Dienststelle - 10:00 Uhr
Die fünf Polizisten trafen in ihren Dienstwagen fast zeitgleich wieder in der Dienststelle ein. Ben und Kevin hingen gerade ihre Jacken wieder über die Stühle als Jenny, Dieter und Hotte ins Büro hereinkamen. "Jenny, wir brauchen alle Informationen über die beiden toten Motorradfahrer. Vor allem im Hinblick auf eine Verbindung zu Bauer Electronics. Egal was, ob die da mal gearbeitet haben, für eine Zubringerfirma oder ne solarbetriebene Taschenlampe dort gekauft haben, das müssen wir wissen." Jenny grinste ob Bens kleinem Scherz und nickte. Die junge Frau setzte sich an Andreas PC und begann sofort konzentriert zu tippen. "Ben.", rief Herzberger und der Polizist drehte sich aufmerksam zu seinem dicken Kollegen, als auch Kevin dazukam. "Mir ist die unterschiedliche Größe des Motorradfahrers aufgefallen. Der, der die Verletzungen im Gesicht hatte war um einiges kleiner. Ich glaube nicht, dass der absichtlich ins Gesicht getroffen wurde." Die Polizisten nickten zustimmend. "Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.", antwortete Ben, und sah hektisch auf die Uhr. "Die Hundestaffel wartet sicher auf den Einsatzbeginn... wir müssen die anrufen, und...", doch er wurde von der Chefin unterbrochen, die wohlwollend beobachtete, wie Ben langsam Semirs Führungsrolle einnahm. Kevin traute sie das nicht zu. Sie ging auf ihre Beamten zu, und sagte: "Brauchen sie nicht. Die Staatsanwaltschaft hat sofort nach dem Mord heute morgen den Durchsuchungsbeschluß zurück gezogen." Alle vier Polizisten sahen überrascht auf, während Jenny weiter am tippen war. "Wieso kann die Staatsanwaltschaft einfach den Beschluß zurückziehen?", fragte Kevin verständnislos, während er neben Jenny am Tisch lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. "Ich musste sowieso mit Engelszungen reden um den Beschluß zu bekommen. Bauer Electronics hat im Ruhrgebiet ein sehr hohes Ansehen, was niemand beschmutzen will. Der zuständige Staatsanwalt gab den Beschluß nur sehr widerwillig heraus. Und da jetzt noch ein Mord passiert ist, der anscheinend nichts mit Bauer Electronics zu tun hat, war das eine günstige Gelegenheit um den Beschluß zurück zu ziehen.", erklärte die Chefin, und man hörte deutlich ihren Missmut darüber aus ihrer Stimme. "Aber Chefin, das wissen wir ja noch gar nicht, ob die beiden Toten etwas mit Bauer Electronics zu tun hatten.", entgegnete Ben aufgebracht. Anna Engelhardt war zu lange im Geschäft um sich darüber noch aufzuregen und nickte mit weiten Augen. "Und wenn sie es rausgefunden haben, dann können wir einen neuen Antrag stellen, meine Herren." Ben ließ resignierend die Hände sinken, Kevin verzog neben Jenny keine Miene. "Und vor allen Dingen... finden sie heraus wer unsere Raststellen als Schießstand benutzt.", setzte die Chefin streng hinzu und warf die heutige Ausgabe des Kölner Express bei Hotte auf den Schreibtisch. "Anschlag auf Rasthof" prangte dort in großen Buchstaben. "Nehmen sie diesen Bullshit etwa ernst?", fragte Kevin ein wenig provokant, und die Augen der Chefin verengten sich ein wenig. "Ich nicht, Herr Peters. Aber die Bevölkerung und der Polizeipräsident. Das sollte reichen.", meinte sie gereizt. "Ermitteln sie in alle Richtungen und ziehen sie alle Möglichkeiten in Betracht. Lassen sie mich wissen, wenn sie Verstärkung von der Mordkommission brauchen." Mit diesen Worten drehte sie sich um und kehrte ins Büro zurück.
"Hoi, hat die eine Laune...", pfiff Bonrath, der früher desöfteren den Missmut der Chefin abbekommen hatte. Herzberger pflichtete ihm nickend bei, während Ben kopfschüttelnd durch das Großraumbüro schritt. Kevin stand immer noch schräg hinter Jenny und sah ihr über die Schulter. Im Lebenslauf der beiden Toten, namentlich Egon Ritter und Paul Uth, war Bauer Electronics kein Thema. Beide waren LKW-Fahrer bei einer Zuliefererfirma einer Stahlfabrik im Ruhrgebiet. "Also auf den ersten Blick sehe ich keine Verbindung zu Bauer Electronics.", meinte Jenny ein wenig enttäuscht. "Also wenn das nur ein Trittbrettfahrer war, dann können wir uns gratulieren.", meinte auch Kevin einigermaßen resignierend, und blickte zu Ben auf, der die Hände in den Nacken gelegt hatte und Jenny vor dem Tisch gegenüber stand. "Und wenns ein Verrückter ist?", fragte Bonrath nun und schaute zwischen seinen Kollegen hin und her. "Wie meinst du das?" "Naja... ein Irrer eben... der wahllos auf Menschen schießt, aus Auto heraus. So etwas hatten wir schon mal vor Jahren." Er stupste Herzberger neben sich an. "Du weißt das doch noch. Dieser Irre mit der Metallplatte im Kopf der mit Granaten auf Autos geworfen hat, weil er als Kind einen Autounfall hatte, und dabei fast ums Leben gekommen war." Hotte nickte nachdenklich, kam seinem Freund aber zuvor: "Aber der Kerl ist mit seinem Hubschrauber in die Luft geflogen. Tom und Semir hatten das doch ganz klar gesehen." Kevin zog einen Mundwinkel nach oben und wog den Kopf hin und her: "Seit André vertraue ich niemandem mehr, der mir sagt, er wäre tot." "Trotzdem!", beharrte der erfahrene Polizist. "Ausserdem ging es dem doch um Feuer und Explosionen, weil er das Traume im brennenden Wagen hatte. Und nicht darum, Leute abzuknallen." "Da hast du auch recht.", sagte Bonrath nachdenklich.
"Also wir ermitteln erstmal in die Richtung Bauer. Wir müssen uns mit den Familien der beiden Toten unterhalten. Am besten gleichzeitig und so schnell wie möglich.", sagte Ben, der den Gedanken seiner Kollegen stumm gefolgt war. "Gute Idee. Ich fahre mit Jenny zu der einen Familie, und du mit Hotte zu der anderen.", schlug Kevin vor und grinste erst Richtung Ben, dann in Richtung Jenny, der dieser Vorschlag offenbar gefiel. Ben setzte eine freundlich grinsende Miene auf, als hätte er diesen Vorschlag nicht schon von seinem Freund vermutet. "Schon klar.", war sein Kommentar, und sein Nicken war eine Bestätigung. Hotte und Jenny verschwanden in die Umkleidekabine um zivile Kleidung anzuziehen, Bonrath übernahm den Sekretärsjob. Ben stellte sich dicht neben Kevin, und nahm dessen Haltung ein. "Du stehst auf Jenny, oder?", fragte er leise. Kevin zog die Stirn etwas ablehnend in Falten und schüttelte den Kopf. "Ich finde sie nett, und würde sie gern besser kennenlernen. Sonst nichts.", wehrte er Bens Vermutung ab und sah seinem Kollegen ins Gesicht. "Keine Sorge."