blickte gerade zu Hartmut auf, während Kevin eine Unschuldsmiene verzog und mit dem Finger unauffällig auffällig auf seinen Partner zeigte. "Ben, ich hab dir doch schon tausend Mal gesagt, dass du deinen Hintern aus den Autos, die ich untersuchen soll, rauslassen sollst.", sagte er mit eindeutig übertrieben gespielten Vorwurfston. Der Polizist sah überrascht hin und her. "Wie bitte? Ich war doch gar nicht...", bis er merkte dass er reingelegt wurde, und seinem jungen Partner neben ihm einen Stoß versetzte, während der auflachte. "Leg dich besser nicht mit mir an.", lachte Kevin und zwinkerte seinem Freund zu. "Pah. Glaubst du, ich hätte noch nie nen Boxring von innen gesehen?", witzelte der Wuschelkopf zurück und bekam prompt Antwort. "Vom Boden vielleicht.", meinte Kevin grinsend.
"Wenn ich die beiden Kinder vielleicht mal unterbrechen dürfte?", vernahmen die beiden Polizisten dann wieder die Stimme des Technikgenies der Kölner Polizei und widmeten ihre ganze Aufmerksamkeit Hartmut zu. "Hast du was?" "Mikropartikel auf dem Fahrzeugteppich. Könnte Erde sein, muss ich analysieren. Sieht mir aber auf den ersten Blick wie ganz normale Blumenerde aus." "Das grenzt den Täterkreis auf all jene ein, die einen Garten zuhause haben...", meinte Ben erst todernst und überzeugend, bevor er dann mit dem Kopf schüttelte. "Das reicht noch nicht, Hartmut..." Kevin grinste derweil schon wieder und schüttelte mit dem Kopf. "Ein Typ ist das...", sagte er dabei scherzhaft. "Danke Ben. Das weiß ich, dass das noch nicht reicht.", sagte Hartmut und schälte sich wieder aus dem Vorderraum des Autos.
Die Kollegen durchsuchten den Wagen zunächst auf Fingerabrücke und weitere Spuren, während einige andere auch die nähere Umgebung absuchten. Die Kollegen der Fahndung waren bereits abgezogen, und als der Abschleppdienst kam, um den Wagen zur KTU zu bringen, brachen auch Ben und Kevin auf zurück zur Dienststelle - der Feierabend nahte. Als die beiden an der Dienststelle ankamen, war nur Bonrath noch da. Er machte öfters Überstunden, war er doch meistens eh allein zu Hause. "Was machst du jetzt noch? Lust auf ein Bierchen?", fragte Ben seinen Partner, als sie aus dem Büro wieder auf den Parkplatz traten. Der schien kurz zu überlegen, grinste und schüttelte dann den Kopf. "Bierchen ist nicht schlecht... wenn ich die Location wählen darf." In erster Reaktion nickte der Polizist sofort, weil er sich freute seinen eben noch so schweigsamen Partner zu einem Feierabend-Bier überreden zu können, und setzte sich, nichtsahnend, ins Auto.
Boxhalle - 19:30 Uhr
Na super, dachte Ben ein wenig grimmig. 'Jetzt muss ich mir mein Bierchen auch noch verdienen'. Kevin hatte die spontane Idee die Frozzelei am Feldweg ein wenig in die Tat umzusetzen. Er nötigte Ben dazu, zu Hause seine Sportsachen einzupacken, fuhr danach in seine Wohnung zu Kalle, um auch seine Sporttasche zu schnappen und lenkte den BMW dann zu einer freien Boxhalle, wo Kevin in der Woche trainierte. Kevin bemerkte den misstrauischen Ausdruck im Gesicht seines Freundes. "Keine Angst. Du kannst jederzeit das Handtuch werfen." Die Frozzelei entspannte Ben wieder, und er entschloss sich, die sportliche Herausforderung anzunehmen. Die beiden Männer zogen sich in einer großen Kabine um, und der junge Polizist bemerkte gleich, dass in Bens Armen und Oberkörper sicherlich gewaltige Kräfte schlummerten. Er würde sehen, ob er die beim Boxen auch richtig einzusetzen wusste. Kevin selbst war nicht ganz so muskulös wie Ben, im Nahkampf setzte er aber auch andere Waffen ein als rohe Kraft.
Die beiden machten sich eine halbe Stunde mit Laufen und Gymnastik warm, bevor sie durch die Seile in den Ring stiegen. Kevin warf Ben einen Kopfschutz zu, der wiederrum seinen Partner neckisch ansah. "Wozu die Maskerade?" Kevin war gerade im Begriff das Ding über zu ziehen. "Naja... wenn du der Chefin morgen beibringen willst, woher du das Veilchen unterm Auge und die aufgeplatzte Lippe hast?" Ben dachte erst, Kevin wolle ihn wieder aufziehen. "Zieh an, das Ding. Das geht schneller als du denkst. Du wirst auch so genug spüren." Das überzeugte den Polizisten dann, und er zog den etwas drückenden unangenehmen Kopfschutz über seine üppigen, obwohl etwas kürzer als sonst, Haare.
Jeder Polizist muss einen Selbstverteidigungskurs in der Ausbildung absolvieren, der allerdings Boxen nicht beeinhaltete. Ben hatte mal an einem Schnuppertraining teilgenommen, und erinnerte sich sofort an Haltung, Bewegung und Schlagkombinationen. Er bemerkte aber gleich, dass Kevin geübter war, schneller auf den Beinen war und die Deckung blitzschnell wieder vor dem Gesicht hatte, nachdem er geschlagen hatte. Er selbst hatte Befürchtungen, nach einem Schlag sofort den Konter zu erwischen, und ging deshalb nach einer Kombination sofort rückwärts, was Kraft kostete. Kevin dagegen bemerkte, dass Ben durchaus Kraft in seinen Schlägen hatte, aber etwas Taktik fehlte ihm noch. Natürlich wollte der junge Polizist seinen Freund nicht vorführen, aber anstrengen musste er sich doch, den Ben bewegte sich viel, und seine Schläge kamen schnell und gefährlich.
Ein wenig wiegte sich Semirs Partner in Sicherheit, weil Kevin nicht sofort nach einem Schlag nachging, und so versuchte er öfters hintereinander zu schlagen. Er erwischte diesmal Kevin sogar ein wenig im Gesicht, spürte aber eine Zehntelsekunde später die klatschende Linke an der rechten Kopfseite. Sein Freund hatte recht, der Schlag verteilte sich über Kopf und Nackenmuskeln und ließen ihn augenblicklich zwei, drei Schritte zurückwanken. Der Kopfschutz schützte vor äusseren Verletzungen und find viel Wucht auf das Gehirn ab, aber die Schlagkraft war doch mehr als bemerkbar. Er lächelte dennoch, und traute sich weiterhin mehr zu, nach und nach merkte er, dass sein Gegenüber Probleme mit der Kondition bekam. "Du solltest weniger rauchen.", witzelte der Wuschelkopf, seinem schneller atmenden Gegenüber zu, bevor er endlich auch einen wirksamen Schlag setzten konnte und Kevin sogar noch einen gekonnten Leberhaken verpassen konnte. Der japste ein wenig, ging zurück und ließ Ben kommen, der nachsetzen wollte und prompt in einem geübten Konter hinein lief. Einmal links, und einmal frontal schlug Kevins Handschuh in Bens Gesicht ein, der sofort merkte, dass es fatal war, wenn man einen erfahreneren Boxer unterschätzte. Doch er stand sicher und ging wieder etwas nach vorne. Die meiste Zeit aber schlugen sie sich auf die Deckung, und nach einer halben Stunde mit kleinen Pausen zogen sie sich den Schutz vom Kopf und schlugen die Handschuhe gegeneinander. "Nicht schlecht, mein Freund.", nickte Kevin anerkennend und pumpend. "Danke...", nahm Ben das Lob gerne an, pustete auch erstmal durch.
Nachdem sie geduscht hatten und sich wieder angezogen hatten, saßen die beiden Männer nun endlich auf ihr wohlverdientes Bier am Tresen des Boxclubs. "Was denkst du über Morgen? Glaubst du, dass die Überwachungsaktion Erfolg verspricht?", fragte Ben seinen Nebenmann, der mit den Schultern zuckte. "Keine Ahnung. Wir haben verdammt wenig Anhaltspunkte." Für kurze Zeit schwiegen die beiden Männer und beobachteten zwei Kerle im Ring, die vom Umfang und von der Schlagkraft ungefähr das doppelte in die Waagschale warfen, als die zwei Polizisten. "Du machst das übrigens echt gut.", meinte Kevin zu seinem Freund, der überrascht aufblickte. "Was meinst du?" "Na, die Führungsrolle. Ohne Semir, meine ich.", sagte er zwinkernd und brachte Ben zum Lächeln. Er nahm das Lob gerne an, auch wenn Kevin noch jünger und etwas unerfahrener war als Ben... aber den Rückstand holte er dadurch auf, dass er lange bei der Mordkommission war, und solche Fälle eher kannte als der Autobahnpolizist, der vorher beim LKA war. "Aber ganz ehrlich, manchmal fühle ich mich noch etwas hilflos. Semir hat manchmal Einfälle, da würde ich nie draufkommen. Vielleicht hätte er jetzt auch einen, der uns helfen würde." Kevin schüttelte nur den Kopf und prostete seinem Freund zu. "Denk nicht darüber nach. Hört sich kitschig an, aber vertrau auf das, was du tust. Und dann finden wir zusammen einen Weg, diesem Killer das Handwerk zu legen." Die Gläser klirrten gegeneinander, und Ben fühlte sich pudelwohl. Er spürte, dass er mit Kevin enger zusammengerückt war an diesem heutigen Tag, und verspürte Stolz darüber, ein wenig zu diesem schweigsamen geheimnisvollen Mann vordringen zu können.