Verlassenes Haus – 19:15 Uhr
Wäre es nicht so kalt gewesen, hätte man es für einen gemütlichen Grillabend, oder einfach nur ein geselliges Beisammensein zweier Brüder halten können, die sich in ihrem Garten ein Bierchen gönnten. Doch bei einem Bier blieb es nicht, und zum Feiern war Thomas und Andreas auch nicht zu Mute. Sie saßen da, eingehüllt in ihre Jacken auf den Gartenstühlen, mehrere zusammengedrückte Bierdosen lagen um sie herum und seit einer Stunde hatte keiner mehr einen Ton gesagt. Andreas Atmung ließ mittlerweile einen leichten Schlaf vermuten, während Thomas in die Ferne sah und immer noch hoffte, dass seine Schwester zurückkam. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, er hatte die Kontrolle verloren. Er, der sich als Kopf sah, der ruhig und besonnen blieb, auf seinen kleinen Bruder und seine kleine Schwester Acht gab und sich manchmal wie ein Vater fühlte… einen Vater, den er selbst haben wollte.
Doch jetzt hatte er einen quälendes schlechtes Gewissen und keine Idee wo Jessy hingelaufen sein könnte. Und er wusste nicht was er machen sollte, er wusste nur eins. Er wollte bis morgen früh hier sein, falls sie hierher zurückkam. Er wollte nicht weg ohne sie, und es würde ihm das Herz brechen, wenn seine Schwester hier auftauchen würde, und glauben würde dass die beiden Männer und sie geflohen sind. Er hoffte, nein beinahe betete er, dass sich die Bullen bis morgen Mittag noch Zeit ließen…
Kneipe – 20:00 Uhr
Semir hatte seinen Partner und Freund Ben nach Hause gefahren, und kurz hatten sie sich noch über den morgigen Tag unterhalten. Wie man weiter vorgehen wollte hing vor allem davon ab, ob Kevin nun bereit war Informationen rauszurücken oder nicht. Außerdem wolle man die Gartenlaube durchsuchen, wohin Ben per Funk noch einen Streifenwagen abgestellt hatte, der dort über Nacht öfters mal vorbeischauen sollte.
Bens Gesicht schmerzte, und er hatte keine Lust mehr auf ein Feierabend-Bier. Semir verstand dies, er wünschte gute Nacht und fuhr durch die dunkle Hauptstraße, die aus der Innenstadt führte, wo Ben wohnte. Als er die Kneipe passierte, wo er und Ben öfters mal ihren Feierabend verbrachten, damals auch mit Kevin, stutzte er kurzzeitig. Das Nummernschild des Motorrades, was dort vor der Tür parkte, kam ihm bekannt vor. „Wenn das mal kein Zufall ist…“, murmelte der kleine Kommissar und stellte seinen BMW direkt daneben auf einen freien Parkplatz.
Die Kneipe empfing ihn mit gedämpfter 80er-Jahre Musik, vielen Gesprächen, warmer Luft und auch hier ließ der Wirt es, auch unter dem Risiko einer Geldstrafe, zu dass die Gäste rauchten. So auch der junge Mann, der direkt vorne am Tresen saß, seine schwarze Jeansjacke über den Hocker nebendran gelegt, vor sich ein Glas mit dunkler Flüssigkeit stehen hatte, die wir Cola aussah, vom Glas her aber sicherlich mit Hochprozentigem gemischt. Die Frisur hätte Semir unter Tausenden wieder erkannt, und ohne ein Wort der Begrüßung setzte er sich neben Kevin auf den anderen freien Hocker und bestellte bei der freundlichen Dame hinter dem Tresen ein Kölsch.
Semir blickte kurz zur Seite, legte die Hände verschränkt auf den Tresen und schwieg erst einmal. Er wollte, dass Kevin sprach… das Kevin zumindest mal „Hallo, was machst du denn hier?“ sagte, oder einfach nur mal den Blick zu Semir bewegte. Klar hatte er bemerkt, wer sich da neben ihn gesetzt hatte, doch sein stoischer Blick zeigte geradeaus, während seine rechte Hand, die die Kippe zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt das Whiskeyglas unaufhörlich immer wieder ein Stück um die eigene Achse drehte. Bis Semir sein Bier hatte konnte man meinen, dass die beiden Männer sich nicht kannten und sich noch nie im Leben begegnet waren. Semir spürte genau dass Kevin etwas bedrückte, er verhielt sich ihnen gegenüber sonderbar, und doch so wie Semir es kannte. Es herrschte Misstrauen und der junge Mann baute sich eine Wand aus Schweigen. Semir leckte sich ein wenig über die Lippen, als er nach Worten suchte, denn er merkte dass er das Gespräch beginnen musste, sonst würde er noch bis morgen früh hier sitzen. „Du hast dich verändert, Kevin.“, sagte er ohne Vorwurf in der Stimme… es war die vertrauenserweckende Stimme von Semir, die mit Lebenserfahrung und gut gesinnt war. „Als wir beide den Doppelmord im Rotlicht-Viertel aufgeklärt haben, da warst du… anders. Du hattest mir doch damals vertraut, oder?“ Er sah den schweigenden Mann an, der den Blick auf das Tresen und das sich immer wieder gedrehte Glas richtete. Kevin hatte Semir kennengelernt, als sie beide zusammen einen Fall für die Mordkommission lösten. Der junge Polizist hatte sich erst spät wirklich mit Semir zusammengerauft und ihm gestanden, sich in die Tatverdächtige verliebt zu haben, die sich später tatsächlich als Mörderin herausstellte und erschossen wurde. Kevin hatte das sehr getroffen und auch zu einem Tiefpunkt geführt, als er längst wieder an den Drogen hing, was Semir damals aber nicht mitbekommen hatte. Er empfand Kevin damals aber lange nicht so distanziert, wie in diesem Moment, den damals hatte er sich zwar spät, aber er hatte sich Semir anvertraut und ihm die Wahrheit gesagt… warum jetzt nicht?
Das kalte Bier lief Semirs Kehle herab als er die ersten Schlucke davon trank, und es schmeckte heute ganz gut, auch wenn er sich in einer unangenehmen Situation befand, denn Kevins Schweigen war wie eine Wand. „Was ist es, Kevin? Warum schützt du das Mädchen? Wir wissen von der Zeugin, dass eine weibliche Person dabei war, und wir werden es morgen auch aus dem anderen Entführungsopfer rausquetschen. Erspar uns die Arbeit.“ Das Geräusch des immer wieder aufklackernden Glases auf dem Tresen begann den Deutsch-Türken langsam zu nerven. Es wurde nur kurz unterbrochen als sein Nebenmann einen Schluck des süß-bitteren Getränkes nahm, nachdem er die Zigarette im Aschenbecher ausgedrückt hatte. „Tut sie dir leid, weil sie in der gleichen Situation ist, wie du damals warst?“ Kevins Augen blickten vom Tresen kurz auf, seine kalt blauen Augen wirkten müde. Müde davon, wie er die letzten Wochen und Monate verbracht hat, müde davon sich wieder ein Lebensziel zu suchen. Sein Kollege sah ihn von der Seite an, hob die Augenbrauen und Sorge sprach aus seinem Blick. Heute Nachmittag misstraute er Kevin noch, ja er hatte kurzzeitig tatsächlich gedacht dass der Mann, der als jugendlicher Straftäter auf der Straße war, wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt war. Doch so, wie er Kevin jetzt beobachtete, verwarf er den Gedanken schnell wieder.
Als erneut keine Antwort kam, sah Semir ebenfalls geradeaus. Es war als würde er mit einem taubstummen Mann reden, einer Puppe die innerlich zerbrochen war und nun keinen Mucks mehr von sich gab. Ein wenig seufzte Semir auf. „Wenn du nicht redest, dann können wir dir nicht helfen.“, sagte er resignierend und dachte an seine eigenen Sorgen, seine eigenen Probleme… bei denen ihm auch keiner helfen sollte. Skurril. Er hörte Kevin hörbar ausatmen, ein Ausatmen als würde er gerade ansetzen etwas zu erzählen… doch nichts drang durch seinen Mund. Der erfahrene Polizist begann langsam einige Puzzleteile zu einem Bildabschnitt zusammen zu setzen. Das Mädchen in einer Gang, Kevin der momentan mit Problemen kämpfte und sich niemandem anvertraute... er sah wieder zu dem jungen Mann auf den Nebenhocker. „Denkst du, sie versteht deine Gedanken besser, weil sie in der gleichen Situation ist?“ Fast dachte er, er konnte ein leichtes Nicken an Kevins Körperhaltung ausmachen, doch er war sich nicht sicher, ob er es sich nicht einbildete. Ein weiterer Schluck aus seinem Bierglas floss Semirs Hals herunter, als sein Blick auf Kevins rechte Hand fiel, auf der sich eine leichte, bläuliche Schwellung auf den Fingerknochen zeigte. Es sah wie eine Prellung aus, und ein weiteres Puzzleteil setzte sich zusammen. Mit etwas zusammengepressten Lippen sah der Polizist Kevin noch einmal an, und dann schwiegen beide.
Semir leerte sein Glas und legte Geld auf das Tresen. Dann rutschte er etwas an Kevin heran, sprach leiser und eindringlicher. „Kevin… wenn ich das recht sehe, dann hast du momentan Niemanden, außer uns.“ Er wartete auf eine Reaktion, die sich in einem kurzen Kopfheben äußerte, jedoch drehte Kevin den Kopf immer noch nicht in Semirs Richtung. „Außer Ben und mich. Wir würden dir helfen, aber wir können dir nur helfen, wenn du dir helfen lässt. Egal, was zwischen dir und diesem Mädchen passiert ist… vertrau uns.“ Seine Stimme senkte sich: „Oder haben wir dein Vertrauen missbraucht, als du uns deine Drogengeschichte erzählt hast?“ Nun war das leichte Kopfschütteln des jungen Polizisten deutlicher wahr zu nehmen. Nein, sie hatten dicht gehalten vor allem und jedem… sogar vor ihrer Chefin. Das musste Kevin zugeben. Semir redete noch weiter: „Ich kann es verstehen, wenn dich dieses Mädchen innerlich getroffen hat. Dass es dich berührt hat, mit was auch immer.“ Semir spekulierte, aber anders konnte er sich Kevins Verhalten nicht erklären… und da dieser keinerlei Widerworte gab, fühlte er sich von seiner Theorie irgendwie bestätigt. „Aber bitte Kevin… lass uns das Problem gemeinsam lösen. Mach bloß keinen Scheiß.“ Jetzt wendete der junge Mann den Blick zu Semir und ein kurzes Schmunzeln kam ihm übers Gesicht, doch es war kein ehrliches Schmunzeln… eher ein ironisches, bitteres Schmunzeln und erneut ein leichtes Kopfschütteln. Dann wandte er den Blick wieder ab, drehte den Kopf zurück und sagte mit seiner monotonen Stimme nur: „Zu spät…“
Semir sah ein wenig verzweifelt aus, er hatte es sich zwar schwer vorgestellt, zu Kevin durchzudringen, doch dass es so schwierig wäre… Er war innerlich verschlossen wie ein Gefängnis, hatte Herz und Gefühle eingemauert. Wer oder was hatte ihn nur so enttäuscht, dass es ihm so schwer fiel, Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen?
Der erfahrene Polizist ließ sich vom Hocker gleiten und gab Kevin noch ein „Bis morgen.“ Bevor der Kommissar zur Tür herausging, drehte er sich nochmal um, und wollte Kevin noch einmal kitzeln. „Entschuldige dich morgen noch bei Ben. Du hast ihm ein Veilchen beschert.“ Dass Kevin auch hierauf keine Reaktion zeigte, war für Semir ebenfalls eine Bestätigung. Er war in der Gartenlaube, und hatte offenbar nach dem Mädchen gesucht… und um Fragen zu vermeiden, ist er abgehauen. Die Schwellung an der Hand hatte er von dem Schlag gegen Bens Augenhöhle. Eine weitere Frage, wie Kevin auf die Laube gekommen ist, die morgen zu klären war… wenn Kevin in der Dienststelle auftauchte. Doch da war Semir sich sicher, denn er spürte, dass er in Kevin etwas bewirkt haben könnte…
Beiträge von Campino
-
-
Kevin’s Wohnung – 18:00 Uhr
Das orangene Licht der Straßenlaternen, die erst im letzten Jahr dort neu aufgestellt worden, tauchten den Weg, der zur Haustür des mehrstöckigen Gebäudes führte, in ein beinahe gemütliches Licht. Semir und Ben hatten sich ihre Lederjacken übergezogen, denn sobald die Sonne weg war sank die Temperatur schneller als sie morgens geklettert war.
Den Weg zu Kevins Wohnung kannten sie mittlerweile auswendig, es kam ihnen wie ein Deja-Vu vor, weil sie dort heute Vormittag schon einmal standen. Und genauso wie heute Vormittag gab es keinerlei Reaktion auf das Klopfen und Klingeln. Semir seufzte: „Das darf doch nicht wahr sein… was hat man denn so dringendes vor, wenn man gerade von einer Entführung geflohen ist.“, meinte er genervt und verdrehte die Augen. „Du würdest natürlich erst einmal zu Hause sitzen und dich entspannen, was?“, merkte sein Partner schnippisch an und Semir musste ihm recht geben. Nein, das würde er in der Situation natürlich nicht tun. Er würde wohl auch mit allen Mitteln die Täter suchen, vor allem wenn man persönlich involviert ist, auch wenn beiden Männern noch nicht ganz klar war, wie Kevin nun involviert war. Beide hatten sich Gedanken gemacht, weiter Gedanken gemacht und noch mehr Gedanken gemacht. Ben war sich sicher, dass es eine Erklärung dafür geben musste, warum Kevin das Mädchen schützen wollte. Einfach so tat Kevin so etwas nicht. Semir tat sich da ein wenig schwerer zu glauben, dass nicht etwas völlig banales für den jungen Mann im Vordergrund stand.
Diesmal brachen sie die Tür nicht auf, dazu hatten sie keinen Grund. Heute Vormittag hatten sie noch Sorge darum, dass Kevin sich etwas angetan haben könnte, aber nun zogen sie wieder von Dannen. „Machen wir Feierabend?“, fragte Ben, als sie sich wieder in die Autositze sinken ließen, und Semir wollte bereits nicken, als der Bereitschaftsdienst der PAST sich über Funk meldete und Cobra 11 rief. Ben nahm als Beifahrer das Funkgerät zur Hand und meldete sich zurück, dass er höre. „Interessiert euch vielleicht noch vor Feierabend.“, hörten die beiden Hotte Herzbergers bekannte warme Stimme. „Eine Zeugin hat sich gemeldet, sie hat auf den Fahndungsfotos das junge Mädchen erkannt und ausgesagt, dass sie sie mehrfach und regelmäßig sehen würde.“ Ben und Semir schauten sich überrascht an… das ging schneller als gedacht. „Ja, Hotte… und wo?“, fragte Ben hastig nach, während Semir bereits das Blaulicht einschaltete. „Schrebergärten „Gründe Freunde“, Gartenlaube 38.“ „Danke Hotte, wir schauen uns da mal um.“, meldete Ben und beendete die Funkverbindung.
Schrebergärten – 18:30 Uhr
Der Himmel hatte sich nun endgültig verfinstert, einige Sterne standen bereits am Himmel und nur am fernen Horizont war schwach noch ein hellblau-rot schimmernder Streifen zu sehen. Die kleinen Laternen, die die Wege zwischen den einzelnen Gartenhäuschen säumten erhellten diesen zwischen grünen Hecken, die Sichtschutz boten. In der Ferne hörte man die Abendrufe einer Eule, es war eine Mischung aus einer gemütlichen und etwas schaurigen Stimme.
Die beiden Polizisten fanden die Laube recht schnell, denn auf kleinen Straßenschildern wurden die Nummern der einzelnen Wege angezeigt. Die „Laube“ stellte sich aber als recht stattliches Gartenhaus heraus, auf das Ben und Semir nun zu hielten. „Sieht leer aus.“, flüsterte Ben, der aufgrund der Dunkelheit kaum noch was erkennen konnte. „Schauen wir mal nach.“, meinte sein Partner und griff sich an die Tasche seiner Jeans um mit seine Taschenlampe auf das Türschloss zu leuchten. Sie unterhielten sich im Flüsterton, wussten sie ja nicht ob sich vielleicht doch jemand in der Hütte aufhielt. Ein wenig Mondlicht fiel auf die Eingangstür, die einen Spalt weit offenstand, und die beiden Polizisten sofort zum Anhalten bewegte. Stumme Blicke tauschten sie aus, und zogen beide ihre Waffe, bevor sie die Gartenlaube betraten. Natürlich waren sie schon oft durch dunkle Gebäude mit der Waffe im Anschlag geschlichen, doch jedes Mal schlug ihr Herz unweigerlich schneller. Ganz wenig Licht fiel durch das Mondlicht in den Raum, der eine Art Wohnstube war, von dem zwei Türen abzweigten. Die Taschenlampe erhellte nur spärlich, und nur einen bestimmten Bereich.
Mit den Fingern wies Semir auf die eine Tür, dann auf Ben und auf die anderen Tür… sie sollten sich aufteilen. Ben nickte und ging langsam, die Waffe im Anschlag auf die Tür zu, und öffnete sie. Sie schwang zu Ben langsam und knarrend auf, vorsichtig, Schritt für Schritt wagte sich der Polizist in den Raum, die Taschenlampe etwas nach vorne gestreckt, die Waffe darunter haltend. Unerwartet aus dem Dunkeln spürte Ben plötzlich, dass jemand die Taschenlampe packte und nach unten drückte… der Kerl musste sich neben der Tür versteckt haben und schien auf ihn gewartet zu haben. Offenbar waren sie zu laut draußen. Ben konnte gar nicht so schnell nachdenken, das Licht im Raum verschwand und eine krachende Rechte landete im Gesicht des Polizisten, der sofort zu Boden fiel. „SEMIR!“, rief er noch schnell weil er befürchtete, dass der Kerl nochmal zuschlagen würde. Offenbar aus Angst, dass der Eindringlich nicht alleine war, als Ben nach seinem Freund rief, machte er auf dem Absatz kehrte und sprintete durch die Hintertür, die sich in dem Raum befand hinaus ins Freie. Semir kam, angelockt sofort von Bens Schrei, angelaufen und fiel fast über seinen Partner. „Wo ist der Kerl?“, fragte er noch schnell, als Ben sich stöhnend aufsetzte. Beide sahen die offene Hintertür, auf die Semir schnell leuchtete. „Warte hier, Partner.“, sagte er noch und wetzte mit seinen kurzen Beinen durch die Tür, wo er direkt dahinter auf einen Lattenzaun stieß, der das andere Grundstück abgrenzte. Der kleine Polizist leuchtete nach links, rechts und geradeaus, doch weder war eine Gestalt zu erkennen, noch konnte er irgendwelche Schritte auf den Asphalt-Wegen vernehmen. Nur die Eule, die nun näher gekommen schien meldete sich wieder zu Wort. „Fuck…“, murmelte er und steckte die Waffe weg.
Ben quälte sich stöhnend wieder auf die Beine und hielt sich die Handfläche auf sein rechtes Auge, wo die Faust ihn getroffen hatte. Semir kam zu ihm zurück und leuchtete ihm ins Gesicht: „Lass mal sehen.“ Ben zwinkerte ins helle Licht der LED-Taschenlampe und gab einige Schmerzenslaute von sich. „Das gibt ein Veilchen, mein Freund.“, meinte er grinsend und Ben äffte sein Grinsen höhnisch nach. „Hast du was erkannt?“ Ben schüttelte den Kopf. „Nein, es war zu dunkel, und zu schnell. Er hat mir erst die Taschenlampe runtergedrückt von der Seite, und hat direkt zugeschlagen.“ Der junge Polizist ärgerte sich wahnsinnig über seine Unvorsichtigkeit. „Na komm, wir stellen die Laube hier morgen früh mit der KTU auf den Kopf… ich fahr dich nach Hause.“ So zogen die beiden Polizisten von dannen und zogen die Tür der Laube zu, bevor Semir seinen Partner zu Hause absetzte und sich durch die Innenstadt ebenfalls auf den Heimweg machte. -
Plattenbausiedlung – 17:50 Uhr
Die Klingel an der Wohnung von Theodor und Miriam Stern hatte sie Form eines Lichtschalters, und der Klingelton hörte sich fast exakt so an, wie der von Kevins Wohnung. Einige Geräusche drangen nach draussen, nachdem er geläutet hatte, Schritte waren zu hören, die Richtung Tür kamen. Langsam, beinahe zögerlich öffnete sich die Tür nach innen, und eine etwas kleinere, zierlich gebaute Frau stand Kevin gegenüber. Sie hatte schwarze Haare, und die gleichen Augen, in die Kevin vorhin im Keller versunken war. Kein Zweifel, vor ihm stand Jessy’s Mutter und schaute den Polizisten neugierig an. „Ja?“ „Guten Tag. Mein Name ist Peters, Polizei.“, sagte der junge Mann mit ruhiger und nach außen völlig gelassener Stimme. Der Ausdruck in ihren Augen schien von Neugierigen in einen etwas ängstlich verschreckten Zustand sich zu verändern. „Ähh… ja… um was geht’s?“ stotterte sie unsicher und sah ein wenig um sich. „Es geht um ihre Tochter, Jessica Stern. Kann ich kurz reinkommen?“
Immer noch unsicher überließ die Frau Kevin den Zutritt zur Wohnung. Der viel zu kurze Flur mündete sofort in ein kleines Wohnzimmer, direkt daneben die Küche, auf der anderen Seite nur eine weitere Tür. Offenbar wohnte man hier auf engstem Raum zusammen, und Kevin stellte sich die Enge vor, wenn hier noch drei Kinder zusammenlebten. Die Wohnung war abgelebt, die Möbel aus den 70er Jahren, im Raum stand Zigarettenrauch und der Fernseher lief. Auf der Couch saß ein dicklicher Mann mit lichtem grauen Haar im Jogginganzug und kleinen braunen Augen, die tückisch aussahen. Er blickte Kevin auch sofort an, der in den Raum trat. „Wer sind sie?“, fragte er barsch und ließ die Bierflasche auf den Wohnzimmertisch sinken. „Peters, Kripo. Ich habe ein paar Fragen zu ihnen, wegen ihrer Tochter.“, sagte Kevin mit ruhigem Ton, auch wenn sein innerstes gerade kochte, als er den Mann erblickte, und daran dachte, dass er sich an der damals jungen hilflosen Jessica zu schaffen machte. Bevor Theodor Stern sich weiter äußern konnte kam ihm seine Frau zuvor: „Ist etwas mit unserer Jessy passiert?“, fragte sie voll Sorge, und Kevin ekelte sich… war das nun Heuchelei, nachdem ihre Tochter vor über 10 Jahren bereits abgehauen war? „Wann haben sie Jessy das letzte Mal gesehen?“, fragte er ohne auf die Frage der verschüchterten Frau einzugehen. Sie wiederrum sah ein wenig hilflos zu ihrem Mann, als hätte sie keine Erlaubnis alleine zu antworten. Der sah kurz auf den Fernseher und ließ sich wieder auf die Couch sinken, von der er eben aufgestanden war. „Unsere Tochter ist schon vor einigen Jahren mit ihren Brüdern von hier…“, er stockte kurz als suche er nach einem passenden Wort… „ausgezogen.“ Der Polizist zog die Augenbrauen ein wenig nach oben. „Ausgezogen?“, wiederholte er gespielt ungläubig und der Mann nickte. „Ja… weggelaufen. Ihre Brüder haben sie mitgenommen.“
Der junge Polizist sah kurz aus dem Fenster, aus von dessen Balkon man einen herrlichen Blick auf ein Industriegebiet inklusive rauchender Schornsteine hatte, die allesamt bereits im Abendschatten lagen. „Wieso sind ihre Kinder weggelaufen, Herr Stern?“, fragte er mit weiterhin völlig ruhigen und distanziertem Ton, als wäre er ein völlig unbefangener Polizist der einfach seine Arbeit tat. Doch innerlich musste er mit sich kämpfen. „Ich weiß es nicht.“, sagte Theodor Stern kopfschüttelnd. „Wir konnten ihnen hier sicherlich kein Paradies bieten, aber ich und meine Frau haben uns den Rücken krumm gearbeitet, um ihnen möglichst alles zu geben.“, heuchelte der Mann und sah plötzlich ganz unglücklich drein. „Sie haben hier sicherlich nicht schlecht gelebt.“ Selbst als distanzierter Polizist hätte sich Kevin im normalen Fall einen zynischen Kommentar nicht verkniffen, als er den Blick nochmal durch die Wohnung schweifen ließ. Das konnte der Mann nicht ernst meinen. Wollte der Kevin nun ein Stück „Schwierige, aber heile Welt“ verkaufen? Er sah Herr Stern weiter gefühlslos an, der den kalten Blick des Polizisten nicht deuten konnte. „Und sie haben sich seit dem nicht mehr hier sehen lassen?“ Frau Stern presste zitternd die Lippen zusammen und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Als wolle sie etwas sagen, aber es fand nicht den Weg aus ihrem Mund. „Nein.“, sagte ihr Mann und schüttelte den Kopf. „Ich kann ihnen auch nicht sagen, wo meine arme Tochter ist. Sie hat sich von ihren Brüdern immer sehr beeinflussen lassen… ich bin mir immer noch sicher, dass sie eigentlich nicht fort von hier wollte.“ Das reichte… Kevins innerer Druck wuchs ins Unermessliche, und es wunderte ihn dass seine Stimme nicht zitterte als er Frau Stern um eine Tasse Kaffee bat. Die Frau nickte und ging, immer noch leicht zitternd in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Der junge Polizist schloss die Küchentür hinter ihr, und kam wieder auf Theodor Stern zu. Dieser schien zuerst nicht wirklich wahr zu nehmen, was Kevin vor hatte, sondern realisierte es erst, als er von ihm an der Joggingjacke gepackt wurde, und nach oben gezogen wurde. Eine Mischung aus Alkoholatem und Zigarettenqualm schlug dem Polizisten entgegen. „Was ziehst du hier eigentlich für eine Nummer ab?“, zischte Kevin mit bedrohlicher Stimme und überwand seinen Ekel, als er den Kerl mit sich auf Augenhöhe zog. „Was… was soll das?“, zitterte Theobald, als er bemerkte dass Kevin ernst meinte. „Ich weiß, was du deiner Tochter jahrelang angetan hast.“ sagte Kevin leise und bemerkte sofort den geschockten Blick in den Augen seines Gegenübers. „Was… woher?“ Stern bekam einen Ruck durch seinen Körper, als er von Kevin kurz geschüttelte wurde. „Deine beiden Söhne haben ihre Schwester vor dir perversem Schwein gerettet. Also hör auf mir irgendeine Scheiße zu erzählen.“ Er spürte wie der Atem des dicklichen Mannes immer schneller wurde und er zu wenig Kraft besass, sich von Kevins hartem Griff an der Jacke zu befreien.
„W… was wollen… was wollen sie von mir? Warum, sind sie hier?“ Mit eiskalten Augen sah Kevin den Mann an, dass diesem weiter Angst und Bange wurde. „Am liebsten würde ich das machen, was Thomas und Andreas nicht zu Ende gebracht haben.“, sagte er kalt. „Bitte… ich… ich tu alles was sie… was sie wollen.“ Kevin spürte, die Angst des Mannes war echt. Er zitterte, er fürchtete sich davor dass der junge Mann wirklich keine Skrupel hatte… wer weiß, vielleicht war er kein Bulle, der Ausweis gefälscht. „Wo könnten sich deine Kinder versteckt halten, außer in dem alten Landhaus?“, fragte Kevin und merkte wie dem Mann Panik ins Gesicht fuhr. „Ich… weiß… nicht…“, stotterte er und litt Todesängste, vor allem als Kevins Hand hinter seine Jacke fuhr und der die glitzernde Waffe in der Hand des jungen Mannes sah, und den Lauf unter seinem Nasenflügel spürte. Kevin blieb äusserlich kalt, auch wenn er wusste, dass er jetzt an der Grenze stand… weiter konnte er nicht gehen, selbst wenn er gewollt hätte. „Ich schwöre dir, ich verteile die Reste deines Gehirns an der Fototapete, wenn du mir nichts erzählst.“ Innerlich erschrak er selbst über sich, wohin ihn die Wut treiben konnte, und der Finger legte sich bedrohlich um den Abzug der gesicherten Waffe. „Ich weiß wirklich nichts! Ich habe meine Kinder jahrelang nicht gesehen! Das alte Haus gehörte meinen Eltern, ich war dort schon ewig nicht! Wenn sie dort nicht sind, dann habe ich wirklich keine Ahnung… bitte… bitte tun sie mir nichts.“, jammerte der feige Mann beinahe um sein Leben.
Auch wenn Kevin innerlich aufgewühlt war, so spürte er jedoch… der Mann wusste wirklich nichts. Er hörte in der Küche den Kessel pfeifen, und wusste dass es nur noch einige Augenblicke dauerte, bis die Frau zurückkam. „Morgen früh gehst du zur Polizei, und zeigst dich für den jahrelangen Missbrauch selbst an. Die Taten sind noch nicht verjährt, und du wirst einfahren. Ansonsten komme ich wieder, das verspreche ich dir.“, zischte er nochmal bedrohlich dem Mann ins Gesicht, bevor er ihn losließ und aufs Sofa stieß. Seine, immer noch gesicherte Waffe, verschwand hinter seiner neuen Jacke und angewidert bemerkte er den dunklen Fleck, der sich bei Herrn Stern im Schritt unter der Jogginghose breit gemacht hatte… die Angst war echt und nicht gespielt. Schluckend und zitternd stand Theodor auf und verschwand schnellen Schrittes im Badezimmer, wo er die Tür hinter sich zuschloß in dem Moment, als Miriam hereinkam mit einer Tasse Kaffee, die sie Kevin in die Hand gab.
Kevin war äußerlich immer noch ruhig, aber enttäuscht, nichts erfahren zu haben. „Sie suchen Jessy?“, fragte Miriam nun unvermittelt und ließ sich auf einen abgewohnten Sessel fallen. „Ja.“, antwortete Kevin, und bemerkte wie die Frau sich ängstlich umsah… sie schien gerade festgestellt zu haben, dass ihr Mann nicht da war, und winkte Kevin ein wenig zu sich heran, der sich zu ihr runterbeugte. "Sie kommt alle ein, zwei Monate zu mir… immer wenn mein Mann nicht da ist. Sie sagt immer, dass ich es nicht erzählen soll…“, flüsterte sie unsicher und Kevin sah die Frau hoffnungsvoll an. Er war sich nicht sicher, ob sie von dem jahrelangen Missbrauch etwas wusste. „Können sie mir vielleicht sagen, wo sie sich verstecken könnte, ausser dem Landhaus ihrer Schwiegereltern.“ Es war der schönste Moment des Tages als die Frau scheu lächelte und nickte. „Meine Eltern haben ein Schrebergartenhäuschen im Schrebergarten „Grüne Freunde.“ Ich weiß, dass sie da hin und wieder ist. Aber viel erzählt sie nicht von sich…“, sagte Frau Stern leise und Kevins Gesicht hellte auf. „Danke Frau Stern… sie haben mir sehr geholfen.“ Er war sich nun fast sicher, dass sie nichts von der damaligen Geschichte wusste… und er sagte auch nichts um den Kummer nicht zu vergrößern… denn leicht schien sie es hier nicht zu haben.
Kevin erhob sich wieder und verabschiedete sich, ohne zu warten bis Theodor Stern aus dem Bad zurückkam. Kurz bevor er an der Tür war, hörte er erneut die Stimme von Frau Stern. „Was ist mit meiner Tochter… warum suchen sie nach ihr?“ Kevin drehte sich um zu Frau Stern und machte eine vertrauensvolle Miene. „Ihrer Tochter geht es gut… machen sie sich keine Sorgen. Ich suche nicht als Polizist nach ihr, sondern als Freund.“ Dann verließ er die Wohnung, nachdem er eine beruhigende Geste von Miriam erhalten hatte… sie nickte und lächelte, denn sie schien Kevin zu vertrauen. -
Verlassenes Haus – 17:30 Uhr
Die Frühlingsgrillen zirpten bereits ein Konzert, als sich dieser aufregende Tag dem Ende zuneigte, und die Sonne langsam tiefer rutschte. Auch wenn der heutige Tag recht sonnig und frühlingshaft warm war, so waren die Tage immer noch recht kurz, und der Abend wurde bereits eingeläutet. Andreas stand erneut am Waldesrand und rief nach Jessy, doch erneut bekam er keine Antwort. „Das gibt’s doch gar nicht.“, murmelte der Glatzkopf verstimmt und stapfte zurück ans Haus. Thomas war im Haus, hatte sich im Speisezimmer eingeschlossen und brütete. Jetzt stand er in der Terrassentür, eine Zigarette im Mundwinkel und blicke zu seinem Bruder, der ans Haus heran kam. „Und?“ Kopfschütteln und Schulterzucken waren die Antwort des kleinen Bruders auf die Frage des Verbleibs von Jessy. Der großgewachsene Mann stöhnte auf und blickte zum Himmel. „Herr Gott… nicht nur dass sie unsere Geisel befreit, jetzt versteckt sie sich auch noch im Wald. Wir können hier nicht mehr bleiben, verdammt.“ Andreas machte ein vorwurfsvolles Gesicht und antwortete barsch: „Bist du selbst schuld.“ Darauf erwiederte sein großer Bruder nichts, denn er machte sich selbst Vorwürfe, dass ihm gegen seine Schwester die Hand ausgerutscht ist. Am liebsten hätte er den Schlag sofort zurückgenommen. Jetzt gab er nicht zu, dass er sich Sorgen um seine kleine Schwester machte, und ohne sie würde er nicht von hier verschwinden. „Los, wir holen Taschenlampen und dann suchen wir sie eben… so groß ist der Wald ja nicht.“ Die beiden Männer verschwanden nochmal kurz innerhalb des Hauses, zogen sich Jacken über die nackten Ärmel, den der Wind frischte nun auf… man merkte eben, dass es noch kein Sommer war.
Mit Taschenlampe bewaffnet zogen Andreas und Thomas in den Wald. Sie leuchteten hinter Büsche, Holzstapel und Baumgruppen. Andreas rief Jessys Name mehrmals, und Thomas fügte hinzu, dass es ihm leid täte, was er getan hatte, und dass sie doch rauskommen sollte und mit ihm reden sollte. Doch nichts rührte sich, außer einem aufgeschreckten Rehkitz, das durch die Büsche brach, weil es sich durch die Ruferei geängstigt hatte. „Du Thomas… ich glaube fast… Jessy ist weggelaufen.“, murmelte Andreas nach einiger Zeit der erfolglosen Suche. Der wiederrum stand resignierend auf dem Weg, und sah sich um. Seine Miene drückte beinahe schon Ratlosigkeit aus. Er, der Denker des Trios, durfte die Kontrolle nicht verlieren, beziehungsweise musste sie wieder erlangen. Souverän sein, denken, handeln. Das verkörperte er normalerweise. Andreas sah seinem Bruder an, dass er nachdachte und fragte: „Wo denkst du, könnte sie hingelaufen sein?“ Die Antwort ließ ein wenig auf sich warten und kam eher zögerlich als überzeugend. „Wenn sie wirklich gezielt zu jemandem will, dann gibt es nicht viele Möglichkeiten. Mama, allerdings trifft sie dann auf das Dreckschwein.“ Gemeint war Jessys Vater, der sie vergewaltigt hatte, als sie ein Kind war. „Wenn sie aber einfach nur irgendwohin ist, dann kann sie sich in jeder bekackten Scheune zwischen hier und Köln verstecken.“, meint Thomas missmutig. Damit waren die Chancen, sie zu finden, bei Null. Der größte Mann zündete sich eine weitere Zigarette an, während sein kleiner Bruder sich erschöpft auf einen Baumstumpf sinken ließ. „Wir müssen warten, ob sie wieder zurückkommt, Thomas. Wir können nicht ohne sie weg.“ Thomas wusste, dass es unmöglich war, ohne Jessy zu fliehen… die Gefahr aber, dass in einigen Stunden mehrere Mannschaftswagen der Polizei vor dem Haus stehen, war aber größer denn je, seit ihre Geisel geflohen war. „Denkst du, sie ist zu dem Bullen?“, fragte der kahlköpfige Andreas, und hob den Kopf zu seinem Bruder. Der ließ die Zigarette zwischen den Fingern langsam sinken. „Das wäre vielleicht möglich. Ich meine, es kann ja nur einen Grund geben, warum sie ihn freigelassen hat, oder?“ „Ja eben… sie hatte den Ausweis doch vorher schon gesehen, als wir die Waffen holen waren. Vielleicht hat sie sich die Adresse gemerkt.“ Thomas drehte sich ruckartig nun mit dem ganzen Körper zu seinem Bruder: „Hast du dir die Adresse gemerkt?“ In Andreas Kopf arbeitete es, eine Menge Zahlen und Buchstaben wollten sich aber nicht zu einer Straße zusammenfinden. Er lächelte erst, weil er die Idee gehabt hatte, doch das Lächeln erlosch dann schnell wieder. „Ne…“, meinte er nur und Thomas schüttelte den Kopf. „Los, das bringt nichts. Es ist schon fast dunkel, lass uns zurückgehen.“
Plattenbausiedlung – 17:40 Uhr
Phil hatte Wort gehalten, und Kevin innerhalb von Minuten zurückgerufen. Er hatte tatsächlich eine Adresse für den jungen Polizisten, was diesen veranlasste, sich über das frische Shirt eine leichte schwarze Jeansjacke anzuziehen, die zu seiner verwaschenen schwarzen Jeanshose passte. Im Dunkeln war er beinahe unsichtbar.
Nun saß er auf seiner Harley, vor der Hochhaussiedlung am Stadtrand, die einen miserablen Ruf besaß und stellte diese auf dem Bewohnerparkplatz ab. Die Sonne hatte sich gerade hinter den Horizont verzogen, es war noch hell, würde aber jetzt schnell dunkel werden. Seinen Helm legte er auf den Sitz, ein Zug durch die etwas gedrückten Haare ließ diese wieder nach Steckdosengriff aussehen. Der Polizist ging über einen Plattenweg aus den 80er Jahren, der zwischen den drei Wohnsilos hindurch führte. Alles hier war in einem miserablen Zustand, und ließ seine Wohnung wie eine Penthouse-Wohnung wirken. Umgestoßene Mülleimer, Graffitiy-Schmiereien an den Hauswänden. Erst am zweiten Hochhaus fand er den Namen „Stern“ auf eine der unzähligen Klingeln. Die Eingangstür, die teilweise aus Glas bestand, war zerbrochen, und so konnte er die Klinke von innen aufdrücken, um so ins Treppenhaus zu gelangen, ohne vorher bereits klingeln zu müssen. Im Inneren des Treppenhauses schlug ihm der Geruch von Exkrementen und Erbrochenen entgegen, beim Gang um die Ecke wusste er auch weshalb. Ein Stadtstreicher lag dort in einer Ecke, die Hand noch um eine Fusel-Flasche geklammert, und schlief mit lautem Schnarchen. Wenige Meter daneben hatte er offenbar seine Notdurft verrichtet, und was sonst noch passieren konnte, wenn man zu viel Alkohol trank… Kevin kannte das.
Dem baufälligen Fahrstuhl traute Kevin ganz und gar nicht, und so stieg er die Stufen hinauf bis zum 15ten Stockwerk. Er war auf alles und nichts gefasst, was ihn jetzt erwarten würde, wenn er zu Jessys Eltern ging. Seine Miene war versteinert, sein Atem flach und doch schlug sein Herz, denn er hatte den ganzen Hinweg über nur einen Gedanken… er hatte Jessys Stimme im Kopf, wie sie sagte: „Mein Vater war immer für mich da.“ Auf dem Weg an den Wohnungstüren vorbei warf Kevin immer wieder einen Blick auf die, meist handbeschriebenen Türschilder. „Immer wenn ich nachts nicht schlafen konnte, kam er zu mir ins Bett. Oder wenn ich fror, dann hielt er mich warm.“ Das Geräusch von Kevins Schuhen auf den kalten Steinböden, der schmutzig war als wäre er vor 20 Jahren zuletzt gewischt worden, hallte durch den kahlen Flur. Dann sah er das Schild „Stern“ und atmete nochmal tief durch. Durch die dünne Holztür konnte er einen Fernseher laufen hören, es war also jemand zu Hause. Ein prüfender Griff mit der linken Hand in die Tascheninnenseite seiner Jacke, dass sein Dienstausweis sofort greifbar war. „Er fing an, als ich 10 war und hörte erst auf, als ich mit Thomas und Andreas von zu Hause weggelaufen bin.“ Der Polizist presste die Zähne ein wenig aufeinander, als er mit der rechten Hand seine Waffe befühlte, die er sich in den hinteren Hosenbund gesteckt hatte um sicher zu gehen, dass die Jeansjacke sie ganz verdeckte, während er seine eigene Stimme im Kopf hörte. „Er hat dich…“
Dann klingelte er…
-
Dienststelle - 17:00 Uhr
Semir hatte, als er den BMW vor der PAST geparkt hatte, nur noch das 2-Minuten-Gespräch mit André im Kopf. Während Ben durch die Glastür des Großraumbüros schritt, verschwand der kleine Polizist erstmal auf der Toilette und warf sich minutenlang Wasser ins Gesicht. "Komm jetzt auf andere Gedanken... konzentrier dich auf deine Arbeit.", murmelte er sich selbst zu und mahnte sich, nicht wieder in Gedanken um André zu versinken. Von Deutschland aus würde er sowieso nichts unternehmen, er wolle mit André Auge in Auge die Dinge, die geschehen sind und durch die Fotos dokumentiert wurden, besprechen.
Mit den Papiertüchern trocknete er Gesicht und seine hohe Stirn, bevor er zu Ben ins Büro ging. "Alles klar?", fragte er ein wenig besorgt, den sein Freund war etwas blass um die Nasenspitze und wiegelte ab, es sei alles okay.Semir saß noch nicht richtig an seinem Platz als das Telefon klingelte und der Name der Chefin erschien. "Ja?" "Semir, würden sie wohl so freundlich sein in mein Büro zu kommen? Und bringen sie Ben gleich mit." Die Frage war keine Frage, sondern eine Anweisung. Und die katzenfreundliche Stimme der Chefin klang, als duldete die Anweisung keinerlei Aufschub. "Die Chefin will uns sehen.", sprach der kleine Polizist und erhob sich wieder von seinem Platz. Ben legte den Stift, den er gerade zur Hand genommen hatte um ein Formblatt auszufüllen wieder auf den Schreibtisch und folgte seinem Freund bis ins Büro der Chefin.
Auch sie war gerade etwas am Schreiben, denn ihren Computer nutzte sie nur wenig. Anna Engelhardt war eine Verfechterin der guten alten Polizeiarbeit und kommunizierte über E-Mail nur so wenig wie möglich. Als ihre beiden besten Männer ins Büro traten und auf den beiden Stühlen vor ihrem Schreibtisch Platz nahmen, sah sie kurz auf, vervollständigte den letzten Satz und legte dann alles bei Seite. Sie lehnte sich in ihrem Sessel erst ein wenig zurück und betrachtete Ben und Semir mit freundlichem Lächeln, bevor sie vielsagend fragte: "Was haben sie heute eigentlich den ganzen Tag getrieben? Ich habe mir eine Rückmeldung erwartet von dem zweiten Besuch des Fahrzeugbesitzer auf dem Rastplatz." Semir, der es als Dienstältester gewohnt war zu reden, begann von dem Besuch zu erzählen. Dass Frau Trewka äusserlich unverletzt wieder zu Hause erschienen ist, aber den beiden Polizisten sehr aufgelöst erschien. "Ich glaube nicht, dass das nur von dem Streit war. Beide wollten eine Entführung partout nicht bestätigen." Die Chefin nickte mit den Fingern vor dem Mund, eine typische Geste wenn sie selbst nachdachte und versuchte die Informationen zu einem Bild zu formen. Sie saß nun auch wieder etwas nach vorne gebeugt. "Wir sind dann... aus Zufall... auf ein weiteres... Entführungsopfer gestoßen.", sagte Semir dann ein wenig stockend und Ben drehte den Kopf beinahe ruckartig zu seinem Kollegen. Dem jungen Polizisten war es unbehaglich, denn sie hatten sich vorher nicht abgesprochen, was sie der Chefin sagen wollten, und was nicht. "Aus Zufall?", wiederholte die Chefin und zog die Augenbrauen etwas in die Höhe. "Ich bin gespannt..." Semir kräuselte die Lippen etwas nach innen, sah kurz zu Boden um sich die Worte zurecht zu legen. "Von Kevins Rufnummer wurde mehrfach auf Bens Handy angerufen, als wir zurück gerufen hatten ging er nicht ran. In seiner Wohnung war er auch nicht, und wir hatten uns Sorgen gemacht..." Bens Geste, ein schnelles Zum-Fenster-raus-schauen, weil er sonst eingegriffen hätte, blieb der Chefin nicht unverborgen. Auch schaute sie ein wenig verwirrt, als Semir davon sprach, dass sie sich um Kevin Sorgen gemacht hatten, nur weil er nicht zu Hause war und an sein Telefon ging. Doch im Moment stand für sie der Fall im Vordergrund, und so unterbrach sie Semir nicht.Ben allerdings war noch aufgewühlter und befürchtete, dass Semir etwas von Kevins Geheimnis verraten würde. "Jedenfalls haben wir herausgefunden, dass bei der versuchten Entführung heute morgen im Rheinpark Kevin dazwischen geplatzt sein muss, und statt des ursprünglichen Opfers hat man ihn mitgenommen.", erzählte der erfahrene Kommissar weiter. Wieder ein Nicken von Anna Engelhardt, die sich auf einen leeren Block kleinere Notizen machte. "Und was ist jetzt mit Herrn Peters?", fragte sie sachlich. Ben warf warnende Blicke in Richtung seines Partners, der diese empfing, ohne sie zu erwiedern. "Der konnte entkommen, und hat sich bei uns gemeldet. Wir haben ihn eben nach Hause gebracht." Schweigen... ein Schweigen dass der Chefin nicht gefiel, denn sie schaute Semir an und hob die Augenbrauen, weil sie noch weitere Informationen erwartete. Nach kurzer Zeit half sie mit einem "Und weiter..." nach, und Semir fiel es schwer einen Mittelweg zwischen absoluter Lüge und absoluter Wahrheit zu finden. "Er konnte nicht viel sagen, weil alles so schnell ging und er die Augen verbunden hatte.", sagte er schnell, während Ben weiterhin zum Fenster hinaussah, als gäbe es dort etwas wundervolles zu beobachten. "Konnte er eine Beschreibung der Täter liefern?", fragte die Chefin erneut, doch Semir schüttelte zögerlich den Kopf. "Einen Aufenthaltsort?" Wieder nur Kopfschütteln. "Und sie glauben ihm das?" Semir war von der direkten Frage der Chefin und den eindeutigen Unterton verwundert... dass Anna Engelhardt so schnell Misstrauen aus den Erzählungen zog, hätte er nicht gedacht. Ben reagierte diesmal sofort und ergriff das Wort: "Warum sollte man ihm nicht glauben?", fragte er direkt. Die Chefin legte den Kopf ein wenig schief: "Ich freue mich, dass sie sich am Gespräch beteiligen. Und ich finde die Erzählung, die zumindest Semir jetzt dargelegt hat sehr weit hergeholt. Er hat nichts gesehen, obwohl er mit den Entführern gerangelt hat. Er konnte fliehen, obwohl er die Augen verbunden hat? Wie ist er von dem Ort weggekommen? Mit verbundenen Augen?" Ben schwieg betreten, und strich sich mit einem Finger über den Mund. Auch Semir sah schweigend zu Boden, und die Chefin blickte zwischen ihren Angestellten hin und her. "Was wird hier gespielt, meine Herren?", sagte sie autoritär und mit einer gewissen Drohung. Sie stand immer hinter ihren Männern, doch im Gegenzug verlangte sie, auch selbst ehrlich behandelt zu werden, darauf legte sie großen Wert... und das wusste vor allem Semir.
Der atmete jetzt tief durch, sah Ben nochmal kurz an und meinte dann zögerlich: "Wir... wir haben den Verdacht dass... dass Kevin die dritte Person der Entführer, eine Frau, schützen will." Ben fühlte, wie das Unbehagen im Magen sich zur Übelkeit steigerte, als er mit etwas heiserer Stimme hinzufügte: "Wir sind uns aber sicher, dass es dafür einen triftigen Grund geben muss." Dazu sagte Semir nichts, sondern schaute jetzt seinerseits in eine andere Richtung. Die Blicke der Chefin wechselte zwischen ihren Männern hin und her, und sie spürte, dass die beiden Polizisten sich nicht einig waren, was die Vermutung über Kevin anging. "Sie sind sich sicher?", fragte sie Ben direkt, der nach kurzem Zögern nickte. Ihr Blick wechselte zu Semir: "Und sie?" Semir überlegte kurz, seine Zunge umspielte kurz seine Lippen. "Mir fällt momentan kein Grund ein, ausser dass er das Mädchen kennt." Es schien eine unsichtbare Wand zwischen Semir und Ben zu herrschen, und für Frau Engelhardt war es klar, dass Ben Kevin eher schützen wollte, während Semir der Ansicht war, dass Kevin vielleicht ein falsches Spiel trieb. Sie blickte auf ihre Notizen, und ihr Ton war nicht mehr ganz so scharf wie bei den letzten beiden Fragen: "Inwiefern glauben sie, dass er diese Person schützen möchte?" Ben schwieg und für seinen erfahrenen Kollegen war das das Signal, dass er antworten solle: "Er hat sie in seinen Beschreibungen nicht erwähnt. Er hätte sie beim Überfall nicht gesehen, er hätte sie nicht gehört. Das weibliche Opfer von heute morgen hat aber klar ausgesagt, dass sie beim Überfall dabei war."
Anna Engelhardt nickte erneut, die Puzzleteile setzen sich Stück für Stück zu einem vorläufigen Bild zusammen... ein Bild, das einen nächsten Schritt erforderte. "Sehen sie zu, dass Herr Peters morgen hier erscheint. Reden sie nochmal eindringlich mit ihm, und falls er Interesse daran hat, jemals nochmal im Polizeidienst zu arbeiten, wäre es besser wenn er uns die Wahrheit erzählt.", drohte sie mit bestimmter Stimme, dass es Ben ein wenig den Nacken herunterlief. "Das war's, meine Herren." Alternativen wollte sie gar nicht aufzeigen, denn für Anna Engelhardt war es eine Forderung an ihre Beamten, aus Kevin die Wahrheit herauszufinden.Als Semir und Ben sich bereits zur Tür wandten, erklang doch nochmal die Stimme der Chefin. "Glauben sie, dass er irgendwelche Dummheiten machen wird?" Beide drehten sich um, ohne einander an zu sehen. "Ich glaube nicht...", sagte Semir zögerlich, während Ben nur den Kopf schüttelte. Beide merkten dass die Chefin von dieser Antwort nicht überzeugt war, entließ die beiden Polizisten dennoch aus ihrem Büro.
Kaum hatte Semir die Tür verschlossen schnarrte Ben ihm leise zu: "Du glaubst also nicht dass er irgendwelchen Unsinn macht." Seine leise Stimme war aufgebracht, denn er kämpfte damit die Vorwürfe gegen Semir, alles erzählt zu haben, zu unterdrücken. "Quatsch, aber das musste ich der Chefin ja jetzt nicht unbedingt noch auf die Nase binden... und die weiß auch selbst, dass es nicht stimmt. Bevor sie aber irgendwelche Kollegen zu Kevins Wohnung schickt, fahren wir besser selbst hin... na los." Ben sah seinem Partner etwas überrascht hinterher, war er doch die ganze Zeit der Meinung, Semir würde Kevin völlig misstrauen und ihn bei der Chefin in die Pfanne hauen. Dass er ihr nicht direkt erzählte, dass er davon ausging, dass Kevin irgendwelche Dummheiten machen könnte, (wovon er selbst freilich ausging) ließ ihn von dieser Meinung ein wenig abrücken. -
Ich hoffe Andre trifft Semir nochma
Hehe, die Hoffnung kann ich dir vielleicht erfüllen
-
Dienstwagen – zur gleichen Zeit
Die ersten Meter, nachdem Kevin ausgestiegen war, waren von Stille erfüllt. Als hätten die beiden Polizisten Angst, ihr Kollege könnte etwas von ihrem Gespräch mitbekommen, solange sie in der gleichen Straße fuhren wie er wohnte, was natürlich Quatsch war, begann Semir erst auf der Hauptstraße zu reden, und sagte mit einer Bestimmtheit, die keine Widerworte zu dulden schien: „Er lügt.“ Ben nickte schweigend, denn er hatte exakt die gleichen Gedanken, und präzisierte: „Er sagt zumindest nicht die Wahrheit…“ Für den Satz wurde er von seinem Partner schräg angesehen. „Wo liegt denn da der Unterschied?“ „Er muss uns nicht unbedingt etwas Falsches erzählt haben, aber er hat uns nicht alles erzählt… er verschweigt uns etwas.“ Semir schüttelte ein wenig den Kopf… Für ihn war da kein besonderer Unterschied zu sehen, aber er vermied es mit Ben nun über solche Nichtigkeiten zu diskutieren. „Aber wir sind uns jedenfalls einig, dass er sich komisch verhält, oder?“, fragte er dann, während er den Wagen wieder Richtung Autobahn steuerte. „Ja sind wir.“, bestätigte ihm sein Freund mit resignierender Tonlage. Semir wusste, dass Ben Kevin besonders gut leiden konnte, und es machte ihm wohl zu schaffen, dass Kevin ihn anlog.
Wieder herrschte Stille, Ben sah zum Seitenfenster heraus und strich sich mit dem Zeigefinger über die Lippen. „Warum ist er nicht ehrlich?“, fragte er, mehr zu sich selbst, als dass er Semir die Frage stellte, der diese sowieso nicht beantworten konnte. „Ich meine… warum verschweigt er uns etwas? Warum erzählt er nichts von dem Mädchen?“ Während er sprach drehte er den Kopf zu Semir, diesmal war die Frage an seinen Partner gerichtet. Der Deutschtürke hatte meistens Vermutungen, die oft in die richtige Richtung gingen. Ben wollte seine Meinung hören, wie so oft, denn er legte großen Wert auf Semirs Gefühl. Auch Semir machte eine Geste des Denkens, in dem er den Kopf ein wenig schief legte und die Lippen spitzte. „Entweder es ist zwischen ihm und dem Mädchen etwas vorgefallen…“ „Ach komm…“, wurde er von Ben sofort unterbrochen, der diesen Gedanken absurd hielt. „Willst du nun meine Meinung hören, oder nicht?“ „Ja, entschuldige… sprich weiter.“ Semir sah wieder geradeaus und legte sich die Worte zurecht, die ihm im Kopf umherschwirrten. „Oder er kennt das Mädchen vielleicht. Von früher… aus seiner Jugendgang. Aus irgendeinem Grund will er sie jedenfalls schützen.“ Semirs zweiter Gedanke gefiel Ben besser… warum auch immer. Er würde zumindest einen Sinn ergeben, dass der junge Polizist eine Bekannte aus Jugendzeiten versuchte zu schützen und nicht unter Verdacht zu stellen. „Das wäre eher möglich.“, murmelte er. „Wir können eh nur vermuten. Wir müssen ihm morgen ordentlich ins Gewissen reden. Hoffentlich… hoffentlich hat er einen guten Grund.“, meinte Semir, als er auf die Autobahn auffuhr und er nur noch wenige Kilometer bis zur Dienststelle zurücklegen musste. „Was meinst du damit?“ „Ich meine seine Vergangenheit… sonst nichts.“ Ben schwieg ein wenig betreten. „Ich mache mir meine Meinung erst, wenn ich den Grund weiß… er wird einen haben. Aber lass mich das bitte machen… ich glaube, dass ich nen guten Draht zu Kevin habe.“, bat Ben seinen Partner, der nickte.
Plötzlich wurde die Musik aus Semirs Radio unterbrochen, und die Freisprecheinrichtung des Radios piepte. Auf dem Display erschien eine Telefonnummer, mit spanischer Vorwahl, und Semir lief plötzlich ein eiskalter und brühheißer Schauer über den Rücken… gleichzeitig. Auch Ben blieb der letzte Satz beinahe im Halse stecken. Urplötzlich wurden Semirs Sorgen und Gedanken ins Gedächtnis zurückgerufen, die er mit sich rumtrug und in den letzten Stunden mehr oder weniger erfolgreich verdrängt hatte. „Das ist André…“, flüsterte Semir beinahe, als könne sein Freund ihn auf der anderen Seite der Leitung hören, bevor er abgenommen hatte. „Willst du denn nicht abnehmen?“, fragte Ben und sah seinen Freund herausfordernd an. Oh Mann, so lange hatte Semir über ein Gespräch nachgedacht und sich Worte zu Recht gelegt… und jetzt war alles weg, ein gedanklicher Blackout wie bei einer Klassenarbeit in der Schule. Sein Daumen fuhr zitternd über die Taste am Lenkrad, um das Gespräch anzunehmen. „Ja, Semir?“ „Semir, mein Freund. Ich hatte gedacht, dass du dich mal meldest.“, hörten die beiden Polizisten sofort die kratzige Stimme von André Fux. Semirs ehemalige Partner war vor Monaten plötzlich aufgetaucht und hatte mit Semir, Ben und Kevins Hilfe die Hintermänner eines Mordes hochgehen lassen, den man ihm in die Schuhe schieben wollte. Doch gerade als André, der 14 Jahre für die Gangster gearbeitet hatte, abgereist war, tauchten Bilder von einer Exekution auf, die André selbst begangen hatte. Semir hatte seinen Freund bisher nicht darauf angesprochen, er konnte einfach nicht glauben, was auf den Bildern zu sehen war. „Ehm… ja, tut mir leid. Die Arbeit ist momentan echt… die macht zu schaffen.“, stotterte Semir ein wenig hilflos, und sah zu Ben herüber nach dem Motto ‚Sag doch auch mal was‘. „Wo bist du?“, war die wenig intelligente Frage, die Semir einfiel. „Ich bin nicht mehr auf Mallorca, ich hab nen Job gefunden auf Gran Canaria.“, lachte sein Freund am anderen Ende der Leitung und schien sich glücklich und zufrieden anzuhören. „Na, das ist ja toll…“, meinte Semir weiterhin unsicher. Ben saß im Beifahrersitz und wartete nur darauf, dass Semir die Fotos ansprach. „Du André, wir müssen grad zu ner wichtigen Dienstbesprechung. Ich… ich melde mich später nochmal bei dir, okay?“ Der erfahrene Polizist fühlte sich hundsmiserabel seinen Freund anzulügen und sah ein wenig hilflos zu Ben herüber. „Ja, kein Problem Semir. Meld dich einfach, wenn du Zeit hast. Hau rein.“ „Du auch… ciao ciao.“ – und zack unterbrach Semir die Leitung und atmete tief durch, als hätte er gerade einen Dauerlauf hinter sich. „Warum hast du ihn nicht auf die Fotos angesprochen?“, fragte Ben ein wenig überrascht. „Bist du wahnsinnig? Doch nicht am Telefon.“ „Wie willst du es sonst machen? Ne Ansichtskarte schicken?“ Semir krallte die Finger ins Lenkrad und schwieg, bis sie auf der Dienststelle ankamen.
Kevin’s Wohnung – 16:45 Uhr
Die Haare standen querbeet, waren noch etwas feucht. Kevin hatte sich den Kopf zerbrochen, er war sich sicher, dass Jessys Reaktion auf seinen Namen ein Hinweis war. Und dass sie Janines Foto gesehen hatte. Der Polizist tigerte durch seine Wohnung, bis ihm eine Idee kam. Er ging schnellen Schrittes ins Schlafzimmer, zog einen Karton unter dem Bett hervor und öffnete ihn. Innen drin lagen einige persönliche Dinge seiner Vergangenheit, Fotos, Briefe und ein Jahrbuch seiner Schule. Er nahm es hinaus, es war die letzte Ausgabe, in der ein Foto von Janine drin war, und setzte sich aufs Bett. Die Zigarette drückte er im Aschenbecher auf dem Nachtisch aus während seine Finger schnell durch die Seiten blätterten, bis er auf der Seite mit den Einzelfotos der Klasse seiner Schwester angekommen war. Unter jedem der Fotos waren Name und Geburtsdatum abgedruckt, und der junge Polizist brauchte nicht allzu lange, bis er fand was er suchte. Vor Erstaunen öffnete sich sein Mund leicht, und das Buch sank auf seine Knie. In der dritten Reihe, das vierte Foto von links lächelte ihn ein Gesicht an, das ihm seit Stunden nicht aus dem Kopf ging, die schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, der ihr auf der Schulter lag und die grünen Augen blickten keck und lebensfroh. Man sah ihr das Leben, das sie zu diesem Zeitpunkt bereits führte, keinesfalls an. Kevin las den Namen unter dem Bild… „Jessica Stern“. Er nickte unmerksam… Jessy hatte Janine auf dem Foto erkannt, und sich vielleicht auch an ihren Nachnamen erinnert, als sie den von Kevin las. Und ihre mitfühlende Trauer, die er in dem Moment spürte, als er davon sprach, dass Janine tot sei, schien nicht unehrlich gewesen zu sein, auch wenn sich der Polizist in keinster Weise an Jessy erinnerte, und sie scheinbar nicht zu Janines Freundinnen gehört hatte.
Kevin legte das Buch aufs Bett und zog sein Handy aus der Tasche. Er wählte die Nummer eines Bekannten, der auch sofort abhob. „Ja?“ „Hi Phil… hier ist Kevin.“, meldete sich der Polizist, als er die Stimme hörte. „Mensch Kevin… das ist lange her, was kann ich für dich tun.“ Phil war etwas älter als Kevin, die beiden hatten sich in Jugendzeiten kennengelernt. Während Kevin sich von der Gang losgesagt hatte, verließ auch Phil die Gang, schlug aber keinen ehrlichen Weg ein. Er hatte sich zu einem Hackergenie gemausert, und ließ sich seine legalen, teilweise auch illegalen Dienste gut bezahlen. Kevin hatte er manchen Gefallen getan, was auf Gegenseitigkeit beruhte… denn der verriet dessen Kokserei nicht an die Kollegen. „Du könntest mal eine Adresse für mich rausfinden.“ Kevin griff auf die Dienste seines Freundes zurück, weil er momentan nicht gefahrlos an einen Polizeicomputer kam. Mittlerweile wurde jede Personensuche im Polizeinetz dokumentiert, aus Datenschutzgründen. Ausserdem war Kevin momentan nicht im Dienst… und Semir oder Ben konnte er natürlich auch schlecht fragen. Andrea würde die Adresse sicher auch rausbekommen, aber sie würde es wohl kaum vor ihrem Mann verbergen. „Lass hören.“, meinte die gutgelaunte Stimme am anderen Ende des Telefons. „Ich brauche die Adresse von den Eltern einer gewissen Jessica Stern. Weitere Kinder sind Thomas und Andreas. Den Vornamen der Eltern hab ich leider nicht. Brauchst du sonst noch was?“ Er hörte durch das Telefon schnelle Finger auf der Tastatur tippen. „Ne, ich denke das krieg ich hin.“ „Wie lange brauchst du?“ Kevin saß auf glühenden Kohlen, er erhoffte sich von den Eltern mehr Informationen über Jessy. „Ich ruf dich übermorgen nochmal an.“ „Bist du bescheuert? Ich brauch die Info so schnell wie möglich.“, polterte Kevin und wanderte von Schlafzimmer zurück in die Küche. „Kevin, mein Bester. Gut Ding will Weile haben.“, lachte Phil am anderen Ende der Leitung. „Wenn du nicht willst, dass ich mit dem besten Drogenspürhund morgen in deiner Straße Gassi gehen soll, dann rufst du mich in spätestens einer Viertelstunde zurück, paletti?“, schnarrte der Polizist in den Hörer und das Lachen verstummte. „Ist ja gut, du Irrer. Ich meld mich.“, meinte der Gesprächspartner und trennte die Verbindung. -
Sehr riskant von Ben, dass er sich das Zeug jetzt sogar auf der PAST spritzt... und es wird auch noch immer häufiger. Menschenskind, so langsam mache ich mir echt Sorgen, wie er da wieder rauskommen will...
-
Wald – 15:30 Uhr
Ihr Weinen wurde langsam ruhiger, und das Vogelgezwitscher, das sie den ganzen Winter über vermisst hatte, übertönte das leise Schluchzen. Jessy hatte sich auf einem Baumstumpf niedergelassen, hatte ihren Bruder noch rufen gehört, aber keine Antwort gegeben. Sie wollte alleine sein mit ihrem Kummer, ihren Gedanken. Es war das erste Mal, dass Thomas ihr eine Ohrfeige gegeben hatte, und das Gefühl, dass es zwischen ihr und ihren Brüdern einen Bruch gegeben hatte schmerzte mehr als der Schlag selbst. Das Mädchen fühlte sich schuldig, ihre Brüder verraten zu haben und war andererseits aber davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben, in dem sie Kevin zur Flucht verholfen hatte. Doch tief in ihren Gedanken fragte sie sich, warum? Was erhoffte sie sich jetzt davon? Dass er zurückkommt, und sie mitnimmt, was nur ein Teil ihres Kopfes wollte, denn der andere war tief verwurzelt mit ihren Brüdern. Würde er überhaupt nochmal zurückkommen, nachdem sie ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie nicht von hier weg wollte? Oder tat er das, was er als Polizist tun musste, und würden demnächst viele Beamte hier auftauchen, um die drei zu verhaften? Die Ratlosigkeit trieb ihr weiter die Tränen in die Augen, und es schien, als hätte sie alles falsch gemacht… Kevin, dem sie auf sonderbare Art und Weise vertraut hatte, war weg… und das bis vor kurzem völlig intakte Vertrauensverhältnis zu ihren Brüdern war zumindest gestört, wenn nicht sogar zerbrochen.
Das Mädchen stand von ihrem Baumstumpf auf, und wollte sich gerade auf den Weg zurück zum Haus machen, als sie plötzlich stehenblieb. „Nein, das ist nicht richtig… Thomas wird mir nicht verzeihen.“, murmelte sie zu sich selbst. Zwei Schritte ging sie dann noch tiefer in den Wald, als wolle sie von ihren Brüdern davon laufen. „Ich stelle mich… dann… dann geschieht meinen Brüdern nichts.“, sagte sie leise, als würde sie jemandem ihre Sorgen und Gedanken erzählen. Doch wie in all den Jahren zuvor war niemand da. Nach einigen Metern stoppte sie erneut… ihr war klar dass dann niemand mehr etwas für sie tun könnte, wenn sie sich stellte. Sie würde ins Gefängnis kommen, ohne Thomas und Andreas, ohne Kevin. Jessys Augen bewegten sich schnell hin und her, als suche sie einen Ausweg aus dem Labyrinth, in das sie sich selbst hinein manövriert hat. Wieder nahm sie Fahrt auf während sie leise sagte: „Ich muss zu Kevin… er kann mir helfen.“ Doch ihr Misstrauen ließ sie erneut nach wenigen Metern anhalten. Konnte sie dem fremden Mann wirklich vertrauen? War diese Verbindung zwischen ihnen nur dem geschuldet, dass er selbst alleine war, oder hatte er nur ihre Einsamkeit ausgenutzt, um zu fliehen… und hat sein Ziel erreicht. Plötzlich war sie davon überzeugt, dass er sie einfach verhaften würde, wenn sie bei ihm aufkreuzte. Und ausserdem… wie solle sie ihn finden?
Verzweiflung machte sich in Jessy breit, sie kam sich vor als wäre sie umzingelt von Misstrauen und Sorgen… überall, wo sie einen Ausweg sah, tat sich eine neue Mauer auf. Sie wollte nur noch weg, weg von allem… Gedankenverloren griff sie in ihre Jeanstasche und fühlte einige Scheine… sie hatte sich von dem Lösegeld der Frau ein wenig was eingesteckt. Durch die Bäume sah sie das Haus ihrer Großeltern, etwas weiter entfernt, dann lief Jessy. Was sie früher in Gedanken getan hatte, tat sie nun zum ersten Mal in Wirklichkeit… Jessy lief vor ihren Problemen davon. Sie lief, bis sie auf die Landstraße stieß, wo sie einige Minuten später ein Autofahrer mitnahm.
Dienstwagen – 15:40 Uhr
Es herrschte eine Stille zum Schneiden. Semir und Ben waren einerseits verwirrt darüber, dass Kevin nur so sparsam Informationen verteilte, andererseits auch ein wenig enttäuscht von ihm. Warum redete er nicht, warum machte er den Mund nicht auf. Ben war bereits kurz davor seinem Kollegen energischer ins Gewissen zu reden, doch er hielt sich noch zurück. Er fand, dass er einen etwas besseren Draht zu Kevin hatte als Semir, weil er näher an ihm dran war, altersmäßig und sie beide einige Male zusammen Musik machten. Semir sagte selbst nichts mehr und auch Kevin verfiel in Schweigen, während er den Kopf ans Seitenfenster gelegt hatte und mit melancholischen Blicken nach draußen sah. In seinem Kopf arbeitete es, doch es kam kein klarer Gedanke dabei raus, der ihm eine Richtung vorgab, was er als nächstes tun wollte. Er musste erst mal nach Hause, duschen, abschalten… und nachdenken. „Kommst du noch mit auf die Dienststelle?“, hörte er plötzlich Semirs Stimme, die sich in seinen Ohren ungewohnt feindselig anhörte. Er wandte den Blick vom Seitenfenster ab und sah durch den Rückspiegel in Semirs braune Augen. „Wieso?“ „Für die Aussage. Da wir auch davon ausgehen, dass Inga Trewka entführt wurde, und das auf der Autobahn passiert ist, werden wir den Fall wohl übernehmen.“ Innerlich verdrehte Kevin die Augen… auch das noch. Das machte die Sache nicht einfacher. „Kann ich das auch morgen früh machen?“, fragte er dann und versuchte, nicht genervt zu klingen. Der erfahrene Polizist am Steuer tauschte mit seinem Nebenmann kurze Blicke aus, und Ben hatte ebenfalls gemerkt, dass Semir von Kevins Verhalten genervt war. Er zuckte nur kurz mit den Schultern. Er verstand seinen Partner, wollte sich aber erst ein Bild von Kevins Beweggründen machen, bevor er urteilte. Semir gab nach… „Na schön. Du könntest uns auch gern bei den Ermittlungen unterstützen. Ich hab gehört, du hast momentan keine feste Dienststelle.“ Spontan kam ihm der Einfall, Kevin wieder zur Autobahnpolizei zu lotsen… so würde er den jungen Mann ein wenig unter Kontrolle haben, und Ben dachte offenbar das gleiche, auch wenn er auch emotional darüber freuen würde, wieder mit Kevin zusammen zu arbeiten. „Das wäre ne gute Idee.“, meinte dieser dann. Doch Kevin hatte gerade ganz andere Gedanken, auch wenn er grundsätzlich nicht abgeneigt war. „Ich denke drüber nach…“, wich er dem Thema ein wenig aus.
Kevin’s Wohnung – 16:30 Uhr
Sie hatten sich verabschiedet, und Kevin konnte den Schuss Misstrauen in Semirs Blick deutlich erkennen, und er konnte ihn nicht verübeln. Er ahnte bereits, dass die beiden Polizisten ihm nicht glaubten, was er erzählte. Er hatte sich beim Lügen auch keine große Mühe gegeben. Würde er nur wissen, dass Ben und Semir ihren Freunden immer versuchten so gut es geht zu helfen, hätte er von seiner unheimlichen Verbindung zu Jessy erzählt, dass sie in ihrem Innersten eigentlich etwas anderes wollte, dass sie versuchen würden, die Brüder zu schnappen und Jessy bei den Gerichten nur die kleinste aller Rollen zukommen zu lassen. Die beiden Polizisten hätten sicherlich allerlei dagegen gehabt, an die Risiken um ihren Beruf appelliert, aber letztendlich hätten sie dem Mann, den sie als Kollegen und Freund liebgewonnen hatten, geholfen. Doch sie wussten nichts davon, als sie die Plattenbausiedlung wieder verließen.
Der junge Polizist hatte geduscht und sich andere Klamotten angezogen, sich eine Zigarette angezündet und das letzte, was er an Essbaren Dingen im Haus hatte, zwei Äpfel, zu sich genommen. An seine Pillen dachte er im ersten Moment nicht, denn zum Nachdenken brauchte er einen klaren Kopf. Er saß auf der Couch, die Arme auf die Knie gestützt und ließ den gesamten Vormittag nochmal an sich vorbeigleiten. Die Entführung, das erste Aufeinandertreffen mit Jessy… als sie ihm die Waffe ans Herz gedrückt hatte, als hätten sie gerade da ihre unheimliche Verbindung geschlossen, als hätte Jessy durch das Schlagen seines Herzens gespürt, dass sie etwas gemeinsam hatten. Das Bild, als das Mädchen seinen Geldbeutel in der Hand hatte, kam ihm in den Sinn… als sie den Personalausweis hervorzog und seinen Namen murmelte. Seine Augen glitten durch den Raum, die Zigarette zwischen den Fingern fand Halt zwischen seinen Lippen während er aufstand und seine Geldbörse aus der Lederjacke zog. Kevin klappte den ledernen Behälter auf, und zog, wie Jessy, seinen Personalausweis heraus. In dem Fach neben seinem Personalausweis lächelte ihn ein hübsches Mädchen an, ein Bild seiner Schwester. Das hatte Jessy auch gesehen, und angeschaut als sie leise seinen Namen flüsterte. Der junge Polizist versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie den Namen geflüstert hatte. Mit der Zigarette zwischen den Lippen murmelte er: „Sie hat den Nachnamen betont…“ -
@Campino - kann schon sein. Aber mit jemandem zu telefonieren und eine zweite, nicht sprechende Person zuhören zu lassen ist auch nicht illegal.
Mithören und aufzeichnen sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Was ich damit sagen will: Es ist eigentlich wurscht, durch welche Quelle ein anderer das zu hören bekommt, was er will. Und wie gesagt, geht dann eben nur privat raus oder jemand erklärt mir, wie Dropbox funktioniertIch schätze dass dein Nickname gleich deinem Geburtsdatum ist, insofern hab ich da ja ein wenig Verständnis. Aber trotzdem nochmal für dich: Ein Mitschnitt eines Telefonats oder eines Gespräches, ohne die Einwilligung des Gesprächpartners, ist strafbar nach § 201 Abs. 1 Stgb und wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Und dabei ist es egal, ob du es veröffentlichst oder privat verteilst. Ich bin aus der Branche, wie man an meiner Berufsangabe sieht, und du darfst mir glauben, dass ich mich auskenne.
-
Ist doch kein Problem susan Ich schaffe es auch nicht jeden Tag zu schreiben... Es ist bei mir nicht mehr wie früher, von der Arbeit heimkommen und sich direkt an den PC hängen... so ein Haus verlangt jeden Tag nach etwas anderem, was getan und gemacht werden muss
Jetzt werden die Probleme im Hause Jäger immer größer, denn Sarah sieht Gespenster, und statt die Probleme zu beseitigen, halst sich der Gute immer mehr auf. Wird wirklich langsam Zeit, dass Semir seinem Freund hilft.
-
Nur mal so nebenbei: Das Aufzeichnen eines Telefongespräches bzw jeglicher Kommunikation ohne Einverständnis des Kommunikationspartners ist eine Straftat.
-
Vor der Kneipe – 15:20 Uhr
Kevin saß nun bereits eine halbe Stunde beinahe bewegungslos auf der Treppe der kleinen Kneipe. Immer mal kam einer der älteren Männer hinaus, sah ihn an, rauchte eine und ging wieder herein. Ein anderer, der zum Rauchen vor die Tür ging bot dem jungen Polizisten eine filterlose Zigarette an und er griff dankbar zu. Obwohl er äußerlich bewegungslos da saß und scheinbar völlig entspannt war, war sein Inneres aufgewühlt wie bei einem Orkan. Einerseits wegen Jessy, andererseits auch wegen Ben und Semir, die sicherlich gleich eine Menge Fragen zu stellen hatten. Außerdem spürte er nun Anzeichen von Hunger und Durst und seine Nikotinsucht (die mit einer Zigarette zwar beruhigt, aber nicht gestillt wurde). Nervös, weil er keine seiner Pillen greifbar hatte, wurde er nie… die brauchte er höchstens, wenn er nicht schlafen konnte, oder zu Hause die Wände zu eng wurden. War er auf Achse, das Adrenalin im Anschlag, brauchte er die Helfer nie.
Er hatte sich gewisse Worte zurecht gelegt, die er seinen beiden Kollegen sagen wollte, als der silberne bekannte BMW auf dem Kieselparkplatz der Kneipe anhielt und Ben das Fenster herunterließ. „Mensch Kevin, sind wir froh dich zu sehen…“, seufzte der erleichtert auf, als ihr junger Kollege ans Seitenfenster getreten kam, und sich nach unten beugte. Semir legte den linken Arm aufs Lenkrad und sah, etwas nach vorne gebeugt, an Ben vorbei in Kevins Gesicht. „Du siehst aber nicht gut aus…“, meinte der nun, als er die zwei kleineren Schnitte in Kevins Gesicht sah, und ausserdem die blutverschmierte Hand mit dem etwas größeren Cut. „Was ist passiert?“ „Fensterscheibe war im Weg.“, bemerkte Kevin trocken und stieg hinter Ben in den BMW. „Warum habt ihr mich überhaupt gesucht?“, fragte er dann mit seiner markanten Stimme, nachdem der erfahrene Kommissar den Wagen wieder auf die Landstraße lenkte. „Naja, du warst von der Bildfläche verschwunden, und…“, begann Semir, wurde aber direkt von Kevin unterbrochen. „Und das ist für euch Anlass, mein Handy anzuzapfen?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoller, als er eigentlich wollte. „Von deinem Handy aus wurde angerufen, aber niemand sprach. Als ich zurückgerufen hatte, ging niemand ran… deswegen hatten wir uns Sorgen gemacht.“, erklärte Ben mit ruhiger Stimme, während Kevin hinter ihm sich ein wenig in den Sitz sinken ließ und den Kopf seitlich gegen die Stütze legte, damit er aus dem Fenster sehen konnte. „Und das ja offenbar nicht zu Unrecht.“, fügte der junge Mann vor ihm noch hinzu. Semir warf während der Fahrt unauffällig immer mal einen Blick in den Rückspiegel, allerdings nicht um den nachfolgenden Verkehr zu beobachten, sondern Kevin. Er war still, sein Blick schien unendlich weit weg, als er die Wiesen und Wälder an sich vorbeiziehen sahn, und seine Gedanken waren einzig und alleine bei Jessy. Der erfahrene Polizist bemerkte Kevins Entrücktheit sofort, kein Impuls des Erzählens was denn nun geschehen sei ging von ihm aus, also versuchte er, ein wenig nachzuhelfen. „Was ist denn jetzt genau passiert?“ Kevin seufzte innerlich, er hatte mit dieser Frage gerechnet, doch wäre auch froh gewesen, wenn er damit in Ruhe gelassen worden wäre. „Ich hab zufällig beobachtet, wie eine Frau im Rheinpark überfallen wurde, hatte aber gegen zwei Männer keine Chance, und sie haben mich niedergeschlagen.“ Weiter erzählte er von selbst nicht, und diesmal bemerkte er Semirs Blick im Rückspiegel. „Und weiter?“ „Ich wurde in dieser komischen Hütte wach, danach fuhren wir nochmal woanders hin in…“ seine Stimme stockte kurz, bevor er fortfuhr… „in irgendeine Scheune… ich hatte die ganze Zeit die Augen verbunden. Dort konnte ich mich befreien und bin abgehauen.“ Ben hatte bereits aufgehorcht, als Kevin nur zwei Männer erwähnte… aber keine Frau. Ein kurzer, prüfender Seitenblick zu Semir, der beim Reden immer wieder in den Rückspiegel sah, um Kevins Reaktion zu beobachten. „Hast du die Typen erkannt?“ Kevin leckte sich kaum merklich über die Lippen, bevor er antwortete. „Ne, bei dem Überfall ging alles sehr schnell. Groß und kräftig waren sie jedenfalls. Danach hatte ich die ganze Zeit die Augen verbunden.“ Der junge Cop wollte verhindern, zuviele Hinweise zu geben, schon gar keine Hinweise die auf Jessy zurückfielen. „Das vermeintliche Entführungsopfer hat angegeben, dass da noch eine junge Frau dabei war.“, sagte Ben nun, und sah seinerseits links über die Schulter zu seinem Hintermann, der bereits den Blick wieder aus dem Fenster gerichtet hatte, seine Augen aber nun langsam wieder zu Ben richtete. Sein Blick war ernst und fest. „Ich hab keine Frau bemerkt.“, sagte er und ein bedrückendes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. In seinem Inneren tobte ein Kampf, und es machte ihm mehr aus, als er dachte, Ben und Semir anzulügen… seine beiden Kollegen, die ihn als Freund sahen und sich ihm eng verbunden fühlten. Doch der junge Polizist sah momentan jeden misstrauisch und fühlte sich von den Blicken der beiden überprüft… als würden sie bereits wissen, dass er lügt, als würden sie damit rechnen. „Auch keine weibliche Stimme gehört, oder sonst etwas?“, hakte Semir nach. Ach, könnte er ihnen nur erzählen, was er fühlte, und dass er Jessy versuchen wollte, aus der Sache rauszuhalten… die Hauptschuld später den beiden Brüdern zuschieben und Jessy würde mit einem blauen Auge vor Gericht davon kommen. Doch der junge Polizist, der Semir und Ben zwar mittlerweile ganz gut kannte, aber eben doch nicht so in- und auswendig, konnte sich nicht vorstellen, dass sie da mitmachen würden.
Semir merkte zwar, dass Kevin nach außenhin völlig unaufgeregt war, doch das kannte er mittlerweile von dem schweigsamen Jungen. Wenn er etwas konnte, dann war es sein Unberührbarkeit und Gelassenheit, mit der er andere reizvolle Personen leicht zur Weißglut treiben konnte. Erstaunlich, dachte Semir, dass André, der eher temperamentvoll war und Kevin früher so gut verstanden. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an.
Allerdings hatte der erfahrene Polizist auch mittlerweile genügend Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, denn er spürte dass Kevin nicht die Wahrheit sagte. Er log nicht vorsätzlich, er verschwieg einfach einen Teil… nämlich das Mädchen, das bei der Entführung offenbar mitgewirkt hat. Dass er es im Kampf übersehen hatte war zwar möglich, aber unwahrscheinlich. Dass er aber in der ganzen Zeit in 8 Stunden nicht einmal die Stimme des Mädchens vernommen hatte, obwohl sie sogar gemeinsam den Standort wechselten, das glaubte Semir einfach nicht, denn es war unlogisch. Auch Ben, der zwar weniger Erfahrung hatte als Semir, Kevin dafür aber ein wenig besser kannte, fühlte sich unwohl ob Kevins kurzen und eher unwilligen Erzählungen über die Entführung. Er kannte den jungen Mann als jemand, der sich am liebsten sofort wohl auf die Suche nach seinen Entführern machen wollte und ihnen so viele Infos mit auf den Weg gab, wie irgendwie möglich. Dass er sich nun so sparsam präsentierte, wunderte Ben ebenso, und es musste einen Grund dafür geben. War der Grund das fremde Mädchen, dass er ihnen in seiner Version verschwieg? Vielleicht eine alte Bekannte aus seiner Jugendgang, die er erkannte und schützen wollte?
„Würdest du die Scheune wiederfinden?“, fragte Semir dann plötzlich nach einer Weile Stille, als er den BMW auf die Autobahn in Richtung Innenstadt lenkte. Äußerlich blieb Kevin erneut ruhig, doch innerlich lief ihm ein Schauer über den Rücken. Wie solle er sie zu einer Scheune führen, die es nicht gab. „Keine Ahnung.“, sagte er kurz und setzte hinzu. „Als ich da abgehauen bin, bin ich erst mal gerannt, denn ich war nicht bewaffnet. Ich musste mehrmals die Richtung ändern, bin durch einen Wald… ich weiß nicht, ob ich die Scheune nochmal finde.“ Spätestens jetzt war Semir sich völlig sicher, dass Kevin nicht die Wahrheit sagte, denn er sah die beiden Kommissare bei seinen letzten Sätzen keine Sekunde in die Augen… -
Dienstwagen – 14:40 Uhr
Gerade kamen Semir und Ben aus der städtischen Dienststelle heraus, und hatten endlich Gewissheit. Die Beschreibung, die Johanna Seidlitz auf den dritten Mann, der nachträglich dazu kam, abgab passte eindeutig auf Kevin. Außerdem hatten sie sich die Bilder, die der Phantomzeichner versuchte nachzustellen, mitgenommen und saßen nun kurze Zeit recht bedrückt in ihrem Dienstwagen… denn erst mal gab es, außer den Bildern keine Spur von ihrem Kollegen und Freund. „Wer weiß, wie der reagiert, wenn er eingesperrt wird.“, murmelte Ben mit dunkler Vorahnung, wusste er doch mittlerweile ungefähr wie der junge Polizist tickte und dass er sich von niemandem umher schubsen lassen würde. Semir nickte beifällig. „Dahingehend ist Kevin sicherlich nicht einzuschüchtern. Die Typen haben den Falschen entführt.“ Diesmal erntete Semir Bens Nicken. „Was jetzt?“, fragte dieser ein wenig ratlos, und sah herüber zu seinem Partner, der aus der Frontscheibe sah und die Lippen ein wenig zusammenpresste, was er immer tat, wenn er nachdachte. „Die Phantombilder soll Andrea mal durch die Datenbank schicken. Vielleicht haben wir irgendjemanden, auf den sie passen. Was anderes bleibt uns wohl erst mal nicht übrig.“ Er startete den BMW, doch sein Partner wollte sich damit nicht zufrieden geben. „Aber wir müssen doch irgendwas unternehmen. Wer weiß, in welcher Gefahr Kevin schwebt, wenn er überhaupt…“ ‚noch lebt‘ beendete Ben den Satz in Gedanken, wurde von dem erfahrenen Polizisten an seiner Seite aber unterbrochen. „Ben, darüber darfst du nicht nachdenken. Wenn wir mal davon ausgehen, dass die Entführung von Inga Trewka ebenfalls auf das Konto der Typen ging, dann werden die wohl kein Risiko eingehen und der Geisel etwas antun.“ „Allerdings hat die Trewka sich auch einschüchtern lassen. Du glaubst doch nicht, dass die so dämlich sind und nicht merken dass Kevin da ein bisschen anders gepolt ist, wenn er sich so verhält, wie wir es uns gerade beide vorstellen.“ Damit hatte Ben allerdings recht… während Inga Trewka vermutlich geweint und gezittert hat vor den Drohungen der beiden Männer, wird Kevin mit seiner arrogant, provokanten Art und Weise eher nicht dazu beigetragen haben, dass bei den Entführern die Vermutung entsteht, Kevin würde nach der Freilassung derart eingeschüchtert sein, dass er schweigt. Der Polizist presste die Lippen wieder zusammen und meinte dann: „Aber wir können sonst momentan nichts machen. Wir haben keinen Anhaltspunkt auf die Entführer ausser die Fotos, wir können kein Handy orten, wir haben keine Location, wo wir suchen können…“ Ben musste ihm zähneknirschend zustimmen und sah aus dem Seitenfenster. „Na fahr schon…“, murmelte er und Semir brach endlich in Richtung Dienststelle auf.
Er war gerade auf der Landstraße, als sein Handy läutete und die Nummer von Andrea auf dem Radio durch seine Freisprechanlage erschien. „Was gibt’s mein Schatz?“, meldete er sich. „Ihr werdet es nicht glauben.“, meldete sich die freudige Stimme von Andrea, und die beiden Polizisten hoben die Augenbrauen, und schauten beide wie automatisch auf das Display, als würde dort in Bild und Ton der Grund für Andreas‘ Euphorie erscheinen. „Kevin hat sich gemeldet! Ihr sollt ihn abholen gehen.“ Wie auf Knopfdruck schauten sich Ben und Semir gegenseitig an, und Zweiterer verlangsamte die Fahrt ein wenig. „Hat er sich befreit?“, fragte Ben hektisch. „Ich hab keine Ahnung, er hat mir nichts gesagt. Er hat nur gesagt, dass er in einem kleinen 100 Seelen-Dorf sitzt und keine Ahnung hat, wie er von dort wegkommt.“ „Wo ist er?“, wollte Semir nun wissen und Andrea nannte den Ort, den Kevin ihr am Telefon genannt hatte. „Okay, wir sind unterwegs, danke mein Schatz.“, rief Semir, warf einen Blick in den Rückspiegel und als er sah dass niemand direkt hinter ihm war, und auch gerade niemand entgegen kam, packte er den Hebel seiner Handbremse und vollführte eine gekonnte 180° - Drehung auf die andere Straßenseite, so dass Ben, der darauf nicht vorbereitet war, instinktiv nach dem Haltegriff an der Tür packte. „Mann ey.“, prustete er vorwurfsvoll um direkt danach erleichtert ein „Gott sei Dank“, zu seufzen, im Hinblick darauf, dass Kevin offenbar frei und vor allem am Leben war.Wald – 14:50 Uhr
Andreas stand der Schweiß auf der Glatze, Thomas fluchte unkontrolliert vor sich her und Jessy schwankte in ihrer Gefühlswelt zwischen Verzweiflung und Erleichterung darüber, dass Kevin offenbar erfolgreich geflohen war. Die drei waren nun eine halbe Stunde durch den Wald gelaufen, hatten sich mindestens 2 Kilometer vom Haus wegbewegt und hinter jeden Baum gesehen… ohne Erfolg. „Verdammte Scheiße nochmal, der Kerl kann sich doch nicht in einem Ameisenloch vergraben haben.“, feuerte Andreas durch den Wald und keine Amsel traute sich, ihm zu widersprechen. Thomas wischte sich ebenfalls den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf. „Das hat keinen Sinn. Der ist weg.“ Dabei warf er einen misstrauischen Blick auf Jessy, die sich immer noch umsah. Ihr Innerstes hoffte, dass sie Kevin irgendwo noch sah, um ihn wieder mitnehmen zu können… doch sie wusste, dass er weg war, und darüber war sie dann doch auch froh. Ihre Zerissenheit spiegelte sich in ihren Augen wieder, die traurig blickten.
Das Trio trat den Rückweg an und steuerte zielstrebig wieder auf das Haus zu. Gerade als sie rückwärtig den Garten betreten hatten meinte Thomas in Jessys Richtung: „Wie hat der eigentlich den Kabelbinder abbekommen und die Tür aufbekommen?“ Seine Schwester wich dem Blick ihres Bruders aus und setzte sich wieder auf die Hollywoodschaukel. Am liebsten war sie jetzt ganz allein mit ihrem Kummer, wollte mit niemandem reden, wollte niemanden sehen… so wie sie es immer tat. Doch den Gefallen tat ihr Thomas diesmal nicht. „Du warst doch bei ihm unten, Jessy…“ Das Mädchen sah zu Boden und antwortete erst mal nicht, und ihr großer Bruder hatte zwar eine leise Ahnung, konnte diese aber noch nicht wirklich glauben… vor allem weil es keine Gründe dafür gab, warum Jessy den Kerl hätte befreien sollen. „Jessy!!“, wiederholte Thomas etwas lauter und sie sah nun mit einer schnellen Bewegung nach oben. „Ich weiß es nicht! Als ich unten war, war er noch gefesselt.“ Der großgewachsene Mann kam näher an die Hollywoodschaukel heran, und auch Andreas, der normalerweise nicht so schnell schaltete, war aufmerksam auf Jessys Unsicherheit geworden. Das konnte ja nicht wahr sein. „Was hast du dann so lange dort unten gemacht? Du solltest nur nach der Nummer fragen.“, bohrte Thomas weiter nach und Jessy hielt seinem Blick nicht lange stand. „Er… er hat mir nicht sofort geantwortet.“, druckste sie ein wenig herum und der Mann wurde langsam wütend. Die Ahnung begann sich immer mehr als Verdacht zu erhärten. „Hast du den Kerl befreit?“, fragte er sofort und Andreas zog die Augenbrauen nach oben, und stand nun direkt schräg hinter seinem großen Bruder, der nun vor Jessy stand. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, warum sollte ich…?“, doch sie wurde von einer Handbewegung ihres Bruders unterbrochen… ein Griff zu ihrer Hosentasche, aus der nur ein wenig des Seitenschneiders rausstand, den sie dummerweise im Keller eingesteckt hatte. „Und was ist das? Hä?“, schrie Thomas voller Zorn, als ihm bewusst wurde, was seine, manchmal sehr naive kleine Schwester angestellt hatte.
Andreas erster Ärger wurde von einem mulmigen Gefühl im Hinblick auf seinen aufbrausenden Bruder verdrängt, doch so schnell wie der war, konnte er nicht eingreifen. Eine kurz klatschende Ohrfeige fand den Weg in Jessys Gesicht, als Thomas seine Wut nicht mehr zügeln konnte. Sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen, das Mädchen rutschte von der Hollywood-Schaukel, drängte sich an den beiden Männern vorbei und lief wieder zurück in den Wald. Der großgewachsene Mann stand wie festgenagelt da, kurz ungläubig dass er seine Schwester geschlagen hatte und wurde von seinem kleinen, normalerweise eher aufbrausenden Bruder an der Schulter gepackt. „Sag mal, du hast sie auch nicht mehr alle, oder? Du kannst ihr doch nicht einfach eine runterhauen.“, rief dieser erregt und zeigte Thomas den Scheibenwischer vorm Gesicht. Dieser schüttelte die Hand seines Bruders schnell ab. „Ach hör doch auf, du fehlst mir jetzt grad noch.“, blockte er ab und war gerade im Begriff in Richtung Terrasseneingang zu stapfen. „Denk dir lieber mal aus, was wir jetzt machen, bevor der Kerl die Bullen informiert!“, warf Andreas seinem Bruder hinterher, bevor er den Weg von Jessy langsam folgte.
Kurz vor dem Waldrand, in den Jessy verschwunden war, legte der Glatzkopf die Hände um den Mund und rief in den Wald hinein: „Jessy! Komm hör auf zu heulen, er hat’s nicht so gemeint. Jessy!!!“ Der Mann wartete kurz und seufzte auch… wirklich Lust seiner Schwester jetzt nach zu laufen hatte er nicht wirklich, auch wenn sie ihm leid tat. Er war nicht der Hellste, doch er hatte oftmals mehr Verständnis zu seiner kleinen Schwester, dass er sich dachte, dass es einen bestimmten Grund haben musste, warum sie den Mann freigelassen hatte. Hatte er sie vielleicht bedroht?
Er wusste aber auch, dass Jessy oftmals Zeit für sich brauchte, und die wollte er ihr lassen, und so kehrte er erst mal zum Haus zurück. -
Ich hab das Gefühl, dass Ben sich so langsam alles kaputtmacht, was er sich aufgebaut hat. Wenn seine Freundin die Drogen zufällig findet, dann... oweia...
-
Oh verdammt, jetzt gibt es sogar einen Toten. Und dass dessen Kollege nicht reden will ist verständlich, nachdem seine Familie bedroht wurde.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ben und Semir sich dem Befehl der Chefin widersetzen und sich nicht doch selbst auf den Bock schwingen... würde zu ihnen passen
-
Garten – 14:20 Uhr
Kevin atmete heftig, und schaute völlig perplex zu Jessy herüber. Was war denn jetzt in sie gefahren? Sie nahm blitzartig die Waffenmündung herüber und feuerte einen Schuss in den nebenan liegenden Wald. Dann rief sie laut in Richtung des Hauses. „HIER! Er ist in den Wald gelaufen!!“ Einen kurzen Blick warf das Mädchen dann auf den, nach wie vor am Boden kauernden Polizisten. „Verschwinde endlich.“, zischte sie beinahe böse und lief dann in Richtung des Waldes, wo sie den Schuss abgegeben hatte. Der Laufweg der beiden Brüder führte so in den Wald, dass sie ein gutes Stück am Holzhaus vorbeiliefen und es so ausgeschlossen war, dass sie den Polizisten entdeckten, der für einen kurzen Moment noch am Boden knien blieb, bis alle drei in dem kleinen Waldstück verschwunden waren. Beeindruckt von Jessys Aktion raffte Kevin sich wieder auf und lief nun in die entgegengesetzte Richtung, über hohe Wiesen, flankte über einen wackeligen Holzzaun und erreichte dann einen Forstweg.
Kevin lief bestimmt eine Viertelstunde, 20 Minuten, schlug immer wieder Haken über einige Felder, bis er sich weit genug weg von dem Haus wähnte, dass er von dort nicht mehr erkannt werden konnte, wenn die Brüder zurückkehrten. Als das Haus außer Sichtweite war, wurde er langsamer, atmete schwer und setzte sich an einen Baum, der am Wegesrand stand. Er schwitzte, die Sonne war bereits warm und er trug immer noch seine Lederjacke von heute Morgen, als die Luft noch kalt war. „Scheisse…“, murmelte der junge Polizist resignierend… er hatte Jessy nun doch bei ihren Brüdern gelassen, und er war geschockt von ihrer Stimmlage, als sie im einschärfte, endlich zu verschwinden. War es, weil sie Angst um ihn hatte? Oder weil sie doch bei ihren Brüdern bleiben wollte… soviele Gedanken schwirrten Kevin im Kopf herum, und seine meist tollkühne Ader hätte ihn beinahe dazu bewogen, zu dem Haus zurück zu kehren. Doch was sollte er tun, unbewaffnet wie er war?
Nach einigen Minuten erhob er sich wieder von seinem Schattenplatz, streifte die Lederjacke von seinem Körper und hängte sie sich über die Schulter. Dann ging er, den Forstweg entlang, in die entgegengerichtete Richtung, von der er kam, und hoffte, dass er irgendwann auf eine Landstraße stieß, oder einen Bauer, der ein Handy dabei hatte. Unterwegs hatte er viel Zeit darüber nachzudenken, was in den letzten Stunden passiert war. Eine Achterbahn der Gefühle, die Entführung und die Geschichte von Jessy. Ihr Geruch, ihre zarte Haut als sie sich an Kevin lehnte und sie endlich jemanden gefunden hatte, der ihr zuhörte, der ihre Gedanken verstand und sie nachempfinden konnte. Kevin hatte es regelrecht gespürt, wie sehr sie es genoss, dass sie jemanden zum Reden gefunden hatte, und sie beide es regelrecht verdrängten, welche Rollen sie hatten… Entführerin und Opfer. Der junge Cop hatte von dem sogenannten Stockholm-Syndrom gehört, dass Entführer und Opfer sich gegenseitig anziehend oder sympathisch fanden, doch bei Jessy spürte er so etwas wie eine unsichtbare Verbindung… und diese quälte ihn jetzt bei jedem Gedanken an sie, so lange sie mit ihren Brüdern auf freiem Fuß war, und jederzeit gefasst werden konnte… wer weiß, was sie als nächstes anstellen würden.
In der Ferne konnte Kevin nach einiger Zeit Häuser erkennen… endlich. Ein kleines Dorf tat sich vor ihm auf, und der junge Cop hielt Ausschau nach einer Telefonzelle, die es in großen Städten längst nicht mehr gab. Bevor er eine fand, fiel sein Auge auf eine kleine Kneipe, die offenbar geöffnet war. Kühle, verrauchte Luft empfing ihn, als er durch die Türe trat. Es war recht dunkel im Inneren der Gastwirtschaft und einige ältere Männer saßen am Tresen und drehten sich zu dem Neuling um… die Gesichter waren sofort misstrauisch, „niemand aus dem Ort“, murmelte einer von ihnen. Nur die etwas ältere Frau hinter der Bar schien freundlicher gesinnt und kam sofort zu dem Polizisten, als er sich ans Tresen gesellte. „Was darf’s denn sein, junger Mann?“, fragte sie mit einem Lächeln. „Ich müsste mal dringend telefonieren.“, brachte er sein Anliegen sofort auf den Tisch, und das Lächeln verschwand aus dem Gesicht der Frau, die eigentlich mit einer Bestellung gerechnet hatte. Doch obwohl der Polizist seit heute Morgen nichts mehr getrunken hatte, und gerade einen recht weiten Dauerlauf hinter sich gebracht hatte, Durst verspürte er momentan keinen. „Hören sie, ich muss für meine Telefonrechnung auch bezahlen…“, meckerte die Frau, die Kevin plötzlich überhaupt nicht mehr sympathisch war. Sie hoffte, den Mann damit überreden zu können, doch wenigstens ein Pils zu trinken, doch der war gerade nicht in Stimmung zu Verhandlungen. Glücklicherweise hatte er seinen Geldbeutel inklusive Dienstausweis noch bei sich und hielt diesen der verdutzten Frau unter die Nase. „Wenn sie nicht wollen, dass ich Ihnen demnächst die Steuerfahndung vorbeischicke, dann geben sie mir jetzt das scheiß Telefon!“, drohte er mit leiser Stimme und eindringlichen Blick. Die Frau verstand und brachte Kevin, der sich nur schwer zurückhalten konnte, das schnurlose Telefon. Er wusste jetzt schon, in seinem Zustand würde er heute Abend wieder seine Helferlein brauchen um herunter zu kommen. Warum er gerade diese Gedanken hatte, während er Bens Nummer im Büro wählte, wusste er nicht.
Es dauerte einige Zeit, bis sich am anderen Ende der Leitung etwas tat. Es war nicht Bens Stimme, die er vernahm, sondern die von Andrea. „Autobahnpolizei Gerkhan, Apparat Jäger?“ „Andrea? Ich bins, Kevin.“ Andreas Stimme klang überrascht, erleichtert und beinahe auch etwas geschockt. „Kevin?? Um Gottes Willen, wo bist du? Ben und Semir sind auf der Suche nach dir?“ Nun war es Kevin, der einen überraschten Blick aufsetzte. „Woher… wieso das denn?“ „Ich weiß es nicht…“, antwortete Andrea wahrheitsgemäß, denn in all der Aufregung hatte sie nicht gefragt. „Semir hat mich heute Morgen angerufen, dass ich dein Handy orten solle. Was ist denn passiert?“, fragte sie und immer noch schwang etwas Sorge in ihrer Stimme mit. „Andrea, das erzähle ich alles später. Irgendjemand müsste mich aber hier in…“, er hielt die Hand vor die Sprechmuschel des Apparates und wandte sich zu der Dame hinterm Tresen. „Wie heisst das Kaff hier?“, fragte er nun auch mehr als unfreundlich. Die Frau nannte ihm mürrisch den Namen des Ortes, den Kevin nie zuvor gehört hatte, und gab es an Andrea weiter. „Ich sag Ihnen Bescheid… sie werden froh sein, dass du aufgetaucht bist.“ Danach beendeten sie das Gespräch, Kevin gab den Apparat zurück und verließ die Einrichtung ohne ein Wort des Dankes. Er trat hinaus auf die Treppe und ließ sich auf dieser nieder, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, den Blick in die Ferne gerichtet. Was sollte er jetzt tun? Ben und Semir einweihen? Die würden ihn für verrückt halten. Nein, er musste die Brüder selbst suchen, und hoffen dass er Jessy überzeugen konnte, sich von ihnen zu trennen. -
Verlassenes Haus – 14:10 Uhr
Kevin hatte noch mehrere Minuten still am Boden gesessen, bevor er reagierte. Jessy wollte also, dass er fliehen konnte, und in seinem Inneren begann ein Kampf. Konnte er einfach so abhauen, und das Mädchen hier zurücklassen? Aber wollte sie überhaupt mit ihm gehen? Sie hing an ihren Brüdern, könne sie nicht verraten. Kevin sah mit ernster Miene in die Ecke des Raumes, als würde dort die Antwort auf seinen inneren Seelenkampf erscheinen, bis er endlich begriff: Er musste hier weg. So lange er hier war, war er in Gefahr, denn die beiden Brüder waren unberechenbar.
Mit einem leisen Aufstöhnen drückte er sich auf die Beine und ging langsam zur Tür. Vorsichtig, Stück für Stück ohne ein Geräusch zu fabrizieren, drückte er die Holztür nach außen und sah in den schwach erleuchteten Flur, wo Jessy für ihn das Licht hat brennen lassen. In eine Richtung lag die rettende Treppe, in die andere Richtung weiterer Flur und noch mehr Holztüren. Der junge Polizist schlüpfte aus der Tür in den Flur und ging mit vorsichtigen Schritten in Richtung der Treppe, die um 180 Grad gedreht nach oben führte. Er war gerade beinahe bei der ersten Stufe, da hörte er wie schwere Schritte immer näher zur Eingangstür des Kellers schritten, oberhalb der Treppe. Es waren diesmal nicht die Schritte von Jessy, das hörte er genau. „Fuck…“, zischte er leise und trat sofort den Rückwärtsgang an. Er huschte an seinem Gefängnis vorbei und betete kurz zum Himmel, dass die nächste Holztür nicht verschlossen war. Sein Gebet wurde erhört, und Kevin schlüpfte in den Kellerraum, und zog die Holztür nicht ganz ins Schloss.
Andreas freute sich bereits darauf, dem jungen Kerl eine Abreibung zu verpassen. Egal ob er vor Angst reden würde oder nicht… der gewaltbereite Kerl würde erst schlagen, und dann fragen. Die Vorfreude stand ihm ins Gesicht, als er zur Tür kam, und sie war schuld daran dass es ihm gar nicht auffiel, dass er der Schlüssel nicht in der Tür steckte, und er ihn hat auch nicht umdrehen müssen um die Tür zu öffnen. Mit lautem Knarren öffnete sich die Tür und Andreas schaute in einen leeren Raum. „Was zum…“, waren seine Worte, als er langsam begriff dass der Gefangene nicht mehr an seinem Platz war. Für Kevin dagegen war das Knarren das Signal zum Aufbruch. Er schlüpfte aus seinem Versteck und verpasste es nicht dem breiten Kerl, der mit dem Rücken zum Flur stand und immer noch fassungslos in den leeren Raum blickte, einen wuchtigen Karatetritt in den Rücken zu geben. Andreas fiel nach vorne auf den Boden, und versuchte sich sofort, unter schmerzhaftem Stöhnen, wieder aufzurappeln. Kevin war es zu riskant seine Waffe zu greifen, er verließ sich auf seine Schnelligkeit und sprintete die Treppenstufen hinauf. Von unten hörte er das Brüllen des kleinen Bruders. „Du verdammter Drecksack!!“, als er gerade die Tür zum Erdgeschoss aufdrückte und hinter sich verschloss. Der junge Polizist hatte keine Zeit zu verlieren, denn das Brüllen war deutlich zu hören, außerdem war der Kerl so robust dass ihn der Tritt zwar aus dem Gleichgewicht brachte, aber sicher nicht lange aufhielt.
Kevin lief eher blind als gezielt um die erste Zimmerecke, als er abrupt abstoppte, den er blickte genau durch das Wohnzimmer, die gläserne Terrassentür, durch die Thomas stieg, der auf das Brüllen aufmerksam geworden ist. Hinter ihm stand Jessy, mit leichenblasser Miene, die wusste was passiert war. Der junge Cop sah gerade noch, wie Thomas Hand zum Hosenbund griff, als er seinen Körper um sich selbst drehte und in die entgegengesetzte Richtung beschleunigte. Er hörte gerade noch ein schreiendes „NEIN!“ von Jessy und er konnte sich ausmalen was als nächstes kam, als er blitzschnell durch eine Tür nach links abbog, ein weiterer Flur, und die Kugel, die aus Thomas‘ Waffe gefeuert wurde, krachend in den Holzrahmen neben ihm einschlug. Ein großes Fenster lag am Ende dieses Gangs, Meter noch von ihm entfernt. Kevin sprintete um sein Leben, er sah sich gar nicht erst um ob Thomas ihm folgte, oder sofort wieder schoss, sobald er ebenfalls durch die Öffnung eingebogen war. Die Holzdielen unter seinen Schuhen knarrten laut und gaben genug Haftung. Es war ihm auch egal, was hinter dem Fenster lag, ob Misthaufen oder Ententeich… und Zeit zum Öffnen hatte der Cop sowieso nicht.
Gerade als Thomas fluchend um die Ecke bog, die Waffe auf den, bereits kleiner gewordenen Rücken seiner flüchtenden Geisel richtete, setzte diese zum Sprung an. Leicht seitlich, die Beine angezogen um nicht am Fensterbrett hängen zu bleiben, den Kopf zur Seite und geduckt, die Arme und Hände ein wenig zum Schutze des Kopfes hochhaltend, krachte Kevin durch das splitternde Fenster. Die Geschwindigkeit, die Härte seines Ellbogenknochens und seiner Hüfte waren genug für die alte Einfachverglasung und die Landung im hohen, seit Jahren nicht mehr gemähten Gras war weicher als er während des Fluges noch gedacht hatte. Doch zum Verschnaufen war keine Zeit, genauso wenig um sich die brennenden beiden kleinen Schnitte an der Wange abzutasten, noch den blutenden Einschnitt an seiner linken Hand anzusehen. Schnaufend raffte sich Kevin auf und gab sofort wieder Fersengeld, gezielt nach rechts und um die Ecke des Hauses… wäre er geradeaus gelaufen, wäre er ein zu leichtes Ziel gewesen für Thomas, der im Flur stand und gar nicht mehr geschossen hatte, war er doch zu perplex von Kevins kompromisslosen Fluchtversuch. Der kam jetzt erst ans zersplitterte Fenster, sah hinaus und konnte den jungen Polizisten nicht erkennen. „Los, raus!!“, fuhr er Jessy an, die ihre Waffe ebenfalls in der Hand hielt. Beide stürzten zurück in den Hausflur, in dem mittlerweile auch Andreas aus dem Keller angekommen war, tiefrot im Gesicht und schäumend vor Wut. „Wo ist der Kerl?“, schrie er und fuchtelte mit seiner Waffe umher, doch Thomas Laufweg war Antwort genug. Er stürzte die Haustür heraus, lief über den Kiesweg um das Haus herum auf die Seite, aus der Kevin durch das Fenster geflohen war. Das Gras war um das Haus herum so hoch gewachsen, dass man sich im Knien locker darin verstecken konnte. Außerdem grenzte ein Wald nur wenige Meter neben dem Grundstück an. Thomas atmete heftig, als er stehenblieb und nirgends ein Geräusch, eine Bewegung vernehmen konnte. „Verdammt nochmal…“, stöhnte er. Er musste den Kerl finden, sonst war alles vorbei. „Los, wir suchen ihn!“, wies er seine Geschwister an, und alle drei begannen rund um das Haus zu suchen.
Kevin unterdrückte seinen schnellen Atem. Er war gerannt und hatte erst gestoppt, als er das Holzhäuschen, das fast an der Grenze zum Garten stand, erreichte. Dort ging er in die Hocke und verkroch sich im tiefen Gras. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Thomas so hartnäckig war und die Geschwister nun im Garten suchten, und er versuchte alle im Auge zu behalten. Sollte sich einer der Brüder näheren, hätte er ihn überraschen können und dann hätte er zumindest eine Waffe… dann würde er auch mit dem Zweiten fertig werden. Als er Jessys lautes „Nein“ hörte, beschloss er nicht ohne das Mädchen von hier zu verschwinden. Denn die beiden Brüder würden 1 und 1 zusammenzählen, denn einfach so hätte Kevin nicht aus dem Versteck herauskommen können. Und egal wie sehr Jessy ihre Brüder liebte… die beiden waren einfach unberechenbar und der junge Polizist wähnte Jessy in Gefahr.
Die Gedanken sprangen ihm gerade im Kopf umher, als er erschrak… er sah niemanden mehr von den Brüdern durch den Garten schleichen. Hatten sie aufgegeben? Waren sie ins Haus zurückgekehrt? Verdammt, er hatte nicht aufgepasst. Sein mulmiges Gefühl wurde schlagartig zum Schock, als er plötzlich die kalte, harte Mündung einer Pistole an seiner Halsschlagader spürte. Oh Mann, wer auch immer hatte sich da verdammt gut angeschlichen. Seine Augen wanderten nach rechts, von wo die Mündung herrührte, und eine Mischung aus Erleichterung und noch mehr Unsicherheit ergriff ihn. „Jessy…“, sagte er leise, als er die Statur und ihr Gesicht erkannte… sie stand da, hatte eine Hand um den Griff der Waffe und den Finger am Abzug. Ihr Gesicht drückte ein wenig Verzweiflung aus… und viel mehr Entschlossenheit. Warum zielte sie auf ihn… war die Flucht nur eine einmalige Chance… stand sie jetzt wieder auf der Seite ihrer Brüder? Sie würde doch nicht… „Jessy… komm mit mir.“, sagte Kevin leise und eindringlich, wagte es aber nicht, sich gegen die Waffe zu bewegen. „Nein…“, sagte die, ebenfalls leise, ihm bereits so vertraute Stimme neben ihm. „Das kann ich nicht…“ Die Mündung nahm Abstand von Kevins Haut, doch zeigte immer noch auf seine, vor Anstrengung pochende Halsschlagader. „Es tut mir leid, Kevin.“ flüsterte sie und der Satz hatte in den Ohren des Polizisten etwas Endgültiges… das nächste, was er vernahm, war ein lauter Schuss… -
Eieiei, so langsam wird Ben sogar für seinen Partner zur Belastung. Ich habe das dumme Gefühl, dass die Observation wegen Ben in die Hose geht, und es dann richtig gefährlich wird.
Freue mich aufs nächste Kapitel.
-
Habe mich mal auf neuesten Stand gebracht.
Ich finds toll, dass ihr das Privatleben so einbringt in die Story. Ich denke, neben der Haupthandlung, wird das noch richtig interessant, und ich bin sehr gespannt wie es weitergeht!