Dienststelle – 9:00 Uhr
Ben hatte schlecht geschlafen… wer konnte es ihm verübeln? Er schlief immer schlecht, wenn er sich um etwas besonders viele Gedanken machte, oder es in ihm drin einfach „unruhig“ war. Das neblige und trübe Frühlingswetter tat sein Übriges dazu bei, dass er zwar pünktlich, aber nicht gerade bester Laune auf der PAST erschien, und seine Jacke über den Stuhl hing. Nanu, Semir war noch nicht da?, dachte er überrascht, als er im Büro erst mal die Kaffeemaschine anwarf, die fröhlich begann vor sich hin zu blubbern. Er sah durch die Glasscheibe nach draussen ins Großraumbüro, das erfüllt war vom geschäftigen Stimmen der Kollegen untereinander und mit den Telefonhörern, das Summen der Faxgeräte und das Knacken von Funksprüchen. Und wieder hing der junge Kommissar seinen Gedanken nach… wie könnte er nochmal versuchen, Semir auf André und dessen Problem anzusprechen. Es war ihm ja völlig klar, dass Semir darauf sensibel reagierte, und dass Ben ihm keine logischen Vorschläge machen konnte, denn der einzige logische Vorschlag war: André bei Interpol zur Fahndung ausschreiben und festnehmen lassen. Doch selbst Ben würde diesen Vorschlag nicht gut finden, in gewisser Weise hatte er sich mit André damals ja doch angefreundet. Und sein Partner und Freund würde das sowieso nicht übers Herz bringen. Das Foto! Ben musste Semir überreden, die Fotos zu Hartmut zu bringen und endlich eine Überprüfung zu beauftragen, ob die Fotos manipuliert worden sind. Damit konnte man dem ehemals verschollenen Ex-Kommissar doch am besten helfen. Davon musste Ben Semir überzeugen.
Während der Polizist seine Gedanken sortierte, schnappte er sich die inzwischen volle Tasse Kaffee und setzte sich an seinen Platz, um die aktuellen Lagemeldungen zu lesen. Gerade war eine frische Meldung „Versuchte Entführung“ herein gekommen, die Ben aufmerksam las. Eine, offenbar sehr aufgelöste Frau war vor anderthalb Stunden bei der Polizeidienststelle am Rheinpark aufgetaucht, und hatte völlig aufgelöst davon erzählt, dass man sie gerade entführen wollte. Drei vermeintliche Täter, zwei männlich und einer weiblich. Im Handgemenge konnte sie entkommen. Ben nippte am Kaffee und schüttelte ein wenig den Kopf. Wer ging heute noch das hohe Risiko einer Entführung ein, in der heutigen Zeit, in der man jedes Handy orten kann, jedes Gespräch mitschneiden und anhand der Stimme feststellen kann, ob ein Mensch Vegetarier ist, oder Abitur hat. Und dann hatte die Entführung nicht mal geklappt, stellte er ein wenig belustigt fest.
Der nächste Schluck Kaffee blieb ihm im Halse stecken, als er an den verlassenen Wagen auf dem Rastplatz gestern dachte. Ein verlassener Wagen, ein Ehemann der nervös ist und eine Frau, die einfach mal so verschwindet… In Bens Kopf setzten sich die Informationen wie Puzzle-Teile zusammen. „Das gibt’s ja nicht…“, murmelte der Polizist, in sich hinein und sah auf. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, Semir zu überzeugen der Sache nach zu gehen, damit der mal wieder auf andere Gedanken kommt… auch wenn er ihn wahrscheinlich mit Engelsgeduld dazu überreden müsse, endlich wieder Motivation für die Polizeiarbeit zu bekommen. Dieser verdammte Sturkopf.
Als würde er vom Teufel denken, so kam Semir dann zur Tür herein und wünschte, eher sachlich als freundlich einen guten Morgen. „Morgen.“, gab Ben zurück und winkte seinen Partner sofort herbei. Er wollte zunächst nichts von ihrem Streit sagen, überhaupt nicht auf das leidige Thema „André“ zu sprechen kommen. Semir sah interessiert auf und kam, noch in Jeansjacke bekleidet an Bens Tisch. „Lies mal durch.“, empfahl ihm sein jüngerer Partner und der kleine Kommissar ließ seine Augen schnell über den Monitor gleiten. „Ja und?“, fragte er verwirrt, als er den kurzen Bericht gelesen hatte. „Was hat das mit uns zu tun?“ „Denk mal an den Wagen gestern zurück. Ein verlassener Wagen, eine Frau die einfach mal so verschwindet und ihren Wagen stehen lässt, und ein Ehemann, der einerseits hypernervös ist und auf der anderen Seite sich keine Sorgen macht?“ Ben sah Semir herausfordernd an, doch der antwortete unsicher: „Der Mann war gestern nervös?“ Der junge Polizist verdrehte die Augen… Semir konnte, mit seiner ganzen Erfahrung, sofort Stimmungsbilder von Zeugen oder Verdächtigen erkennen und drauf reagieren… und das Verhalten des Mannes gestern war so was von eindeutig. „JA, Semir! Der Mann war gestern nervös.“
Semir bemerkte selbst, wie durcheinander er war. Natürlich war der Mann gestern nervös, er hatte es ja selbst gesagt. Mit den Fingern die Augen kurz reibend, sah Semir kurz zu Boden und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Ben.“ Er hatte sich in der Nacht sehr viele Gedanken gemacht, auch nach dem Gespräch mit Andrea. Er machte sich das Leben selbst schwer und belastete damit das Klima zu Ben… und das wollte er eigentlich nicht. Ben war sein bester Freund, er konnte ihm alles anvertrauen und sein bester Freund würde ihm vermutlich nie in den Rücken fallen, auch wenn er jetzt davon sprach, dass er sich Sorgen um seinen Job machte. Doch Ben hatte bereits bei seinem allerersten Fall mit Semir bewiesen, dass ihm sein Job scheißegal war, und das fand der Deutsch-Türke extrem bemerkenswert und es brach zum ersten Mal das Eis zu seinem, damals neuem, Partner. „Momentan geht mir soviel im Kopf herum… ich versuche es wirklich nach hinten zu schieben. Sorry, wenn mir das nicht immer gelingt.“, sagte er ehrlich und ließ Ben ein wenig überrascht aufschauen. Semir untertrieb mit dem „nicht immer gelingt“ zwar maßlos, denn in Wahrheit gelang es ihm in letzter Zeit überhaupt nicht, aber mit einer Entschuldigung hatte der junge Polizist wahrlich nicht gerechnet. Deswegen wollte er auch nicht weiter darauf rumreiten, und kehrte schnell zu seiner Theorie zurück: „Was hälst du von den Gedanken?“, fragte er und sah seinen Freund erwartungsvoll an, der offenbar zum ersten Mal seit Wochen wirklich konzentriert über seine Arbeit nachdachte. „Das offene Auto würde dafür sprechen. Warum hat uns der Mann nicht informiert?“ „Weißt doch wie das ist. Keine Polizei, sonst schneiden wir deiner Braut die Fußnägel.“ Semir sah Ben ein wenig schnippisch an ob seiner, oftmals immer wieder locker-flapsigen Art. „Aber wer hat den gerade Mal soviel Asche auf der Bank um ein Lösegeld zu zahlen? Der Mann war noch recht jung… ich meine klar, es gibt reiche Söhne aber…“, begann nun Semir seinen Partner ein wenig zu necken, weil er wusste wie allergisch Ben darauf reagierte, wenn man ihn mit seinem reichen Elternhaus aufzog. „Ach.“, machte er eine abwehrende und, für Semir, verstummende Handbewegung. „Was ist, wenn er noch gar nicht weiß, wie viel die Kidnapper verlangen?“, stellte er die nächsten Vermutungen an, wobei sein Partner nun den Kopf schüttelte. „Ach, du denkst gar nicht, es wären die gleichen, die gerade eine Entführung versucht hatten?“ „Ähm… daran hatte ich jetzt gar nicht gedacht. Das würde ja dann heißen, die hätten die Frau schon… oder mehrere?“ Nun sahen sich beide Kommissare fragend an, das waren eindeutig zu viele Vermutungen und Variablen auf einmal. „Da bleibt nur eins… wir quetschen diesen Konz mal ein bisschen genauer aus.“, meinte Semir unternehmungslustig und nahm seinen Schlüssel vom Schreibtisch. Ben lächelte: „So mag ich dich.“
Auf dem Weg nach draußen vernahm Ben seinen Klingelton für einen ankommenden Anruf. Er zog das Handy aus der Jacke, warf einen Blick drauf und erkannte den Namen „Kevin“ auf dem Display. „Ach, meldet der sich auch mal wieder.“, brummte er und nahm ab. „Ja, Kevin? Was gibt’s?“ Das nächste, was Ben vernahm, war das Klicken dass die Leitung wieder unterbrochen wurde. Vor der Beifahrertür blieb der Polizist stehen und sah verwirrt auf sein Smartphone. „Was isn?“, fragte Semir, der bereits im Begriff war einzusteigen. „Kevin hat versucht mich anzurufen, aber die Verbindung ist weg.“ „Das kommt davon, wenn man sich so nen Apple-Mist kauft. Immer das Teuerste vom Teuren.“, lästerte Semir vom Inneren des BMWs, bis Ben endlich einstieg. Während sein Partner den BMW auf die Autobahn lenkte, versuchte Ben Kevin nochmal zurück zu rufen, doch es hob niemand ab.
Beiträge von Campino
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Danke für eure feeds und euer Lob.
und silly: Kevin hat braune Haare
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Hütte im Wald – 8:00 Uhr
Die Fahrt zur Hütte verlief weitgehend stillschweigend. Andreas hatte zwar den ein oder anderen Fluch ausgestoßen darüber, dass die zweite Entführung nicht so glatt lief, wie die erste, doch Thomas konnte seinen kleinen Bruder einbremsen. „Ist doch jetzt scheißegal, ob die uns 20000 für nen Typen oder ne Tussi bezahlen. Behalt die Nerven!“, raunte er und hielt den Wagen vor der Hütte an. Jessica saß still auf der Rückbank und hörte ihren Brüdern zu, sie war stolz auf sich dass sie den Angreifer ausgeschaltet hatte, mit den Waffen einer Frau. Egal wie kräftig und groß ein Mann war… einen wunden Punkt hatte er immer. Und auch Thomas schien dies sowohl mit Wohlwollen als aber auch mit Magenkrämpfen zu beobachten, als er zu Andreas sagte: „Kannst dich bei Jessi bedanken, dass sie so geistesgegenwärtig reagiert hat. Sonst hätte der Typ dich fertig gemacht.“ „Pff… fertig gemacht. Guck dir das halbe Hemd doch mal an.“, meinte der schnippisch und stieg aus dem Geländewagen aus um sofort zur Heckklappe zu gehen. Der Mann lag zusammengekauert im Kofferraum, die Hände bereits mit Kabelbinder zusammengebunden. „Naja, halbes Hemd war er ja nicht gerade.“, maulte Jessica ein wenig belustigt, die sich ihre Tat nicht kleinreden lassen wollte. „Schluß jetzt.“, bestimmte der Anführer des Trios. „Los, wir packen ihn rein. Bei dem müssen wir mehr aufpassen, als bei einer Frau.“
Die beiden Männer packten ihr Opfer und trugen es in die Hütte, in das hintere Zimmer, das nur mit einer Matratze ausgestattet war. Sie hoben ihm die Arme nach oben, um diese an einem Ring, der fest an der Wand hing, zu befestigen. Dabei schnitt sich der Kabelbinder, den sie benutzen, tief ins Fleisch. Zusätzlich verbanden sie ihrem Opfer erst mal die Augen, und klebten ihm, wie der Frau, Klebeband über die Lippen. Auch die Beine wurden mit Kabelbinder fixiert. „Der rührt sich erstmal nicht wenn er wach wird.“, sagte Thomas, als er das zusammengeschnürte Päckchen betrachtete. Er lächelte und verließ mit seinen Geschwistern den Raum. „Schauen wir nicht nach seinem Handy?“, fragte Jessica verwirrt und sah Thomas an. „Andreas und ich müssen noch was erledigen. Du bleibst so lange hier. Egal, wie und weshalb sich der Typ da drin meldet, du gehst nicht rein ohne uns, ist das klar?“, warnte er seine Schwester mit erhobenem Zeigefinger, wie ein Vater seine Tochter. „Was haben wir den zu erledigen?“, fragte Andreas, verwirrt wie immer, doch sein Bruder wiegelte ab. „Das sag ich dir im Auto!“, und Andreas verstummte sofort. „Schaffst du das, Jessi?“, wollte Thomas nochmal auf Nummer sicher gehen, ob er seine kleine Schwester hier alleine lassen könne. „Klar. Der kommt da nicht los, und ich geh nicht rein. Kein Problem.“ Das fast schon stolze Lächeln auf dem Gesicht ihres Bruders ließ sie ebenfalls lächeln, und sie ließ sich auf ihre Matratze fallen, während die beiden Männer die Hütte verließen.
Nach einiger Zeit konnte Jessica Geräusche aus dem Nebenraum vernehmen. Ein Kratzen, ein Schaben. Entweder wurde der Mann langsam wach und verstand seine Situation, oder er träumte unruhig. Die junge Frau störte sich erst nicht dran, und ließ weiter in dem Buch, welche sie sich durch die zahllosen Kiosk-Überfälle immer wieder hat mitgehen lassen. Doch irgendwann ließ sie sich von der Neugier packen. Sollte sie doch mal reingehen und schauen, ob er wach war? Sie könnte ja schon mal das Handy durchsuchen, nach auffälligen Namen, so wie es ihr Bruder getan hatte. Damit würde sie ihm ein wenig Arbeit abnehmen… sie dachte nach, als sie langsam auf die Tür zusteuerte und den Schlüssel umdrehte.
Der Mann saß, nein er hing mehr an den Kabelbinder und der Wand. Seine Nasenflügel blähten sich schnell auf und ab, weil er ruckartig durch die selbige atmete, da der Weg durch den Mund versperrt war. Jessica beobachtete den Mann genauer… wen hatten sie sich da angelacht. Die Jeans, die der Mann trug, hatte sicherlich schon bessere Tage gesehen, die Lederjacke war auch nicht mehr die neueste. Seine kurzen braunen Haare hatte der Mann mit Mühe und Haargel in alle Richtungen stehen. Jessica schätzte ihn auf Ende 20. Offenbar war er wach, ein paar gurgelnde Laute waren unter dem Klebeband zu vernehmen, als sie näher kam. Er spürte die Schritte von Jessi, er fühlte ihre Anwesenheit, und sein Kopf bewegte sich plan- und orientierungslos, da seine Augen verbunden waren. Er zuckte kurz auf, als sie seine Jacke berührte und ihre Hände in die Innentaschen steckte um das Handy zu ertasten. Sein Oberkörper bäumte sich auf, als wolle er sich dagegen wehren und der Kabelbinder drückte sich mehr und mehr in seine Haut. „Hör auf damit, du Idiot.“, rief sie laut, als er versuchte, sich weg zu drehen, und hörbare Unmutsäußerungen nur als monotones „Hmmmm“ unter dem Klebeband hervorkamen. Als Jessica das Handy endlich zu greifen bekam, stand sie auf und trat dem hilflosen Mann mit ihrer, zur Verfügung stehenden Kraft in die rechte Körperseite. Das Geräusch wandelte sich zu einem unterdrückten Stöhnen und die Atmung des Mannes ging wieder schneller. Nein, Jessi würde sich schon zu wehren wissen, wenn der Mann Dummheiten versuchen würde, dachte sie sich selbst, als sie den Startknopf des Handys betätigte. Es war angeschaltet und nur durch eine Wischbewegung konnte sie den Bildschirm entsperren. Sie lächelte und verschloß die Tür wieder hinter sich, ließ den schnell atmenden Mann orientierungslos zurück und setzte sich an den Tisch im Raum.
Erstaunlicherweise hatte der Mann gerade mal 8 oder 9 Nummern in seinem Handy gespeichert. Fast alles waren Männernamen, nur ein Name fiel ihr sofort auf. „Engel“. Die Freundin? Die Ehefrau? Naja, das hatte sie ja schon mal rausgefunden, dachte sich Jessica und legte das Handy auf den Tisch. Sollte sie anrufen? Nein, das würde sie Thomas überlassen.
Gerade wollte die junge Frau wieder zur Matratze zurückkehren, als die Neugier sie packte. Wer würde ans Telefon gehen, wenn sie die Nummer anrufen würde, die unter „Engel“ gespeichert war? Dann hätte sie bereits einen Namen. Ihre Hand schwebte über dem Mobiltelefon, das auf dem Tisch lag, und ihre Neugier schien zu zerbersten. Sie schnappte sich das Handy erneut, entsicherte es und wählte die entsprechende Nummer aus. Den Finger bereits auf den „Auflegeknopf“ haltend, wartete sie mit Spannung die ersten Töne ab. Doch Jessica wurde enttäuscht, als sie die Bandansage hörte: „Diese Nummer ist nicht vergeben. Bitte rufen sie die Auskunft an.“ „Sowas blödes…“, murmelte Jessica und legte das Handy zurück auf den Tisch. Die anderen Namen waren normale Namen, da konnte sie nicht einfach einen anrufen. Verdammt… Sie starrte das Handy auf dem Tisch an, als würde es ihr eine Antwort liefern auf die Frage, die sie sich gerade stellte. Warum speichert jemand, der offenbart Wert auf Ordnung in seinem Handy legt, weil er so wenig Kontakte wie möglich hat, eine Nummer unter dem Pseudonym „Engel“ ab, die es überhaupt nicht mehr gibt? Was hatte es damit auf sich? Eine Antwort konnte sich die junge Frau erst mal nicht geben und ließ sich wieder auf die Matratze zurückfallen. -
Semir’s Haus – 21:00 Uhr
Ein wenig plagte Semir das schlechte Gewissen doch. Er hatte mit Ben nicht mehr viele Worte gewechselt, zumindest fast keine persönlichen mehr. Dabei machte sich sein Freund doch nur Sorgen um ihn, wie er mit der Situation um André fertig wurde. Und er machte sie sich zurecht, den Semir ging diese Sache mehr an die Nieren als er selbst zugeben wollte. Er kam nach Hause, aß stumm zusammen mit Andrea, die ihn ebenfalls hin und wieder sorgenvoll ansah, weil sie ahnte, dass den Polizisten irgendwas beschäftigte. Frauen hatten einen sechsten Sinn für sowas, vor allem die eigene Ehefrau. Er spielte, mehr gezwungen mit seinen beiden Töchtern eine Runde Mensch-Ärger-dich-nicht, nur selten lachte er mit ihnen. Semir drohte an der Last auf den Schultern, die er sich selbst aufgeladen hatte damit, dass er André am Flughafen hatte laufen lassen, zu zerbrechen. Er brauchte unbedingt Hilfe… oder er müsste die Last selbst abschütteln.
„Was ist denn los mit dir?“, fragte Andrea einfühlsam, als sie schließlich gemeinsam auf dem heimischen Sofa saßen und das Abendprogramm am Fernsehen durchzappten. Semir sah sie etwas überrascht an, und wiegelt sofort ab. „Was meinst du?“ – „Na komm. Wie lange sind wir jetzt zusammen, wie lange sind wir verheiratet? Ich merke doch, dass dich was belastet, und das nicht erst seit gestern.“ Semir seufzte, seine Frau würde er nicht belügen können. Die konnte durch ihn durchsehen, als sei sein Körper aus Glas, und als würden seine Gefühle und Sorgen wie mit dickem schwarzen Edding auf der Stirn stehen. Warum hatte sie nicht schon früher gefragt, schließlich war die Sache mit André bereits anderthalb Monaten her. „Hat es was mit Andrés Abschied zu tun?“, half sie ihm ein wenig auf die Sprünge, und ließ ihn nun den Kopf direkt zu seiner Ehefrau drehen. Ein Gedanke durchzuckte Semir kurz, und ließ ihn sofort wieder los… das musste Zufall sein, das konnte sich Andrea doch selbst zusammenreimen. „Es war alles so unwirklich irgendwie.“, antwortete der Kommissar recht allgemeingültig. „Ich weiß…“, bestätigte seine Frau, mit dem klaren Wissen über die Vorgänge, die Semir mit Ben und Kevin geheim gehalten hatte. In ihrem Kopf arbeitete es… sollte sie Semir sagen, was sie weiß, und so irgendwie auf ihn Einfluss nehmen? Doch sie kannte ihren Mann… es würde das momentan schlechte Klima zwischen ihm und Ben noch mehr belasten, vielleicht sogar mehr als das. „Aber du weißt doch, dass jetzt alles in Ordnung ist. Er ist auf Mallorca, und lebt dort sein Leben.“ Semir sah seine Frau nicht an, während sie diese Worte sprach, er kniff die Lippen zusammen und sah einfach nur unglücklich drein. „Oder glaubst du ihm immer noch nicht, dass er keine schlimmen Verbrechen getan hat.“ Was sollte er darauf antworten? Seine Frau belügen, er kannte die Wahrheit ja. „Ich… ich weiß nicht.“, stotterte er und es wurde ihm auf einmal glühend heiß. Er hatte gehofft, Andrea würde ihn nicht darauf ansprechen, und trotzdem wunderte er sich jetzt nicht, dass sie es trotzdem tat. Sie sah ihn weiter an, ohne Regung im Gesicht und in der Stimme, nicht überrascht von seiner verstörten Reaktion, was Semir noch mehr verwirrte. „Hast du ihn schon angerufen?“, fragte sie, als wäre es eine absolut normale Alltagsfrage, die man sich zwischen Frühstück und Küchentür stellte. Doch sie ließ Semirs Adrenalinspiegel noch ein wenig nach oben steigen. „Nein, bisher noch nicht… ich ich wollte ihm mal erst etwas Ruhe lassen, wenn er da hinten ankommt.“ „Semir, das ist jetzt anderthalb Monate her.“ Andrea lächelte verständnisvoll, und sie spürte, dass Semir sich auch vor ihr verschloß. Sie wollte nicht, dass Semir und Ben Streit bekamen, den sie vermutlich eh schon hatten, und sie wollte auch nicht unbedingt erzwingen, dass ihr Mann sich öffnete. Sie hatte gehofft, dass er es freiwillig tun würde, doch das tat er nicht. „Ruf ihn mal an, und frag ihn, wie es ihm geht.“, sagte sie liebevoll, erhob sich um Semir zu küssen. Dann wickelte sie sich fester in die Wolldecke, die sie um ihren Körper geschlungen hatte und widmete sich wieder dem Fernseher. Semirs Gedanken dagegen waren weit weg… er musste endlich handeln.
Rheinpark – 7:30 Uhr
Es war ungemütlich, feucht und noch sehr kühl, als sich Thomas, Andreas und Jessica auf den Weg in den Rheinpark machten. Den Wagen hatten sie im angrenzenden Wald abgestellt, den Zaun zwischen Park und Wald an einer dicht bewachsenen Stelle zerschnitten. Zum Gehweg, der durch den Park führte waren es höchstens zwei Minuten. Thomas hatte darauf geachtet, dass sie nicht zu lange brauchen würden, um die Geisel wegzuschaffen. Nun saß er und sein Bruder Andreas auf der Bank, und schauten sich um, während Jessi mit unschuldigem Blick und mit den Händen in der Tasche den Gehweg raus und runter spazierte, in der Hoffnung eine Frau für ein paar Euro anzusprechen und kurzzeitig abzulenken. Doch erst mal tat sich nichts. Die Luft war kalt, einige Nebelschwaden hingen zwischen den Bäumen und Jessi schlug den Kragen ihres Anoraks ein wenig höher. Da, endlich schien sich etwas zu tun. Vom Wege her kam eine junge Frau daher, relativ normal gekleidet und in Jessis ungefährem Alter. Ein kurzer Blick zu ihrem großen Bruder, der nur minimal nickte. Das Zeichen, zu zu schlagen. Die junge Frau steuerte direkt auf das potenzielle Opfer zu und lächelte nett. „Hi… sag mal hast du vielleicht nen Euro für mich… ich hab seit Tagen nichts gegessen…“, fragte Jessi mit mitleidvoller Miene und brachte die junge Frau zum Stehen. Sie sah Jessi erst irritierend an, und wollte nicht unbedingt unhöflich sein. „Ich… ich hab selbst nicht viel dabei.“, sagte sie mit ebenfalls mitleidvollem Blick und achtete nicht auf ihre direkte Umwelt… so auch nicht darauf, dass die beiden Männer sich ihr von hinten näherten. Doch Thomas war nicht vorsichtig genug… gerade als er zupacken wollte, hörte er ein lautes „Hey“, das von etwas weiter hinten her schallte. Die junge Frau fuhr zusammen und schrie laut auf, als sie sich nach der Stimme umsah und die beiden Männer formatfüllend vor sich sah. Auch Jessica konnte so schnell gar nicht reagieren, wie sie einen gezielten Schienbeintritt der Frau kassierte, während die Stimme in Form eines jungen Mannes immer näher kam.
Andreas war völlig überfordert, wusste er doch nicht, wie er nun reagieren sollte. Das hatte ihm niemand erklärt. Während Thomas versuchte die junge Frau festzuhalten, drehte er sich zu dem jungen Angreifer herum, der die Situation sofort überblickt hatte, und eingreifen wollte. Er näherte sich Andreas ein wenig in Angriffsstellung, und wich den ersten plumpen Faustschlägen geschickt aus, traf wiederrum selbst mit einem gezielten Karatetritt in die Kniekehle sein Ziel sofort. Andreas sackte zusammen, während das Mädchen sich dem harten Griff von Thomas entreißen konnte und ihn eine Flucht verfiel. „Verflucht.“, rief Thomas und wollte im ersten Affekt hinterher. Jessica kam währenddessen seinem Bruder zur Hilfe, und nun war sie es, die zielgenau trat und traf… sie wusste, wo es den Männern besonders wehtat, getroffen zu werden und mit einem Aufstöhnen ging nun der Angreifer zu Boden und fiel mitsamt seiner Lederjacke au den schmutzigen Boden, während Andreas sich, schäumend vor Wut, wieder aufrichtete. „Du kleiner Bastard, na warte…“, drohte er und holte mit einem Fuß aus, um dem kurzzeitig ausser Gefecht gesetzten Mann gegen den Kopf zu treten. „Warte!“, schritt Thomas sofort ein um seinen Bruder zurückzuhalten. „Nehmen wir ihn eben mit, los!“, ordnete er gehetzt an, bückte sich und drückte dem fremden Mann den stinkenden Chloroform-Lumpen ins Gesicht. Noch völlig erfüllt des Schmerzens aus seinem Unterleib, konnte dieser sich nicht mehr wehren und versank ins Reich der Träume. Jessi sah hinunter zu dem Mann, den sie gerade mit einem gezielten Tritt außer Gefecht gesetzt hatte und sah sich gehetzt um. „Schnell, bevor jemand kommt.“, rief sie piepsig und versuchte den Mann nach oben zu ziehen, was ihr freilich nicht gelang. Doch Andreas, der mittlerweile wieder auf die Beine kam, und Thomas zogen den Kerl nach oben und verließen so schnell es ging den Parkweg, um ihn im Auto zu verstauen. -
Ich fand die Folge angenehm bodenständig und es gab nur wenige kleinere Sachen, die mich gestört haben.
Kiefer gefällt mir wirklich immer besser. Gleicht sehr meinem FF-Charakter Kevin, von seiner ruhigen Art und seiner monoton wirkenden Stimme. Als hätte man sich von mir Inspiration geholt
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Hütte im Wald - 17:30 Uhr
Der grüne Geländewagen rumpelte langsam in Richtung der kleinen Hütte im Wald, mit drei gut gelaunten Insassen. Die Geschwister Thomas, Andreas und Jessica hatten gerade zum ersten Mal erfolgreich einen Entführungs-Coup durchgezogen, und so wie es ihr Anführer Thomas überblicken konnte war alles gut gelaufen. Keine Verfolgungsjagd mit der Polizei, sie mussten keine überflüssige Gewalt anwenden und das Geld hatten sie auch. Alle drei waren gut drauf und lachten, als sie ausstiegen. "Hast du gesehen, wie die Tussi sich fast in die Hosen gemacht hatte.", lachte Andreas laut auf und schlug seinem älteren Bruder auf die Schulter, als sie zur Tür gingen. Drinnen schlug ihnen der typische modrige Geruch aus der alten Hütte entgegen. Jessica ließ sich sofort auf die Matratze fallen, während ihre beiden Brüder am Tisch Platz nahmen und die Geldscheine auf dem Tisch ausbreiteten.
Jessica lehnte sich derweil mit dem Rücken an die Holzwand und sah ihren beiden Brüdern bei der "Arbeit" zu. Sie verlor sich in ihre Gedankenwelt, was sie öfters tat wenn sie so da saß und nichts tat. Thomas sagte dann immer, "Jessica ist weg.", obwohl sie mit ihnen in einem Raum war. Der nicht unintelligente Mann wusste, dass Jessica nicht glücklich war mit ihrem kriminellen Leben. Nicht umsonst hatte er versucht, sie davon abzuhalten, den gleichen Weg einzuschlagen wie er selbst und sein jüngerer Bruder. Doch wirklich eine Wahl hatte sie nicht. Das Leben der drei war eine Bilderbuch-Alptraum voller Klischees. Hochhaus-Siedlung, die Mutter Alkoholiker, der Vater arbeitslos und ein Arschloch. Als Jessica 10 Jahre alt war, wurde er zudringlich ihr gegenüber, erst mit 12 traute sie sich, Thomas davon zu erzählen, der damals sowieso plante, von zu Hause abzuhauen, mit Andreas zusammen und Jessica rauszuholen, wenn sie alt genug war. Nach ihrem Geständnis aber war klar, dass die beiden Jungs ihre kleine Schwester sofort mitnehmen musste. Bis sie 15 war ging sie sogar noch regelmäßig zur Schule und ihre Brüder drehten die krummen Dinger meist am Vormittag oder nachts, damit sie so wenig wie möglich davon mitbekam. Danach wollte sie mitmachen, spürte jedoch schnell, dass sie oft zuviel Skrupel hatte, vor Gewalt, vor Kriminalität. Doch sie hatte panische Angst davor, dass ihre Brüder sie allein lassen würden, und so lernte sie ihre Angst und ihre Skrupel zeitweise zu verdrängen.
Während sie so da saß, befand sich auf ihrem Gesicht ein melanchonischer Blick und ihre hellen grünen Augen schimmerten. Sie dachte nach über ihr Leben, sie war 26 Jahre und eigentlich noch jung genug, ihr Leben zu ändern. Doch sie empfand die Welt als dunkel und kalt, wenn sie sich jetzt von ihren Brüdern lossagte und auf sich alleine gestellt wäre. Ausserdem liebte sie ihre Brüder und würde für sie durchs Feuer gehen, denn sie sah in ihnen die Beschützer, die sie vor ihrem Vater gerettet hatten. Und trotzdem gab Jessi ihren Traum von einem besseren Leben nicht auf, von einem Haus, einem Mann der sie liebte, ein oder zwei Kindern... und vielleicht doch einem Beruf, den sie mögen würde. Ihrem Leben einen Sinn geben würde.Ein wenig wehmütig und sehnsüchtig sah sie zu ihren Brüdern am Tisch, die lachten und flachsten. "Das hat sich 10mal mehr gelohnt, als diese beschissenen Kiosk-Dinger zu überfallen.", sagte Thomas, der die lila Scheine vor sich aufgetürmt hatte und alles zurück in eine Tüte schaufelte. "Werden wir jetzt endlich diese Hütte los, Brüderchen?", fragte Andreas und sah durch den Raum, und über Jessi hinweg, die immer noch an der Wand saß, und mittlerweile ihre grünen Augen geschlossen hatte. "Naja, mit 20 Mille werden wir uns noch kein Haus leisten. Da werden wir wohl noch ein, zwei Mal zuschlagen müssen. Am besten schon morgen früh, und ich weiß auch schon wo.", sagte Thomas mit diebischen Grinsen. "Lass hören." "Wir werden uns morgen in aller Frühe mal ein wenig im Rheinpark umsehen. Schauen wir doch mal, ob wir eine unvorsichtige Fußgängerin, oder einen Schüler erwischen, für den die Eltern nochmal 20 oder 30000 hinlegen werden. Wir bleiben weiter vorsichtig und werden nicht zu gierig.", erklärte der Anführer des Trios und sein Bruder nickte. Er vertraute seinem intelligenten Bruder zu 100 Prozent und blind. "Hast du gehört, Jessica! Morgen machen wir einen weiteren Schritt zu ner richtigen Bude... Jessica?"
Jessi ging hinaus, als ihre Brüder sich gerade über die nächste Entführung unterhielten. Sie hielt sich oft im Wald auf, auch wenn sie vor dem Alleinsein oftmals Angst hatte. Doch im Wald fühlte sie sich nicht allein, sie fühlte sich frei. Sie freute sich darauf, wieder die Vögel zwitschern zu hören, und anderes Getier durch die Büsche springen zu sehen. Ja, hier fühlte sie sich nicht allein.
Zweige knackte unter ihren Füßen, sie spürte das weiche Moos nachgeben, und der Baumstumpf, auf den sie sich saß fühlte sich noch etwas kalt an. Sie sah stumm gerade aus... wen würde es wohl diesmal erwischen? Wieder eine Frau, die ängstlich war und keinerlei Widerstand bot? Irgendwie war Jessi mit diesen Entführungen nicht einverstanden, und doch waren sie ihr lieber als die Überfälle, wo meist jemand zu Schaden kam und sie selbst ihre Maske des skrupelosen brutalen Mädchens aufsetzen musste. Sie lächelte in sich hinein... um kurz darauf bitterlich zu weinen anzufangen... -
Gut ich darf nicht verhehlen, es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich an einen Cobradonnerstag ohne Tom Beck gewöhnt habe, aber ich denke, ich werde es schaffen-gell Trauerkloß und Darcie, da müssen wir halt dran arbeiten!Es gibt ja noch die Fan-Fictions
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Was mir richtig gefällt ist, dass es sich hier endlich mal wieder anscheinend um einen Einzeltäter handelt und nicht um eine Organisation.
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Dienststelle - 17:00 Uhr
Semir und Ben parkten auf dem Parkplatz vor der Dienststelle, beide kamen gerade von ihrer letzten Streife am heutigen Tag zurück. Seit der Diskussion vor dem Haus von Klaus Konz lag eine bleiernde Stille zwischen den beiden Freunden. Semir hing seinen Gedanken nach, dachte über Ben, dachte über André nach. War es wirklich richtig von Semir, den Mord zu vertuschen, den sein Freund und Ex-Partner begangen hatte. Sollte er nicht doch Hartmut einweihen, ihm die Bilder zeigen um herauszufinden, was von Andrés Geschichte dran war, die Kevin ihm erzählt hatte, dass er dazu gezwungen wurde? Aber würde Hartmut dicht halten, oder doch alles der Chefin Anna Engelhardt erzählen, um seinen eigenen Job zu schützen? Seine Finger krallten sich ins Leder des Lenkrads, als könne er Antworten auf seine Fragen daraus hervorquetschen. Er MUSSTE André anrufen, er MUSSTE mit ihm reden. Er musste ihn fragen, warum und weshalb er diesen Mann erschossen hatte.
Ben war bereits ausgestiegen, und es schien ihn gar nicht zu interessieren warum Semir noch einen Moment im Auto verharrte. Der junge Kommissar wollte seinem besten Freund so gerne helfen, doch der ließ ihn nicht, und so machte sich Ben selbst Gedanken was er tun könne. Natürlich würde er Semir nicht an Anna Engelhardt verraten, auch wenn die Chefin einen engen Draht zu ihren Mitarbeitern hat... doch bei Vertuschung eines Mordes würde auch die so loyale Chefin in Konflikte kommen. Nein, das würde er nicht tun. Er würde mit jemandem reden, der Semir sehr nahe stand, und dem er dieses Geheimnis anvertrauen konnte... Andrea, Semirs Frau.Als Semir in das Großraumbüro eintrat, hatte sich Ben gerade zu Andrea gesetzt. Der junge Polizist hoffte auf Semirs Sturheit in diesem Moment, und wurde nicht enttäuscht als er sah, dass sein Freund ohne Blick geradeaus durch die Glastür in ihr gemeinsames Büro ging, und diese Tür auch geräuschvoll hinter sich schloß. Andrea sah ihm erstaunt nach und wandte sich dann zu Ben. "Habt ihr Streit?", fragte sie nach dem sie ihren Blick zu Ben richtete, der den Kopf hin und her wog. "Eher ne... Meinungsverschiedenheit.", antwortete der mit Bitternis in der Stimme. "Gehen wir mal kurz rüber nen Kaffee trinken?", fragte er mit Blick auf den Aufenthaltsraum, den man verschließen konnte wenn man einen Moment allein sein wollte und seine Frage war eher eine Bitte. Semirs Frau sah kurz überrascht auf, erhob sich dann aber und folgte Ben in die kleine Kaffeeküche, die gemütlich eingerichtet war mit einem kleinen Tisch, Herd, Mikrowelle und mindestens drei Kaffeemaschinen. Andrea nahm Platz, Ben tat es ihr gleich und fuhr sich verlegen mit der Hand durch die Haare, auf der Suche nach einem guten Beginn der Erklärung. "Zuerst mal: Du musst alles was ich dir erzähle absolut für dich behalten, okay?", begann er und sah Andrea dabei fest in die Augen. Sie nickte wortlos und war gespannt, was Ben vorhatte zu erzählen. Der atmete tief durch: "Als André vor anderthalb Monaten abgereist ist, haben wir einen Umschlag mit Fotos erhalten. Darauf war zu erkennen, wie André einen Mann erschießt." Der Polizist pausierte kurz um Andrea's Reaktion abzuwarten. Sie kniff die Augen kurz entsetzt zusammen, der Mund öffnete sich etwas vor Überraschung, doch sie hörte weiter zu. Mit einem Schlag allerdings fühlte sie sich schlecht, denn sie konnte sich bereits denken, dass ihr Mann nichts unternommen hatte. "Wir hätten André am Flughafen noch erwischen können, aber Semir hat ihn laufen lassen." Nun fuhr es aus Andrea heraus: "Was hat er gemacht?" Ben hob etwas beschwichtigend die Hände. "Er hat ihn laufen lassen. Kevin hat auf der Fahrt zum Flughafen behauptet, dass André selbst bedroht wurde, und gezwungen wurde den Mann zu töten. Auf den Fotos ist davon aber nichts zu sehen. Vielleicht wurden sie bearbeitet, oder André hat Kevin angelogen." "Warum hat André Kevin alles erzählt, aber Semir nicht?" Ben zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung. Ich denke, weil er bei Kevin keine Angst hatte, dass er es weitererzählt weil..." und er verstummte. Hier verriet er Andrea eigentlich viel mehr, als Ben wollte. "Weil was?", hakte Andrea nach und sah Ben recht durchdringend an. "Weil... weil Kevin auch nicht astrein ist, was seine Geschichte angeht.", wiegelte der Polizist ab und Andrea merkte, dass Ben das nicht verraten wollte. "Jetzt verstehe ich auch was mit Semir los ist, seit André weg ist.", seufzte Semirs Ehefrau. "Ich dachte die ganze Zeit, das wäre wegen dieser Geschichte selbst, dass André lebte und plötzlich wieder auftauchte." Ben nickte und antwortete: "Deswegen erzähle ich es dir. Er geht kaputt an diesem Konflikt. Einerseits will er André nicht verhaften, andererseits auch nicht laufen lassen. Er will es niemandem erzählen... und das belastet unser Verhältnis ziemlich."
Beide blieben für einen Moment stumm, Ben sah hilflos aus und Andrea schien nachzudenken. "Ich rede mit ihm.", sagte sie dann plötzlich. Ben hatte plötzlich ein schlechtes Gefühl, weil sein Partner auf jeden Fall ihn verfluchte, weil er es Andrea erzählt hatte, aber das war nun auch egal, also nickte er. "Vielleicht hast du in dieser Beziehung einen besseren Draht. Auch, weil du André selbst besser kennst." meinte der junge Kommissar und nickte aufmunternd.Nachdem Semir die Glastür mit Schwung zugeschlagen hatte, ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und sah dieses verdammte Telefon an, dessen Plastikstruktur er mittlerweile fast auswendig nachzeichnen konnte. Wie eine unangenehme Arbeit wollte er den Telefonanruf aufschieben, rief er also erstmal seine E-Mails ab. Er war froh, kurz alleine zu sein, alleine mit seinen Gedanken. Was würde André sagen, wenn er erzählte, dass er die Wahrheit kenne. Würde er einfach auflegen, sich rausreden, alles zugeben? Es war der größte Konflikt, in dem Semir selbst jemals stand.
Mit zitternden Händen zog er den kleinen Zettel unter seiner Papierauflage hervor, sah seine Schrift, diese vermaledeiten 11 Ziffern, die Andrés Handynummer bildeteten. Er spürte das Plastik des Telefonhörers, den er in die Hand nahm, spürte die Tasten, die er drückte. 1. Ziffer, 2. Ziffer, 3. Ziffer... er spürte wie schwitzte. Er wählte, ohne sich irgendwelche Worte im Kopf zurecht gelegt zu haben, die er André gleich um die Ohren hauen wollte. 4. Ziffer, 5. Ziffer, 6. Ziffer ... wow, so weit war er bisher nie gekommen. Semir war ganz und gar nicht überzeugt davon anzurufen, er zwang sich dazu mit aller Macht, gegen jeden Widerstand. 7. Ziffer, 8. Ziffer, 9. Zif... plötzlich öffnete sich die Glastür und der Hörer sauste mit einem mechanischen Knallen auf den Apparat zurück. "Semir, kannst du endlich mal den Termin für die Inspektion deines Dienstwagens in die Excel-Tabelle eintragen?", fragte ein etwas genervter Dieter Bonrath, der seinen Hals ins Büro streckte. Semir war herumgefahren und sah seinen Polizeikollegen, der immer mal im falschen Moment auftauchte, irritiert an. "Inspektion?" "Ja natürlich, ich hatte das letzte Woche angesprochen, dass sich da jeder eintragen soll, aber mir hört ja niemand zu. Alle Welt wartet nur auf dich.", beschwerte sich der lange Polizeihauptmeister. Semir nickte heftig: "Ahja, alles klar Bonrath... ich.. ich machs gleich, 10 Minuten okay?" Der Polizist lächelte ein wenig künstlich, doch das Lächeln erlosch sofort als sich die Glastür wieder schloß. Der türkische Kommissar atmete tief durch, schob den Zettel zurück unter die Papierablage und öffnete die Excel-Tabelle. -
Ein richtig richtig richtig guter Pilotfilm.
Viele positive Dinge wurden bereits angesprochen, durchdachte Story mit Wendungen, gute Charaktere, wenig Comedy, das brauch ich nicht alles wiederholen.
Semir ist der absolut gebrochene Held, und spielt das dermaßen überzeugend... auch wenn mir die Figur Semir leidtut, wenn ich seinen kompletten Werdegang Cobra verfolge, so ist es doch wahrlich beeindruckend was man mit dieser Figur "geschafft" hat. Vom jungen, immer gutgelaunten smarten Cop, den die ersten Verluste von Partnern gezeichnet haben, seinen Charakter veränderten, zum immer mal miesepetrigen aber liebevollen Ehemann und Vater, jetzt hin zu einem Mann der nichts anderes mehr hat, ausser seinem Beruf. Das war beeindruckend dargestellt, vor allem in der Szene unter der Brücke mit Alex. Gänsehaut als er sagt: "Den Hals risikieren, ihre besten Freunde verlieren." Ich hatte die Befürchtung dass er sagt "ihren besten Freund verlieren", und man diesen Verlust nur auf Ben beschränkt. Nein, man nimmt Tom, André und Chris ebenfalls mit ins Boot, ein kleines Detail das mir extrem gut gefallen hat.
Kiefer alias Alex Brandt hat mich sofort überzeugt. Mit seinen Blicken, seinem Mienenspiel, seiner Coolness und doch auch seiner Sensibilität erinnert er mich stark an den Charakter Kevin Peters aus den SK-Babies, der quasi auch in meinen FFs seine Rolle spielt. Solche Charaktere liebe ich, dunkles Geheimnis, schwere Vergangenheit, nach aussen cool und unantastbar, nach innen hin verletzlich. Grandios wie er Andrea mit zwei Sätzen niederbügelt, schauspielerisch toll mit Gänsehaut, als er Semir in der Zelle sein Misstrauen gegenüber dem System zum Ausdruck bringt. Klasse, für mich die beste Szene des Films. Ich freue mich auf die weiteren Folgen, und hoffe dass Alex den Charakter beibehalten darf, und die Story nicht nach 3 Folgen fertig erzählt ist, wie bei Chris Ritter, als nach Nemesis fast kein Bezug mehr auf die dunkle Vergangenheit genommen wurde.
Kleinere Kritikpunkte habe ich aber doch:
- Semirs Reaktion auf Robert fand ich auch recht übertrieben und aufgesetzt, dieses "Hast du ein Problem, komm her?" Das war, auch einem gebrochenen wütenden Semir, irgendwie nicht angemessen...
- Maschinengewehrgeballer, mit 100en Kugeln, die mal wieder allesamt ihr Ziel verfehlen (Boot-Verfolgung zb)
- Unlogisch: Wie haben Semir und Alex das Camp im Wald gefunden? (Hab ich da einmal nicht aufgepasst?)
- Der Endstunt war mir wieder ne Spur zu unrealistisch, weil man genau sah dass das Innere des Wagens komplett in Flammen stand, wo Alex drinsaß. Aber die Befreiungsaktion war immerhin mal was Neues, von daher gut.
- Achja... der Grund, warum der LKW am Ende explodiert ist war schon... naja, da hab ich mir erstmal die Hand vorn Kopp gehauen und gesagt "Wie doof war das denn jetzt?" -
Einfamilienhaus - 17:00 Uhr
Im gesamten Haus war es still. Klaus saß stumm und steif im Wohnzimmer, eine blaue Mülltüte neben sich liegend, gefüllt mit 15000 Euro, exakt abgezählt. Die Atmosphäre um ihn herum war unheimlich, nur das Ticken seiner Wanduhr war zu hören. Er saß stocksteif gerade in seinem Sessel, die Hände auf die Lehne gelegt, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er hatte Angst, er war aufgeregt, er war nervös. Würden sie ihm Inga zurückgeben, wenn er tat was sie verlangten? Er betete darum...
Als seine Wanduhr fünf Mal schlug, erhob er sich mechanisch und das rascheln der Plastiktüte drang durch den stillen Raum. Der ITler wischte sich den Schweiß von der Stirn, öffnete die Haustür und es schien für Aussenstehende, als würde er einfach nur einen Müll heraustragen. Er öffnete die graue Plastiktonne und ließ die Tüte vorsichtig hinein, damit kein Geld rausfiel. Glücklicherweise war die Restmülltonne bereits gut gefüllt, so dass der Sack im oberen Drittel liegen blieb. Mehr unauffällig sah Klaus die Straße rauf und runter, doch er konnte keinen Menschen und kein Auto entdecken, dass ihn beobachten könnte. Er strich sich durchs Haar, ging zurück zu seinem Zweitwagen und stieg ein. "Spritztour bis 19 Uhr.", stotterte er sich selbst zu und fuhr rückwärts aus der Einfahrt, um sein Anwesen zu verlassen. Er betete darum, dass Inga wieder da sei, wenn er zurückkehrte.Es dauerte nur 15 Minuten als ein dunkelgrüner Geländewagen gemächlich die Straße entlangrollte und vor dem Anwesen der jungen Lebensgemeinschaft anhielt. Die Adresse hatten sie natürlich von ihrer Geisel. Zwei finster dreinblickende Augenpaare schauten aus dem Seitenfenster in Richtung des Eingangs. "Scheint tatsächlich weg zu sein.", murmelte Thomas vom Lenkrad aus und Andreas nickte. Für kurze Zeit war es still im Fahrzeug und auch Jessica sah von der Rückbank aus aus dem Fenster. Dunkle Fenster, keinerlei Licht. Wolken hatten sich mittlerweile vor die Sonne gezogen, es war kühler geworden. Typisches Frühlingswetter herrschte, als Thomas seinen Bruder anstieß, der ihn verständnislos ansah. "Was isn?" "Glaubst du, wir wollen hier Karotten pflanzen? Los, hol die Kohle aus der Tonne.", herrschte der Anführer seinen, meist etwas langsamer denkenden Bruder, an. Der stieg etwas grumelnd aus und Thomas schüttelte den Kopf. So schwer von Begriff Andreas manchmal war, so wertvoll war er doch für die kleine Gruppe. Er folgte fast blind Befehle aus, konnte sich gegen jeden mit Gewalt durchsetzen und Schachmatt setzen, und würde für seinen großen Bruder wohl, mehr oder weniger bewusst, durchs Feuer gehen. Auf ihn konnte er sich immer verlassen, so lange die Befehle einfach gestrickt waren. Als Gegenpart für die Denkarbeit hatte Thomas dafür seine kleine Schwester Jessica, die zwar nicht ganz die gleiche kriminelle Energie hatte wie ihre beiden Brüder, aber pfiffig und intelligent war. Allerdings hatte sie ihre Träume von einem ehrlichen und schönen Leben niemals vergessen, im Laufe der Jahre immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Thomas wusste das, für ihn war seine kleine Schwester heilig und jeder der ihr zu nahe kam würde es büßen müssen.
Andreas stieg derweil aus dem Auto aus und lief mit schnellen Schritten zur Mülltonne. Ein kurzer Blick hinein, ein kurzer Blick in die blaue Tüte und ein Grinsen breitete sich über das grobe Gesicht aus. Er sah nochmal nach links und rechts, keine Menschenseele zu sehen. Mit der blauen Tüte in der Hand lief er zurück zum Geländewagen und sprang hinein. "Bitte schön, Bruderherz.", meinte er feierlich und öffnete die Tüte soweit, dass Thomas die ersten 500er Scheine erblicken konnte. Das Grinsen war sofort ansteckend, den es übertrug sich auf ihn und Jessica, die von hinten ebenfalls in die Tüte sah. "Hervorragend.", murmelte Thomas und sein Ego war froh, dass sein Plan aufgegangen war. Wenig Geld verlangen, dann tat man was er wollte. Und die Bullen würden spätestens jetzt zuschlagen, wenn sie informiert wären. "Lassen wir sie gehen?", fragte Jessica dann. "Nein, nicht hier. Uns könnte immer noch jemand beobachten. Wir lassen sie ausserhalb des Wohngebietes auf der Landstraße raus.", antwortete Thomas und der Wagen bewegte sich vorwärts.Die arme Inga Trewka lag während des Szenarios hinter der Rückbank des Jeeps im unbequemen Laderaum. Der Arme auf dem Rücken zusammengebunden, den Mund mit Klebeband verklebt, mit Krämpfen in Armen und Beinen, mit Schmerzen im Mund. Bei jedem Anfahren, jeder Kurve und jedem Bremsen wurde ihr Körper irgendwo dagegen geschlagen. Ihre Arme und Beine hatten blaue Flecken, und nach wie vor quälte sie die schreckliche Angst. Sie hatte immer versucht, rational zu denken, doch immer kamen ihre Gedanken auf das gleiche Ende. Ich habe die Kerle gesehen und sie werden mich töten...
Umso erstaunter blickte sie auf, als das Auto nach einer erneuten Bremsung zum Stillstand kam und die Heckklappe aufging. Grobe Hände packten sie und zerrten sie aus dem Wagen, bis sie ziemlich wackelig auf eigenen Beinen stand und sich umsah. Das Auto stand auf einem Waldweg, doch sie konnte die Bundesstraße hinter den Bäumen sehen, die direkt in ihr Wohngebiet führte. Inga schaute Andreas zitternd an, der sie herausgezogen hatte und nun mit Drohgeste vor ihr stand. "Du wirst niemandem etwas von uns erzählen, ist das klar?", sagte er mit drohendem Unterton. "Es wird euch schlecht ergehen, glaubt es mir." Mit wirbelnden Haaren nickte Inga heftig, sie wollte einfach nur dass dieser Alptraum zu Ende ginge. Der breite Mann ging um Inga herum, schnitt er mit dem Taschenmesser die Arme auseinander und ließ sie kommentarlos stehen, in dem er einfach wieder ins Auto einstieg, wo Thomas und Jessica warteten. Inga riss sich unter Stöhnen das Klebeband vom Mund und atmete schwer und schnell ein. 'Oh Gott, sie lassen mich tatsächlich gehen...' dachte sie. Die junge Frau drehte sich um, wollte einen schnellen Schritt machen, doch ihre Beine gaben nach und ließen sie auf den schmutzigen Boden fallen. Inga schluchzte vor Schmerz und Glück, endlich frei zu sein. Der grüne Geländewagen entfernte sich und bog hinter einer Baumgruppe tiefer in den Wald. Inga atmete durch, langsam und ruhig. Sie durfte niemals etwas davon erzählen, die Angst vor den Typen würde sie zwingen, dicht zu halten.
Langsam stand sie auf, klopfte sich den Staub von den Kleidern und ging einige Schritte, wie ein Kind das Laufen lernte und nach ein paar Schritten überprüfte, ob es funktionierte. Auch versuchte sie, die Tränen wegzuwischen und halbwegs normal auszusehen. Sie ging Richtung Bundesstraße, dicht daran vorbei, jedoch immer noch innerhalb der Bäume damit sie niemand auf der Straße sah. Langsam dunkelte es auch, und sie wollte so schnell wie möglich nach Hause zu ihrem Freund... -
"Ist das ihre Definition von Teamwork?"
"Das ist meine Definition von: Ich schnapp mir das tätowierte Arschloch."
Semirs Augenrollen: Unbezahlbar
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Sehr schöner Beitrag, vielen vielen Dank!
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Einfamilienhaus - 15:30
Klaus hatte ein errötetes Gesicht. Gott sei Dank hatte alles geklappt. Er war extra zu der Bank in die Innenstadt gefahren, wo ein Bekannter von ihm arbeitete. Der stellte keine unnötigen Fragen und konnte Klaus das Geld recht unkompliziert sofort bereitstellen, obwohl er ahnte dass es etwas mit dem jungen ITler nicht stimmte. Das Geld verstaute er in einem Aktenkoffer, den Klaus jetzt erst mal in der Garderobe unter den Schrank stellte, wo man ihn nicht auf der Stelle sah. Er atmete schnell und heftig, sein Herz pochte und die Angst um seine Lebensgefährtin schnürte ihm die Kehle zu. Er war niemand, der in dieser Situation ruhig und gelassen blieb, er war kein mutiger Held. Klaus war ein Mensch, der allem Ärger aus dem Weg ging, der sich mit jedem Menschen gut stellte und und sich verkrümelte wenn es Ärger gab. Diese Art und Weise des Lebens war er nicht gewohnt, mit Angst und Aufregung.
Hektisch sah er auf die Uhr… halb vier. Noch anderthalb Stunde Zeit bis er … *DING DONG*. Klaus erschrak vor seiner eigenen Türklingel. Wer konnte das sein? Waren es etwa die Typen, die ihn vielleicht beobachten. Klaus schüttelte den Kopf. "Du siehst Gespenster", murmelte der junge Mann und ordnete die Haare. Dann ging er zur Tür und drückte die Klinke nach unten. Vor seiner Tür standen die beiden Autobahnpolizisten, die sich zugleich ausweisten als Ben Jäger und Semir Gerkhan. "Was kann ich für sie tun?", fragte er höflich, machte aber keinerlei Anstalten die beiden Polizisten ins Haus zu beten. "Gehört ihnen das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen...", fragte Semir routinemäßig und schaute den gegenüber stehenden Mann fest an, dem kurzzeitig heiß und kalt wurde. "Ähm... ja, der gehört uns. Also mir und meiner Freundin.", sagte Klaus und versuchte so sicher wie möglich zu wirken. Ben schaute bereits ein wenig misstrauisch, ob der Körperhaltung des Mannes. "Wir haben ihn, mit offener Fahrertür auf einem Rastplatz gefunden. Haben sie dafür eine Erklärung?" Klaus überlegte fieberhaft. Natürlich hatte er dafür eine Erklärung, seine Freundin Inga ist entführt worden, aber das konnte er den beiden Beamten natürlich nicht sagen. Er stotterte dagegen ein wenig, und seine gespielte Sicherheit verlor sich. "Wir... wir hatten Streit. Ja, und da ist sie weggefahren. Wollte allein sein, da ... da ist sie manchmal ausser sich. Vielleicht hat sie das Auto offen abgestellt und... um mir eins auszuwischen. Ich liebe mein Auto, wissen sie." "Ahja, soso...", nickte Semir misstrauisch und versuchte, mehr auffällig als unauffällig an Konz vorbei ins Haus zu schauen. "Ist ihre Frau denn jetzt da?", fragte Ben, der sein Misstrauen eher verbag als Semir und es sogar schaffte noch ein wenig zu lächeln. "Nein nein. Sie ist bei ihrer Mutter. Sie hat mir nur kurz geschrieben, dass sie dort für einige Tage bleiben möchte. Ja...", antwortete Konz schnell und wischte sich einmal unauffällig über die Stirn. Dass sich seine Finger unentwegt bewegten beim Reden bemerkte nicht nur Semir. Nervös, unsicher... der sagt uns garantiert nicht die Wahrheit, dachte der Polizist. "Na gut, Herr Konz. Sie können sich das Auto gegen eine Gebühr von der PKW-Sammelstelle abholen gehen.", sagte Semir und ließ Ben überrascht aufblicken. Der junge Polizist hatte das Gefühl, dass sein Freund und Partner ebenso das Gefühl hatte, das hier was nicht stimmt. Umso überraschender, dass er nicht deutlicher nachhakte. "Und wenn ihre Frau das nächste Mal austickt, nehmen sie ihr den Schlüssel weg. Danke, Wiedersehen." Klaus lächelte dankbar und nickte, war genauso schnell wieder im Haus verschwunden, wie Semir sich von der Tür abwand.
Ben war perplex und ging mit schnellen Schritten hinter seinem Partner her. "Ähm, ist dir das nicht auch komisch vorgekommen?" "Doch.", war nur die knappe Antwort seines Freundes. "Und wollen wir da nicht weiter nachhaken?", fragte Ben, als er die Beifahrertür des BMWs öffnete. "Warum? Welche Handhabe haben wir?", fragte Semir ein wenig missmutig und unmotiviert. Ben seufzte, dieses Verhalten legte Semir in letzter Zeit, seit der Sache mit André, öfters an den Tag. Beinahe Dienst nach Vorschrift, seine Eigeninitiative Dinge selbst anzugehen, war Semir abhanden gekommen. Kurz sahen sich die Partner an, dann ließ Semir sich in den BMW gleiten, Ben tat es ihm gleich. Sollte er ihn doch drauf ansprechen... so langsam nervte es den jungen Kommissaren, dass sich sein Partner verändert hatte.
Als Semir aus dem Wohngebiet herausfuhr, nahm Ben den Mut zusammen. "Warum rufst du André nicht einfach an?", fragte er unvermittelt ohne Vorbereitung. Semir nahm den Blick nicht von der Straße und schwieg sich aus. Ben wartete einige Minuten, doch er verstand dass keine Antwort kommen würde. "Mir geht deine Gleichgültigkeit auf die Nerven. Glaubst du, ich merke nicht wie sehr du dich mit diesen Gedanken quälst?", bohrte er weiter. "Ich will die Sache vergessen, okay?", blockte Semir erneut ab, doch damit ließ sein Freund sich diesmal nicht abspeisen und wurde lauter. "Ein Scheiß willst du! Denkst du, ich hätte noch nie gesehen, dass du auf den Zettel mit Andrés Handynummer starrst, und dich nicht traust, ihn anzurufen? Denkst du wirklich, ich bin ganz doof?" Semir presste die Lippen zusammen. Seinem Partner Ben konnte er einfach nichts verheimlichen. Der machte sich Sorgen um Semir, der nahm jeden Blick wahr, der nicht innerhalb Semirs "Gute-Laune-Norm" lag, und witterte Sorgen und Probleme zehn Meilen gegen den Wind. Er konnte Bens Ärger nicht mal verübeln, schließlich sollte der Freund und Partner der erste Ansprechpartner bei Problemen sein, vor allem weil Ben in gewisser Weise auch involviert war. "Ben, das ist meine Sache. Damit muss ich zu Recht kommen.", sagte er wieder abweisend und beließ den Blick auf der Straße. Zusammen bogen sie auf die Autobahn ein, und der BMW beschleunigte. "Gut, wie du willst.", sagte Ben abschließend und ruhig, und sah selbst auch wieder geradeaus. "Dann werde ich André anrufen." Diesmal bewegte Semir den Kopf blitzartig in Bens Richtung. "Wie bitte?", fragte er etwas ungläubig, als hätte er Ben nicht verstanden. "ICH werde André anrufen, und dann werden wir das Problem aus der Welt bringen, damit du wieder normal da oben wirst." Dabei zeigte der junge Polizist mit dem Zeigefinger an die Schläfe. "Das wirst du nicht tun! Das ist meine Sache, und da hast du dich nicht mit ein zu mischen.", sagte Semir und seine Stimme zitterte drohend vor aufkommenden Ärger." "Es geht hier um einen Mord, das geht mich sehr wohl was an.", konterte Ben und die Stimmung im Auto war kurz vor der Eskalation. "Du kannst es nicht abwarten, André im Gefängnis zu sehen.", sagte der erfahrene Kommissar und trat unfair gegen Bens Ehre. In Wahrheit hatten er und André sich am Ende des Falles zusammengerauft und gemeinsam Semir und Kevin befreit. Er hatte kein Problem mit Semirs ehemaligen Partner. "Bullshit!", rief Ben genervt. "Aber erstens möchte ich, dass du wieder so bist wie früher, und zweitens mag ich meinen Job und will ihn nicht verlieren." Semir schnaubte erregt, er war verärgert und sah die Sache nicht objektiv. Wie ein Vorgesetzter, ein großer Bruder oder ein Vater wie bei seinen Töchtern, wollte er einen Schlußstrich unter die Diskussion ziehen. "Du rufst André nicht an. Dich geht die Sache nichts mehr an, basta." Ben sah mit versteinerter Miene aus dem Seitenfenster und legte zwei Finger auf die Lippen. "Das werden wir ja noch sehen...", dachte er stumm. -
Eieiei, ich muss mir echt mal Notizen über diese Details machen... was ich da durcheinander werfe...
Semir ist, soweit ich weiß, zwar in Köln-Kalk aufgewachsen aber in der Türkei geboren. Von daher ist die Bezeichung "Deutsch-Türke" völlig korrekt.
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Einfamilienreihenhaus - 14:15 Uhr
Klaus saß gerade an seinem Laptop, als das Handy klingelte. Er wollte eigentlich nur kurz seine E-Mails checken, blieb dann aber doch auf einigen Amazon-Angeboten hängen und wühlte sich nun durch verschiedene Bewertungen. Er und Inga hatten dieses Häuschen erst vor drei Monaten gekauft, und so manche Anschaffung wie zb ein Rasenmäher fehlte ihnen noch.
Klaus Konz arbeitete als ITler in einem renommierten Unternehmen, seine langjährige Freundin Inga war Erzieherin in einer Kindertagesstätte. Beide kamen aus gutem Haus und hatten einiges an Vorschuss für das Haus bekommen. Eine Bilderbuch-Beziehung, eine Hochzeit war geplant und Kinder sollten auch irgendwann kommen. Nichts hatte in den letzten Monaten darauf hingedeutet, dass dieses Glück zerbrechen könnte, als jetzt Klaus' Handy klingelte, und er nichts ahnend abnahm als er die Handynummer seiner Freundin auf dem Display las. "Ja, Schatz.", meldete er sich lächelnd und erstarrte, als er eine grobe Männerstimme vernahm. "Hallo Schatzi... wie geht es dir?", fragte Thomas auf der anderen Seite amüsiert. Sofort klammerte sich Klaus' Hand um das dünne Smartphone und sein Herz schlug schneller. Hier stimmte etwas nicht, wer war das. "Wer sind sie... was machen sie mit Ingas Handy?" Thomas stolzierte dabei durch den Raum, in dem Inga gefesselt auf der Matratze lag und mit verweinten Augen nach oben sah. "Sie war so freundlich, mir ihr Handy zu borgen.", sagte er dabei weiterhin amüsiert, und mit fast freundlich gestimmter Stimme. "Geben sie sie mir.", sagte Klaus mit wackeliger Stimme, versuchte aber streng zu wirken... was misslang. Der Verbrecher lachte auf, was Klaus das Herz noch mehr in die Hose rutschen ließ. "Ich geb sie dir gern zurück, aber dafür kassiere ich 15000 Euro.", kam Thomas schnell auf den Punkt, doch sein Gegenüber verstand die Situation noch nicht recht. "Wie bitte? Was wollen sie? Geben sie mir Inga ans Telefon."
Thomas hatte diese Forderung erwartet, und Andreas stand bereit um auf Blickkontakt Inga das Klebeband vom Mund zu reißen. Ein abermales Stöhnen war die Folge, ein schnelles Ein und Ausatmen, was Klaus über die Muschel mitbekam. Schweiß trat ihm auf die Stirn, seine Hand begann zu zittern, ihm wurde schlecht.
Der Verbrecher beugte sich herunter und hielt Inga den Hörer des eigenen Handys ans Ohr. "Klaus?", jammerte sie leise, und schrie dann vor Schmerz als Andreas ihr hart gegen den Unterschenkel trat. "Oh Gott, Inga... hören sie auf!", rief Klaus am anderen Ende, was weder Thomas noch Inga selbst mitbekam, die vor Schmerz jammerte und weinte. Thomas grinste und erhob sich wieder. "Keine langen Fragen. Heute Nachmittag, Punkt 17 Uhr wirfst du eine Mülltüte mit 15000 Euro in deine Restmülltonne. Dann machst du ne Spazierfahrt bis um 19 Uhr, und wenn du zurückkommst, ist dein Schatzi wieder da. Ansonsten, oder wenn du die Bullen rufst, wirst du sie morgen aus dem Rhein fischen können, ich hoffe ich hab mich klar genug ausgedrückt." Klaus Gemütszustand wuchs immer weiter in die Angst, als er die harten und unmissverständlichen Worte hörte. Kidnapping, Entführung. Oh Gott, was mach ich nur... Thomas wartete eine Antwort nicht mehr ab, sondern drückte das Gespräch weg. Der arme Klaus stand mitten im Wohnzimmer, und alles fühlte sich wie betäubt an. Ziellos irrte er einige Minuten durch den Raum, ahnungslos was er tun sollte. Er wollte zuerst seinen Vater anrufen, unterließ es dann aber. Die Polizei? Nein, um Gottes Willen. Er hatte das Geld ja. Ein wenig Eigenkapital war übrig, und von seinem Sparkonto... ja, das dürfte reichen.Es kam Bewegung in ihn. Der junge ITler jagte die Treppen herauf um sich durch seine Bankordner zu blättern, sein Sparbuch zu suchen und die Kontoauszüge. 12000 Euro Eigenkapital konnte er nehmen, dazu noch 3000 von seinem Girokonto. Da würde dann erstmal Ebbe herrschen, aber das war egal. Er wollte nicht riskieren, dass Inga etwas zustößt. Oh Gott, hoffentlich hielten sich diese Kerle daran, was sie sagten.
Mit bleichem Gesicht und schweißnassen Händen verließ Klaus sein Haus in Richtung Sparkasse.Autobahn-Parkplatz "Hohewald" - 15:00 Uhr
Semir verlangsamte seinen silbernen Dienst-BMW, als sie sich dem Parkplatz näherten. Der Audi war bereits von einiger Entfernung aus zu erkennen, die Fahrertür stand offen. Ein LKW-Fahrer, der gerade Rast machte, war der Audi aufgefallen, er hatte dann die Polizei angerufen. Der Autobahnpolizist hielt neben dem Fahrzeug und die beiden Freunde stiegen aus, von weitem kam bereits der LKW-Fahrer auf sie zu. "Hallo, sind sie von der Polizei?"; fragte er, obwohl es unnötig war, denn Semir hatte die Blinklicher angeschaltet. "Nein, wir haben die Lichter nur zur Deko.", antwortete Ben grinsend und schüttelte dem Mann die Hand. Semir verdrehte grinsend die Augen ob Bens flappsiger Antwort, wenn auch die Frage des Brummi-Fahrers unnötig erschien. Er wandte sich dann dem Auto zu, während Ben erste Fragen stellte. "Wann haben sie den Audi bemerkt?" Der LKW-Fahrer antwortete: "Ich bin so gegen halb zwei hierher gekommen, da stand der Audi schon genauso da. Ich hab mir nichts dabei gedacht und habe mein vorschriftsmäßiges Nickerchen gemacht. Wach geworden bin ich gegen zwanzig vor drei, und da stand er immer noch so da. Das ist mir komisch vorgekommen, also habe ich die Polizei gerufen." Ben nickte, und machte sich einige Notizen. "Ist ihnen jemand aufgefallen?" "Nein, hier war niemand so lange ich wach war. Ich habe mal gerufen, aber niemand hat geantwortet. Hier kommt selten jemand hin." Ben blickte sich um und sah auf das ziemlich heruntergekommene Toilettenhäuschen. "Kann ich verstehen.", war seine kurze Antwort und er bedankte sich bei dem LKW-Fahrer, nachdem er dessen Personalien auch noch aufgeschrieben hatte.
Semir saß inzwischen im Auto, hatte Handschuhe angezogen... man wusste ja nie. Er sah ins Handschuhfach, doch darin war nichts ausser Kaugummis und einer Sonnenbrille. "Frauen-Sonnenbrille.", merkte er kurz an, als Ben dazu kam. "Kein Geldbeutel, kein Personalausweis... warum sollte jemand sein Auto Hals über Kopf verlassen und hier offen stehen lassen?" "Und vor allem, wie kommt er von hier mit. Hier ringsherum ist nichts als Wald.", bemerkte Ben dann noch und ging um den Wagen herum zum Kofferraum. Den ließ er aufschnappen, schaute hinein... er war leer. "Auch nichts drin... komisch." Sein Freund stieg wieder aus und ging zu seinem Streifenwagen. "Wir fragen den Halter an und fragen mal, ob er das Auto noch braucht.", meinte er lächelnd und nahm das Funkgerät zur Hand. "Cobra 11 an Zentrale." "Zentrale hört" "Wir bräuchten den Halter und Adresse eines silbernen Audis.", dann gab Semir das Kennzeichen durch und wartete auf Rückantwort. 10 Minuten später bekam er von Andrea auf der Dienststelle Adresse und Telefonnummer genannt. "Danke, mein Schatz.", sagte der Deutsch-Türke zum Abschluß und lächelte in Gedanken an seine Frau. Ben kniete sich auf den Boden und schaute auch nochmal unters Auto, während Semir die bekommene Telefonnummer wählte. Doch es war nichts Verdächtiges darunter zu sehen. "Da meldet sich niemand.", meinte Semir nach kurzer Zeit. "Wir rufen den ADAC, die sollen den Audi abschleppen. Und wir fahren mal beim Halter vorbei."
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Die inhaltlichen Fehler werden berichtigt... Danke!
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Die Story ist übrigens zu Ende und kann verschoben werden.
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Rastplatz „Hohewald“ – 13:00 Uhr
Besuchern des Rastplatz „Hohewald“ würde der dunkelgrüne Geländewagen vermutlich nicht auffallen. Er stand völlig unverdächtig auf einem der Parkplätze des kleinen Rastplatzes, der bis auf auf ein paar Bänke und des heruntergekommenen Toilettenhäuschens nichts besaß. Hier verirrten sich nur wenige Menschen hin, die auf einer langen Autotour mal kurz auf die Toilette mussten. So auch Inga Trewka. Sie war beruflich auf dem Weg von Stuttgart nach Bremen und lenkte ihren schwarzen Audi auf den kleinen Rastplatz. Sie bemerkte den Geländwagen gar nicht bewusst, schon gar nicht dass drei Gestalten darin saßen… bereits mehrere Stunden. Diese beobachteten die junge Frau, sahen sich immer wieder um ob noch andere Autos auf den Rastplatz kommen würden. „Wenn sie rauskommt, und niemand ist da, fragst du sie nach dem Weg.“, sagte Thomas zu seiner Schwester Jessica, und sie nickte. Sie hatte eine Karte dabei, hielt sie fest umklammert. Überfälle hatten sie schon viele abgezogen, aber eine Entführung war völlig neu. Ein wahlloses Opfer, keine Ahnung ob reich oder arm. Es war ein Versuch.
Inga kam aus dem Häuschen heraus, kein Auto war zu sehen. „Falls ein Auto kommt, brechen wir ab und du kommst zurück. Los geht’s.“ Jessica stieg aus dem Fahrzeug von der Fahrerseite aus und kam auf Inga zu. Sie lächelte freundlich und winkte mit der Karte. „Entschuldigen sie!“, rief sie höflich und Inga sah sich um zu ihr. „Ja bitte?“, fragte sie etwas unterkühlt und arrogant. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Schopf gebunden, trug keine billigen Kleider und einen teuren Ring am Finger. „Ich habe mich verfahren.“, meinte Jessica ein wenig wehleidig und breitete sofort die Karte auf dem Dach des schwarzen Audis aus, der Inga gehörte. Sie tippte mit dem Finger auf einige Punkte auf der Karte, die sie angeblich erreichen wollte, jedoch den Weg nicht genau fand, und die junge Verbrecherin bat um Erklärungen. Inga seufzte ein wenig genervt und drehte sich zum Dach um, um die Karte kurz zu studieren. Mit einem letzten Blick versicherten sich die beiden Männer im Geländewagen, dass niemand sonst auf dem Rastplatz war und stiegen aus dem Auto. Mit kurzen leisen Schritten näherten sie sich den beiden Frauen, die mit dem Rücken zum Geländewagen standen. Es dauerte nur wenige Sekunden, Andreas legte seine massigen Arme um die Taille der Frau und hob sie ganz einfach und leicht vom Boden weg. Thomas presste der Frau eine Hand auf den Mund, doch diese war so erschrocken über den Angriff dass sie, ausser einem kurzen Quicken, keinerlei Töne herausbrachte. Jessica klappte schnell die Karte zusammen und folgte ihren Brüdern, die nicht gerade sanft mit dem Entführungsopfer umgingen. Jessica klappte die hintere Tür zum Kofferraum auf, in die Inga Trewka verfrachtet wurde, wo man ihr mit Klebeband die Hände und Füße zusammenband, sowie den Mund zuklebte. Panik stieg in Inga auf, was passierte hier mit ihr? Was wollten diese Männer?Thomas schwang sich ans Steuer, startete den Wagen und ließ ihn sofort in den Wald hineinfahren. Der Wagen schaukelte hin und her und sein Bruder grinste: „War doch ganz einfach… einfacher als ein Überfall.“ „Sssscht“, zischte Thomas wütend und schlug Andreas auf den Hinterkopf. „Halt die Klappe!“, schleuderte er noch hinterher. Er hatte extra gesagt, dass sie so wenig wie möglich über sich reden sollten, solange sie mit der Entführten zusammen sind, und jetzt erwähnte sein dusseliger Bruder auch noch Überfälle.
Nach nur 20 Minuten Fahrt kamen sie an der Hütte an. Es war kühl im Wald, aber fast schon angenehm. Thomas zog die Handbremse und sagte zu Andreas: „Los, ab ins Zimmer mit ihr. Nehm ihr das Handy ab.“ Andreas nickte gehorsam und stieg ebenfalls aus. Er ging über den sandigen Boden zur hinteren Tür und öffnete diese. Ein paar Sonnenstrahlen drangen in den Wagen und zwei angsterfüllte Augen blickten ihn an. Der kräftige Mann grinste diebisch und schwang die arme Frau über die Schulter. Wieder ein leises, durch das Klebeband erstickendes Quicken entfuhr ihr und sie ließ sich in die Hütte tragen. Es war schwer sich irgendwie zu wehren, mit gefesselten Armen und Beinen. Sie hatte Angst, keine Panik. Angst davor, dass die Männer ihr wehtaten oder schlimmeres. Noch mehr Angst bekam sie, als sie auf eine schmutzige Matratze fallen gelassen wurde. Oh Gott, diese Typen würden doch nicht etwa über sie herfallen? Doch sie atmete auf, als Andreas erstmal ihre Tasche durchwühlte und ihr Handy herauszog, sie danach alleine ließ. Inga atmete heftig durch die Nase, es war unangenehm, die Arme und Beine taten ihr weh, und sie war verwirrt…„Hier.“, meinte Andreas kurz angebunden, nachdem er die Tür verschlossen hatte, und seinem Bruder das Smartphone von Inga auf den Holztisch warf. „Na, dann wollen wir doch mal sehen.“, meinte dieser und drückte auf den Anschalteknopf. Das Smartphone war bereits eingeschaltet, doch mit einem PIN gesichert. Thomas verdrehte die Augen. „Hast du sie nach dem PIN gefragt?“, drehte er sich zu seinem Bruder um, der es sich gerade auf der Matratze im Hauptraum bequem machen wollte. „Nö, wieso? Davon hast du nix gesagt.“ „Mensch, streng doch einmal deine Denkmurmel an. Was soll ich sonst mit dem Handy machen, wenn ich keinen PIN habe? LOS!“, rief der Anführer laut und sein kleinerer Bruder erhob sich murmelnd wieder. Er kehrte zurück zu Inga, die erneut erschrak. Oh Gott, er hat es sich anders überlegt, schoß es ihr durch den Kopf. Der Mann beugte sich zu der Frau und zog ihr mit einer Bewegung das Klebeband vom Mund. Sie stöhnte vor Schmerzen auf und zog gierig Luft durch den Mund in die Lungen. „Was… was wollen sie. Bitte tun sie mir nichts.“, begann sie sofort zu flehen. „Wie ist dein PIN-Code von deinem Handy?“, fragte Andreas zunächst mit normaler Tonlage. „Mein Handy… aber ich… bitte, tun sie…“ „Ich hab dich nach dem PIN-Code gefragt, du dämliche Schlampe!“, schrie der Mann und hob drohend die Hand. Er hätte keine Probleme damit, auch eine Frau zu ohrfeigen, wenn sie nicht tat, was er sagte. Zitternd und mit Tränen in den Augen sagte Inga ihm 4 Ziffern und Andreas ließ die Hand wieder sinken und verklebte den Mund erneut. Mit kurzem Röcheln verlegte Inga das Atmen wieder durch die Nase und ließ den Kopf verzweifelt auf die Matratze sinken.
Andreas kehrte mit PIN in den Hauptraum zurück und sein großer Bruder entschlüsselte das Handy. Mit flinken Fingern navigierte er sich in die Kontaktliste, und hoffte entweder Pseudonyme wie „Hase“, „Schatz“ oder „Süßer“ zu finden, oder sogar „Mama“ und „Papa“. Bei „Schatzi“ wurde er schließlich fündig und grinste, als er die Nummer zum Anruf anwählte. „Dann wollen wir mal sehen, was es zu holen gibt.“, meinte er und legte die Füße auf den Tisch. -
Hütte im Wald - 09:30 Uhr
Andreas fühlte in den Taschen herum und warf mehrere Zigarettenschachteln auf den Boden. "Hast du keine Lucky Strikes eingepackt? Das gibts doch nicht!", rief der, oftmals cholerische, breite Kerl in Richtung seines Freundes, der ruhig und locker auf einem Stuhl sass und einige Scheine vor sich ausgebreitet sah. "Du hast die Zigaretten doch selbst eingepackt.", antwortete Jessica, die auf einer, mehr oder weniger, sauberen Matratze lag und rauchte. Andreas schaute verdattert, als wolle ihn Jessica veräppeln. Er war gedanklich nie der schnellste und brauchte oftmals kurze Zeit um seine Gedanken richtig zu ordnen. Thomas, der sich oftmals wie ein Anführer des Trios fühlte, warf ein: "Jetzt halt mal die Luft an, rauch die Malboros oder geh in die Stadt, und kauf dir deine Lucky Strikes." Ein unfreundliches Gemurmel war von Andreas zu hören, er fischte eine Packung aus der Tüte und setzte sich missmutig zu Thomas an den Holztisch. Es war nicht besonders gemütlich, doch als Unterschlupf war diese alte verlassene Hütte ideal. Mitten im tiefen Wald ausserhalb von Köln kam man hier nur mit einem Geländewagen hin, der einzige wirklich ehrlich erworbene Besitz der drei jungen Männer. Die drei Geschwister waren vor Jahren gemeinsam von zuhause ausgerissen, Jessica war 26, die beiden Brüder 29 und 31. "Das hat sich ja mal wieder gelohnt.", knurrte Thomas ironisch und sah auf die 10er, 20er und 50er Scheine. "900 Euro. Dafür gehen wir so ein hohes Risiko ein... zum Kotzen.", bellte er laut und warf beim Aufstehen den Holzstuhl um. Andreas grinste: "Aber dafür haben wir die Brillenschlange verdroschen." "Und was bringt uns das, du Idiot? Bringt uns das mehr Geld auf den Tisch? Für Essen, Alkohol, Drogen? Bringt uns das schneller aus diesem Loch heraus, hä?", schrie Thomas seinem jüngeren Bruder ins Gesicht, dessen Kichern sofort verstummte. Ein heiseres Schnauben deutete das Ende des Wutausbruchs an, und Jessica erhob die Stimme von ihrem Matratzenlager aus: "Vielleicht sollten wir mal was anderes überfallen, als immer nur solche kleinen Kiosk." "Ja, ne Bank oder was?", meinte der ältere Bruder schnippisch, dem ein Banküberfall ein zu hohes Risiko war. Er trat ans Fenster und schaute mit verschränkten Armen heraus. 'Nein, es musste noch andere Möglichkeiten geben, schnell an viel Geld zu kommen.', dachte er. Von seinen Geschwistern erwartete er keine Denkhilfe, jedenfalls nicht von seinem verblödeten Bruder. Der war in erster Linie dafür gut, die Faust zu ballen und für Ruhe zu sorgen. Andreas gehorchte Thomas aufs Wort, hatte keinerlei Skrupel jemandem mehr als nur weh zu tun. Jessica war anders, auch sie wusste wie sie sich zu verteidigen hatte, jedoch meinte Thomas manchmal, ein wenig mehr Menschlichkeit in ihr zu erkennen. Er hatte oft und lange versucht, sie von der schiefen Bahn abzuhalten, doch irgendwann hatte er es aufgegeben. Er musste sie damals, als sie 12 war, einfach mitnehmen als er erfahren hatte, dass sein Stiefvater sie unsittlich anfasste. Nachdem er und sein Bruder den Stiefvater übel zugerichtet hatten, waren sie zu dritt ausgebüchst und in ganz Westdeutschland umher gezogen... gelebt von Kleinkriminalität die immer weiter in diese brutalen Überfälle abgedriftet sind.
Thomas drehte sich zu seinen Geschwistern um und meinte mit zwei Wörtern: "Eine Entführung." Jessica schaute zu ihm auf, Andreas verdutzt. "Wer ist entführt?" Sein Bruder verdrehte die Augen. "Wir ziehen eine Entführung durch. Ohne Risiko, zack bumm. Muss ja gar nicht viel Kohle sein, aber es wäre definitiv mehr als wir bei diesen unnützen Überfällen machen. Und wenn es nur um 20000 Euro geht, geht auch niemand das Risiko ein, die Polizei zu benachrichtigen." Die junge Frau schaute ein wenig verständnislos. "Warum sollte das weniger Risiko sein?" "Na, denk doch mal nach, Schwesterlein. Wenn wir ne halbe Million verlangen, das kann kein Schwein bezahlen. Also wird die Polizei informiert, die das Geld meistens stellt, um die Typen zu erwischen. Bei 20000 Euro aber, die kriegt doch ein Normalbürger heute ohne Probleme von der Bank als Kredit. Da wird niemand das Risiko eingehen, das Risiko seiner Tochter, seines Sohnes oder des Lebensgefährten eingehen.", erklärte Thomas ihr geduldig, und das leuchtete Jessica ein. Sie nickte langsam als Andreas sich wieder einhakte: "Und... ähm... wen willst du entführen?". "Na, zum ersten Mal eine vernünftige Frage, Bruderherz.", lachte Thomas und ließ seinen Bruder grinsen. Einige Schritte machte der großgewachsene Mann durch die Hütte und schien nachzudenken. "Niemand, der berühmt ist, das ist nicht unsere Kragenweite. Ein Zufallsopfer, irgendjemanden, den wir zu einem guten Zeitpunkt erwischen. Vielleicht am besten eine Frau, das ist einfacher als einen Kerl.", überlegte er laut und kassierte sofort eine schnippische Antwort seiner Schwester. "Verlass dich da nicht drauf. Wir können ganz schön zu Furien werden, wenn wir Angst haben. Ein Mann ist vielleicht eher vernünftig und fügt sich in sein Schicksal." Andreas stand auf und bewegte seinen kräftigen, stämmigen Körper vor sich. "Quatsch. Ob Frau oder Mann, wer nicht pariert bekommt eins zwischen die Lichter, und fertig. Nicht wahr, Thomas?" und lachte.
Raststätte - 09:45 Uhr
Semir und Ben standen am Tresen ihrer Stamm-Raststätte beim Frühstück. Vor beiden Polizisten dampfte Kaffee und lag ein, jeweils bereits halb vernichtetes Schoko-Crossaint, was der, sowieso gut betuchte, Zuspät-Kommer Ben natürlich bezahlen musste. "Also werde ich letztlich dafür verantwortlich gemacht, dass du immer mehr auseinandergehst.", witzelte er in die Richtung seines Freundes. "Pff, weiter auseinander gehen. Wer pumpt denn beim Joggen immer zuerst, du oder ich?", konterte Semir keck und biss herzhaft in sein Crossaint. Beim Blick durch die Fensterfronten, in der sich die Sonne brach und bereits für angenehme Temperaturen sorgte, fragte Ben: "Hast du schon im Fernschreiben von dem Kiosk heute nacht gelesen? Hatte es eben im Radio mitbekommen." Sein Partner nickte: "Jap. Diesmal haben sie einen Jungen halb tot getreten. Der Besitzer des Kiosks hat zu Protokoll gegeben dass nur Zigaretten, Schnaps und 900 Euro fehlen würden. Für so wenig ne gefährliche Körperverletzung." Ben schüttelte vor Unverständnis den Kopf, hatte er doch über den Gesundheitszustand des Jungen im Radio nichts erfahren. "Sobald sie nachts die Raststätte überfallen, sind wir an der Reihe.", meinte er in einer Art von Vorfreude, diesen Typen in den Hintern zu treten. "Glaub nicht dran.", gab Semir ihm zur Antwort. "Die Typen scheinen kein Risiko einzugehen. Die Kiosks und Imbissbuden, die die bisher überfallen hatten waren so weit ausserhalb wie es nur geht. Hier sind nachts immer Leute, Truckerfahrer."
Die beiden Kommissare aßen den letzten Rest ihres Frühstücks und begaben sich dann wieder in ihr Dienstfahrzeug. Ben hatte, entgegen Semirs Vermutung, André noch nicht vergessen. Er dachte nach und wollte Semir eigentlich, nach langer Zeit des Schweigens, nochmal darauf ansprechen, wie sie denn nun weiter verfahren. Doch gerade jetzt waren sie beide guter Laune, was bei Semir in letzter Zeit seltener vorkam, und die wollte er nicht kaputtreden. Und so schwieg er, als die beiden Kommissare ihren Dienst fortsetzte