Wohngebiet – zur gleichen Zeit
Semir hielt den BMW in einer Einfahrt eines Einfamilienhaus in einem kleinen Vorort von Köln. Eine Wohnsiedlung, wie man es sich wohl nur in den schönsten Familienträumen ausmalen konnte. Viele kleine Straßen, Sackgassen, kleine Wege die zwischen den Gärten hindurch führten und vor jedem dritten Haus spielten mindestens zwei Kinder, die gerade aus der Grundschule oder aus dem Kindergarten kamen. Die ersten Blumen in den Vorgärten gingen auf und erwachten langsam aus dem Winterschlaf. Hier wohnte Johanna Seidlitz, die heute Morgen die versuchte Entführung zur Anzeige gebracht hatte. Andrea hatte die Infos vorhin durchgegeben, mit dem kleinen Zusatz, dass die Chefin bereits nach ihnen gefragt hätte. „Was hast du ihr gesagt?“, hatte Semir noch übers Handy die Frage an seine Frau gestellt, die sofort antwortete: „Dass ihr einen Unfall aufgenommen habt. Kann also sein, dass sie nachher etwas danach fragt. Das heisst, ihr solltet demnächst mal wieder hier auftauchen.“ „Du bist ein Schatz.“, flötete der Polizist durchs Handy an seine Frau weiter, die immer einen Weg fand, ihren beiden Männern, wie sie zwinkernd öfters sagte, den Rücken frei zu halten. Wenn es allerdings hart auf hart kam war auch Anna Engelhardt nie um eine Lüge beim nächsthöheren Vorgesetzten verlegen, sollten sich Ben und Semir mal wieder in Schwierigkeiten gebracht haben.
Doch momentan waren die beiden von Schwierigkeiten weit weg, und es schien ihnen, dass hier in dieser hübschen Wohnsiedlung noch nie jemand etwas von Verbrechen gehört hat. Sie drückten auf die Klingel, an der in geschwungener Schrift: „Familie Seidlitz“ stand und warteten kurz. Die Tür wurde von einer hübschen Frau geöffnet, allerdings nur so, dass man ihr Gesicht sah und die Tür von einer Kette gesichert, ungefähr Mitte 20 mit kurz geschnittenen modischen Haaren. Ihr Gesicht, das nur sehr dezent geschminkt war, wirkte müde und ihre Augen leicht schreckhaft. „Ja, bitte?“, fragte sie ein wenig unsicher, offenbar innerlich gezeichnet von dem Überfall heute Morgen. „Guten Tag, Gerkhan Kripo Autobahn, das ist mein Kollege Jäger. Wir hätten ein paar Fragen zu dem… ähm… Überfall heute Morgen im Rheinpark.“, sagte der erfahrene Kommissar freundlich, und beiden hielten ihren Ausweis so vor den Spalt, dass die junge Frau ihn erkennen konnte. Sie nickte kaum merklich mit halb offenem Mund und entriegelte die Tür, dass man sie komplett öffnen konnte und bat die beiden Polizisten herein. Ben und Semir traten in einen modernen hellen Flur, der sofort in den Wohnraum mündete. Offenbar wohnte die Familie noch nicht sehr lange in dem Haus, den überall standen Kartons herum, an der Decke hingen noch keine Lampen sondern nur Fassungen mit Glühbirnen. „Bitte setzen sie sich doch… Entschuldigen sie die Unordnung.“, meinte die Frau mit leicht zittriger Stimme und schon einen Stapel Zeitschriften zur Seite. „Unordnung… so siehts bei mir aus, wenn aufgeräumt ist.“, murmelte Ben, der kein Musterbeispiel für Ordnung war, und Semir runzelte die Stirn… die flapsige Bemerkung glaubte er seinem Freund aufs Wort. Johanna schien sie nicht bemerkt zu haben setzte sich auf einen Sessel, den beiden Polizisten schräg gegenüber. „Ich hab ihren Kollegen auf der Polizeidienststelle doch schon alles erzählt… und warum überhaupt Kripo Autobahn… was…“, sagte die junge Frau nervös und wurde von Semir sofort unterbrochen. „Frau Seidlitz, wir untersuchen momentan einen anderen, vermutlichen Entführungsfall, der sich an der Autobahn abgespielt hat. Deswegen wollen wir ihnen noch ein paar Fragen stellen.“ Die junge Frau nickte, sah sich aber trotzdem immer wieder unsicher im Zimmer um, als würde gleich einer der Verbrecher hinter der Gardine hervorspringen, und sich auf sie stürzen. „Wie lief der Überfall den genau ab?“, fragte nun Ben, der sich leicht nach vorne gebeugt auf das Sofa gesetzt hatte und die Hände unterm Kinn gefaltet hatte. Die junge Frau schien erst nach Worten zu suchen, und bemühte sich dann, ruhig und stukturiert zu erzählen. „Ich ging spazieren… alleine heute morgen, also vor der Uni.“ ‚Studentin, und dann so eine Hütte? Bei der wäre wohl einiges zu holen gewesen.‘, dachte sich Ben für einen Augenblick, bevor er weiter konzentriert zuhörte. „Da war plötzlich diese Frau… sie hatte mich nach einem Euro gefragt.“ „Konnten sie die Frau beschreiben?“, hakte Semir ein. Ben wollte ihn im ersten Affekt unterbrechen, er brannte darauf zu erfahren, ob Kevin in diesen Überfall irgendwie hineingeraten war. „Ich habe bei der Dienststelle die Beschreibungen hinterlegt… muss ich das denn nochmal…“ „Nein, müssen sie nicht.“, unterbrach Ben die Frau und erntete dafür einen verwirrten Blick von seinem Kollegen. „Erzählen sie weiter.“, setzte Ben mit Nachdruck dahinter. „Ich hatte nichts und drehte mich um… und auf einmal standen diese beiden Männer vor mir, und griffen nach mir. Ich bekam sofort Panik, hatte das Mädchen getreten, und wollte davon laufen. Einer ergriff mich, der andere kniete plötzlich neben mir, und der dritte…“, plötzlich hob Semir die Augenbrauen und unterbrach die Frau: „Der Dritte? Sie hatten doch gerade nur von zwei Männern gesprochen.“ „Ja, da waren auch nur zwei Männer… der dritte kam dazu gelaufen, aber was der genau gemacht hatte weiß ich nicht. Ich wollte nur so schnell wie möglich weg und habe mich von dem Mann, der mich festhielt, losgerissen.“ Ihre blauen Augen huschten bei der Erzählung hektisch zwischen den beiden Kommissaren hin und her, in deren Köpfen es arbeitete. „Haben sie den dritten Mann auf dem Revier auch beschrieben?“, fragte Semir und Johanna nickte. „Die Beschreibung bräuchten wir von ihnen doch nochmal direkt.“, forderte Ben nun plötzlich, der wie auf glühenden Kohlen saß. Ein ungutes Gefühl im Magen verriet ihm, dass er mit seiner vagen Vermutung wohl voll ins Schwarze getroffen hatte.
Johanna räusperte sich kurz. „Ich konnte ja nicht viel erkennen… der war ja erst da, als ich mich losreißen wollte. Seine Haare waren kurz und ziemlich durcheinander. Aber das kann auch vom Laufen gekommen sein. Er war größer als ich… recht jung.“ Innerlich hakte Ben die Beschreibung bereits bei den durcheinander liegenden Haaren ab… das MUSSTE Kevin gewesen sein. Was für ein Zufall… aber wurde er danach tatsächlich anstelle der Frau gekidnappt? Waren die Kidnapper wirklich nur auf ein Zufallsopfer aus? „Können sie ausschließen, ob der dritte Mann zu den beiden Entführern gehört hatte?“, fragte Semir ein wenig unsicher. Er war von der Theorie noch nicht 100 % überzeugt. Johanna dachte einen Moment nach, sie schien angestrengt zu sein, bis sie plötzlich aufseufzte, als hätte sie während des Denkens die Luft angehalten. „Ich weiß es nicht… es ging alles so schnell. Als ich mich losgerissen hatte, wollte ich einfach nur weg, in Richtung Straße. Ich wusste ja nicht, ob die mir hinterherlaufen würden.“ Ben und Semir nickten verständnisvoll. Sie würden wohl erst Gewissheit haben, wenn sie auf die örtliche Dienststelle fuhren, und sich dort die Beschreibungen genau durchlesen würden…
Verlassenes Haus – 14:00 Uhr
Andreas hatte Thomas längere Zeit angesehen, bis er sich traute, den Mund aufzumachen. „Du Thomas… eins verstehe ich nicht.“, begann er zaghaft und zog an seiner Marlboro. Thomas blickte auf, und ein stummes Signal, dass er aufnahmebereit war, war ein kurzes Heben der Augenbrauen. „Du hast doch gesagt, wir können den Bullen nicht freilassen, weil er wohl nicht einzuschüchtern wäre, wie die anderen. Du hast aber auch gesagt, dass wir ihn nicht einfach umlegen könnten. Wenn wir jetzt aber Lösegeld verlangen… was machen wir dann?“ Thomas erhob sich von seinem Sitzplatz und schnappte sich einen freien Stuhl neben seinem, manchmal etwas langsam denkenden Bruder. „Pass auf. Wenn wir wirklich die Freundin von dem Typen erwischen, wird die wohl eher Angst um ihn haben, und nichts unternehmen. Wir verlangen 50.000 Euro für ihn. Das wird die wohl auch noch hinkriegen. Und dann müssen wir den Typen eben noch irgendwo verstecken, statt ihn sofort freizulassen, und wir haben erst mal genug Knete, um ins Ausland zu flüchten. Von dort aus geben wir der Tüte dann Bescheid, wo sie ihren Helden findet, okay?“ Thomas war zwar kein dummer Kerl, doch er gab zu dass Überfälle auf Kiosks definitiv eher sein Metier waren als Entführungen. An zuviel musste man denken, doch Andreas schien überzeugt, auch wenn sein Nicken noch sehr zaghaft ausfiel.
Jessy kam aus dem Inneren des Hauses zurück in den Garten und blinzelte in die Sonne. Ihre Gesichtsfarbe war ein Stück weit blasser als vorher, bevor sie ins Haus gegangen war. „Na… was hast du rausgefunden, Schwesterlein?“, fragte Thomas mit prüfenden Blick. Jessy ließ sich mit der Antwort kurz Zeit, bis sie sich erneut auf die Hollywood-Schaukel saß. „Also… die Nummer ist… sie ist von… seiner Freundin.“, sagte das Mädchen ein wenig zaghaft und sah weder Andreas noch Thomas wirklich an. Ersterem fiel dies nicht sonderlich auf, doch dem ältesten gefiel ihr Blick überhaupt nicht, und sie kam dichter an Jessy heran und setzte sich neben sie. „Und warum gibt es die Nummer nicht mehr?“, fragte er mit geduldiger und beinahe zuckersüßer Stimmlage. Jessy biss sich ein wenig auf die Lippe, und es fiel ihr wirklich schwer, Thomas anzulügen… vor allem weil Thomas bereits eine leichte Ahnung hatte, wusste er doch um seine sensible Schwester und hatte er vor allem die ihre Blicke auf den Polizisten vorhin im Wagen schon bemerkt. „Ihr… Vertrag ist die Tage ausgelaufen, sagt er. Und sie hat noch keinen Neuen.“
Im ganzen Garten herrschte Stille… unheilvolle Stille. Als würden auch die Vögel aus Angst nicht mehr zwitschern, so scharf war die Spannung in diesem Moment. Thomas war nicht der Typ, der schrie und brüllte mit seiner Schwester… er strich ihr nur sanft über den Arm. „Entweder lügst du mich an, Jessy… was ich aber nicht glaube, denn es gibt keinen Grund dafür.“, sagte er mit ruhiger Stimme, und bewegte Jessys Blick mit einem Finger am Kinn sanft zu ihm. „… oder der Kerl hat dich gerade angelogen.“ Jessy versuchte zu lächeln und zuckte nur mit den Schultern, während Thomas das Lächeln leicht nickend erwiderte… bevor er zu Andreas sah. „Andy… ich bin mir sicher, dass die Freundin von dem Bullen mit Sicherheit ne Privatnummer hat, oder eine zweite Handynummer. Und dass er sich bestimmt daran erinnern kann, wenn du ihn fragst.“ Jessy zuckte innerlich zusammen, als ihre brutaler Bruder lächelnd aufstand und sich die Pistole in den hinteren Hosenbund steckte. Was sollte sie tun… unter welchem Vorwand sollte sie ihren Bruder jetzt aufhalten. Ihr fiel keiner ein, ihr wurde schlecht und schwindlig während sie beobachtete, wie Andreas im Inneren des Hauses verschwand.
Beiträge von Campino
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Vergiss die Gedanken von "das war dein letzter Konsum gewesen", mein lieber Ben. Sucht ist Sucht, und diesen Satz habe ich mir selbst auch schon 100mal gesagt, und es doch ein 101ste Mal getan. Ich spreche wirklich aus eigener Erfahrung. Bei mir waren es zwar keine Drogen (zum Glück) aber etwas ähnliches (was zum Glück nicht strafbar war). Deswegen kann ich sagen, dass du die Gedanken von Ben wirklich sehr realitätsgetreu schilderst, susan. Ich habs mir Spannung und Gänsehaut gelesen!
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Keller – 13:45 Uhr
Ein sonderbares Gefühl beschlich Kevin in diesem Moment, als er die beiden Worte als Antwort auf Jessys Frage gab. War die Antwort wirklich richtig? Wer war Ben und Semir für ihn? Freunde, Kollegen, Bekannte? Er konnte es nicht beantworten. Klar, sie wussten mehr von dem jungen Mann als jeder andere, André ausgenommen. Von seiner Vergangenheit, seiner Jugend und seinen Lastern. Sie hatten zusammen diesen gefährlichen Fall erlebt, der alle drei beinahe auf unterschiedliche Art und Weise das Leben hätte kosten können. Und trotzdem empfand es der junge Polizist so, als wären die beiden unendlich weit weg, als wollten sie als ehrbare saubere Polizisten nichts mit dem Bullen mit krimineller Vergangenheit zu tun haben. Bens Versuche, ihn aus seiner Wohnung zu locken, als sie gemeinsam Musik machten, empfand er als Pflicht-Mitleid. Irgendwo war die Natürlichkeit verloren gegangen, weshalb er sich auch immer mehr abgekapselt hat und Verabredungen kurzfristig wieder abgesagt hatte. Er empfand einfach keine emotionale Bindung, doch genau die war es, die ihn jetzt so an Jessy fesselte, die neben ihm saß, ihr Kopf auf seiner Schulter, ihre Hand auf seinem Oberschenkel, der Zeigefinger der leichte Kreisbewegungen über seine Jeans vollführte. Kevin fühlte sich einerseits wieder in seiner früheren Rolle als großer Bruder, andererseits aber auch in einer neuen Rolle des Unterlegenen, Schutzbedürftigen. Seiner kleinen Schwester hatte er diese Rolle niemals aufgehalst und blieb unantastbar… doch damals hatte er auch noch keine zentnerschweren Sorgen und Gedanken mit sich herumgetragen.
Jessy blieb zunächst einige Minuten still nach seinen Worten und sie fühlte sich in ihrer Annahme bestätigt. Obwohl sie ihre beiden Brüder hatte, die sich um sie zumindest körperlich gekümmert hatten, fühlte sie sich geistig ebenfalls einsam. Niemand der mit ihr über ihre Träume, ihre Sehnsüchte, ihre Ängste sprach. Die Überfälle ließen eine harte Schale aufrechterhalten, von der bei Kevin auf der Schulter nicht mehr viel übrig blieb. Was sie an den jungen Mann so faszinierte (ausser natürlich äusserlich seine blauen Augen) konnte sie gar nicht recht erklären. Es war mehr so ein Gefühl, eine Aura die er ausstrahlte. Etwas ernstes, melanchonisches, das sie sofort gepackt hatte, als sie zum ersten Mal die Augenbinde nach oben zog und dem Mann ins Gesicht sah. Letztendlich fühlte sie sich bestätigt. Und zum ersten Mal fühlte sie sich wohl, obwohl dieser Mann ihr noch immer fremd war, und doch so vertraut. Eine unsichtbare emotionale Verbindung, die ohne Worte zwischen den beiden bestand. „Einsame Herzen erkennen sich.“ An dieses Zitat aus einem Liedtext eines Sängers, der eigentlich gar nicht zu Kevin passte, musste er sich gerade erinnern. Es war etwas Wahres dran.
Die beiden waren von dieser eigenartigen Stimmung so fasziniert, dass sie für kurze Zeit ihre Umwelt vergaßen. Nur das unangenehme Drücken der Kabelbinder um Kevins Handgelenke ließen ihn zurück in die Wirklichkeit finden. Doch er wollte diesen Moment nicht zerstören, und er hörte Jessys leise, fast brüchige Stimme. „Ich weiß dass meine Brüder auf mich aufpassen…“, sie stockte kurz und ihre Augen drehten sich kurz nach oben zu Kevin, als wolle sie sichergehen, dass ihr der junge Mann zuhörte. Doch die Sorge war unbegründet… der Polizist hing an ihren Lippen. „… aber ich sehne mich nach jemanden, der nicht nur auf mich aufpasst. Sondern, bei dem ich so sein kann wie ich bin. Verstehst du?“ Sie reckte den Kopf ein wenig nach oben und stieß mit der Stirn gegen Kevins Wangenknochen… wie eine Katze, die ihrem Herrchen ihre Liebe bewies, in dem sie ihn mit dem Kopf an Kopf stieß. „Ja…“, antwortete Kevin mit seiner markanten Stimme, und es könnte alles so schön sein, wenn er nicht gerade gefesselt da sitzen würde, und das Mädchen, mit dem er sprach, drauf und dran war wegen Menschenraub und Erpressung ihr ganzes Leben zu versauen.
Ihre Hand wanderte von Kevins Oberschenkel an seinen Arm, nach hinten zu seinem Handgelenk. „Tun die Kabelbinder sehr weh?“, fragte sie und richtete ihren Kopf wieder auf seine Höhe, weg von seinem Blick. Obwohl er sich nichts sehnlichster wünschte, dass sie die Dinger durchschnitt, so hielt ihn etwas davon ab, danach zu fragen. Die Situation in der Hütte, als er sie um das Handy bat, hielt ihn davon ab. Er wollte ihr nicht das Gefühl geben, dass er sie ausnutzen wolle. „Angenehm sind sie nicht…“, meinte er und versuchte ein Lächeln, das Jessy nicht erwiderte. Sie sah stattdessen hinter den Rücken des Mannes auf die Hände. „Du würdest fliehen, wenn ich dich losbinde… oder?“ sagte sie plötzlich. Unbehagen stieg in Kevin hoch, als er die Frage vernahm. Das Mädchen war klug genug nicht zu glauben, wenn er jetzt verneinte. Natürlich würde er versuchen zu fliehen, denn egal wie Jessy zu ihm stand, ihre Brüder ein Stockwerk höher waren tickende Zeitbomben. Also kam für ihn nur die Wahrheit in Frage… die beschönigende Wahrheit. „Es würde mir leichter fallen, wenn ich dich mitnehmen könnte.“, sagte er leise. Jessys Kopfschütteln löste eine Gänsehaut auf seiner Haut aus. „Ich kann meine Brüder nicht einfach… im Stich lassen.“ In Kevins Kopf arbeitete es, und er dachte in Sekundenschnelle nach, wie er das Mädchen positiv beeinflussen könne, ohne jeglichen Hintergedanken. Sollten ihre Brüder doch abhauen, dachte er. Hauptsache, sie kommt aus dem Dreck heraus. „Noch hast du vielleicht eine Chance… auf deinen Traum.“, sagte er vorsichtig. Er hatte keine Ahnung, welche Möglichkeiten er, vielleicht Anna Engelhardt hatte, Jessys Geschichte so zu drehen, dass sie mit einem blauen Augen davonkam. Er wollte ihr auch keine falschen Versprechungen machen, doch Jessy hörte vorerst eh nicht darauf. Sie lächelte und erhob sich von dem jungen Mann, als wäre das ein klares Nein auf Kevins Wunsch.
Zunächst schien sie den Raum zu verlassen, allerdings nur um in den Nebenraum zu gehen, dort einen Seitenschneider zu holen, und zurück zu kehren. Sie kniete sich auf den Boden neben Kevin, und mit einem leisen „Klack“ entspannte sich der Druck um dessen Handgelenke. Für Kevin war klar, was das hieß… Jessy wollte ihm helfen. Wollte ihn schützen vor ihren Brüdern, wusste offenbar dass sie nichts Harmloses mit dem Polizisten im Sinn hatten. „Bitte nimm mir nicht meine Brüder...“ begann sie und sah Kevin tief in die Augen. Es war wie eine Bitte, das Trio nicht zu verfolgen, wenn er fliehen konnte. „… auch wenn sie meine Sehnsucht nicht nehmen, meine Träume nicht erfüllen. Sie sind das Einzige was ich habe.“ Sie erhob sich erneut und Kevin erhob sich mit ihr nach oben, als sie leise sagte: „Diese Viertelstunde hat mir bereits sehr viel Sehnsucht gestillt.“ Die Worte verschafften dem Polizisten, den äußerlich normalerweise nichts aus der Ruhe bringt, die zweite Gänsehaut. Er konnte nicht anders, ergriff Jessys Hand zärtlich und zog sie an sich heran. Er spürte, als er sie umarmte, ihren Herzschlag dicht an seinem, ihre Haare an der Wange und ihre Hände auf seinem Rücken. Eine Umarmung, innig und wundervoll, und doch völlig bizarr, denn er umarmte seine Entführerin. Das Gefühl sollte ihn noch Stunden verfolgen, das wusste er als Jessy sich leise verabschiedete und die Tür hinter sich schloss, ohne diese abzuschließen. -
Auweia... Ben lässt sich in seiner Drogensucht als Informant missbrauchen... Mensch Junge, wach auf! Das wird dich deinen Hals kosten.
Der Vergleich mit Semir als Terrier war übrigens sehr lustig. Bin gespannt wie es weitergeht!
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Die Chefin macht den beiden Helden Druck, die jetzt mal zu Potte kommen sollten. Bin gespannt, wie die beiden sich die erste Spur "herzaubern" wollen
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Keller – 13:30 Uhr
Die Situation war nicht mehr komisch, sie war absurd. Kevin war gekidnappt, saß mit gefesselten Händen und blutverkrusteter Nase in einem dunklen Keller, ohne eine Ahnung wo er sich überhaupt befand. Und der weibliche Teil seiner Entführer saß da neben ihm, die Hand auf seiner staubigen Jeans und wollte reden… ja, sie wollte reden. Sie hatte über sich selbst gesagt, dass sie einsam sei, so einsam wie er. Fühlte er sich deshalb von ihr so angezogen, und sie fühlte sich von ihm so angezogen?
Aber was wollte sie wissen? Wollte sie wirklich wissen, was er in seinem früheren Leben alles getan hat, verbockt hat. Im Prinzip wäre er fast so geendet wie ihre Brüder… Kleinkriminelle, die immer weiter auf die schiefe Bahn gerieten, bis es vorbei war. Bis man eines Tages zu weit ging, und der Weg zurück für immer versperrt war. Bei Jessy, so spürte der Polizist, war es wie bei ihm noch nicht zu spät. Der Drang zu reden drückte sich Kevins Kehle hoch… jedoch nicht über das, was ihm passiert war, sondern das was ihn momentan beschäftigte. Dass er an seiner Einsamkeit kaputt ging, dass er eine Antriebslosigkeit und innere Müdigkeit verspürte, seit die Wut und der Zorn auf Janines Mörder verschwunden war. „Du hast dich geirrt.“, sagte er und legte den Kopf ein wenig schief, während er zu Jessy herüber schaute, die sich jetzt vollends wieder neben ihn saß. „Keine schöne Kindheit, kein gutes Elternhaus, und die Schule nur über Umwege.“ Jessy hörte ihm interessiert zu, sie ließ sein Gesicht nicht aus ihren Augen und strich sich eine schwarze Strähne hinters Ohr. „Hast du Eltern?“, fragte sie und bewegungslos ruhte ihre Hand auf Kevins Oberschenkel, als dieser sich nicht recht entscheiden konnte, ob er nicken oder den Kopf schütteln sollte, und der Blick zu Boden ging. „Ich habe meine Mutter nie kennengelernt. Und mein Vater war und ist ein Arschloch.“ Mit Wut dachte er an seinen Vater zurück, der den kleinen Jungen damals abgeschoben hatte zu einem Transvestit, der in Erik Peters‘ Nachtclub regelmäßig auftrat. Sie kümmerte sich zwar liebevoll um den Jungen, doch die Straße erzog Kevin mehr als alles andere. Sein Vater war neben Clubbesitzer auch Zuhälter, und hatte mehr als einmal versucht, Kevin von dem Polizistenjob abzubringen. Seitdem hatte der den Kontakt komplett abgebrochen.
Jessys Finger schienen nur Millimeter über den Jeansstoff an Kevins Bein zu gleiten, als sie seiner Stimme zuhörte. Sie sah ihn von der Seite an, und der junge Polizist war von ihr so fasziniert, dass die Absurdität der Situation für ihn immer unwichtiger wurde. „Mein Vater…“, sagte sie dann irgendwann… „war immer für mich da.“ Ihre Stimmlage, als sie das sagte, war eigenartig, denn es klang nicht liebevoll… es klang nicht stolz oder freudig. Ein Zwicken breitete sich in Kevins Magen zu einem leichten Brechreiz aus, als er nun von der Seite in Jessys Gesicht sah, die ihrerseits die Wand gegenüber anblickte. „Immer wenn ich nachts nicht schlafen konnte, kam er zu mir ins Bett. Oder wenn ich fror, dann hielt er mich warm.“, sagte sie mit einer seltsamen Stimmlage, so dass Kevin sich nicht sicher war, ob sie es ernst meinte oder völlig ironisch… und es einem weitaus ernsteren Hintergrund gab. Bestätigt wurde ihm das, als das Mädchen mit leiser Stimme sagte: „Er fing an, als ich 10 war und hörte erst auf, als ich mit Thomas und Andreas von zu Hause weggelaufen bin.“ Eine unfassbare Wut staute sich in Kevin auf, als er hörte was die junge Frau ihm erzählte, und er konnte es nicht glauben. „Er hat dich…“, fragte er fast tonlos, während er sie ansah und Jessy nickte.
Kevin spürte, wie sein Herzschlag kurz aussetzte… plötzlich fühlte er sich wieder in der Rolle des Beschützers, des Fels in der Brandung der er immer für seine kleine Schwester da war. An dem man sich festklammern konnte bei stürmischer See, an dem jeder, der für Kevin wichtig war, Schutz fand. Er hätte Jessy in diesem Moment gerne umarmt, statt Worten eine Geste des Trostes oder des Schutzes gezeigt, doch ihm waren die Hände gebunden. So ließ er langsam seinen Kopf zur Seite gleiten, bis seine stacheligen Haare an die sanften schwarzen Haare von Jessy stießen. Sie verstand die stumme Geste, ließ sich ein wenig weiter in eine tiefere Sitzposition gleiten und legte ihren Kopf auf Kevins Schulter, bis dessen Wange nun vollends auf ihren Haaren lag. „Meine Mutter wusste es, und hat nie etwas dagegen getan.“, sagte sie traurig. Sie sahen sich einander nicht mehr an, in der Haltung, in der sie nun an der Wand saßen, doch sie spürten eine tiefe Verbindung zueinander, in diesem Moment.
„Du hast gesagt, dass du einsam bist, so wie ich.“, sagte Kevin leise nach einem kurzen Moment der Stille. Er spürte, wie Jessy auf seiner Schulter nickte. „Du hattest recht damit, dass ich einsam bin. Aber du bist nicht einsam… du hast doch deine Brüder.“ Der Satz entlockte dem Mädchen ein Lächeln auf ihr hübsches Gesicht. Ja, sie hatte ihre Brüder, die für sie durchs Feuer gehen würden. Die auf sie aufpassten, und die sie wohl niemals würden im Stich lassen. Aber zum Reden waren sie nun mal nicht da, sich Jessys Sorgen und Träume anzuhören. Andreas sagte immer, sie solle ihn „mit dem Scheiß nicht langweilen.“, und Thomas wollte nie an sein Elternhaus erinnert werden. Irgendwann hatte sie es aufgegeben. „Ich weiß… aber das ist etwas anderes.“, sagte sie nur. Obwohl die Erklärung nur lapidar war, so spürte Kevin doch, dass es ihr mit ihren Brüdern offenbar ähnlich ging, wie ihm mit Ben und Semir. Jessy war nicht so wie ihre Brüder, und Kevin war nicht wie Ben und Semir. Aber Jessy und Kevin, sie waren ähnlich… still, melanchonisch, nachdenklich und beide hatten ihre Vergangenheit, die so eng verwoben sein könnte.
„Ich habe eine Schwester.“ Kevins Satz kam so unvorbereitet, dass er selbst überrascht war, dass er dieses Thema anschnitt. Doch er war eingenommen von Jessy, wie eine Droge, die auf ihn wirkte, die ihn plötzlich alle Schranken und Mauern vergessen ließen, die er sich um seine Seele herum aufgebaut hatte. „Das Mädchen in deinem Geldbeutel?“, fragte Jessy und sah nun wieder ein wenig zur Seite hinauf, in Kevins Augen, der ihren Blick erwiderte und nickte. „Und der Engel in deinem Handy?“ stellte sie erneut eine Frage ohne bemerkte erst gar nicht, dass sie damit ihren Auftrag erfüllt hatte, mit dem sie in den Keller ging. Wieder ein stummes Nicken und Jessy lächelte. „Warum nennst du sie Engel?“ Unbewusst und mit inniger Überraschung lächelte Kevin… er lächelte, weil Jessy ebenfalls die Mundwinkel leicht nach oben verzog trotz dieses, für ihn früher so schwierigen Thema. „Weil sie ein Engel ist…“, gab er zur Antwort und ließ Jessys Lächeln noch ein wenig breiter werden. „Weil sie so nett und unschuldig ist?“, fragte sie ein wenig neckisch, und das Lächeln des Kommissars blieb… es blieb freundlich und ehrlich und es überraschte ihn mehr als alles andere in den letzten Jahren, während er sagte: „Nein…“ und dabei den Kopf schüttelte „… weil sie seit 11 Jahren tot ist.“ Er spürte keine Bitternis in der Stimme, keine Trauer und keine Wut. All das war über den Rand des Daches einer Batteriefabrik gestürzt, als Peter Becker, der Mörder seiner kleinen Schwester, sich das Leben nahm… und damit Kevins Antrieb und sein einziges Ziel. Danach suchte er jetzt wieder.
Diesmal war es Jessy, die die stumme Geste des Trostes suchte und ihren Kopf wieder langsam an Kevins Schulter legte. Sie spürte seine raute Haut und den Stoff seiner Lederjacke auf ihrer Wange. Obwohl sie Kevin kennen wollte, fragte sie nichts weiter nach seiner Schwester… wie sie umkam, warum und weshalb, und der junge Polizist war dankbar darum, diese Geschichte nicht nochmal erzählen zu müssen. Stattdessen formte sich ihr Mund zu einer vorsichtigen Frage: „Und… wen hast du jetzt noch?“ Kevin hörte ihre Stimme leise von schräg unterhalb seiner Wange. Einen Moment brauchte er um die Frage zu beantworten und ob er Semir und Ben dazu zählen sollte, bis er antwortete: „Niemanden mehr…“ -
Wald – 13:15 Uhr
Wie auf Knopfdruck wurde der, so idyllisch und einsam wirkende Wald lebendig. Hartmut parkte den Polizei-SUV mit seiner Ausrüstung direkt neben Semirs BMW, ein weiterer Streifenwagen direkt dahinter. Wenige Minuten später wuselten mehrere Beamte in weißen Anzügen durch den Wald und die Hütte, einige Schritte vom Parkplatz entfernt. Man nahm Fingerabdrücke, suchte nach Hinweisen, sichere das Reifenprofil. „Da werde ich euch eher weniger sagen können, dafür ist der Boden zu trocken.“, machte Hartmut seinen beiden Kollegen eher wenig Mut. Semir und Ben beobachteten das Treiben noch einige Minuten, bis Semirs Handy klingelte. „Andrea?“, meldete er sich, denn er sah auf dem Display, dass seine Frau anrief. „Ich hab die Personalien der Frau. Es handelt sich um eine gewisse Katharina Schmieler. Wohnt ganz in der Nähe vom Rheinpark.“ Sie nannte noch die genaue Adresse und Semir bedankte sich mit einem Luftkuss. „Noch was…“, sagte die Sekretärin, bevor ihr Mann das Gespräch beendete. „Die Chefin hat nach euch beiden gefragt, und auch was von meinen Recherchen gesehen. Ich habe gesagt, dass ich keine Ahnung habe, für was ihr die Daten braucht. Es könnte sein, dass sie euch darauf anspricht.“ Semir stöhnte auf und runzelte die Stirn, wofür er einen fragenden Blick von Ben kassierte. „Das auch noch. Die Engelhardt weiß nichts davon, und streng genommen ist das nicht mal unser Fall.“ „Ich weiß, mein Schatz. Deswegen habe ich auch erstmal nichts gesagt. Kannst dir ja schon mal was gutes ausdenken.“ Der Polizist verzog das Gesicht. „Na herzlichen Dank auch.“ Sie verabschiedeten sich und Semir beendete die Verbindung. „Was ist los?“, fragte sein Freund, der direkt neben Semir mit verschränkten Armen an der Motorhaube lehnte. „Die Chefin wird wohl demnächst fragen, was wir eigentlich den ganzen Tag treiben.“, meinte Semir ein wenig missmutig und stieg ins Auto ein. Ben folgte ihm ohne Aufforderung und setzte schnippisch hinzu: „Sag ihr am besten, wir hätten auf dem Forstweg geblitzt.“ Dass sich die Chefin jetzt noch einmischen würde, gefiel Ben gar nicht. Doch wenn sie hörte, dass Kevin vermutlich in Gefahr ist, würde sie vielleicht nicht versuchen, die beiden von dem Fall abzuziehen.
Verlassenes Haus – 13:15 Uhr
Wie er es auch drehen und wenden würde… sie saßen in der Falle. Verdammt nochmal, in der Theorie hatte sich alles einfach angehört. Entführung, Angst einflößen, Lösegeld und fertig. Niemand riskierte für läppische 20.000 eine weitere Begegnung mit seinem Bruder Andreas. Doch nun hatten sie einen Bullen im Keller eingesperrt, und waren in einer Sackgasse gefangen. „Laufen lassen können wir ihn nicht, weil er dann hinter uns her wäre und umlegen ist riskant, weil wir dann die ganze Kavallerie an den Hacken haben.“, brummte Thomas in seine eigenen Hände, die er vors Gesicht hielt und sich auf den alten Tisch abstützte. Es war vertrackt, und er konnte sich nicht auf Hilfe verlassen. Andreas war in Sachen Nachdenken einfach nicht der Hellste, als dass ihm jetzt ein Geistesblitz erschien. Und Jessy war eigenartig still geblieben in den letzten Minuten. Sie saß auf der Hollywoodschaukel, die Beine an den Leib gezogen, die Arme darum geschlungen und das Kinn auf die Knie gestützt. Sie schien in ihrer eigenen Welt verschwunden zu sein, spürte nicht die zarte Wärme der Sonnenstrahlen und hörte die Stimmen ihrer Brüder nur noch weit weg. In ihrem Kopf sah sie Kevin, wie er sie eben ansah und mit abweisender Stimme "Du weißt gar nichts über mich“ ihr entgegenschleuderte. Und darüber, dass ihre Brüder den Polizisten gerne aus dem Weg schaffen würden. Sie konnte ihre Gedanken darüber nicht einordnen und schon gar nicht verstehen.
„Und… wenn wir doch Lösegeld verlangen… und uns damit irgendwohin absetzen?“, fragte Andreas sachte, als hätte er ein wenig Angst davor wieder etwas falsches zu sagen. „Und dann? Wenn wir die Bullen anrufen und sagen, dass wir ihren Kollegen haben, setzen die alles in Bewegung. Es muss jemand sein, der solche Angst um den Typen hat, und eben nicht die Bullen anruft. Aber auf dessen beschissenen Handy waren nur Namen von Kerlen.“ Voller Wut schlug Thomas mit den flachen Händen auf den Tisch.
„Engel…“. Die Brüder sahen herauf zu Jessy, deren Stimme sie vernommen hatten, ihre Lippen hatten sich bewegt und nur das eine Wort gesagt, ohne dass sie ihre Augen vom Rasen erhob. „Was meinst du, Jessy?“ Thomas war der erste, der die Stimme wiederfand, und seine Schwester dazu brauchte, aufzuschauen. „Das Pseudonym Engel, dessen Nummer es nicht mehr gab. Vielleicht seine…“, sie stockte bei dem Wort kurz, eine Form von Wut und Traurigkeit machte sich in ihr breit, ohne dass sie wusste, warum „… Freundin?“ Die beiden Brüder schauten sich gegenseitig an. „Du sagtest aber, die Nummer gibt es nicht mehr.“, gab Thomas ihr zu bedenken. „Vielleicht… hat sie jetzt eine andere. Man müsste… ihn fragen… vielleicht.“ Ihre Augen zuckten unsicher zwischen ihren Brüdern hin und her, als sie dazu setzte: „Soll ich?“ Thomas dachte nach, und wollte im ersten Affekt Andreas nach unten schicken. Dessen Fäuste waren jederzeit ein kräftiges Argument dafür, lieber auf Fragen zu antworten. Entgegen dieses Affektes nickte er sanft. „Okay, versuch es. Wenn er nichts sagen möchte, dann wird Andreas ihn fragen.“ Die Aussicht darauf ließ Andreas übers Gesicht grinsen…Keller – 13:25 Uhr
Wenn Kevin abends, vor dem Einschlafen ein oder zwei seiner bunten Pillen nahm, die er seit den Erlebnissen um den Mörder seiner Schwester nur noch in besonders schlaflosen Phasen nahm, bewirkten dass er zwar Nachts ruhig schlief, dafür aber um die Mittagszeit in ein Loch fiel… und wenn er dann schlief, so schlief er unruhig und träumte wahnsinnige Träume. Die Alpträume, die er hatte waren aber nicht mehr die gleichen wie früher, als er die Nacht, als Jessy getötet wurde durchlebt hatte. Nein, meistens war er irgendwo alleine, einfach nur alleine. Doch das Gefühl, der letzte Mensch auf Erden zu sein war in diesem Traum so stark, dass er schweißüberströmt wach wurde. Auch Peter Becker tauchte manchmal in seinen Träumen auf, manchmal fand er Ben oder Semir mit aufgeschnittener Kehle in seiner Wohnung vor.
Jetzt war er kurz eingenickt, doch er schreckte sofort hoch als er die Schritte auf der Treppenstufe hörte. Die Schritte waren nicht schwer, sondern leise und flink. Er würde sich schwer täuschen, wenn dies nicht wieder Jessy sei, die auf dem Weg zu seinem Gefängnis war, doch vorsorglich scharrte er mit dem Fuß die Glasscherben zur Seite.
Als die Tür aufschwang sah Kevin sofort, dass er Recht hatte. Jessy lugte in den Kellerraum hinein, mit ihren schwarzen Haaren, die ihr über die Schultern fielen. Sie schloss die Tür hinter sich und steckte den Schlüssel von innen in die Tür. Der junge Polizist zog die Stirn in Falten. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“, sagte er mit misstrauischer Stimme. Jessy war ihm zusehends suspekt, auch wenn er erneut dieses eigenartige Gefühl im Bauch spürte, sobald sie den Raum betrat… und irgendwie ihre Anwesenheit auch genoss. Mit leisen Schritten und einem kurzen Blick auf das Holzregal, auf dem eine Flasche fehlte, kam Jessy wieder in Kevins Richtung, bis sie vor ihm stehen blieb. „Du hast gesagt, dass ich nichts über dich weiß.“, sagte sie mit leiser, aber fester Stimme und schaute von oben herab in Kevins Gesicht, der den Kopf nach oben gehoben hatte. Dann ging sie langsam neben dem jungen Mann in die Hocke und sagte noch etwas leiser: „Ich will aber, dass ich etwas über dich weiß. Ich will wissen, wer du bist.“ Dabei legte sie eine Hand auf Kevins Oberschenkel, und ließ ihn dort ruhen. Wenn die beiden jetzt in Kevins Wohnung, in seinem Auto oder irgendwo sonst gewesen wären, hätte er sie jetzt vermutlich geküsst. Doch die Umstände machten diese Gedanken zu etwas Abstrakten… -
Auwei,a so schnell kann man abhängig werden... Kevin kann da ein Lied von singen
Das wird für Ben jetzt zum Teufelskreis werden. Jetzt wird es immer schwerer werden zu widerstehen, und er wird immer weiter abrücken davon, Semir reinen Weinen einzuschenken. Bin sehr gespannt, wie es weitergeht!
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Jetzt beginnen langsam die Ermittlungen. Bin mal gespannt, was die beiden da rausfinden, auch wenn Semir momentan aufgrund seiner familiären Situation sehr gehandicapt ist.
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Verlassenes Haus - 12:45 Uhr
Es hatte etwas Idyllisches, als Thomas und Andreas gemeinsam auf der, recht zerfallenen mit morschen Brettern ausgelegten Terasse saßen. Zumindest Andreas saß da, hatte die Füße auf den staubigen rostigen Metalltisch gelegt und zog an seiner Zigarette. Thomas ging nervös über die Terasse, blieb mal an der Hauswand gelehnt stehen, stützte sich mal auf das Geländer ab bis er merkte, dass es langsam krachend nachgab. Sein kleiner Bruder konnte die Nervosität nicht verstehen, die den Mann befiel. "Sag mal, was ist jetzt eigentlich genau dein Problem?", fragte er in aller Seelenruhe. Thomas blieb ruckartig stehen, beugte sich ein wenig nach vorne und machte eine vielsagene Handbewegung an seine Stirn. "Sag mal, kapierst du das nicht??", meinte er aufgebracht. "Wir haben einen Bullen im Keller sitzen. Einen Bullen!!" "Ja und? Für den wird bestimmt auch irgendeiner 20 Riesen bezahlen." Der groß gewachsene Mann schüttelte den Kopf. Warum dachte sein Bruder immer nur von 12 bis Mittag und konnte nicht mal die einfachsten Zusammenhänge erkennen. "Mann Andreas.", versuchte er ruhig zu bleiben. "Wenn wir irgendjemanden erpressen, und den Typ später freilassen, wird er uns jagen. Der wird nicht eingeschüchtert zu Hause rumsitzen und nichts unternehmen wie diese Tussi von gestern, verstehst du." Man konnte erkennen, dass Andreas einen Moment über die Worte seines Bruders nachdachte und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm zuzustimmen. Doch eine Antwort auf die Frage, die seinem großen Bruder im Kopf rumwanderte, konnte er nicht beantworten. "Und jetzt weißt du nicht, was wir mit ihm machen sollen?", versuchte Andreas die Gedanken zu verfolgen. "Richtig!" Thomas' Stimme klang beinahe erleichtert. Vielleicht hatte sein Bruder ja doch mal einen Geistesblitz.
Stille herrschte, bis die beiden aus der geöffneten Terassentür das Geräusch der Kellertreppe hörten und das Zuschlagen der Tür, die zum Keller führte. Jessy kam durch die Terassentür getreten, ihre Miene verriet nichts von dem was im Keller passiert war... sie verriet überhaupt nichts. Sie war ausdruckslos, nicht freudig, nicht traurig. "Alles klar? Hast du ihn gut verschnürt da unten?", fragte Andreas vom Tisch aus, und Jessy ließ sich nur ein stummes Nicken entlocken, bevor sie sich auf eine alte, quietschende und völlig verwitterte Hollywood-Schaukel fallen ließ. Thomas sah sie ein wenig fragend an, er spürte dass etwas mit ihr nicht stimmte... aber vermutlich war sie gerade wieder auf dem Weg in ihre eigene Gedankenwelt. "Also, was tun wir jetzt?", fragte dessen Bruder und sah Thomas herausfordernd an. Er war der Denker der Dreien, er hatte immer eine rettende Idee in der Hinterhand, und darauf wollte sich Andreas auch jetzt verlassen. "Es gibt nur zwei Möglichkeiten...", dachte er laut nach und lehnte sich an einen Pfosten, der das Vordach über der Terasse hielt. "Entweder, wir nehmen unsere 20.000 Euro und verschwinden von der Bildfläche... irgendwohin ans Meer, wo uns niemand findet, oder...", er warf einen Blick in die Runde, wie sein erster Vorschlag wohl ankam. Jessy schaute ein wenig verschreckt mit offenen Augen ihren Bruder an. Einerseits, weil sie nicht unbedingt von hier weg wollte, andererseits hatte sie Angst vor dem "Oder". Andreas blickte seinen Bruder an und nickte. "Oder wir müssen dafür sorgen dass der Bulle niemandem mehr etwas erzählt." Es blieb still. Man spürte, dass keinem der dreien wirklich wohl bei dem Gedanken war. Sie waren bei ihren Überfällen nie zimperlich vorgegangen, Andreas hatte Spaß daran anderen schwächeren Typen weh zu tun. Dass dabei auch schon der ein oder andere nicht mehr aufgewacht war, daran verschwendete er keinen Gedanken, doch sein rational denkender Bruder wusste, dass bei den Überfällen mit Sicherheit bereits jemand zu Tode gekommen ist. Trotzdem war der Gedanke an vorsätzlichen Mord, um einen Zeugen verschwinden zu lassen, dazu noch einen Polizisten, unbehaglich für die beiden Männer.
Jessy sagte gar nichts. Sie starrte in Thomas Richtung, und die Gesichtsfarbe wich langsam. Dieser bemerkte es und schaute ein wenig verwirrt. "Ist das ein Problem für dich, Jessy?" Jessy konnte auf diese Frage keine direkte Antwort geben, denn in ihrem Kopf fuhren die Gefühle plötzlich Achterbahn. Warum war es ein Problem für sie? Warum fühlte sie auf einmal eine Panik in sich aufsteigen bei dem Gedanken daran, dass ihre Brüder Kevin einfach umbringen könnten, und warum machte sie dieser Gedanke auch noch todtraurig? Was fühlte sie für diesen fremden Mann, von dem sie überzeugt ist, dass er die gleichen Sorgen und den gleichen Kummer hat wie sie, von dem sie sich so angezogen fühlt, dessen Stimme sie seltsamerweise stundenlang zu hören könnte, oder ihm stundenlang zu sehen könnte, wie er sie anschwieg. Mit seinen melanchonischen blauen Augen, die sich offenbar so schwer taten vor Freude zu funkeln statt ohne großen Ausdruck an ihr vorbeizusehen. Sie konnte sich keine direkte Antwort draufmachen, als ihre Schaukelbewegung langsam abebbte. "Aber... das... wenn sie uns dann erwischen... dann...", begann sie ein wenig zu stottern und zu ihrer großen Erleichterung pflichtete Andreas ihr bei, ohne auf ihren emotionalen Ausbruch wert zu legen: "Da ist was dran, Brüderchen. Bei einem Bullenmord werden die nicht nachgeben. Und vielleicht suchen sie ihn schon." Thomas' Blick war alleine auf Jessica gerichtet, und seine Alarmglocken läuteten. Warum reagierte seine Schwester so sonderbar auf den Plan, den Bullen umzulegen?Keller - zur gleichen Zeit
Kevin war nicht erleichtert, dass Jessy ihn alleine ließ... im Gegenteil. Er genoß ihre Anwesenheit und erschrak selbst über diesen Gedanken. Brauchte sie nun Mitleid, oder brauchte er es? Wollte er jemanden zum Zuhören, oder sie... oder beide? Für einige Minuten saß er regungslos an der Wand, die Arme auf dem Rücken verschränkt, brennende Handgelenke. Warum redete er nicht mit Semir und Ben? Weil sie sowas nie durchgemacht haben? Semir als glücklicher Familienvater, Ben als wohlhabender Millionär durch einen reichen Vater? Fühlte sich der junge Kommissar mit seinen Sorgen vielleicht besser aufgehoben bei jemandem, der selbst von der Straße kam und selbst einsam war... wie Jessy? Seine Augen bewegten sich von der Wand, die er anstarrte weg, der mitunter etwas sture Ausdruck in seinen Augen wich dem resignierenden. Er seufzte und wusste nicht, wie er sich oder Jessy helfen sollte, könnte, wollte.
Zumindest hatte er eine Idee, wie er sich momentan helfen konnte. Nach einigen Minuten brachte er seinen Körper wieder in die Senkrechte und ging in Richtung des alten Holzregals. Er schaffte es mit den Händen auf dem Rücken eine der Glasflaschen herunter zu nehmen und probierte sie, durch eine Körperdrehung möglichst fest gegen die Steinwand zu werfen. Erst im dritten Versuch, mit jedesmal mühsamen Aufhebens der Flasche, glückte es und die Falsche zersprang in einige scharfe Einzelstücke. Einige Minuten wartete Kevin, ob sich auf der Treppe oder im Flur irgendwelche Geräusche auftaten. Als sich nichts tat, nahm er eines Glasstücke und versuchte mühsam und mit leisen Stöhngeräuschen die scharfe Kante über den Kabelbinder zu streifen. Er sah nichts, das Glas in der Hand wurde warm und war rutschig, er kratzte sich selbst mit der scharfen Bruchkante ein wenig die Haut an den Handgelenken auf. Nach 10 Minuten spürte er, dass er Krämpfe bekam und ihm das Stück Glas aus der Hand fiel. Er atmete etwas schneller und ließ sich erneut an der Wand herunter rutschen, legte den Kopf gegen die Wand und schloß die Augen... Müdigkeit überkam ihn... wie immer wenn er am Abend zuvor Tabletten genommen hatte.
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Schöne Atmosphäre bei dem Gespräch zwischen Semir und Ben, das hat mir gut gefallen. Die beiden halten einfach zusammen, und das erkennt man hier.
Tja, die beiden Trucker waren wohl absolut von sich überzeugt Aber wer sich erhöht wird schnell erniedrigt.
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Ben berichtet der Chefin, lässt aber die halbe Wahrheit weg... ohweh, das wird noch Ärger geben... aber zumindest Semir ist ein wenig besänftigt.
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Wald - 12:00 Uhr
Es gab keinen Zweifel - rund um die Hütte waren auf den recht trockenen Waldboden eindeutige Reifenspuren. "Ziemlich breit, könnten von einem SUV oder Geländewagen sein.", vermutete Semir sofort. "Anders kommt man hier auch nicht rein.", gab Ben zur Antwort und sah ein wenig aufgeregt in die Richtung, in der sie verschwanden. "Kommen sie auch von dort?", fragte er in die Richtung seines Partners, der in gebückter Haltung wie ein Spürhund, der einer heißen Spur folgte, den Reifenspuren nachging, um ihrem Verlauf zu folgen. "Sieht so aus. Hier hat er geparkt und dann gedreht - oder umgekehrt." "Dann lass uns ihnen folgen... aber merk dir den Weg, dass wir wieder zurückfinden." Ben lächelte obwohl ihm eigentlich gar nicht zum Lächeln zu Mute war und die beiden Polizisten verfielen in einen schnellen Gang. Die Vögel zwitscherten aus dem Blätterdach und es hätte so ein schöner Tag sein können, wenn die beiden Männer nicht von ihrer Sorgenlast erdrückt werden würden. Ben in Gedanken bei Kevin, was ihm wohl zugestoßen war, und ein wenig immer noch die Angst, dass er aus freien Stücken in den Wald ging, bzw von der Bildfläche verschwunden war. Und Semir, der sich zwar auch Gedanken um seinen jungen Freund machte, aber nach wie vor André auf Mallorca im Hinterkopf hatte.
Zweimal mussten sie abbiegen, ehe sie auf einen recht festgefahrenen Forstweg gelangten. "Er MUSS hier nach rechts abgebogen sein.", beharrte Semir, die Spuren die auf den Weg führten waren eindeutig. Auf den Weg selbst konnte man aber keine Spuren mehr feststellen, der Weg führte wie eine Schneise durch den Wald. "Der führt dann irgendwann auf die Landstraße. Dort können wir eh nicht nachvollziehen ob er rechts oder links abgebogen ist, weil wir schon hier keine Spur mehr sehen." Ben schaute ein wenig verzweifelt und beide atmeten auch ein wenig schneller, weil sie etwas schneller gegangen sind. "Scheisse!", rief der großgewachsene Kommissar voller Sorge und drehte sich um, den Blick zum Himmel gerichtet. Semir stand in etwas gebückter Stellung und hatte die Hände auf die Knie gestützt, bevor er sich wieder aufrichtete. "Komm, wir gehen zum Wagen zurück."
Auf dem Rückweg zog Semir sein Handy um über GoogleMaps zu schauen, auf welche Landstraße der betreffende Weg stoßen könnte. Dass er die Info an Ben weiterreichte war das einzige Gespräch, was sie auf dem Weg zurück zu Semirs BMW führten, zu weit waren beide Polizisten in ihre eigene Gedankenwelt verschwunden. Semir beorderte ausserdem die Spurensicherung zur Hütte um die Reifenspuren aufzunehmen. Hartmut würde sicherlich ein Fabrikat dazu finden, ausserdem konnten die Beamten noch mehr Spuren in der Hütte finden, die für die beiden Autobahnpolizisten mit bloßem Auge nicht erkennbar waren.
Als Ben sich auf den Beifahrersitz rutschen ließ, riss er plötzlich die Augen auf. Sein Kopf schnellte zu Semir herüber, der gerade seinen Wagen starten wollte: "Semir! Weißt du woran ich gerade denke?" Der Kommissar mit türkischen Wurzeln blickte verwirrt auf. "Nein... wie denn auch?" "Die Meldung heute morgen. Die versuchte Entführung im Rheinpark, bei dem die Frau entkommen konnte." Die Klarheit hatte Semir noch nicht erreicht. "Ja und?" Ben seufzte auf: "Mensch. Der Rheinpark ist nicht weit von Kevins Wohnung entfernt. Was ist, wenn er bei der versuchten Entführung dazwischen geplatzt ist. Und sie haben ihn mitgenommen, statt der Frau?" Die kleinen Rädchen in Semirs Kopf griffen ineinander und der Nebel lichtete sich, Durchblick stellte sich ein. Er nickte anerkennend ob Bens Gedanken und zog sein Handy erneut. "Andrea, mein Schatz", meldete er sich wie immer, wurde aber erst einmal unterbrochen. "Habt ihr Kevin gefunden?", meldete sich die sorgenvolle Stimme von Semirs Frau. Dieser seufzte: "Nein, noch nicht... aber wir haben vielleicht eine Spur. In den heutigen Lagemeldungen steht etwas von der versuchten Entführung einer jungen Frau. Kannst du bei der betreffenden Dienststelle Namen und Adresse der Frau rausfinden?" Andrea sagte sofort zu, dass sie sich direkt darum kümmern würde, während die beiden Beamten auf die SpuSi warten würde.Verlassenes Haus - 12:30 Uhr
Jessica war es nun, die Kevin von der Seite ansah, der seinerseits geradeaus blickte. "Was meinst du damit?", fragte sie ein wenig verwirrt ob Kevins ironischem Ausspruch, als sie über seine Vergangenheit spekuliert hatte. "Ich meine damit, dass nicht immer alles so ist wie es scheint.", sagte er mit eintöniger Stimmlage und sah das Mädchen, das neben ihm saß nicht an. Würde sie verstehen, was er damit meinte? Dass sie mit ihrer Vermutung über Kevins heile Welt völlig unrecht hatte? Er beschloß, nicht nach zu fragen und ließ sein Statement als solches stehen. Jessy blickte wieder in die gleiche Richtung wie ihr Nebenmann und schwieg... beide schwiegen. Entführerin und Opfer, sie saßen dicht beisammen, Kevins Oberarm berührte Jessys Schulter, bzw eher umgekehrt, denn sie lehnte sich sanft an den fremden Mann an. Dieser hatte plötzlich ein seltsames Gefühl in sich, mit dem jungen Mädchen an dessen Seite, das so naiv und zerbrechlich wirkte, aber gefährlich sein konnte wie eine Raubkatze. War es Mitleid? War es das Bedürfnis, ihr zu helfen, obwohl er sich gerade in erster Linie nicht mal selbst helfen konnte? Doch wollte sie überhaupt, dass man ihr half, oder fühlte sie sich ihren Brüdern so stark verpflichtet und verbunden dass jeder Hilfeversuch scheitern würde?
"Ich weiß nur, dass du deinen Traum niemals leben wirst, wenn du weiter mit deinen Brüdern Verbrechen begehst.", sagte er nach einer kurzen Weile, ohne Jessy dabei anzusehen. "Im Gegenteil. Für Menschenraub gehst du lange ins Gefängnis... und ich weiß nicht was ihr vorher noch so angestellt habt." Jessy blieb stumm... denn sie dachte nach. Über das, was sie als Antwort bekommen hatte, auf ihre absichtlich falsche Spekulation. Jessy war nicht dumm, und sie wusste dass Kevin keine gute Schulausbildung genossen hatte... sie wollte es nur als Bestätigung hören, weil sie sich nicht ganz sicher war."Und was hast du früher so angestellt?", fragte sie plötzlich und fuhr ihren Kopf herum. Kevin blickte sie überrascht an... dieses Mädchen steckte voller Überraschungen. "Wie meinst du das?" "Naja, du sagtest, es ist nicht alles so wie es scheint. Anscheinend lag ich ja mit meiner Vermutung über dich daneben." Der junge Polizist reagierte ablehnend... was wollte sie damit bezwecken dass ich ihr von mir erzähle? Was wollte dieses Mädchen von ihm? Sie steckte in einer Gang mit ihren Brüdern, die ihn gerade entführt hatten und jetzt offenbar überfordert mit der Situation, dass Kevin ein Polizist ist. Fühlte sie sich angezogen von ihm? Brauchte sie einfach jemanden zum Reden? Mein Gott, er hatte gerade wahrlich andere Probleme ...
"Warum willst du das wissen?", fragte er misstrauisch. Jessy sah ihm dann zum ersten Mal, seit sie in diesem Haus waren, wieder direkt in die Augen, und ließ diesen Blick auch nicht sinken. "Weil ich spüre, dass du genauso einsam warst und bist wie ich. Weil ich spüre, dass du nicht glücklich bist." War das Mädchen eine Psychologin? Oder erkannte man an Kevins Schatten im Gesicht und seinen müden Augen wirklich, dass er sich langsam in seiner Einsamkeit verlor? Denn verdammt nochmal, sie hatte recht. Kevin hatte in seiner schwersten Zeit bevor sie Becker, den Mörder seiner Schwester, gestellt hatten wenigstens seine Arbeit, die ihn für einen Teil des Tages abgelenkt hatte. Danach ging es im zwar besser, er kam zeitweise von den Drogen weg, doch die Schatten holten ihn in letzter Zeit immer wieder ein... so sehr, dass er sich nicht mal mehr dazu aufraffen konnte, sich endlich auf eine neue Abteilung zu bewerben. Er hatte Semir nichts erzählt, er hatte Ben nichts erzählt... jetzt würde er ausgerechnet seiner Entführerin etwas erzählen, weil sie sich genauso fühlte wie er? Die Flut dieser Gedanken hatte ihn beinahe so weit überrumpelt, dass er dem inneren Drang nachgeben wollte, los zu reden... doch die Wand, die er sich um seine Seele gebaut hatte, in die er nur Semir und Ben kurze Zeit Einblick gewehrt hatte, ließ die Worte abprallen. "Du weißt gar nichts über mich.", sagte er in seiner arrogant anmutenden Art, die er gebrauchte um sein wahres Seelenleben zu verstecken. Jessy verharrte kurz neben ihm, dann erhob sie sich langsam wortlos und ließ Kevin eingesperrt und mir versteinerten Gesichtszügen im Keller zurück. -
Tja, da waren die LKW-Fahrer nicht so clever, wie sie gedacht haben. Oder waren es nicht die beiden, die überfallen wurden, sondern andere? Das ging nicht ganz klar hervor.
Ansonsten bin ich mal gespannt, wie du Alex Brandt umsetzen tust
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Das ist wirklich nicht die feine Art, Semir da im Ungewissen zu lassen. Ein kurzer Anruf hätte er wirklich noch hinter sich bringen können.
Ob ein Trip bereits abhängig macht? Mal abwarten, ob Ben damit später Probleme bekommt, wenn die Wirkung komplett nachlässt.
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War nicht ganz ernst gemeint
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Da war doch ein Regal mit alten Flaschen in dem Raum,super geeignet um Kabelbinder durchzuschneiden.
Ach Menno, wenn ihr sowas schreibt, und es passiert wirklich so, denkt ihr bestimmt, ich schreibe eure Ideen ab Aber die Flaschen hab ich natürlich absichtlich erwähnt
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Also Handy-Ortung kann man schon mal knicken... wäre auch zu schön gewesen
Wirkliche Spuren haben die beiden nun auch nicht gefunden, da wird man wohl Geduld haben müssen, bis die Entführer sich melden, oder auf die Reifenspuren hoffen.
Hartmut hat einen Cold Turkey vom Chatten und Social Network??? Ach du je... dreht sich die Story letztendlich vielleicht mehr um Hartmut? -
An Haus Fühlingen hab ich auch schon gedacht das würde aber mit der Geschichte nicht ganz zusammenpassen. Mal sehen
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Verlassenes Haus – 11:45 Uhr
Kevin konnte nicht sagen, wie lange er nun mit den drei Entführern Thomas, Andreas und Jessy durch den Wald und danach auf der Straße gefahren ist. Er konnte nicht mal genau sagen ob es schon Mittag war, oder vielleicht sogar schon nachmittag. Er spürte aber die Wärme unter seiner Lederjacke, die Sonnenstrahlen , sein Gesicht trafen als er von Andreas grob aus dem Kofferraum gezerrt wurde, der ihm dann erst mal den Kabelbinder von den Füßen befreite. Kevin spürte harte Pflastersteine durch seine dünnen Schuhsohlen. Er konnte Vögel zwitschern hören, die Luft roch frisch… es waren keine Autos zu hören. Sie mussten sich weit draussen vor der Stadt befinden, aber er hatte keine Ahnung wo er war. Andreas stand hinter ihm und stieß ihm die Waffe zwischen die Schulterblätter. „Los, immer geradeaus.“, herrschte er ihn an und der junge Polizist setzte sich langsam in Bewegung. Einige Steine knirschten auf den Pflastersteinen unter seinen Schuhen, und nur zögerlich setzte er einen Fuß vor den anderen, weil er nicht wusste, auf was er zusteuerte. Jessy bemerkte seine Unsicherheit und legte eine Hand um seinen Oberarm um ihn ein wenig zu führen. Ein leichtes Zucken durchfuhr seinen Arm, als er die Hand spürte, wieder weil er nicht damit rechnete, dass ihn plötzlich jemand berührte. Offenbar war man so weit draußen in Einsamkeit dass die Entführer es nicht für notwendig erachteten, ihm den Knebel wieder auf den Mund zu kleben.
Als sie vor der schweren, wuchtigen Holztür des Hauses angekommen waren, bremste Jessy Kevins Vorwärtstrieb. Andreas hätte ihn gnadenlos mit dem Gesicht gegen die Tür laufen lassen. Sie standen nun vor dem Haus, das einsam in einer kleinen Nebenstraße, mehrere Kilometer ausserhalb von Köln stand. Saftige Wiesen ringsherum, ein großes Grundstück, beinahe ein Park. Das Haus wurde im 18ten Jahrhundert gebaut, wurde lange von reichen Bauersleuten bewohnt und immer wieder weiter vererbt. Es war massiv gemauert, hatte zwei Stockwerke und den ein oder anderen Erker und Turm. Doch bereits von aussen sah man, dass das Haus lange nicht mehr bewohnt war. Der Putz blätterte ab, viele Efeuranken hatten Besitz von der Hauswand ergriffen. Die Holzgeländer waren verblichen und morsch, die Fenster allesamt staubig und milchig. Das Gras wucherte im Garten und neben dem Haus, der Zaun war verfallen, das Dach längst nicht mehr dicht. Wind und Wetter hatten an dem alten Gebäude gezehrt, um das sich schon 40 Jahre niemand mehr kümmerte.
Thomas stand neben der Treppe, die zur Haustür führte und zog aus einer kleinen Steinmauer einen Stein heraus. Dahinter lag der Haustürschlüssel, den sein Ur-Großvater dort schon immer versteckt hatte. Er war der letzte, der dieses Haus bewohnte. Danach hatte sich keiner mehr darum gekümmert, weder die Großeltern des Geschwister-Trios, noch die Eltern. Es verfiel zusehends vor sich hin. Thomas steckte den Schlüssel ins Schloß und ließ die schwere Holztür aufschwingen. Sofort schlug den Vier ein abgestandener modriger und muffiger Geruch entgegen. Das Haus hatte eine weite ausladende Diele, eine breite Holztreppe mit massiven verschlungenen Geländern. Überall lag dicker Staub, von den Wänden begannen Putz und Tapete abzublättern, einige Möbel standen noch an ihrem Platz, andere lagen wild verstreut im Raum. Eine Fensterscheibe, die vom Wohnzimmer in den Garten führte war zerbrochen. „Waren wohl wieder ein paar besoffene Kids hier.“, murmelte Andreas ärgerlich. „Müssen wir reparieren.“ , stimmte Thomas zu. „Los, pack ihn in den Keller, dann müssen wir uns unterhalten.“, gab er sofort Anweisungen weiter. Unter der Holztreppe, die nach oben führte war eine weitere Holztür. Sie hatte einen alten Eisengriff, und dort ging es eine Steintreppe hinab ins Kellergeschoss.
Es war ein typischer Keller eines alten Hauses. Es roch modrig und feucht, die Luft war kalt. Jetzt war Kevin wieder froh, seine Lederjacke anzuhaben. Dass er sich in einem Haus befand wusste er mittlerweile, doch er wusste nicht wo, noch wie das Haus in etwa aussah. Jetzt merkte er, dass die Treppe die er herunterging nicht unbedingt ganz eben und gerade war. Das Haus musste alt sein. Ebenso das „Klack“ des typisch alten Drehschalters, statt eines Kippschalters als Andreas den dunklen Kellergang… ja es war mehr ein Gang, als ein Flur, erleuchtete sprach für Kevins Gedanken. Viel weiter mussten sie nicht gehen. In der zweiten Tür auf der rechten Seite befand sich eine weitere Holztür, diese wurde von Jessy geöffnet und Kevin hinein gestoßen. „Klack“ machte es und eine spärliche Glühbirne erleuchtete den Kellerraum, in dem ausser einem alten Holzregal mit einigen Flaschen nichts weiter stand. Ein kleines eckiges Fenster mit Eisengitter davor, und einer Menge Spinnenweben, spendete ebenfalls ein wenig Licht. „Los, rein da.“, knurrte Andreas und gab Kevin wieder einen Stoß, der somit den Raum betrat und verwirrt den Kopf hin und her drehte. „So, wo können wir dich denn hier festmachen?“, meinte der großgewachsene kräftige Kerl und sah sich um. Doch Jessy nahm ihm die Denkarbeit ab. „Gib mir die Kabelbinder, ich mache das… geh du hoch zu Thomas.“ Andreas sah Jessy zweifelnd an. Konnte er seine kleine Schwester wirklich mit dem Bullen alleine lassen? Aber naja, sie hatte schließlich die Waffe, und der Typ war gefesselt. Viel mehr Gedanken machte sich der einfältige Andreas nicht, und so überließ er die Kabelbinder und den Schlüssel Jessy, und stapfte wieder hinauf.
Jessy wartete bis sie die Kellertür schliessen hörte und nahm Kevin erst mal die Augenbinde ab. Der junge Polizist presste die Augen zwei – dreimal aufeinander, um sich an das neue Umgebungslicht zu gewöhnen. „Wo sind wir hier?“, fragte er im ersten Affekt, nach dem er sich in dem Kellerraum umgesehen hatte. „Im Haus meiner Uroma.“, antwortete Jessy. Na klasse, dachte der junge Polizist. Gott weiß wo das ist… hier höre ich kein Auto, keine Autobahn… nichts. Ausser Vögel… „Was ist dir lieber? Wenn ich dich an das Gitter binde, oder deine Hände auf dem Rücken lasse, damit du ein wenig umher gehen kannst?“, fragte das junge Mädchen und sah Kevin in seltsamer Art und Weise vertrauensvoll an. „Lass mich ein wenig gehen bitte.“, antwortete er sofort. Die Chancen seine Fesseln dann irgendwie los zu werden, waren um ein Vielfaches höher als wenn er an diesem beschissenen Gitter angebunden war. Das Mädchen lächelte den Cop an, und schloss die Tür. „Die unterhalten sich bestimmt oben, da stör ich nur.“, gab sie sich selbst einen Grund noch ein bisschen weiter bei Kevin zu bleiben. Sie setzte sich auf den kalten buckeligen Steinboden und Kevin bewegte ein wenig seine eingeschlafenen Beine.
„Du hast mir eben noch nicht gesagt, warum du keine Lehrerin oder Krankenschwester geworden bist.“, meinte Kevin dann plötzlich und warf einen Blick auf das so seltsame Mädchen. „Achja… ich… ich war in der Schule zu schlecht.“, meinte sie schnell. Kevin musste unweigerlich ob dieser offensichtlichen Lüge grinsen. „Wie lange bist du denn zur Schule gegangen?“, fragte er ohne spöttischen Unterton. „Bis ich 15 war.“, sagte sie, und ihre Stimme wurde ein wenig leiser. „Und dann?“ „Dann habe ich mit meinen Brüdern mitgemacht.“ Sie saß am Boden, den Rücken gegen die kalte Steinwand gedrückt, und die Beine ein wenig an den Leib gezogen. Es tat ihr gut, dass sie redete… mit jemandem, der ihr zuhörte. Wenn sie Sorgen oder Kummer hatte, traurig war weil sich ihre Träume nicht erfüllten, sprach sie mit niemandem. Sie würde zwar für ihre Brüder durchs Feuer gehen, doch sie wusste auch dass weder Thomas, schon gar nicht Andreas Männer waren, die ihr bei ihren Problemen zu hörten. Sie lösten Probleme, meistens mit Gewalt, aber diese waren nicht einfach zu lösen, und schon gar nicht mit Gewalt.
Kevin ließ sich neben Jessy langsam auf den Boden nieder, und sah das Mädchen von der Seite an. „Wolltest du das damals unbedingt? Bei deinen Brüdern mitmachen?“ Ihn beschlich ein eigenartiges Gefühl, dass Jessy nicht so viel Freude an dem hatte, was sie hier tat. Das Gefühl wurde durch ganz leichtes Kopfschütteln ihrerseits bestätigt. „Wieso hörst du nicht auf?“ Ihr Kopf fuhr langsam zu Kevin herum, die Blicke trafen sich sofort. „Ich kann doch meine beiden Brüder nicht im Stich lassen.“ Den Gedanken kannte Kevin… das hatte er oft zu André gesagt, als der versuchte ihn aus der Straßen-Gang heraus zu holen… er könne seine Freunde doch nicht im Stich lassen. Es dauerte bis er merkte, dass seine Freunde ihn noch tiefer reinzogen. Er sagte nichts auf Jessys Begründung und schaute wieder geradeaus gegen die gegenüberliegende Wand. Das Schicksal des Mädchens interessierte ihn, er konnte nicht genau sagen, ob er sich einen eigenen Vorteil daraus versprach, wenn sie ihm vertraute… oder ob er es wirklich wissen wollte. Schließlich war sie seine Entführerin…
„Was ist mit dir?“, fragte sie plötzlich und schaute den jungen Mann weiter von der Seite an. „Wer wartet zu Hause auf dich? Frau, Freundin, Kinder?“ Kevins kurzes Schmunzeln war eher bitter ironisch als belustigt. Dann schüttelte er langsam den Kopf. Im Prinzip war er so einsam wie Jessy, nur dass er mit Semir und Ben auch über private Probleme reden konnte. Doch von denen hatte er sich in den letzten Wochen mehr und mehr zurückgezogen, auch wenn Ben immer wieder Vorstöße unternommen hatte. „Ne… weder noch.“, sagte er dann mit seiner etwas eintönigen Stimmlage. „Soso“, lächelte Jessy. „Naja, was weißt du schon als Polizist von einem Leben auf der Straße.“, spottete sie dann plötzlich und erhob sich, so dass Kevin zu ihr heraufblickte. War er als Polizist plötzlich doch nicht mehr wert genug, ihre Geschichte zu hören? „Du hattest bestimmt eine schöne Kindheit, ne gute Schulausbildung und dann ne Ausbildung… oder?“ Sie zählte das auf, was sie sich gewünscht hätte, und bemerkte nicht Kevins Ausdruck in seinen Augen, als er mit einem zynischen Lächeln langsam zu Boden blickte und ein leises „Ja genau...“, beinahe vor seine Füße spuckte…