Beiträge von Campino

    Sagen wir mal so, die Story ist auf der Zielgeraden... aber es kommt noch ein Hammer :) .

    Die nächste Story hat im Kopf bereits ein Thema, aber die werde ich wohl erstmal vorschreiben, weil ich Angst hab, das Thema nicht komplett umsetzen zu können. Mal sehen.

    Batteriefabrik - 10:05 Uhr

    Der Arm brannte, Schmerz trieb Ben fast die Tränen in die Augen. Er spürte, wie ihm die warme Flüssigkeit über die Schulter sickerte und sich langsam unter seiner Jacke die Blutspur durch den Stoff drückte. Er fühlte seine Füße im leeren schweben, wie er hin und wieder mal an die Stahlverkleidung der Träger neben ihm stieß. Und er sah und hörte, wie Kerler verzweifelt versuchte, mit dem dünnen Messer das massive Seil zu kappen, an dem Bens Leben hing. Verdammt nochmal, warum half Kevin ihm nicht. Er MUSSTE ihn doch einfach hören, das war doch keine große Entfernung, in der er ihn rief. "KEVIN!!!", rief er nochmal. "Dein Freund hilft dir nicht, Bulle.", rief Kerler nach unten und lachte, obwohl ihm auch nicht bekannt war, welche Verbindung Becker zu Kevin hegte. Doch Ben kam langsam ebenfalls dieser Gedanke, dass sein Kollege nicht die Absicht hatte, ihm zu helfen. Er wünschte sich so sehr, dass Semir schnell auftauchen würde...

    Doch Kevin ging es auf dem gegenüberliegenden Dach gerade nicht besonders gut. Er hatte sehr wohl mitbekommen, dass er mit dem einen, letzten Schuss Ben's Leben retten könnte, doch sein Herz wollte dem Gehirn keinen Platz geben, seine Befehle durchzusetzen. Den Revolver hielt er immer noch auf Becker gerichtet, der vor ihm saß und ihn fast beschwörend ansah. "Du bist ein Schwächling, Peters...", sagte er in die Richtung des Polizisten. "Du warst zu schwach deiner Schwester zu helfen, und jetzt bist du zu schwach deinem Kollegen zu helfen." Der Verbrecher wusste, dass Kevins Rache nur befriedigt war, wenn er selbst Becker tötete... und nicht einfach festnahm.
    Kevins Unterlippe zitterte, seine Hand um die Waffe war weiß, so fest hielt er die Waffe umklammert. Doch würde er, wenn er den einen Dämon besiegte, nicht einen anderen Dämon heraufbeschwören? Er würde wieder den Tod eines Menschen verschulden... diesmal wissentlich, diesmal in vollem Besitz seiner körperlichen Kräfte. Diesmal hatte er die Chance, etwas zu verhindern! Die Chance hatte er bei Janine nicht gehabt... es tat so weh, erneut daran zu denken, die Narben auf seinem eiskalten, nassen Rücken brannten wie Feuer.
    Tränen bahnten sich in die Augen des jungen Polizisten, als er an seine Schwester dachte und realisierte, dass er den Dämon der ihn quälte bis zu seinem Tode wohl niemals vertreiben könnte. Doch er wollte anderen Menschen nicht ebenfalls einen Dämon schicken. Semir würde sich die gleichen Vorwürfe machen, nicht da gewesen zu sein, wenn Ben etwas passieren würde...

    Noch während Kevin den Arm mit der Waffe von Becker wegrichtete und auf Kerler zielte, rappelte der Verbrecher sich wieder auf. Der junge Polizist bemerkte es nicht, der Tunnelblick ließ alles um ihn herum verschwimmen. Becker holte gerade aus, um Kevin gezielt in die Seite zu treten, der anschnellende Fuß war bereits auf dem Weg, als sich der Finger krümmte, und die letzte Kugel des Revolvers den Lauf verließ. Gerade als Kevin sah, wie Kerler im Kopf getroffen nach hinten taumelte, spürte er den heftigen Schlag auf den Rippen, der ihm die Luft zum Atmen nahm und ihn auf die Knie sinken ließ. "Feiger Bastard.", warf ihm Becker an den Kopf und brachte Kevin mit einem Knietritt unters Kinn endgültig zu Boden.
    Der Polizist lag stöhnend auf dem Boden, verklebte Wunden im Gesicht spuckten erneut Blut, und letzte Willensreserven ließen ihn nach oben blicken, wo Becker sich wieder aufrichtete. "Es wäre ein Leichtes gewesen, dich zu töten. Aber dein Tod würde dich nur befreien... und du sollst niemals mehr frei sein, Kevin Peters!" Mit diesen Worten ging Becker einige Schritte rückwärts, und Kevins Augen weiteten sich... er sah was Becker vorhatte. Nein, das durfte er nicht... Kevin würde niemals von seinen Alpträumen befreit werden. Nein... "Bleib stehen!", quetschte der keuchende Kommissar hervor und überwand seine Schmerzensgrenze um sich nochmals hochzudrücken, mehr auf Becker zuzustolpern als wirklich zu hechten, doch Kevins Griff ging ins Leere. Peter Becker ließ sich rückwärts über die Kante des Daches fallen, mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht und den Blick starr auf Kevin gerichtet. "NEIN!", rief dieser, als er sah wie Becker von zwei harten Leitungsrohren getroffen wurde und mit einem unnatürlichen Ton auf den Asphaltboden aufschlug, dort regungslos liegenblieb. Schnell vergrößerte sich eine Blutlache um seinen Kopf.

    Kevin fiel am Rand des Daches auf die Knie. Völlig gezeichnet, mit angefrorenem feuchten dünnen Oberteil, blutverschmiert im Gesicht, die Haare voller Dreck und die Augen voller Tränen. Er war kaputt, innerlich gebrochen. Becker hatte ihm endgültig die Chance geraubt, sich zu rächen, sich bei Janine zu entschuldigen. DIe Sirenen der Verstärkung, den Hubschrauber, der jetzt über der Batteriefabrik kreiste, nahm er überhaupt nicht mehr wahr, es klang, als wäre alles ganz weit weg. Sein Dämon würde ihn niemals verlassen, doch selbst wenn Kevin in diesem Moment die Absicht gehabt hätte, sich umzubringen... selbst dafür fehlte ihm plötzlich die Willenskraft, die Stärke. Er war in sich zusammengesunken, wie ein Häufchen Elend, kraftlos. Er weinte stumm um seine Schwester, die gerade ein zweites Mal gestorben war...

    Ben hatte den Schuss gehört, der ihm wie eine Erlösung vorkam, als er realisierte dass Kerler tödlich getroffen wurde. Sofort mobilisierte er noch alle Kräfte um das Seil die letzten Meter nach oben zu klettern, die er nicht konnte weil Kerler mit dem Messer rumfuchtelte. Gerade hatte er sich über die Brüstung geworfen, da sah er wie Becker auf der anderen Seite abstürzte, und das nachfolgende Szenario. Auf Ben prasselte ein Heer von Gefühlen ein, die er zusammengemischt nur schwer deuten konnte. Heftig atmend sah er den zusammengesunkenen Kevin und plötzlich wurde ihm klar, dass dieser Mann eventuell der Mörder seiner Schwester gewesen ist. Der Gedanke kam ihm einfach, ohne dass er darauf Hinweise hatte. Kevin hatte ihm das Leben gerettet, wenn auch mit Verzögerung, doch es würde erklären, warum er gezögert hatte. Er wollte zu ihm, bevor sein Kollege auf dumme Gedanken kam. Er blickte nach links und rechts, und sah eine Verbindungsbrücke, die die beiden Dächer miteinander verband. Vor Schmerz etwas stöhnend verfiel er in Laufschritt, immer die Augen auf Kevin gerichtet, der sich aus seiner Position allerdings nicht veränderte. Offenbar hatte ihn nun die Kraft verlassen, die Willensstärke sowieso.
    Als Ben bei Kevin ankam, konnte er sehen, wie der Mann zitterte. So langsam kehrten Gefühle wie das Kälteempfinden zu dem Polizisten zurück, doch das Zittern rührte auch vom lautlosen Weinen. Erst als Kevin aufblickte, konnte Ben dessen Gesicht erkennen. Die Schnitte und Platzwunden, blutverschmiert, dreckverschmiert, und von einigen Tränen durchzogen. Langsam richtete sich sein Blick auf den geretteten Kollegen. Das Gefühl, es richtig gemacht zu haben, flammte bei Kevin nur eine Millisekunde auf. Ben selbst wusste sich nicht zu helfen, ihm fielen keine Worte ein, die der Situation angebracht waren... nichtmal ein "Danke", weil er wusste, dass es Kevin nicht helfen würde. Nur eine Geste zeigte sich in Ben's Hilflosigkeit... er hielt Kevin die offene Hand hin... sie zitterte vor Anstrengung und Schmerz, aber er hielt sie ihm hin. Kevin biss die Lippen zusammen, erneut drückten sich beim Augenaufschlag Tränen aus den Lidern, doch er griff, ebenfalls zitternd vor Kälte und Schmerzen am ganzen Körper, zu und ließ sich von seinem Kollegen auf die Beine helfen. Stumm und ohne ein Wort zu wechseln suchten sich die beiden Polizisten einen Weg nach unten, wo gerade André und Semir zum Stehen kamen...

    Autobahn - 10:00 Uhr

    Horn saß regelrecht mit seinem Auto in der Falle. Er schaffte es nicht durch Rammattacken André aus der Spur zu bringen, und nun sah er in eine Pistolenmündung, als Semir sich langsam auf dem Schwertransporter aufrichtete und die Waffe, die er von André genommen hatte, auf den immer langsamer werdenden Fluchtwagen richtete. André sah so aufmerksam herüber wie es ging, um die Situation zu kontrollieren.

    Doch dann riss Horn das Lenkrad plötzlich herum und bog in eine Ausfahrt ab, die sich für die beiden Polizisten unerwartet auftat, weil sie sie beide nicht sahen. „Scheisse!“, fluchte André, trat mit Wucht in die Bremsen, schaffte es aber nicht mehr hinter dem Schwertransporter abzubiegen. Semir erkannte die Situation blitzschnell, setzte zum kurzen Sprint an und sprang exakt an der Kante des Transporters mit einem Hechtsprung ab, den sein Kollege gerade noch sah, bevor Semir auf der Motorhaube des Fluchtwagens aufschlug und sich am Scheibenwischer festkrallte.
    Die beiden Autos fuhren getrennte Wege, Horn mit Semir fuhr von der Autobahn ab, André fuhr weiter und vollführte hinter der Auffahrt eine 180° Grad-Wende mit Handbremse. Er hatte Glück, dass gerade kein Wagen auf die Autobahn auffuhr, ansonsten wäre es zum Zusammenstoß gekommen. Als er den Mercedes wieder in Fahrtrichtung hatte, drückte der Karatekämpfer wieder aufs Gas und orientierte sich, wo der Fluchtwagen abgebogen war. Er konnte ihn gerade noch auf der Landstraße erkennen, und versuchte schnell wieder aufzuschließen. Semir versuchte sich unterdessen auf der Motorhaube liegend festzuhalten, eine Hand fest um den Scheibenwischer geklammert, mit der anderen hielt er den Revolver fest, mit dem er vor 14 Jahren Carlos Berger erschossen hatte. „Bleib endlich stehen, Horn.“, rief er laut, doch der dachte nicht daran und versuchte den Polizisten mit harten Lenkbewegungen abzuschütteln. Doch der türkische Polizist war dahingehend einiges gewohnt, rutschte zwar mit seinem Körper über die glatte Haube, ließ sich aber nicht abschütteln und schlug mit dem Revolver gegen die Frontscheibe, bis sie Risse bekam und die Sicht für Horn schlechter wurde. Doch davon ließ sich der Verbrecher nicht stören, die Geschwindigkeit nahm wieder zu und die Straße wurde kurvig.

    Gerade als Semir beinahe ein Loch in die Scheibe geschlagen hatte, geriet der Hinterreifen des Wagens auf den Grünstreifen und Horn konnte den schlingernden Wagen nicht mehr abfangen. Jetzt ließ Semir den Revolver los, der klappernd auf die Straße fiel, weil er zwei Hände brauchte um sich fest zu halten. Horn veriss das Lenkrad, und der Wagen kam von der Straße ab, schlug ihn eine Böschung und hob ab. „Whoooaa“, rief Semir noch, als er den Scheibenwischer los ließ bevor der Wagen sich in der Luft um die eigene Achse drehte und auf den Rädern im Sand wieder aufschlug. Der Kommissar stürzte und fiel so unglücklich auf den Rücken, dass Semir erstmal die Luft wegblieb und er sich stöhnend auf dem Boden rollte. Die helle Sonne bahnte sich den Weg durch die zusammengekniffenen Augen, und alles fühlte sich taub an, als Semir versuchte zu Atem zu kommen. Dass Horn aus dem Auto ausstieg, mit leicht humpelnden Schritten, mit der Waffe in der Hand zu Semir kam, bemerkte dieser erst gar nicht. Erst als Horn bei ihm stand und die Waffe auf den Polizisten richtete. „Ich hätte mich eben ein bisschen mehr beeilen sollen.“, keuchte Horn und zielte Semir ins Gesicht, der langsam wieder klar sah und direkt auf die Waffe sah. Kein Ausweg, Semirs Herz wollte zerspringen, so wie vor einer halben Stunde, als er dachte dass dieses Abenteuer sein letztes sein würde. Ihm kam das Gesicht von Andrea in den Sinn, seiner beiden Töchter, seiner unehelichen Tochter… das Gesicht von Ben, von André und von seinem Ex-Partner Tom, als er die Augen schloss und das Ende quasi erwartete in dem Moment als Horn den Finger um den Abzug legte. Dann hörte Semir den Schuss… er war leiser als er erwartet hatte, und er spürte tatsächlich keinen Schmerz. War es möglich, dass es so schnell ging, wenn man stirbt. Kein Gefühl, wenn die Kugel einen trifft, keine Reaktion… bis er die Augen langsam öffnete und sah, wie Horn stöhnend neben ihm lag und die Hand auf eine blutende Schusswunde im Oberschenkel drückte. Überrascht sah er sich um, und sah André auf der Landstraße stehen, den Revolver, den Semir auf der Straße vor dem Unfall verloren hatte in der Hand haltend und nun mit schnellen Schritten über das Feld laufend. „Aah… verdammter Bastard…“, fluchte Horn mit schmerzverzerrtem Gesicht. Bevor er überhaupt nochmal auf die Idee kommen konnte, nach seiner Waffe zu greifen, hatte André diese schon aufgenommen und den Revolver auf Horn gerichtet. „Alles klar?“, fragte André in Semirs Richtung, der sich langsam und stöhnend aufrichtete. „Alles noch dran…“, meinte er mühsam und André musste lächeln: „Nix verlernt, was?“ Der türkische Kommissar nickte und wollte sich gewohnheitsmäßig zu den Handschellen greifen, die allerdings nicht an seinem Platz waren. Man hatte sie ihm weggenommen, bevor man ihn gefesselt hatte. „Nimm die.“, meinte sein Kollege, griff in seine Jackentasche und warf sie Semir zu. Er hatte sie aus dem Dienstwagen genommen, bevor sie die Batteriefabrik gestürmt hatten.

    Der türkische Kommissar kniete sich in den hartgefrorenen trockenen Boden und griff Horn an den Handgelenken, um die Handschellen anzulegen. Der sah André voller Hass an. „Du wirst die Rechnung noch bezahlen, André.“, drohte er, als er von Semir auf die Beine gezogen wurde und seinem ehemaligen „Mitarbeiter“ gegenüber stand. Semir hatte ein mulmiges Gefühl im Magen, als er André und Horn kurze Zeit beobachtete. Sein Freund sah Horn mit leicht herunter gezogenen Mundwinkel missbilligend an. „Was werde ich denn bezahlen, hmm?“ „Glaubst du im Ernst, ich hätte nichts um dich zu erpressen, wenn du mein Spiel eher durchschaut hättest?“ André ließ sich seine Gefühle in diesem Moment in keinster Weise anmerken. Horn wusste, dass er das Spiel gegen Semir wissentlich niemals mitgespielt hätte. Er war blind und dumm gewesen, hatte sich aber niemals vorstellen können, dass Horn solch einen Hass gegen seinen ehemaligen Partner hegte. Beinahe wäre er schuld an Semirs Tod gewesen. „Du kannst mich nicht erpressen.“, sagte er mit seiner markant kratzigen Stimme und kam Horn mit dem Gesicht immer näher, als gerade zwei Streifenwagen an der Unfallstelle hielten. Aus einem stiegen Hotte und Bonrath, und sahen über das Feld zu den drei Gestalten. „Das wirst du schon noch sehen.“, antwortete Horn seelenruhig, und Semir gab ihm einen Schubs. „Schluß jetzt! Los!!“, ordnete er an und stapfte mit dem humpelnden Verbrecher übers Feld, bis ein Kollege ihm Horn abnahm. André verweilte für einige Sekunden auf seinem Platz, bevor er Semir folgte. „Mensch André. Du hast dich ja gar nicht geändert.“, bemerkte Bonrath mit einem Lächeln und deutete auf den ziemlich beschädigten Fluchtwagen und auf den zerdellten und zerkratzten Mercedes, den André selbst gefahren ist. Auch Hotte grinste dabei: „Manche Dinge verlernt man einfach nicht.“ „Sabbelt nicht rum.“, konterte André und bekam von Semir einen Stoß. „Schnell, wir müssen zurück zur Batteriefabrik. Ben und Kevin brauchen vielleicht noch Hilfe.“
    Das war für alle Beteiligten das Signal zum sofortigen Aufbruch. Während Horn von den Kollegen auf die Dienststelle gebracht wurde, rasten André und Semir, sowie Hotte und Dieter zur Batteriefabrik zurück.

    Straßen – 09:45 Uhr

    Als André den Abstand zum flüchtenden Horn schnell verringerte fühlte sich Semir um 14 Jahre in der Zeit zurückversetzt. So viele Verfolgungsjagden hatte er mit André erlebt, so oft hatten sie sich noch während dieser Verfolgung gestritten und miteinander diskutiert, meistens über den Fahrstil des anderen.
    Horn bemerkte seine Verfolger recht schnell und gab seinem Wagen die Sporen, doch André ließ sich über die fast leere Verbindungsstraße aus dem Industriegebiet Richtung Autobahn nicht abhängen. Erst auf der Autobahn selbst wurde der Verkehr dichter und die beiden Fahrzeuge mussten mehrmals mit Höchstgeschwindigkeit die Spur wechseln. Während der ehemalige Polizist konzentriert und mit einem Funkeln in den Augen auf die Straße sah und das Heck des vor ihm fahrenden Wagens fokussierte, hielt Semir sich am Türgriff ein wenig fest. Es war ihm immer ein Graus, dass André bei Verfolgungsfahrten fast den Verbrechern im Kofferraum saß, und unweigerlich musste er grinsen, als mit einem kurzen „Bling“ der moderne Mercedes im Bordcomputer warnte: „Sie fahren zu dicht auf“, und das Auto automatisch verlangsamte. „Was ist das für ein Mist?“, rief André als sich einige Meter Lücke zwischen ihnen und Horn auftat. Mit einem kurzen Blick prüfte André die Knöpfe auf der Mittelkonsole, doch sein Kollege kam ihm zuvor. „Schau du auf die Straße!“ „Schalt das ab, Mann!“, rief der ehemalige Polizist und fuhr wieder dichter auf und wurde erneut gebremst. „Ich find das eigentlich nicht so schlecht.“, meinte Semir und ihm war fast schon wieder zum Lachen zu Mute. Endlich konnte er sich sicher sein, dass André nicht zur feindlichen Seite gewechselt war. Er hatte ihn mit Ben zusammen gesucht und gefunden, sie hatten sich zusammengerauft, und das konnte nur funktionieren, wenn auch Ben André vertraut. Und dazu schien es genug Gründe zu geben.

    Semir fand den Knopf um den Abstandswarner auszuschalten, als die Autobahn keinen Standstreifen mehr hatte. Im letzten Moment konnte André den Mercedes auf die Überholspur steuern und neben Horn ziehen, der seinerseits auf der rechten Spur hinter einem leeren Schwertransporter fuhr und wie wild hupte. „Das ist unsere Chance!“, meinte Semir und sah André an. Der lächelte und meinte: „Wie früher?“ Sein alter Partner antwortete mit einem Lächeln und nickte: „Wir früher!“ Daraufhin betätigte der ehemalige Polizist den Knopf für das elektronische Schiebedach, Semir entsicherte seine Waffe und öffnete den Gurt. „Dann zeig mal, ob du dich weiterentwickelt hast, die letzten 14 Jahre.“, raunte André und hielt den Mercedes genau auf Höhe des Schwertransporters und Horn, der nun versuchte den Wagen mit den Polizisten zu rammen. Funken flogen, Blech verbog sich quietschend, doch André hielt den Mercedes auf der Spur, während Semir sich mit beiden Armen aus dem Dach zog. Einen Fuß stellte er auf die Lehne des Beifahrersitzes, den anderen wie früher auf Andrés Schulter um sich heraus zu drücken, auf die hintere Kante der Öffnung zu setzen und die Füße voran aus dem Dach zu schwingen. Langsam und vorsichtig ließ er sich an der Frontscheibe hinab gleiten, lehnte sich gegen diese bis er mit den Füßen Halt auf der Motorhaube fand. André hielt den Mercedes ruhig und versuchte durch Lenkbewegungen die Rammstöße von Horn zu korrigieren, ohne dass sein Freund vom Wagen purzelte, bis dieser mit einem Hechtsprung auf die Ladefläche des leeren Schwertransporters sprang…


    Batteriefabrik – 09:55 Uhr

    Kevin fühlte sich wie kurz vor Armageddon… nichts mehr zu verlieren, weil hinter ihm sowieso die Welt untergehen würde. Er hatte Becker, den Mörder seiner kleinen Schwester, genau da, wo er ihn haben wollte… vor dem Lauf seiner Waffe, dessen Leben in der Hand. Ein Schuss, und er vertrieb diesen Dämon, der ihn zu Alkohol, zu Drogen und fast in den Selbstmord trieb. Ein Schuss und seine Schwester konnte endlich ihren Frieden finden nach ihrem kurzen Leben, das dieser Kerl so früh beendet hatte.
    Der junge Polizist hatte die rechte Hand um den Griff des Revolvers geschlungen und fest in der Hand, und auf die linke Hand aufgestützt, als er Bens Stimme hörte, die seinen Namen rief. Durch einen kurzen Seitenblick erkannte er die Situation, spürte er plötzlich ein Gefühl, das von seinem Kopf ausging und gegen den Schmerz aus seiner Seele, aus seinem Herzen anzukommen versuchte, in dem es laut rief: „Hilf Ben!“ Doch die Schreie seiner Schwester in seiner Seele übertönten die Versuche seines rationalen Denkens. Er hatte nur diese eine Chance überhaupt weiterzuleben. Die Alpträume zu vergessen, seine Schwester zu rächen. Aber würde er dann nicht nur Becker, sondern auch Ben umbringen? Hatte er dann noch einen Menschen auf dem Gewissen, einen Menschen der versucht hatte, Kevin zu helfen… der ERSTE, der versuchte Kevin zu helfen. Sein Atem wurde schneller, seine Hand zitterte. ‚Rache ist niemals ein guter Wegbegleiter, Kevin‘ , konnte der junge Polizist plötzlich Hottes Stimme aus dem Büro vernehmen, während neben Janines panischen Schreien, ihre junge Mädchenstimme immer wieder das Wort „Mörder“ flüsterte. Die Augenlider von Kevin zuckten, Becker rührte sich nicht als ob er spürte wie sein Widersacher mit sich selbst kämpfte und die Entschlossenheit aus seinem Blick, die er gerade noch in sich spürte mehr und mehr wich. „KEVIN!!!“ ‚Wir sind Polizisten, weil wir das Gesetz vertreten‘. Wieder wurde Hottes Stimme durch das flüsternde „Mörder“ unterbrochen. Tausende Gefühle rasten durch den Körper des jungen Mannes, der diese Achterbahn innerhalb von Sekunden durchlebte, während sich immer mehr Fasern des Seils, an dem Bens Leben hing, trennten. Semir würde ihm niemals verzeihen, André wäre von Kevin enttäuscht. Er wollte niemanden enttäuschen, aber er konnte Becker nicht verschonen. ‚Rache würde Janine nicht wieder lebendig machen, Kevin.‘ Aber sie könnte Kevin wieder lebendig machen… für wenige Minuten… für Janine.

    Kevin schloss die Augen, nur für einen Bruchteil einer Sekunde… und er sah dann was geschah: Wie er den Finger letztendlich krümmte und die letzte Kugel des Revolvers den Lauf mit einem lauten Knall und einem Ruck verließ, wie sie sich durch Beckers Kehlkopf bohrte, der aufschreckte und sich röchelnd und gurgelnd mit einer Hand an der Kehle nach hinten fallen ließ. Er sah dessen entsetzten Augen, die nicht fassen konnten dass Kevin es getan hatte, dass Kevin seine Rache auf Kosten seines Kollegen, der ihm helfen wollte, durchführte.
    Kevin sah, wie das Seil an dem Ben hing, just in diesem Moment der Belastung nicht mehr halten konnte, wie Kerler es schaffte mit dem Messer Bens Lebensversicherung zu durchtrennen und er sah, wie Ben schreiend abstürzte. „KEVIIIIIIIN“, hörte er die Stimme, die ihm fremd vorkam, und sah wie Bens Körper auf dem harten Asphalt aufschlug und regungslos liegen blieb, aus einer Höhe, die er nicht überleben konnte. Und Kevin spürte, wie sich keine Befriedigung einstellte, Becker tot vor sich liegen zu sehen, wie er nur den regungslosen Ben tot auf dem Asphalt liegen sehen konnte, und er eine ähnliche lähmende Hilflosigkeit empfand… wie an seinem 18ten Geburtstag, als er im Dreck lag und mit ansah, wie seine Schwester ermordet wurde, und er auch ihr nicht helfen konnte…

    Dann öffnete Kevin die Augen wieder…

    Ich habe diesen Vergleich aufgestellt, da es unwahrscheinlich ist, in einer Actionserie wie Cobra 11, in der zumal seit den Tom Beck-Staffeln das Privatleben der Charaktere nie so genau beleuchtet wurde, unwahrscheinlich ist, soetwas zu sehen. Das müsste dann schon ein Fall gewesen sein.

    Aber du kannst auch andere Mitglieder wie Robert, Simon, Rare etc. fragen...Soetwas gab es nicht!

    Das habe ich doch auch gar nicht bestritten. Aber cobra11fan1998 hat auch gefragt, ob es überhaupt mal ne Person gab, mit der Semir in Gebärdensprache sich unterhalten hat, und das ist innerhalb eines Falles auch in einer Actionserie nicht abwegig, weshalb der Vergleich mit einer Seifenoper völlig unangebracht ist.

    Batteriefabrik - 9:45 Uhr

    Ben sah gerade noch, wie Kerler durch die offene Tür des Nebengebäudes schlüpfte, während Horn sich mit ins Auto schwang. "Ich nehm Kerler", rief er Semir und André zu, wechselte sein Magazin und verfiel sofort wieder in schnellen Lauf. Um nicht in eine Falle zu tappen lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand stieß langsam die Tür auf und ging mit der Waffe im Anschlag in die eiskalte Halle hinein, in der sein Atem Kondensrauch entstehen ließ. "Kerler, bleib stehen!", schrie er dem flüchtenden Mann hinterher, dessen schnellen Schritte über den Metallboden der dunklen Fabrik hallten. Kerler hörte es, drehte sich schnell und schoß sofort in Richtung Ben, der sich blitschnell auf den Boden warf, sich einmal über den Boden abrollte und sofort in geknieter Stellung zurückschoß. Beide Männer verfehlten jeweils ihr Ziel, doch das Echo der Schüsse hallte durch die Location.
    Kerler hetzte in Bedrängnis eine Metalltreppe nach oben auf eine Art Balkon, während Ben im Sprint die Halle durchquerte und ebenfalls auf die Treppe zusteuerte. Wieder versuchte der flüchtende Verbrecher auf den Polizisten zu schießen, doch weil dieser Kerler immer im Augen hatte, konnte er die Bewegung sofort erkennen und durch einen Schuß in dessen Richtung die Idee vereiteln. Ben erreichte die Treppe, nahm zwei Stufen gleichzeitig während sein Widersacher zwei verschlossene Türen im Obergeschoß vergeblich versuchte zu öffnen. "Scheisse!", fluchte er als er merkte dass der Kommissar immer näher kam, endlich öffnete sich die dritte Tür, und Kerler trat ins Freie. Er sprintete an der Kante des Flachdaches vorbei und ging hinter einem Kühlergehäuse in Deckung, als Ben gerade aus der Tür trat, und aufgrund Kerlers Schüsse sofort wieder dahinter verschwand. Wie im Rausch leerte der nervöse Verbrecher sein Magazin gegen die Feuerschutztür, hinter der Ben kniete und erst als das Magazin leer war, feuerte der Verfolger aus seiner Deckung zurück, doch Kerler blieb wiederrum in seiner Deckung. "Kerler, gib endlich auf. Hier kommst du nicht mehr raus!", schrie Ben und linste an der Tür vorbei. Hinter dem Kühlergehäuse rührte sich nichts... Hatte Ben den Kerl erwischt?

    Ben wartete einige Sekunden. "Kerler!", rief er nochmal, doch es kam keine Reaktion, kein Rühren war zu sehen. Der Polizist entfernte sein Magazin und sah hinein... verdammt, noch zwei Kugeln hatte er. Er steckte es zurück und hielt die Waffe wieder im Anschlag, und bewegte sich langsam auf der Gehäuse zu. Mit angespannten Muskeln, immer bereit abzudrücken oder in Deckung, bewegte er sich auf Kerlers Deckung hin. Sein Herz schlug heftig gegen seine Kehle, Ben versuchte den Atem zu ruhig wie möglich zu halten. Immer dichter kam er zu dem Kühlergehäuse hin, nun musste er sich nur noch ums Eck drehen... doch Kerler war bereit. Mit einem gezielten Tritt aufs Knie, gerade als Ben sich ihm zu gewandt hatte, brachte er den Kommissar zu Fall, der zu allem Überfluss auch noch seine Waffe fallen ließ. Kerler wollte sich auf sie stürzen, doch der Polizist war gewandt genug, nicht wie ein Sack zu Boden zu plumpsen, und obwohl sein Knie sofort schmerzte war er sofort auf den Beinen und warf sich auf Kerler, bevor dieser die Waffe erreichen konnte.
    Ben versuchte Kerler auf den Rücken zu werfen, der wiederrum schlug nach hinten aus, um Ben abzuschütteln. Gerade hatte der Polizist es geschafft und griff erneut nach seiner Dienstwaffe, spürte er nun das Gewicht seines Widersachers auf seinem Körper, dessen Hand fest um sein Handgelenk, dass die Waffe hielt und es mehrmals auf den Boden schlagend. Die Nerven seiner Hand gehorchten nicht Bens Willen, sie gaben die Waffe erneut frei. Kerler legte die andere Hand um Bens Hals und drückte brutal zu, doch der Kommissar hatte noch einen Joker, stieß Kerler das Knie in den Magen und rollte den stöhnenden Verbrecher von sich, allerdings in die Richtung der liegenden Waffe. Ben rappelte sich auf, musste sich einem Augenblick orientieren wo die Waffe lag. Diesen Augenblick nutzte Kerler auf allen Vieren danach zu greifen und auf Ben zu zielen, der mit dem Rücken zur Dachkante stand. An der Dachkante hing ein altes Werbeplakat, was man zu Zeiten der Schließung nicht mehr entfernt hatte, es war mit einem recht stabilen Seil befestigt.

    Ben bewegte sich, er wollte aus dem Schussfeld, doch Kerler war schneller. Er traf Ben mit dem ersten Schuss in den linken Oberarm, ein glatter Durchschuss, die Wucht des Aufpralls ließ ihn allerdings nach hinten taumeln und über der Polizist spürte, wie ihm plötzlich der Boden unter den Füßen fehlte. Es war dennoch ein glücklicher Umstand, den dadurch traf ihn die zweite (und letzte Kugel in Bens Waffe) nicht im Kopf. Ein kurzer Aufschrei von Ben, die Arme ausgestreckt und sich an Teilen des alten Werbeplakates festgekrallt. Das alte Seil gab an einer Seite sofort nach und riss, was den Kommissar daran hängend noch weiter in die Tiefe segeln ließ. Die andere Seite des Seils war durch das Plakat von Witterung geschützt worden, und war noch weitaus stabiler. Ein brennender Schmerz stich durch Bens Arm, als er sich mit aller Kraft versuchte am Seil nach oben zu ziehen. Kerler sah von oben herab, wollte nochmal schießen, doch ausser einem mechanischem "Klick" gab die Waffe nichts mehr her. Doch statt zu fliehen wollte der Verbrecher Ben sterben sehen, zog ein Taschenmesser und ließ es aufklappen. "Komm nur hoch, Bulle.", rief er drohend und begann am Seil zu schneiden. Ben dachte fieberhaft nach, mit den Messer würde er einige Minuten brauchen um das Seil zu durchtrennen. Hochklettern geht nicht, dann würde Kerler ihn sofort abstechen, runterfallen lassen ist definitiv zu hoch. Verdammte Scheisse!
    Ben drehte den Kopf nach hinten in Richtung Nachbargebäude, und bekam große Augen. Er konnte gerade noch den Kopf des wohl liegenden oder sitzenden Peter Beckers sehen, der hinauf zu Kevin schaute. Der richtete den Revolver, den André ihm vorhin gab, auf Becker. Was war da los... oh Gott, Kevin würde doch nicht etwa den offenbar wehrlosen Verbrecher erschießen... aber vor allem war Kevin Bens letzte Hoffnung. Er musste Kerler, der weiter am Seil herumsägte und es verfluchte, ausschalten, damit Ben hochklettern konnte. "KEVIN!", rief Ben laut in dessen Richtung. "Hilf mir, Kevin!!", doch der Kommissar am Seil erschrak. Kevin schien ihn überhaupt nicht zu hören, er reagierte nicht, dabei war die Entfernung nur ein paar Meter zwischen den Gebäuden. Oder wollte Kevin ihn nicht sehen? War er so vertieft in seinem Hass auf Becker, dass er ihn nicht hörte? Aber warum?? "KEVIN!!" rief Ben nochmals lauter, als die erste Faser des Seiles nachgab, und Kerler nicht aufgab zu versuchen, das Seil zu kappen, was Bens Tod bedeuten würde.

    Schön, wie Ben selbst daran denkt, dass Semir schon viele Partner verloren hat. Du beschreibst die Gefühle wirklich ausserordentlich gut, und man hat die Gesichtsausdrücke vor Augen, ohne dass du diese wirklich viel beschreibst.

    Sehr gut. Werde die Story, so gut ich kann und meine Zeit es zulässt, weiterverfolgen!

    Batteriefabrik - 9:35 Uhr

    Die Luft war eiskalt, kleine Eiskristalle bildeten sich in Kevins schwarzem, durchnässten Oberteil, das an seinem muskulösen Körper zu kleben schien, und an seinen nassen Haaren. Doch der junge Polizist spürte keine Kälte, keinen Schmerz seiner blutvertrockneten Wunden im Gesicht und keinerlei Nebenwirkungen der gespritzten Drogen. Sein Adrenalin überdeckte jegliches Körpergefühl, seine unbändige Wut auf den Kerl, dem er gerade die steile Feuerleiter hochjagte vertrieb jedes Schmerzempfinden.

    Becker übersprang die Brüstung, lehnte sich nach unten und schoss dreimal in Kevins Richtung, jedoch ohne ihn zu treffen. Der junge Kommissar spürte, wie die Kugeln vom Metallgeländer neben ihm wegsprangen und hielt mit Klettern kurz inne, bevor er zweimal zurückschoss. Becker lief weiter, und Kevin verharrte kurz, ließ die Trommel des Revolvers aufschnappen - nur noch eine Kugel. "Verdammt...", murmelte er, drehte die Trommel an die richtige Stelle und steckte den Revolver in den Hosenbund. Als er sich selbst über die Brüstung schwang und nun auf dem Dach stand, wartete Becker bereits auf ihn. "Na komm schon, Kevin. Diesmal hast du ne faire Chance.", rief er und strich sich die schwarze Strähne aus dem Gesicht. Seine leergeschossene Waffe schmiss er im hohen Bogen vom Dach. Sein Gegenüber ließ sich von seinen Emotionen leiten, statt den Revolver zu ziehen und Becker festzunehmen, kam er in Kampfstellung näher. Er wollte ihn nicht einfach erschießen...
    Wie zwei Raubtiere standen sich Becker und Kevin gegenüber. Der Mörder seiner Schwester war nicht ungeschickt im Nahkampf, das konnte Kevin an seiner gekonnten Kampfhaltung sehen. Es war schwierig für ihn, seinen Zorn im Zaum zu halten und seinem Gegner mit möglichst kaltem Blut gegenüber zu treten. Trotzdem wagte der Polizist den ersten Vorstoß mit einem Fußtritt, dem Becker aber auswich und versuchte mit den blanken Fäusten zu schlagen wie ein Boxer, Kevin jedoch ebenfalls nicht traf. Becker grinste: "Du hast dich damals einfach mit den falschen angelegt." Erstmals gab der Killer Andeutungen von sich über den Grund des Angriffes. Wieder kam eine Schlagkombination, diesmal traf Becker Kevin im Gesicht, woraufhin der ein wenig zurücktaumelte. Doch der schwarzhaarige setzte nicht nach, er wollte den Augenblick genießen. "Eigentlich wollten wir in der Nacht nur dich. Deine Schwester war ein netter Zusatz.", grinste er erneut und unterschätzte Kevins Nehmerqualitäten, der sofort wieder in Aktion war und sein Gegenüber mit einer dreiviertel Drehung und einem Tritt über die Gürtelschnalle überraschte. Diesmal war es Becker, der nach hinten taumelte und Kevins Worte hörte: "Warum?", war seine etwas fassungslose Frage und wurde durch schnellen Atem begleitet.

    Doch auch Becker konnte einstecken und richtete sich sogleich wieder auf, weil auch Kevin die Situation nicht ausnutzte. Er ging damit ein gefährliches Risiko ein, und handelte schon lange nicht mehr mit klar rationalem Denken. Er wollte diesen Zweikampf genauso wie Becker, und wenn er ihn soweit hatte, dass er sich mehr wehren konnte, würde er ihn töten. Doch jetzt war es erstmal Becker, der Kevins Frage beantwortete: "Weil du meinen Bruder totgeschlagen hast, du Bastard." Kevins Arme sanken sich kurz, als sein Kopf versuchte nachzudenken. Er hatte in der Gang viele Schlägereien, viele hässliche Schlägereien... dann fiel es ihm ein. "Der Boxkampf?" Becker nickte und kam wieder näher an Kevin heran. "Du hattest gesehen, dass er nicht mehr konnte, und hast trotzdem noch auf ihn eingeprügelt.", rief er laut und setzte wieder einen Angriff auf Kevin. Offenbar löste die Erinnerung auch in Peter Becker Wut aus, die ihn weniger kontrolliert agieren ließ, und das merkte sein Gegenüber nun. Plötzlich fühlte sich Kevin im Vorteil, die Wut blieb. Er blockte zwei Schläge ab und rief: "Dein Bruder war vollgepumpt mit Drogen und ist daran gestorben, und nicht an dem Kampf, du Idiot!" Nochmal musste Kevin der Faust ausweichen, dann griff Becker zu einer Drahlschlinge in seiner Tasche, wand sich hinter Kevin und zog sie ihm um den Hals. Kevin würgte als ihm der Draht die Kehle zu zog, er versuchte mit den Fingern unter den Drahl zu kommen, um ihn zu lockern. Becker zog, dass es unangenehm war, jedoch nicht so fest um ihn umzubringen. Er wollte ihn nicht umbringen, das wusste der Polizist, das hätte er im Keller bereits tun können. Er wollte, dass Kevin mit dem Dämon weiterlebte, und Becker wusste, dass Kevins Qual nur verschwand, wenn der Polizist ihn tötetn... und nicht, wenn er einfach ins Gefängnis ging. "Deine Schwester war es trotzdem wert, Bulle. Wie sie gezappelt hat, als ich in ihr drin war. Wie sie gezappelt hat, als sie merkte dass sie das Blut aus dem Hals nicht zurückhalten kann.", zischte er dem nun zappelnden Kevin ins Ohr, und das Gewicht der unbändigen Wut verlagerte sich wieder zu Kevin, der die Zähne zusammenbiss und wuchtig mit dem Ellbogen nach hinten schlug und dabei Beckers Magengrube traf. Becker gab ein stöhnendes Geräusch von sich, der Griff um die Drahtschlinge lockerte sich und diesmal setzte Kevin nach. Er drehte sich und schlug nochmal wuchtig eine Rechte in Beckers Unterleib, was dazu führte dass sich sein Kontrahent stöhnend nach vorne beugte. Zum Nachgang hielt Kevin Beckers Hinterkopf fest und rammte ihm das Knie ins Gesicht. Der Schwarzhaarige taumelte zurück, sah die Welt nur noch durch einen roten Blutschleier, blieb aber zunächst auf den Beinen, doch Kevins Karatetritt, der Becker mit der Schuhsohle an der Schläfe traf schickte den Kerl zu Boden.

    Stöhnend blieb er auf dem Rücken liegen, und erhob sich nur langsam in sitzende Position, da hatte der Polizist längst den Revolver mit seiner letzten Kugel gezogen und zielte Becker genau auf den Kehlkopf. Becker atmete schwer, auch Kevins Lunge und Herz pumpten was das Zeug gab. "Keine Luft mehr zu bekommen ist gewiss kein schöner Tod.", sagte Kevin plötzlich mit einer verdammten Gelassenheit... einer Gelassenheit die ihm in ruhigen Momenten auf als Arroganz ausgelegt wurde, eine Gelassenheit die Freunde allerdings in Stresssituationen gerne an ihm schätzten... und eine Gelassenheit, die wie sonst auch jetzt eher aufgesetzt war und wahre Gefühle verdecken sollte. "Oder zu merken, dass man das Blut nicht zurückhalten kann." Becker merkte, dass er verloren hatte. Er hatte sich seinen Plan zurechtgelegt, Kevin für immer mit dem Dämon alleine zu lassen, in dem er floh oder sich verhaften ließ. "Das wagst du nicht.", schnaufte Becker, der auf die Waffe blickte und sich nicht rührte. "Ich würde nicht drauf wetten...", antwortete sein Gegenüber mit zittriger Stimme und zog den Hahn des Revolvers mit dem Daumen zurück. Ein Schuss, nur einmal Druck auf den Zeigefinger ausüben, der am Abzug lag, und der Schmerz wäre zum Teil erst einmal weg. Der Rest ließe sich danach mit einem Schritt nach links vom Dach beheben. Er würde sowieso seine Stelle als Polizist verlieren, das einzige was ihn ablenkte. André hatte vermutlich längst Semir von den Drogen erzählt... es hatte alles keinen Sinn mehr. Nur diese eine Sache würde er noch erledigen, und nichts würde Kevin davon abhalten jetzt den Finger zu krümmen und dem Mörder seiner Schwester eine Kugel in den Hals jagen.

    Kevins Blick drückte absolute Entschlossenheit aus, als er vom Nachbardach laute Hilferufe hörte...

    Dienstauto – 09:15 Uhr

    André und Ben kamen an der alten Batteriefabrik an. 100m vorher hatten sie einen Geländewagen am Straßenrand passiert und konnten 2 und 2 zusammenzählen. Vermutlich würden die Typen gewarnt werden. Die beiden Männer mussten sich beeilen und hielten direkt am Tor zu Fabrik. Von aussen machte das Gebäude einen einsamen Eindruck, die Kerle mussten sich offenbar sehr sicher sein, nicht entdeckt zu werden, denn ausser dem Geländewagen gab es keine Wachen. Viele Eisenträger, die ein Schienensystem in der oberen Etage aufrechthielten boten gute Deckungsmöglichkeiten, als die beiden Männer mit gezückten Waffen sich langsam zu der zentralen großen Halle fortbewegten. Dort ließen sich auch bald die ersten Männer sehen, die sofort das Feuer eröffneten. Ben und André gingen in Deckung und schoßen als bald zurück. Einer der Männer wurde durch einen Beinschuss ausgeschaltet, der andere mit einem Treffer am Arm. Danach drangen sie langsam vor in die Halle, als sie schon den ersten Hubschrauber über der Fabrik hörten. Lautlos seilte sich das SEK auf das Fabrikgelände ab.

    Im Keller kam Horn langsam wieder auf die Beine. Er kochte vor Wut, dass sein Plan kurz vorm Abschluss stand, und doch schiefgegangen war. Wie, verdammt nochmal, waren die Bullen auf das Versteck gekommen. Während sie durch die Gänge im Keller hetzten schaffte er es noch, ein kurzes Telefonat nach Spanien zu führen. Der kurze und prägnante Befehl an seinen Gesprächspartner war: „Schick das Paket ab. Das wird dem Kerl leid tun.“
    Kerler führte das Trio an. „Die werden uns hier entgegen kommen. Wir müssen den Tunnel nehmen und kommen im Nachbargebäude heraus. Dort steht einer unserer Wagen.“ In einem langen Flur bogen sie durch den einzigen Durchgang rechts ab.

    André und Ben durchquerten die Halle, bis sie an ein Treppengeländer kamen, das in den Keller führte. „Sollen wir?“, fragte Ben misstrauisch. Sie mussten sich für einen Weg entscheiden, und dass Kerler Semir und Kevin im Keller versteckt hielt war logischer als dass sie irgendwo in der Halle saßen. André nickte und die beiden Männer gingen mit den Waffen im Anschlag die Treppe herunter. Als der breite Kleiderschrank plötzlich um die Ecke bog und einen Revolver hob, reagierte André am schnellsten und schoss ihn nieder. „Puh…“, atmete er aus. „Los weiter, schnell.“, drängte Ben und die beiden stiegen über den Kerl hinweg. André sammelte den Revolver auf, während Bens Angst um seinen Partner wuchs. Waren sie zu spät? Würden sie rechtzeitig kommen? Doch dann hörte er etwas, als sie auf einen langen Gang zuliefen.

    „Kevin!“, brüllte Semir hinter seinem jungen Partner her. Der türkische Polizist hatte Angst, dass sein Partner blindlings einem bewaffneten Verbrecher in die Kugel laufen würde. Doch der ließ sich nicht aufhalten, lief und hatte nur ein Ziel. Peter Becker töten, um jeden Preis. Und was danach kam, war egal. Den letzten Schritt würde keiner seiner Kollegen mehr verhindern können, doch diese Gedanken waren in seinem Kopf gar nicht präsent. Sein Herz, sein gebrochener Stolz hatten Besitz von ihm ergriffen, und er konnte die Dämonen aus seinem Kopf nur vertreiben, wenn er selbst… er selbst Peter Becker zur Strecke bringen würde.
    Das einzige was er hörte war sein Tappen, sein schnelles Atmen und wie Semir versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Im schlecht ausgeleuchteten Flur sah Kevin gerade noch die Öffnung auf der rechten Seite, und blieb stehen. „Verdammt.“, fluchte er, als Semir bei ihm ankam. Wo waren sie hingelaufen? „Wir müssen uns trennen.“, fuhr er seinen türkischen Partner an und wollte schon durch die Öffnung verschwinden, doch erneut wurde er festgehalten. „Das ist Selbstmord, Kevin!!“, schrie Semir dem größeren Mann ins Gesicht. „Lass mich los, verdammt!“, schrie dieser zurück und begann mit Semir zu rangeln, so dass sie die Schritte, die schnell näher kamen gar nicht mitbekamen. „Semir! Kevin!“, vernahmen die beiden Bens erleichterte Stimme und sie blickten auf. Semir fiel ein Stein vom Herzen, als er sah dass André dabei war. Er hatte sich nicht gegen sie gestellt… er stand auf ihrer Seite, er hatte Ben geholfen. „Ben! André!“, gab er erleichtert zurück. „Sind sie euch entgegen gekommen? Kerler, Horn?“ André schüttelte heftig den Kopf als die beiden bei ihren Freunden ankamen. „Nein, wir können sie aber nicht verpasst haben.“
    Für Kevin war das das Zeichen, dem Tunnel zu folgen. Er kletterte die Leitung hinunter, seine Kollegen folgten ihm. In dem unterirdischen Tunnel stand das Wasser knöchelhoch, in dass sie reinplatschten. Wie ein Echo konnten sie das Platschen der drei Verbrecher hören, die einen kleinen Vorsprung hatten. „BECKER!“, schrie Kevin und verfiel sofort in schnellen Lauf. Das Wasser spritzte den drei Polizisten und André bis ins Gesicht, als sie dem Tunnel folgten. An einer Abzweigung mussten sie zurückweichen, als Kerler, der als letzter an einer Leiter nach oben zurück an die Oberfläche hing, auf sie schoss. Kevin war zu schnell um die Ecke und hechtete nach unten ins Brackwasser, und war nun vollständig durchnässt, während der zweite, Semir, hinter ihm, hinter dem Wandvorsprung zurückwich. Neben ihm drehte sich André an ihm vorbei und feuerte zweimal zurück, doch Kerler hatte sich aus dem Blickfeld geklettert. „Los!“, wies André an und folgte Kevin zur Leiter, der sich wieder aufgerappelt hatte.
    Bevor sie die Leiter hochkletterten, sicherte André in dem er und Ben mit den Pistolen nach oben zielten, damit niemand auf sie schoss. Ben war es auch, der als erstes hochkletterte, die Pistole im Anschlag. Sie kamen an der Oberfläche der Nachbarhalle wieder heraus, Ben schwang sich gerade aus dem Loch als die drei Gangster das Hallentor erreichten. „Stehenbleiben!!“, schrie Ben und eröffnete das Feuer während seine Kollegen ebenfalls an die Oberfläche kletterten.

    Becker und Kerler erwiderten das Feuer auf Ben, Kevin nahm den Revolver des Mannes, den André erschossen hatte und feuerte ebenfalls zurück. Horn schlüpfte durchs Tor, erst als seine beiden Kumpanen folgten, nahmen ihre vier Verfolger die Jagd wieder auf. „Wir trennen uns!“, ordnete Horn an. „Ich nehme das Auto, und ihr werdet die Typen los. Wir treffen uns im Versteck, verstanden?“ Kerler und sah aus, als würde er gleich losheulen. „Aber Chef…“, begann er zu stammeln, als der sich ins Auto schwang. Die Straße war nur wenige Meter entfernt, als er den Motor startete. „Verdammter Wichser…“, fluchte Becker und lief sofort los. Der Schwarzhaarige lief und sprang an eine Leiter, die aufs Dach des Gebäudes führte. Wenn ihm einer folgen würde, könne er ihn auf den Dach ausschalten. Auch Kerler begann zu rennen und lief in das nächste Gebäude hinein.

    Ben kam als erstes aus der Halle, und konnte noch sehen, wie sich der Wagen mit Horn entfernte, und Kerler gerade durch das Tor des Nachbargebäudes schlüpfte. „Ich nehm Kerler!“, rief er, während André und Semir Richtung Straße liefen. „Ich hab die Schnauze voll, Mann!“, fluchte André, als er sah wie sich Horn langsam entfernte. „Mist…“, rutschte es auch Semir heraus. Es schien wie ein Zufall zu sein, dass sich gerade ein Auto näherte, dass die beiden Ex-Kollegen prompt anhielten. André begab sich, wie früher selbstverständlich auf die Fahrerseite, öffnete die Tür und zog den verdutzten Fahrer aus dem Fahrzeug. „Polizei, der Wagen ist beschlagnahmt, raus!“ Noch bevor der ältere Mann gegen die Entwendung seines neuen Mercedes protestieren konnte, saß André auf dem Fahrersitz, und Semir neben ihm. „Schalter… kein Problem.“, merkte André noch an und trat aufs Gas. „Oh nein…“, murmelte Semir, als er aus dem Fenster sah und gerade noch beobachten konnte, wie Kevin Becker auf das Dach folgte…