Oh verdammt... das kommt davon, wenn man vorschreibt
Ich hatte das nächste Kapitel gestern abend schon geschrieben, und bin deshalb zu weit sorry für den Spoiler.
Oh verdammt... das kommt davon, wenn man vorschreibt
Ich hatte das nächste Kapitel gestern abend schon geschrieben, und bin deshalb zu weit sorry für den Spoiler.
Schönes erstes Kapitel, freue mich auf mehr.
Willkommen in der Autorenwelt auch von mir!
Kevin jagt Becker, Ben jagt Kerler.
Oder steht das falsch im Text?
Versteck – 09:15 Uhr
Es war schwer für Semir, mit anzusehen wie die Gedanken Kevin quälten. Seit Becker den Raum verlassen hatte, hatte der junge Kommissar geschwiegen, während Semir versucht hatte, auf ihn einzureden. „Kevin! Kevin, rede mit mir.“, hatte der türkische Polizist immer wieder gesagt, doch er hatte das Gefühl dass sein Kollege entweder vom Hass oder von dem Rest Drogen berauscht war. Doch dagegen sprach, dass sein Blick klar schien, seine Augen strahlten Konzentration aus, und er starrte auf die Tür, als könne er sie mit der Macht seiner Gedanken öffnen. Der junge Kommissar war am Ende, psychisch gebrochen. Er hörte Semir weit weg, doch etwas hörte er ganz nah… die Schreie seiner Schwester, als würde sie neben ihm stehen und ihm panisch ins Ohr schreien. „Hilfe… Kevin, helf mir.“ Der Kevin, dem früher nichts zu schwer fiel, der alle Herausforderungen auf sich nahm, der ein optimistischer Mensch war und immer der Fels in der Brandung für eine kleine Schwester… er lag hilflos am Boden, er sass hilflos auf diesem verdammten Stuhl. „Kevin!“, Semirs konzentrierte Stimme vermischte sich mit der von Janine, doch Kevins Blick wich nicht.
Es tat Semir in der Seele weh, denn er spürte, wie Kevin litt… innerlich litt. Er wusste nur, dass sein junger Partner etwas schrecklich durchmachen musste vor Jahren, mit ansehen musste wie ein Mensch, der ihm wichtig war, umgebracht wurde von diesem Kerl. Er konnte seinen Ausdruck verstehen…
Semir wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich wieder Stimmen und Schritte näherten. Die Tür schwang auf, Kerler trat ein, gefolgt von dem immer noch diabolisch grinsenden Becker. Sein Erscheinen ließ Kevin aufzucken und die Hände wieder zu Fäusten ballen. Der junge Polizist hatte ein hasserfülltes Funkeln in den Augen, und sein rationales Denken stellte sich fast vollständig ein. Doch hinter Kerler und Becker erschien noch eine dritte Person. Der Mann war großgewachsen, trug ein Hemd und ein recht feines Jackett, seine Haare waren grau und sein Gesicht ein wenig faltig. Kevin kannte ihn nicht, er konzentrierte sich auch gar nicht auf ihn, sondern ließ Becker nicht aus dem Blick. Doch Semir wusste genau wen er vor sich hatte. „Guten Morgen, Herr Gerkhan… es ist lange her.“, sagte seine Stimme, die Semir vor 14 Jahren fast nicht hören konnte, weil betreffender Mann damals so sehr erkältet war, dass er nicht sprechen konnte beim kurzen Verhör. „Horn…“, war Semirs kühle und berechnende Antwort, gefolgt von einem kurzen Kopfschütteln. „Sie erinnern sich.“, stellte sein Gegenüber fest, während er sich gemächlich und in aller Ruhe Lederhandschuhe über die Hände zog. „Allerdings. Sie haben lange gebraucht, um sich zu rächen.“, meinte der türkische Kommissar. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass hier alles zu Ende war, doch die Hoffnung schwand diesmal, es sah düsterer aus als sonst. André und Ben hatten keinerlei Anhaltspunkte, Kevin war ihm in seinem jetzigen Zustand auch keine Hilfe. Was sollte die beiden noch retten? „Wissen sie…“, sagte Horn in aller Seelenruhe, während sich Becker und Kerler hinter ihm im Hintergrund hielten… „eine Rache will wohl überlegt sein. Einfach ein paar Männer auf sie ansetzen schien mir all die Jahre zu einfach.“ Er kam näher zu Semir, der zu Horn aufblickte und ihn böse ansah. „Alles nur wegen Carlos Berger?“, fragte er. Horns lockere Miene verfinsterte sich und er bedachte den türkischen Kommissar mit einem fürchterlichen Schlag ins Gesicht, so dass dieser aufstöhnte. „NUR?“, schrie Horn, dessen Fassade schnell einbrach. „Carlos war wie ein Vater für mich!“, hörte Semir die Stimme seines Widersachers. Es musste Horn sehr ernst sein, er ging ein großes Risiko ein, als Kopf eines Verbrechersyndikats sich so einer Gefahr auszusetzen. Daran erkannte Semir, wie wichtig ihm es war, diese Rache selbst durchzuführen. Sein Atem ging schnell als er sah, wie Horn sich von Kerler eine Waffe geben ließ und sie mit Kraft gegen Semirs Schläfe drückte, so dass dieser den Kopf ein wenig zur Seite neigen musste. Ein Blick auf Kevin verriet ihm, dass dieser den Blick zu Semir gerichtet hatte, ihn aber ohne Ausdruck ansah. Resignation. Er konnte ihm auch nicht helfen. „Ein letzter Wunsch, Bulle? Den hatte Carlos nicht…“ Das harte kantige Metall der Waffe drückte sich in Semirs Haut an der Stirn, und er nickte. „Ja… eine Frage.“ Eine Frage, die Semir auf der Seele brannte, eine Frage die er gerne beantwortet haben wollte, so klar er gerade noch denken konnte. „Welche Rolle spielt André.“ Horn grinste, als hätte er gewusst dass diese Frage kommen würde. Semir sah ihn von schräg unten an. Es würde ihm nichts mehr nützen, ob André nun sein Freund oder Verräter war, aber er wollte es wissen. „Fux war mir eine große Hilfe, allerdings unbewusst. Ich hatte gehofft, dass er zu ihnen Kontakt aufnimmt, wenn sein Freund Timo hier in Deutschland, hier in Köln zu Tode kommt. So, oder so ähnlich war es auch gekommen.“ Semirs Seele wusste nicht, ob sie sich freuen oder traurig sein sollte. André wurde reingelegt, doch letztendlich hatte er Horn geholfen. Aber er hatte nicht gelogen… aber war es richtig, dass er ihm vertraut hatte? „Ich hoffe, der Wunsch ist erfüllt.“, sagte Horn höhnisch und entsicherte die Waffe. „Sie werden nicht entkommen, Horn…“, drohte Semir. Sooft hatte er eine Waffe am Kopf, die kurz davor war, abgedrückt zu werden, so oft passierte etwas, was ihn rettete. Doch was sollte jetzt passieren?
Mit einem heftigen Gepolter wurde die Tür aufgerissen. Einer von Horns Männer stürzte herein und berichtete atemlos: „Zwei Bullen sind da, und einen Hubschrauber habe ich auch schon gehört. Sie haben uns gefunden.“ Kerler verlor alle Gesichtszüge, Peter Becker sah ebenfalls erstmals überrascht drein. Horn drehte sich zu dem Berichterstatter, und schrie: „Wie konnte das passieren?“ Semir stieß sich mit letzter Kraft aus seinen schwachen Füßen vom Boden weg, um den Stuhl nach vorne kippen zu lassen und nutzte die Unachtsamkeit, und das kurzzeitige Chaos. Mit Wucht rammte er Horn die Stirn in den Magen, wie ein Fussballer einem Flugkopfball verwandelt. Es lag eine Kraft eines kräftigen Karatetritts dahinter, der Stuhl ächzte unter der Last und zwei Beine brachen unter lautem Holzkrachen vom Rest des Stuhls. Horn klappte vor Semir zusammen und war für den türkischen Kommissar kurzzeitig ein Schutzschild, als im Erdgeschoss der großen Industriehalle die ersten Schüsse zu vernehmen waren. Kerler verlor die Nerven, er riss Horn an den Schultern nach oben als er sah dass dem die Waffe zu Boden fiel und er seinen Chef schützen wollte. Er sah nicht, dass Semir die Waffe nicht aufheben konnte. „Los Boss, wir müssen raus.“ Horn japste durch den Schlag nach Luft.
Kevin saß in diesen turbulenten Sekunden stocksteif, konnte er doch nichts tun, außer Peter Becker beobachten. Der schien kurzzeitig zu überlegen… doch er konnte Semir nicht töten, das würde Horn ihm nicht verzeihen. Und Kevin wollte er nicht töten, das war nie seine Absicht… er wollte ihn leiden sehen, wie er seine Geister der Vergangenheit, seinen Dämon niemals loswerden würde, für immer mit sich herumschleppen würde, bis in alle Ewigkeit. Bevor er hinter den anderen beiden den Raum verließ, spie er Kevin entgegen: „Du wirst mich bis an dein Lebensende jagen… und deine Schwester doch niemals rächen.“ Die Schüsse oben wurden immer lauter. Semir atmete hörbar und versuchte sich aufzurappeln. Teile des Stuhls hingen immer noch an seinen Knöcheln und Handgelenken, doch dadurch dass der Stuhl durchgebrochen war, waren die Ketten loser. Mit tauben Gefühl stand er auf und wankte zu Kevin. "Los, mach mich los.", schrie dieser, der sah wie Becker sich wieder weiter von ihm entfernte. Becker hatte Kevin zum Glück mit Klebeband, nicht mit Ketten am Stuhl fixiert, die Semir versuchte eilig abzureißen. "Ganz ruhig.", versuchte der den jungen Kollegen zu beruhigen, doch kaum hatte der die Arme frei, riss er sich das Klebeband mühevoll von den Füßen. Die Schmerzen kamen etwas zurück, wurden jedoch sofort vom Adrenalin nach unten gedrückt, als Semir ihn am Arm festhielt. "Wir bleiben zusammen. Kevin, wir sind unbewaffnet!" Der erfahrene Kollege ahnte fast schon, dass Kevin blind dem Mörder seiner Schwester hinterherstürzen wollte. "Lass mich los Semir! Er darf mir nicht entkommen!", schrie er und versetzte Semir einen Stoß, der aufgrund der nur langsam abklingenden Taubheit in den Beinen nach hinten torkelte und den Griff um Kevin loslassen musste. Der stürzte durch die Tür, Semir versuchte ihm leicht humpelnd zu folgen.
Kevin’s Wohnung – 8:45 Uhr
Der erste Schreck, der sich in die Sorgenwüste der beiden Männer einpflegte war noch nicht ganz verdaut, als Ben sich zum Boden neigte, weil er dort etwas gesehen hatte. Einige kleine rot-braune Punkte auf dem hellen Boden waren dem Polizisten aufgefallen, er tastete sie ab. Sie fühlten sich rau und klebrig an. André stand direkt hinter ihm, und hatte die gleichen Gedanken. „Denkst du was ich denke?“, fragte er nach unten, und Ben nickte. „Das ist Blut.“ Sofort verstärkten sich die Sorgenfalten auf Bens Stirn, er glitt wieder nach oben und zog sofort sein Handy. „Was machst du denn da?“, fragte André mit seiner gewohnt leicht kratzigen Stimme und Skepsisfalten in seinem Gesicht. „Na was wohl… ne Fahndung nach Kevin rausgeben, bevor er sich etwas antut, wenn er es nicht schon gemacht hat.“, gab Ben erregt zurück, der die Zeilen auf dem Zettel verdammt ernstnahm. „Jetzt warte doch mal.“, meinte sein Gegenüber in einer Mischung aus Sorge und Ruhe. „Wenn er sich umbringen will, warum verletzt er sich schon hier?“ Ben sah André leicht verwirrt an, soviele Gedanken, Sorgen um Kevin und Semir schwirrten ihm durch den Kopf. „Und dann offenbar so wenig… schau mal.“ André ging einige Schritte Richtung Tür. Ein Tropfen, noch ein Tropfen. „Das sieht mehr nach Nasenbluten aus, als dass er sich die Pulsadern aufgeschnitten hat.“ Langsam dämmerte es Ben. „Du meinst…“, während André die Hände in die Hüften stemmte, sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und nickte. „Ja. Es ergibt zwar keinen Sinn, aber ich glaube, die haben Kevin auch entführt.“ So langsam setzte das Puzzle sich für Ben zusammen. „Und die Zeilen geschrieben, um uns auf die falsche Fährte zu locken.“, vollendete er Andrés Gedankengang, der wiederum selbst einen Geistesblitz hatte. „Genauso wie Semirs SMS.“ Für einen Moment herrschte Stille im Raum. Ben fuhr sich an den Kopf, man hatte versucht die Polizisten gegen André aufzuhetzen, und nun versuchte man sie von einem Selbstmordversuch Kevins auszugehen. „Da hat jemand Kevin aber gut gekannt.“, murmelte Ben leise, als er die Zeilen nochmal überflog. Er hatte geahnt, dass Kevin Probleme mit sich selbst hatte, doch konnte sich nicht vorstellen wie tiefgehend diese waren. „Wie meinst du das?“, fragte André, der wiederrum wusste dass Kevin zu den Drogen zurückgekehrt war. Doch er würde dies Ben nicht sagen… er vertraute auf Kevin, dass er sich selbst seinen Kollegen anvertraute, und wenn nicht, dann war es schlicht seine eigene Sache. Ben zögerte, er hatte Kevin versprochen niemandem etwas zu erzählen, auch wenn er wusste dass André ihn als Jugendlicher kannte. „Er… hat mir was von seinem früheren Leben erzählt.“, wich der Polizist aus, und André nickte… er spürte dass Kevin mehr erzählt hatte, doch er bohrte nicht weiter nach, sondern sah wieder zu Boden.
„Schau mal.“, murmelte er und beugte sich nun nach unten. Auf dem recht sauberen Boden lagen Erdkrumen verstreut, vor allem im Eingangsbereich. „Hatten wir gestern dreckige Schuhe?“, fragte er nach oben zu Ben, der verneinte. „Nicht, dass ich wüsste. Der Weg zu der Halle war asphaltiert.“ Die Blicke der beiden Männer trafen sich, eine stumme Kommunikation die Ben das Handy erneut aus der Tasche ziehen ließ, und die Nummer der KTU wählte. „Hartmut, hier ist Ben. Bereite alles für eine Bodenuntersuchung vor, wir bringen dir das Zeug gleich vorbei. Wir müssen wissen, woher der Boden stammt.“, knallte er dem KTU-Beamten und technischem Genie Hartmut sofort harte Fakten um die Ohren, während er André eine Plastiktüte und Handschuhe entgegenwarf, der die Spuren einsammelte. Der großgewachsene Kerl ging im Entengang bis zur Eingangstür, und sah dass auch im Flur bis zur Treppe diese Spuren zu sehen waren. Er hatte genug, und rief Ben zu sich.
Im Eiltempo und mit Blaulicht rasten die beiden Männer zur polizeilichen KTU. „Aber warum entführen die Kevin? Was hat er damit zu tun?“, fragte Ben, von dieser Frage immer noch verwirrt. „Keine Ahnung, Mann.“, meinte André in seiner typischen Art und Weise. „Wenn wir wissen, woher die Erde stammt, haben wir vielleicht eine Spur.“, sprach der Mann hinter dem Lenkrad seine Hoffnung laut aus. „Ja… vielleicht sogar das Versteck.“, stimmte ihm sein Nebenmann zu, und griff nach den Sicherheitsgurten, als Ben auf die Autobahn aufbog und aufs Gaspedal drückte. Hartmut wartete bereits, er war über Semirs offensichtliche Entführung bereits informiert und bereit, die Untersuchung sofort zu starten. „Ich brauch ungefähr ne halbe Stunde, dann wisst ihr mehr.“, versprach er, und verschwand sofort im Labor. Ben versuchte sich ruhig auf einen Stuhl zu setzen, während André, wie immer, einfach nicht stillhalten konnte und nervös durch den Raum tigerte. „Was machen wir, wenn nichts dabei rauskommt?“, fragte Ben nach einer Weile. „Lass uns lieber nachdenken, was wir machen, wenn etwas dabei rauskommt.“, ließ André die Frage unbeantwortet, und schaffte es, für einen Moment stehen zu bleiben. „Engelhard informieren, würde ich erstmal sagen.“
Den beiden Männern kamen die 27 Minuten, die Hartmut letztlich brauchte, wie eine Ewigkeit vor. Sofort sprang Ben auf, André stand sowieso, als der rote Wuschelkopf aus der Tür schaute. „Also, ich will euch keine falschen Hoffnungen machen, aber ich hab folgendes herausgefunden…“, begann er. Hartmut war bekannt dafür, einfache Informationen mit so vielen Details auszuschmücken, dass sich die Vorträge in die Länge ziehen könnten. Ben bremste ihn diesmal sofort: „Bitte nur das Nötigste, Hartmut.“ Der nickte wie selbstverständlich und schaute auf das Blatt Papier, das er in der Hand hielt: „Also, der Boden ist stark belastet, und zwar mit Blei, Alkali, Zink und Quecksilber. Das könnte auf eine Batteriefabrik hindeuten.“ Ben und André sahen einander fast verzweifelt an. „Ne Batteriefabrik? Davon gibt’s im ganzen Ruhrgebiet Dutzende, Mann…“, meinte der großgewachsene Karatekämpfer mit ausladender Geste, während Ben im zustimmte. „Selbst wenn wir nur die stillgelegten überprüfen, das sind zu viele!“ Hartmut lächelte, er hatte noch ein Ass im Ärmel. „Für normale Batterien, ja. Aber das Quecksilber wurde früher nur in speziellen Knopfbatterien hergestellt. Die Herstellung ist mittlerweile in ganz Europa verboten, und im Ruhrgebiet gab es nur eine Fabrik, die diese Batterie hergestellt hat.“ Es waren nur wenige Worte, die in André und Ben plötzlich riesige Hoffnung aufleben ließ. „Weißt du in welcher?“, fragte Hartmuts Polizeikollege hektisch. „Na klar!“, brüstete Hartmut, als wäre das selbstverständlich. „Kercherstraße 14-18 im Industriegebiet Frechen." André nahm sofort die Beine in die Hand, Ben brachte noch ein schnelles „Danke, Hartmut.“, heraus bevor er André folgte. „Bringt mir Semir gesund nach Hause!“, rief Hartmut ihnen hinterher und war froh, helfen zu können.
Als Ben wieder auf die Autobahn auffuhr tippte er die Nummer der Chefin ein, die nach einem Klingeln sofort ranging. Er wartete irgendwelche Ratschläge gar nicht erst ab: „Chefin! Schicken sie alle Einheiten und das SEK zu einer stillgelegten Batteriefabrik in die Kercherstraße 14 in Frechen. Wir glauben, dass Semir und Kevin dort versteckt wurden!“ Die Chefin war höchst erstaunt: „Semir UND Kevin? Wir kommen sie auf eine Batteriefabrik? Was…“, doch Ben unterbrach seine Chefin energisch: „Bitte Chefin, vertrauen sie uns! Wir erklären ihnen das später. Wir gehen schon mal rein.“ „Jäger, sie warten auf die Ver…“, doch Ben hatte das Gespräch bereits weggedrückt, während André den Trommelrevolver mit 6 Kugeln lud, und tief durch atmete.
Deutet der letzte Titel vielleicht auf Andrés Stick hin?
Versteck – 8:45 Uhr
Immer wieder nickte Semir ein, immer wieder hörte er Geräusche neben sich. Kevin musste es schlecht gehen, er hustete, würgte und konnte sich einfach nicht übergeben. Aber immerhin konnte der türkische Polizist hören, dass sein Kollege noch atmete. Die Dosis, die Becker ihm verpasst hatte war also nicht zu viel, dass Kevin davon ernsthaften Schaden davontrug, so sah es zumindest aus. Wenn er ihn doch nur mal sehen könnte… sehen, ob er wach war oder bewusstlos.
Semir hatte mittlerweile jegliches Zeitgefühl verloren. Wie oft war er nun schon eingenickt, hatte er richtig geschlafen? Einige Minuten, Stunden? Er wusste es nicht. „S… Semir?“, hörte er plötzlich die gequälte Stimme neben sich und gab sofort hastig Antwort: „Ja? Kevin, wie geht’s dir?“ „W… Was ist … passiert?“, quälte sich Kevin jedes Wort über die Lippen, doch Semir bezweifelte dass lange Erklärungen jetzt förderlich wären. „Keine Sorge, wir kommen hier wieder…“, doch Semir brach ab. Er hörte wieder etwas… Schritte. Es war mittlerweile wie eine Türklingel, das Schlagen einer Autotür vorm Haus, wenn sich zu Hause Besuch ankündigte. Die schnellen Schritte, die den Flut entlangschritten, bis zur Tür, den Schlüssel umdrehten und die Tür aufschwingen ließen. Kevin stöhnte ein wenig auf, als das Licht aufflackerte, seine Augen brennten wie die Hölle, und es dauerte einige Zeit bis er merkte, dass sein Entführer im Raum stand. Die Tür fiel wieder krachend ins Schloss. Peter Becker wartete, er wartete bis Kevin die Augen richtig öffnen konnte, und vollkommen bei sich war. Semir versuchte es gar nicht erst mit den polizei-typischen „Geben sie auf“-Sprüchen, er wusste dass diese sinnlos waren. Aber er musste doch irgendetwas tun, dachte er. Er konnte doch nicht da sitzen und mitansehen, was dieser Typ jetzt mit Kevin anstellen würde.
Der wiederrum hatte seinen Blick in den kalten Augen des Schwarzhaarigen Mannes gebohrt. Im Hirn des jungen Polizisten herrschte Unordnung, kein Gedanke war an seinem Platz, aber er hatte das Gefühl, dass er diese Augen kannte. Und plötzlich überfiel ihn ein Grauen, als er die Stimme erkannte. „Hallo Kevin.“, sagte sie, doch Kevin hörte nur: „Schäm dich… selbst deine Schwester hatte sich damals mehr gewehrt!“ Sein Mund öffnete sich langsam, er konnte das Gesicht nicht in seine frühere Zeit einordnen. Nicht in seine alte Gang… wars vielleicht doch nur ein Zufall?
Peter Becker grinste, ein diabolisches Grinsen, als er merkte, dass Kevin völlig bei Sinnen war. Er ging mit einigen Schritten hinter den jungen Polizisten, und zog ein scharfes Messer aus der Hose. Semir rüttelte an den Fesseln, der Stuhl knarzte wie wild, während Kevin wie erstarrt saß, und versuchte mit Kopf und Augen dem ihm noch fremden Mann zu folgen. Doch Becker verhinderte dies, in dem er Kevins Haare brutal packte, und seinen Kopf nach hinten zu sich zog, und dabei das Messer fest an Kevins springenden Kehlkopf drückte. Der Atem des jungen Mannes ging schnell, ein leichtes Beben durchfuhr seinen Körper, und Peter Becker genoß seinen Auftritt. „Kleiner Bastard“, sagte er leise, in dem er mit seinem Mund nah an Kevins Ohr herankam. „Weißt du wie das ist… jemandem die Kehle durchzuschneiden?“ fragte er mit ruhiger, durchdringender Stimme, dass es sogar Semir eiskalt den Rücken hinunterlief, während sich der Kerl in Rage redete, aber die Stimme bewusst varierte. „In dem Moment bist du ein GOTT!“, wobei er das Wort „Gott“ Kevin ins Ohr rief und das Messer etwas fester an den Hals drückte. „Du entscheidest über Leben und Tod.“, sprach er dann wieder leiser und lachte etwas. „Der andere schaut wie du, panisch nach oben, und dann: ZACK!“, wobei er das Messer mit einem schnellen Zug nur sanft über Kevins Haut zischen ließ, und die Haut nur oberflächlich verletzte. „Dieser Gesichtsausdruck… WEIL SIE WISSEN… dass du das tatsächlich tust… ist GEIL!“ schrie er wieder das letzte Wort. Semir sah dem Schauspiel zu, zog an den Fesseln und fühlte sich schrecklich hilflos. Er vermutete den Kerl auf Drogen und hatte Angst, dass er Kevin sofort töten würde, wenn Semir die Stimme erheben würde. „Der ist einzigartig! Das liebe ich.“ Wieder das heisere Lachen. „Ich habe schon so viele angstverzerrte Gesichter gesehen, wie sie verzweifelt versuchen das Blut aus dem Hals zurückzuhalten… das deiner HURE… war genauso wie alle anderen.“ In Kevin breiteten sich in diesem Moment eine solche Vielzahl von Gefühlen aus, wie er es noch nicht erlebt hatte. Soviel Gegensatz, so eine Mischung aus fast unbändiger Wut, die ihn hätte ohne Umschweife töten lassen könne, aus unmenschlicher Abscheu, aus unendlicher Trauer, als er in dem Moment an seine lachende unschuldige Schwester dachte, wie sie ihn fragte, ob er ihr bei den Hausaufgaben helfen könne. Das Herz des Polizisten wollte zerspringen, die geschundene Seele, die er in den letzten Jahren mit Drogen und Alkohol zu bekämpfen versuchte, oftmals am Abgrund taumelnd, schien von diesem Kerl mit voller Absicht in selbigen gestoßen zu werden.
Doch Peter Becker war noch nicht fertig. Es schien, als sei er auf seinem persönlichen Höhepunkt angekommen zu sein, und es war fast klar, dass er Kevin nicht erlösen würde. Selbst einem hartgesottenen Polizisten wie Semir, der fast schon alles erlebt hatte, schnürte es die Kehle zu, ob solcher Grausamkeit: „Es war der beste Höhepunkt meines Lebens, als ich ihr die Kehle durchgeschnitten hab, und sie in meinen Armen gezappelt hatte.“ Kevins Unterlippe zitterte, sein Körper bebte, seine Hände liefen weiß an weil er sie so fest zu Fäusten ballte. Das brennende Messer an seinem Hals spürte er fast nicht mehr, seine Schmerzen waren wie weggeblasen. Nur Hass und Wut bestimmte sein Gefühl und Peter Becker merkte es. Er merkte, wie Kevin da saß und mit sich rang, nicht versuchen würde an den Fesseln zu ziehen und den Kerl mit Drohungen zu überschütten. Er lachte wieder und kam wieder dichter an Kevins Ohr: „Ich werde immer dein Alptraum bleiben, du Bastard.“
Mit einem Ruck warf er Kevins Kopf nach vorne, nahm das Messer weg und ließ seine Haare los. Mit einem teuflischen Lächeln ging er an dem innerlich gebrochenen Mann vorbei, und Semir verpasste es vor Betroffenheit dem Kerl noch etwas hinter zu rufen. Stattdessen sah er Kevin an, sah im Lichtschein, das Becker vergaß auszuschalten, dass er wie gebannt auf die Tür sah. Ein fester Blick, der Semir gar nicht beachtete, den Mund geschlossen, den Atem immer noch heftig, aber langsam beruhigender. „Kevin…“, sagte Semir und hoffte einfach nur auf eine Reaktion, die ausblieb. Der junge Polizist machte den Eindruck, gerade den Entschluss gefasst zu haben, zum eiskalten Mörder zu werden…
Der Clown wurde, wie alle anderen Eigenproduktion nur als Sekunde-Einspieler gezeigt.
Auf "Frauenknast" und "Cobra11" wurde besonders eingegangen, dazu zählte Erdogan die Schauspieler auf, mit denen er als Partner gespielt hat.
Mal ne Frage: Welche Folge war denn das, als er Mark Keller aufgezählt hat? War das "Volleystop?"
Die Band heisst Sicc und das Lied heisst "Ruhe in Frieden".
Der Songtext, den du Kevin mal ausgeliehen hast, ist ja ganz schön düster, Campino. Ich hoffe, du hörst gelegentlich auch mal was Fröhlicheres.
Dieses Lied ist wirklich schon extrem depressiv, aber grundsätzlich höre ich sehr sehr wenig "fröhliche" Lieder
Versteck – 0:30 Uhr
Semir kam nicht umhin, wenigstens zu versuchen einzuschlafen. Die ganze Nacht hier sitzen, ins Dunkle glotzen und dabei dem ein oder anderen Wassertropfen zu zu hören, wie er aus einer undichten Leitung auf den Boden tropfte… er würde wohl wahnsinnig werden. Der Besuch vor einigen Stunden ging so schnell, wie er gekommen war und ließ einen sehr verwirrten Semir zurück… junger Kollege? Privatangelegenheit? Wer war damit gemeint? Mit jung konnte eigentlich nur Ben oder Kevin gemeint sein, aber was hatten die mit diesem eigenartigen Kerl zu tun? Es war eine Vielzahl neuer Fragen, auf die er keine Antworten wusste.
Immer mal wieder glitt er ein wenig ab ins Reich der Träume, bei der kleinsten Muskelbewegung seiner angespannten Arme und Beine wachte er aber wieder auf. Morgen früh wäre er müde, und es würde ihm wohl jeder Knochen wehtun, das wusste er jetzt schon.
Richtig munter wurde er erst, als er erneut Stimmen und Schritte vernahm. Doch diesmal waren es nicht nur Schritte, es war auch noch ein Geräusch, als würde jemand etwas hinter sich her schleifen. Semir lief es kalt den Rücken hinunter, als er an die Worte Kerlers dachte. „Oh Gott… sie haben doch nicht…“, weiter kam der türkische Kommissar mit seinen Gedanken nicht. Die Tür wurde aufgestoßen, das Licht blitzte geißend hell auf. Semir kniff die Augen zusammen und konnte nur verschwommen wahrnehmen, wie eine Gestalt recht unsanft auf den Boden fallen gelassen wurde. Nur langsam wurde seine Sicht klarer, und als sich die Gestalt in Zeitlupentempo auf den Rücken rollen ließ, stockte Semir der Atem. Kevins Gesicht war gehüllt in Blut, es war bereits getrocknet und lief aus Nase und zwei Rissen über Auge und neben der Nase. Sein Mund stand halb offen, seine Augen starrten mit winzigen Pupillen an die Decke. Sein Körper zitterte, als läge er im Eisfach. Semir war geschockt, die Kerle mussten ihm irgendwelche Drogen verabreicht haben und noch dazu übel zugerichtet haben. „Na komm, lieg hier nicht so faul rum.“, sagte der schwarzhaarige Kerl, der ihn mit zwei Typen, Marke Kleiderschrank, reingebracht hatte. Sie hoben den völlig verwirrten, wehrlosen Kevin hoch und ließen ihn auf einen Stuhl fallen. „Lasst ihn in Ruhe, ihr Arschlöcher.“, kläffte Semir, wusste jedoch dass er mit Worten nicht kämpfen konnte. Seine Wut steigerte sich ins unermessliche und ließ ihn vehement an seinen Fesseln ziehen und zerren. Doch Peter Becker lachte nur, und achtete gar nicht auf den Polizisten neben ihm, während er Kevin Klebeband um die Fußgelenke und Handgelenke band. Der junge Polizist war nicht im Stande, Widerstand zu leisteten, er nahm alles wie durch eine große Glasglocke wahr. Die Wörter dumpf, als wäre er unter Wasser, die Schmerzen betäubt. Er wusste, dass er irgendwo saß, dass irgendjemand bei ihm war. Mal dachte er, er säße im Wohnzimmer seiner Ersatzmutter, und Janine fragte ihn etwas zu den Hausaufgaben, und er wollte so gern Antwort geben, doch konnte nicht. Mal dachte er, er saß auf einem elektrischen Stuhl, und vor ihm waren Ben und André, die die Anklageschrift verlasen. „Mord an Janine Peters!“, wiederhole André mehrmals. Dass er wie wild zitterte, bemerkte er nicht.
Peter Becker und seine zwei Helfer traten von dem Gefesselten zurück, und der schwarzgefärbte Typ war zufrieden mit seinem Werk. „Schäm dich Kevin… früher warste das Zeug doch gewohnt.“, höhnte der Kerl und spuckte vor Kevin auf den Boden. „Elender Schwächling. Deiner Schwester konntest du damals nicht helfen… und jetzt kannst du dir selbst nicht helfen.“ Semir war sprachlos über diese Rohheit und Brutalität, konnte die Worte des Mannes aber nicht einordnen. Was war mit Kevins Schwester geschehen? Was meinte der Kerl? „Was haben sie mit ihm gemacht?“, richtete er seine energische Stimme gegen Becker. Seine Schmerzen in den Gelenken waren wie weggeblasen. „Keine Angst, Bulle. Das ist nicht sein erster Trip, in ein paar Stunden habt ihr sicher einiges zu besprechen.“ Wieder dieser versteckte Hinweis, von dem Semir nur erahnen konnte, was er bedeutete. Danach verließen die Männer das Versteck.
Semir konnte Kevin im Dunkeln nicht sehen, doch er hörte seinen unregelmäßigen Atem, das Geräusch wie seine zitternde Schuhsohle gegen Stuhlfuß und Boden schlug. Immer mal wieder hörte er ein Schmerzstöhnen. „Kevin…“, sagte Semir mit bemüht ruhiger Stimme. „Kevin, kannst du mich verstehen?“ Kevin gelang keine Antwort. Semirs Stimme war ganz weit weg. Erst in der Nacht dachte Semir einmal, er hätte etwas vernommen. Kevin war bereits ruhiger, sein Gezitter hatte abgenommen. „Sie ist tot.“, flüsterte er mit leiser gebrochener Stimme, von der Semir aus dem Halbschlaf hochschreckte. „Kevin? Wer ist tot?“, fragte er vorsichtig. Es kam wieder keine Antwort, erst Minuten später hörte er erneut: „Sie ist tot.“
Kevins Wohnung – 8:30 Uhr
André und Ben warteten nun bereits 10 Minuten und wurden beide zusehends nervöser. Beide hatten wenig geschlafen, wenn überhaupt und standen vor einem neuen Tag Ungewissheit. Stießen sie irgendwo auf eine Spur. Stießen sie auf neue Hinweise, auf Antworten? Ben hatte sich geschworen spätestens zur Mittagsstunde Kerlers Laden auseinander zu nehmen, wenn sich nichts ergab, doch jetzt warteten sie erst einmal auf Kevin. „Ich hab kein gutes Gefühl.“, sagte André plötzlich, und Ben wunderte sich… wusste er von Kevins Problemen? „Ich auch nicht…“, antwortete er und obwohl sie nie davon gesprochen hatten waren sich beide plötzlich klar, das gleiche zu ahnen. Wie auf ein stummes Kommando stiegen die beiden Polizisten aus und gingen durch die Haustür in den schlecht geheizten Flur. Ben hatte ein schlechtes Gefühl im Magen als er an die Wohnungstür von Kevin kam und sah, dass sie nur angelehnt war. „Scheiße.“, murmelt André und Ben zog seine Waffe. André tat es ihm gleich, und beide stießen die Tür zur Wohnung auf und gingen mit gezückten Waffen hinein. Kein Wasser lief, wie es bei Bens erstem Besuch der Fall war. Hatte Kevin einfach nur vergessen, die Tür ordentlich zu schließen gestern abend? War er wieder betrunken? Das waren Bens erste Gedanken als er schnurstracks zur Schlafzimmertür ging, und diese vorsichtig aufstieß. Doch die Hoffnung, einen erneut verkaterten Kevin zu finden, zerschlug sich. André ging langsam durch die Wohnung, riskierte einen Blick ins letzte Zimmer, ins Badezimmer, doch auch da sah er nichts. Sein Blick fiel auf den unscheinbaren Zettel auf dem Wohnzimmertisch. Sein Magen krampfte sich zusammen, als er mit schnellen Augen die Zeilen überflog. „Ben… komm schnell.“, sagte er dann mit hörbar erregter Stimme. „Das klingt wie ein Abschiedsbrief…“, hörte Ben als er den Zettel ebenfalls durchlas:
Das Haus bricht
in sich zusammen
und es fällt der Staub
auf einen leblosen Traum.
Am Anfang war die Wut.
Wurde dann zu Sucht.
Das gute Kind im Manne
ergreift die Flucht.
Stechende Schmerzen tief im Herzen
bin bereit sie auszumerzen.
Dich zu lieben zog mich nach unten.
Das Herz stand in Flammen
doch sprang nicht über der Funke.
Als mich der Gedanke erreicht
das es jetzt zu leben reicht.
Seht mich an ich bin bleich
weil Mir keine Sonne scheint.
Ich bin das was du nicht siehst
gib mir ne Knarre und ich schieß
mir präzise in meinen Kopf
auf das mein Blut zu Boden tropft
Und das ist was ich erlebe.
Es ist zu krank um zu leben.
Es ist zu dunkel zum sehen.
Es ist zu laut um zu reden.
Ich bin zu schwach um weiterzugehen.
Verdammte Seele Ruhe in Frieden.
Und deshalb ist Zeit zu gehen.
Es ist Zeit um aufzugeben.
Es ist die Zeit zu verwesen.
Sich im Grabe niederzulegen.
Sich das Leben zu nehmen.
Elende Seele Ruhe in Frieden.
Ben ließ entsetzt den Zettel fallen, und schlug die Hände vor den Mund. André setzte sich fassungslos aufs Sofa nieder. Beide Männer wussten von Kevins Problemen, doch beide hatten nicht gerechnet, wie schlimm es um den jungen Polizisten stand. Seine Fähigkeit im Dienst die Probleme halbwegs zu überspielen hatte beiden die Augen verschlossen.
Eine gespenstische Stille erfüllte den Raum, bis Ben auf dem Boden der Wohnung etwas entdeckte.
(Der Text ist nicht von mir, sondern von einer Band)
André’s Boxschule – 22:30 Uhr
Nachdem Ben und André Kevin bei sich zu Hause abgesetzt hatten, schlug Ben den Weg in die Stadt ein, um auch André in seiner momentanen Bleibe abzusetzen. Unterwegs sprachen die beiden nicht miteinander, Ben sah geradeaus und hing seinen Gedanken nach, während André einen Arm auf die Türlehne gestützt hatte und den Zeigefinger vor den Mund legte, als die Lichter der Stadt an ihm vorbeihuschten. Beide machten sich große Sorgen um Semir, doch der junge Kommissar am Steuer war sich nicht sicher, wie ehrlich Andrés Sorgen wirklich waren. Konnte er ihm vertrauen? Ben wusste es nicht, er wusste nichts über André. Kevin hatte ihn früher kennengelernt, Semir und auch die Chefin, sie wussten wie André vor 14 Jahren getickt hatte. Aber tickte er auch heute noch so, oder schaffte er es, die perfekte Maskerade vor zu spielen?
Ben hielt den Wagen auf dem Gehweg, und bekam erst mal kein Wort des Abschieds heraus. „Danke fürs Fahren.“, war es dann André, der das Schweigen unterbrach. Ben nickte leicht: „Kein Ding.“ Er hörte das Klacken der Autotür und spürte, wie die eiskalte Luft in den Fond strömte. „Willst du noch was trinken? Schlafen kann ich jetzt sowieso nicht.“, meinte André und sah es als kleines Versöhnungsangebot, dafür dass er sich vorher recht bescheuert gegenüber Ben benommen hatte. Durch das Gespräch mit Andrea hatte er gemerkt, dass sie alle an einem Strang ziehen mussten. Ben sah André etwas überrascht an, und sprang über seinen Schatten. „Du hast recht… mir ist auch nicht nach Schlafen zu Mute.“, sagte er und zog den Schlüssel aus dem Zündschloß.
Beide Männer überquerten die Hauptstraße und traten in das Gebäude. André erinnerte sich, dass er hier gestern mit Semir noch saß und seufzte leise. Die Beleuchtung des Raumes flackerte auf und Ben nahm am Tresen Platz, während Semirs Ex-Kollege sich dahinter am Kühlschrank zu schaffen machte. „Cola, Bier, Wasser, Saft?“, fragte die Stimme von unten. „Wasser…“, meinte der Polizist darauf und sah sich um. Ein Teil aus Semirs und Andrés früheren Leben, als er selbst wohl noch zur Schule ging… komisches Gefühl.
André tauchte wieder auf und stellte zwei Gläser und zwei Flaschen auf den Tresen. Sie prosteten sich zu und tranken beide einen Schluck. Wieder Schweigen, Schweigen das erdrückte. Nur das Raunen des Kühlschrankes war zu hören, das leise Atmen der beiden Männer. Diesmal war es Ben, der das Schweigen nach einigen Minuten brach: „André, es tut mir leid, falls ich dir misstrauen sollte…“ André unterbrach ihn: „Nein nein… mir muss es leid tun. Ich hab mich daneben benommen, ich kann nicht erwarten dass du mir glaubst. Du kennst mich nicht…“ Ben drückte die Lippen aufeinander und nickte. „Es klingt alles so vage. Dein Leben dort auf Mallorca, warum du nicht zurückgekehrt bist. Es ist… es ist nur sehr schwer vorstellbar.“ „Ja…“, raunte André mit seiner kernigen Stimme und gab zu: „Ich weiß…“ Wieder Schweigen, Schweigen zwischen zwei Männer, die zuerst ein gleiches, dann zwei völlig unterschiedliche Leben gelebt haben. Eines hatten sie gemeinsam… sie waren und sind Semirs Partner. „Wie bist du damals zur Autobahnpolizei gekommen?“, fragte Ben, um das unsägliche Schweigen irgendwie zu Brechen. „Ich kam vom Diebstahldezernat, und hatte mich beworben. Mein Hobby waren damals Musik und schnelle Autos. Die Kripo Autobahn hatte damals ausgeschrieben, und ich wurde genommen.“, erzählte der großgewachsene Ex-Polizist und erinnerte sich selbst an seine Zeit bei Cobra. „Und… wie kamst du am Anfang mit Semir klar?“, fragte Ben dann, weil er sich erinnerte dass er während des ersten Falles mit Semir einige Differenzen hatte. „Eigentlich ganz gut. Wir waren ein gutes Team, und konnten uns aufeinander verlassen. Wir sind zwar nicht gemeinsam in Urlaub gefahren, aber es war okay.“ „Aber ihrer hattet doch bestimmt mal Streit, oder?“, hakte Ben nach. „Na klar.“, meinte André und lächelte. „Einmal hatten wir uns in der Dienststelle beinahe geprügelt wenn die Engelhardt nicht reingekommen wäre. Damals hatte Semir seinen Cousin versucht in Schutz zu nehmen, der unter Mordverdacht stand.“ Auch Ben musste lächeln bei der Vorstellung, wie sich der kleine Semir und der um mindestens anderthalb Köpfe größere André sich geprügelt hätten. „Wie war’s bei dir?“, fragte André und Ben lächelte, als er an seinen ersten Fall mit Semir dachte. „Semir war damals recht voreingenommen, weil ich so viel jünger war. Außerdem war er emotional sehr betroffen, weil wir damals einen Zeugen beschützten, der gegen den Mörder seines Ex-Partners Chris Ritter aussagen sollte. Das hatte Semir sehr mitgenommen.“, erzählte der Polizist und sein Gegenüber erinnerte sich an eins der Gräber. „Aber danach haben wir uns zusammengerauft. Semir ist der beste Partner, den man sich vorstellen kann… wenn er unvoreingenommen in einem Fall ermittelt.“ „Ja, da hast du recht. Semir hat mich öfters aus der Scheiße gezogen.“, sagte André leise und erinnerte sich daran, als Semir ihn und ein Kind mit dem Heli aus einem Tanklaster zog, der nicht anhalten konnte… oder ihn vor dem sicheren Sturz ins Meer bewahrte auf Mallorca, wenige Stunden bevor André ins Meer stürzte. Und Ben konnte es ihm nachfühlen.
So saßen die beiden Männer am Tresen… Ben, der André noch immer nicht 100 Prozent traute, aber mit dem Wissen, dass der Ex-Polizist dafür so etwas wie Verständnis hatte, und redeten über Semir und vergessene Zeiten, bis Ben sich schließlich tief in der Nacht mit einem festen Händedruck verabschiedete…
Kevin’s Wohnung - 23:15 Uhr
Es dauerte eine Zeitlang, bis Kevin’s Atem sich beruhigt hatte. Der Wind pfiff übers Dach und zerrte immer noch an seiner dünnen Bekleidung, während ihm nur langsam bewusst wurde, was er da gerade veranstaltet hatte. Er fror und schlang die Arme um den Körper, machte aber keinerlei Anstalten zurück in seine Wohnung zu gehen, er saß mit dem Rücken an der Überhöhung und machte sich klein, als ob er Angst vor etwas hatte… Angst davor, dass der Dämon irgendwann so viel Besitz ergreift, dass er selbst nicht mehr dagegen steuern kann, dass seine Vernunft die lebensrettende Maßnahme nicht mehr durchsetzen kann, wie zb die, dass Magazin aus der Waffe zu entfernen.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis Kevin den Weg nach unten antrat… durchgefroren, hundemüde, aber sicher die Nacht ohne Drogen zu überstehen. Es war eine unangenehme Wärme, die ihn vom Flur empfing in diesem ungemütlichen Loch, dass sich Mietshaus nannte.
Als er an seiner Wohnungstür ankam, bemerkte er, dass sie einen Spalt offenstand. Für einen Moment spannten sich seine Muskeln an. Hatte er sie nicht richtig zugezogen? Möglich, er war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er das durchaus hatte vergessen können. Als er jedoch in die Wohnung eintrat, blieb er wie angewurzelt stehen… hier stimmte etwas nicht. Er hatte den Zettel mit seinen Zeilen auf den Boden geschmissen und nicht aufgehoben… jetzt lag er sorgfältig mit einem Stift daneben auf dem Wohnzimmertisch.
Bevor Kevin darüber nachdenken konnte, bekam er von hinten einen heftigen Tritt in den Rücken, der ihn zu Boden gehen ließ. Er federte mit den Händen vom Boden weg, drehte sich auf den Rücken um den Angreifer zu sehen. Eine Gestalt mit einer tief ins Gesicht gezogenen Mütze stand über ihm, und holte mit etwas aus um zuzustechen. Kevin war zwar müde, doch ein Schub Adrenalin, das durch seine Adern schoss vertrieben diese Müdigkeit sofort wieder. Sein Fuß traf die Kniekehle des Angreifers, der sofort einknickte und Kevin die Möglichkeit gab zumindest einen Fuß auf den Boden zu stellen, und das zweite Bein in Knielage zu bringen, um aufzustehen. Ein Schmerz zog sich durch seinen Rücken, und er sah die Faust des zweiten Angreifers, der deutlich bulliger und kraftvoller war als der erste, nicht kommen. Ein Schmerz und das Gefühl von warmen Blut, was Kevin aus der Nase schoss und kurzzeitig die Welt in ein Rot tauchte, als er erneut zu Boden ging, war das was er noch voll spürte. Der schwarzhaarige Kerl, auch Peter Becker genannt, lächelte und rieb die getroffene Kniekehle ein wenig. „Früher warst du mal schneller, Kevin.“, höhnte er über den Mann, der irritiert am Boden lag, gerade im Begriff sich seitlich wieder hochzustemmen. Peter unterband das aber mit einem gezielten Tritt in Kevins Magen und brach diesen Versuch somit ab, als der Körper des Polizisten wieder zu Boden sackte und der Schmerz Stöhn und Hustgeräusche verursachte. „Wirklich schade, dass ich es nicht zu einem fairen Zweikampf komme lassen kann.“ Kevin nahm die Stimme nur von ganz weit weg wahr, im Vordergrund war sein Herzrasen, Schmerz und Brennen, vor allem als Beckers Schuh dann auch nochmal sein Gesicht traf und der Polizist das Gefühl hatte, das ihm gleich sämtliche Lichter ausgehen würden. Die Haut riss oberhalb des Auges und seitlich neben der Nase auf und Blut tropfte neben den schmutzigen Teppich auf den Boden. Becker zog eine Spritze aus der Tasche, um dem Spiel ein Ende zu machen. Die Worte, die er sprach, bevor er Kevin mit einem Stich in den Hals ins Reich der Träume beförderte, konnte der junge Kommissar genau hören. „Schäm dich… selbst deine Schwester hatte sich damals mehr gewehrt!“ Mit diesen Worten wurde Kevin auf den schlimmsten Trip seines Lebens geschickt...
Achtung an alle Leser, heute kamen zwei Kapitel auf einmal hinzu, wegen der 10000 Zeichen - Begrenzung. Nicht dass ihr euch wundert, dass einer so kurz ist, und den größeren Teil übersehr wäre schade drum.
Kevin versuchte, die dunklen Gedanken einfach zu verdrängen. Wie er es machte, wenn er auf der Arbeit war. Wollte nachdenken, über die Arbeit, über Semir. Doch die Wohnung erdrückte ihn, und so stieg er Stockwerk um Stockwerk im dunklen Hochhaus hinauf, bis er an eine Feuerleiter kam, die er heraufstieg. Kalte Luft schlug ihm entgegen, er trug keine Jacke mehr, nur noch ein Langarm-Shirt und Jeans, als er über das Dach des Hochhauses schritt. Man hatte eigentlich einen herrlichen Blick, er war öfter mal hier oben, doch nie wenn seine Depression wirklich akut war.
Mit einem leisen Schnippen zündete sich Kevin eine Zigarette an, doch sein Dämon ließ ihn nicht zu den Gedanken um Semir kommen. Sein Dämon trieb ihn weiter bis an die Kante des Daches, die nur durch eine Erhöhung von der Absturzkante unterbrochen war. Nach unten sah Kevin nur Schwärze, keine Lampe erleuchtete den Weg. Was tat er hier… die Zeilen hatten doch immer geholfen. Sein Körper, seine Beine taten nicht, was sein Verstand ihm vorgab, als er auf die Erhöhung stieg und nun nichts mehr zwischen sich und dem Abgrund hatte. Die Spitzen seiner Schuhe waren vielleicht noch 10cm vom Nichts entfernt. „Ein Schritt“, sagte Kevin mit einer, ihm fremden Stimme, zu sich selbst. „Ein Schritt ist so leicht.“ Der Wind hier oben war scharf wie Messer, die Kälte klammerte sich an sein dünnes Oberteil. „Es ist zu dunkel zum sehen. Es ist zu laut um zu reden. Ich bin zu schwach um weiterzugehen.“, zitierte er sich selbst aus den Zeilen auf seinem Zettel, die er vor Wochen geschrieben hatte, als er einen Fuß über dem Abgrund ausstreckte, und nichts mehr unter diesem Fuß spürte, außer Luft und Erlösung. Mit dem anderen Bein hielt er das Gleichgewicht, und wollte offenbar das Schicksal entscheiden lassen, ob er jetzt nach vorne oder nach hinten kippte.
Nicht sein Schicksal entschied, sondern der letzte Teil seines Gehirns, der seine Vernunft lenkte. Die ließ ihn das Körpergewicht nach hinten verlagern, und ihn langsam wieder von der Überhöhung fallen. Der junge Polizist erschrak, als er auf dem Boden aufkam… er erschrak über sich selbst. Es war eine neue Dimension, es war, als wäre er auf einen Schlag wieder ganz bei sich. Die Spiele mit der Waffe war niemals gefährlich für ihn, weil er in Trance, im Rausch immer das Magazin vorher entfernte… doch hier war die Gefahr wirklich, sie war zum Greifen, sie war real. Panisch, fast schon verängstigt krallte Kevin sich in die lose Dachpappe neben sich. Dass mehrere Meter unter ihm gerade ein Mann durch die Haustür ging, und auf dem Weg zu seiner Wohnung war, bemerkte er nicht… es war ein Mann mit schwarz gefärbten Haaren…
Dienststelle – 22:00 Uhr
Ben hatte der Chefin mit kurzen prägnanten Worten Bericht erstattet. Natürlich war sie aufgeregt, natürlich auch sauer auf Ben und seinen Kollegen, dass er einige Informationen vorenthalten hatte. Der Polizist ließ diesmal nichts aus, was die Chefin noch nicht wusste. Alle Informationen, die sie über Kerler und seinen Männern gesammelt hatten, kamen auf den Tisch. Genauso wie die Mutmaßungen von André, dass sich Horn an Semir rächen könnte. Die Chefin nickte, machte sich immer wieder kurze Notizen. Ben erwähnte auch im halben Nebensatz den Streit zwischen Semir und André, die verwirrende SMS und dass Semir vermutete, dass mit André etwas nicht stimmen könnte. Dass André aber selbst nach Semir suchte, würde dagegen sprechen. Der Kommissar gab zu, die Situation um den Ex-Kollegen von Semir selbst nicht richtig einschätzen zu können.
Nachdem Ben seinen Bericht beschlossen hatte, beorderte Anna Engelhardt die beiden Männer aus Semirs Büro zu sich. Das Klirren des fliegenden Wasserglases hatten beide nicht mitbekommen, so traten die beiden, Kevin und André dann ebenfalls ein. André lehnte sich gegen die Glaswand, während Kevin sich neben Ben setzte. „Also meine Herren…“, begann die Chefin, die sich in ihrem Stuhl ein wenig zurücklehnte und die Arme auf dem Schoß verschränkte. „Momentan haben wir also keinen Ansatzpunkt. Keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort und keinen Kontakt zu den Entführern.“ Ben und Kevin nickte, während André bewegungslos blieb, als der Blick der Chefin ihn traf. „Herr Fux, sie kennen Kerler wohl am besten. Wir würden sie ihn einschätzen?“ André dachte kurz nach, und gab dann bereitwillig Auskunft: „Kerler ist kein Typ, der sich selbst die Finger schmutzig macht. Er steht in Horn’s Hierarchie aber auch nicht so weit oben, dass er die Rache selbst ausführen wird.“ „Sie meinen also, für den Fall dass ihre Rache - Theorie stimmt, dass Horn persönlich diese durchführen wird?“ André nickte. „Dann muss er erst mal hier nach Deutschland kommen.“, meinte Ben, und bemerkte, wie Kevin neben sich unkonzentriert wirkte, den gleichen müden Ausdruck in den Augen hatte, wie gestern Abend. „Ja…“, atmete André aus. „Oder Semir nach Spanien.“ „Das wird nicht funktionieren. Ohne Semirs Personalausweis kommt er doch nie durch den Zoll. Und der Ausweis liegt in seinem Dienstwagen.“, widersprach Ben. „Also gut, Horn muss nach Deutschland. Wissen sie, wo sich Horn aufhielt, als sie nach Deutschland geflogen sind?“, richtete die Chefin die nächste Frage an André. Der schüttelte mit dem Kopf. „Nein, Frau Engelhardt. Ich hatte ihn vorher drei Wochen nicht zu Gesicht bekommen.“ Ben stützte, ob dieser Aussage, den Kopf in die Hände. Wo sollten sie nur suchen, welchem Anhaltspunkt konnten sie nachgehen. „Kerler jetzt festzunehmen bringt auch nichts… so würden wir Semir niemals finden. Und die Kerle werden sich auch nicht melden, sie haben, was sie wollen.“, bemerkte er, nachdem er sich wieder aufrichtete, und sich mit beiden Händen durch die Haare fuhr. Eine bedrückende Stille erfüllte den Raum, in allen vier Köpfen arbeitete es. Die Chefin sah André an… inwieweit konnte sie ihm vertrauen. Er war mal ein Mitarbeiter unter ihr, ein sehr guter Mitarbeiter. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass André sie einfach anlog, dass André nicht auf Semirs Seite stand. Sie wusste aber auch, dass solche Gefühle fatal sein konnten. Aber momentan gab es einfach nichts zu tun, es gab nichts was sie hätten tun können. „Vielleicht müssen wir einfach warten…“, meinte André mit ruhiger Stimme. „Warten? Auf was? Dass sie uns Semir in Einzelteile schicken? Wenn deine Theorie stimmt, warum sollten sich die Typen melden?“ „WENN Herr Fux‘ Theorie stimmt…“, gab Frau Engelhardt zu bedenken. „Ich weiß nicht, wie die Kerle über mich denken. Vielleicht wollen sie, dass ich es mit ansehe…“, versuchte der ehemalige Kollege Hoffnungen zu wecken. „Warum sollten sie… die wissen doch, dass du mit uns zusammen arbeitest.“ Ben konnte keinen Hoffnungsschimmer in Andrés Worten erkennen. Kevin blieb die ganze Zeit über seltsam still. Er fühlte sich nicht wohl, er spürte den Entzug. Im war kalt und heiß gleichzeitig, außerdem übel.
„Meine Herren, ich weiß es fällt schwer, aber momentan können wir nichts tun, außer uns den Kopf zu zerbrechen. Aber dazu müssen sie nicht hier sein…“, meinte die Chefin, die sich danach aufrichtete. „Fahren sie nach Hause… versuchen sie, sich ein wenig auszuruhen. Sobald ihnen etwas einfällt“, es schien Zufall zu sein, dass sie bei dem Wort „Ihnen“ gerade André im Blick hatte, „machen sie Rundruf, und gehen gemeinsam der Sache nach.“ Ben wollte gerade protestieren: „Aber Chefin, wir können doch nicht…“, „Jäger, das war keine Bitte sondern ein Befehl. Ich sage ihnen aus Erfahrung, dass sie auf keinen klaren Gedanken kommen, wenn sie übermüdet Kreise in ihrem Büro laufen.“
André nickte, und wandte sich ab, auch Kevin stieg vom Stuhl auf und stieß Ben an der Schulter. „Na komm schon…“ Ben konnte es nicht fassen. Semir saß irgendwo in einem Loch, und sie sollten sich schlafen legen. Letztendlich siegte dann aber doch der Verstand. Sie konnten eh nichts tun, bis ihnen etwas einfallen würde. Schlafen würde Ben aber wohl trotzdem nicht können…
Kevin’s Wohnung – 22:30 Uhr
Ben machte sich unendliche Sorgen um Semir, als die drei Männer im Wagen saßen und auf den großen Wohnblock zusteuerten, wo Kevin gerade ausstieg. In diesem Moment erinnerte er sich aber, wie er Kevin heute Morgen vorgefunden hatte, nachdem er ihn am Abend zuvor mit den selben müden Augen alleine ließ. „Kevin…“, rief er durch das geöffnete Fenster, als der sich nochmal umdrehte. „Wenn etwas ist, ruf mich an, okay?“ André sah herüber zu Ben und schien die Worte richtig zu deuten. Ben wusste davon, dass Kevin Probleme hatte…. Aber wusste er auch WELCHE Probleme. Wusste er vielleicht etwas, was Kevin ihm verschwieg. Kevin winkte ab „Schon okay.“, und verschwand im Dunkel des Weges, der zu dem großen Hochhaus führte. Er drückte die, wie immer nicht schließende Haustür auf und ging mit müden Schritten hinauf, bis er vor seiner Wohntür stand. Als er diese hinter sich schloss, ließ er sich mit dem Rücken dagegen fallen, und rutschte langsam hinab, bis er auf dem Boden ankam. Es schien, als läge sich wie gestern ein Grauschleier über seine Welt. Er hörte die Worte von Herzberger und André in seinem Kopf, auch von Ben… so viele Gefühle, so viele gutgemeinte Ratschläge waren auf ihn eingeprasselt. Kevin war mit seinen Problemen bisher immer alleine, was ihn zusehends fertigmachte, doch plötzlich wollte sich jemand um ihn „kümmern“, womit er noch wenig zurechtkam. Am liebsten würde er jetzt sein Döschen mit den Pillen nehmen, sich betäuben und hoffen, dass die Nacht schnell vorüberging, doch er hatte das Gefühl, als würde ihm André über die Schulter schauen… so wie früher, als er den Karatelehrer nicht enttäuschen wollte. ‚Ich will dir doch nur helfen. Ich hab dir doch auch damals geholfen!‘, hämmerte es im Kopf des jungen Polizisten, der langsam aufstand und zu einem Seitenschrank ging. Mit zitternden Händen nahm er ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus, auf dem einige Zeilen geschrieben standen. Ein Gedicht, ein Lied, Sätze und Strophen die sich mehr oder weniger reimten, die er einmal angefangen hatte zu schreiben. Irgendwann hatte er angefangen, und obwohl die Sätze düster klangen, so halfen sie ihm an diesem Schwellenpunkt zu den Drogen immer wieder mal, wieder zur hellen Seite zurück zu rutschen. Er lehnte sich auf das Küchentresen und schrieb. Eine Zeile, eine zweite Zeile… dachte nach… eine weitere Zeile. Er schrieb aus dem Bauch, er schrieb die Gefühle ab, die gerade durch seine Seele schwammen, und sie es half ihm diesen Gefühlen nicht nachzugeben. Nach 20 Minuten hatte er fünf neue Zeilen aufs Papier gebracht, er hatte das Gefühl einen Marathon gelaufen zu sein. Die Übelkeit war weg, doch kalt fühlte er sich immer noch. Er starrte auf das Blatt Papier und schmiss den Stift weg, weil die sechste Zeile einfach nicht kommen wollte. Er wunderte sich selbst, dass er sich darüber so sehr ärgerte, dass er die Wohnung verließ, ohne abzuschließen.
Seh ich völlig anders, denn jeder weiß, was in Life - Dumm gelaufen gezeigt wird. Die Sendung läuft schon mindestens über 10 Jahre am Jahreswechsel. Eher war es neu, dass da auch Outtakes aus Serien kommen.
Aber so langsam hab ich auch ein Bild von dir im Kopf, lieber Cobra11. Ich weiß, dass du sehr RTL-kritisch bist. Das mag ja auch gut sein. Aber es fällt auch mittlerweile auf, dass du dir die Dinge rauspickst, die du kritisieren kannst. Als die guten Folgen von Cobra 11 diese Herbststaffel liefen, hattest du angeblich keine Zeit, ne kurze Meinung dazu zu schreiben. Komischerweise hast du aber trotzdem Zeit zu "life" deine überzogene Kritik loszuwerden, sowie zur Wiederholungsfolge "Babyalarm." Nur so nebenbei.
Und ich bin auch sicher, dass du deine Rezenssionen wieder schreibst, wenn die Folgen wieder schlechter werden... aber nur dann.
Ich fand die Sendung, bis auf die Moderation, recht lustig... vor allem diesen amerikanischen Angler
Wer die Sendung AUSCHLIESSLICH wegen Cobra 11 geguckt hat, und gehofft hat, dass da 30 Minuten Outtakes kommen, wird natürlich enttäuscht sein, klar...
Versteck – 21:30 Uhr
Semir konnte nicht sagen, dass er Angst hatte… wovor auch? Bis auf die Tatsache, dass dieses dunkle Versteck unangenehm war, und seine Füße und Hände eingeschlafen waren und die Gelenke schmerzten, ging es ihm gut… da hatte er schon wesentlich schlimmere Gefangenschaften erlebt. Doch es war nun eben die Zeit, die nagte, die er alleine war. Alleine mit seinen Gedanken über ihren Fall, über André, und über den Sinn dieser Entführung. Er musste Fragen stellen, er musste Gewissheit haben. Lebte Carlos Berger noch, oder will sich Ralf Horn für dessen Tod an Semir rächen. Schließlich war er es, der Berger aus dem Helikopter heraus erschossen hatte. Der türkische Kommissar seufzte, nichts blieb ihm übrig ausser zu warten.
Dann spannten sich plötzlich wieder alle Muskeln an. Wieder dieses Geräusch, wieder diese Schritte. Diesmal waren sie jedoch nicht langsam und vorsichtig, sondern zielstrebig, und es waren mehrere. Die Treppe, sie gingen nach unten, dann den Flur entlang. Semir hielt den Atem an, als sich ein Schlüssel in seiner Tür drehte und die schwere Feuerschutztür aufschwang. Das Licht flackerte auf, und Semir kniff die Augen schmerzend zusammen. So lange saß er im Dunkeln, dass seine Augen von dem Licht geblendet wurden, und er eine normale Lampe als gleißend heller Schein wahrnahm. Kerler trat mit seinem feisten Bodyguard in den Raum, ihm folgte allerdings noch ein dritter Mann, den Semir nie zuvor gesehen hatte. Er war noch recht jung, vielleicht Anfang dreißig, trug schwarze Kleidung und auffällig schwarz gefärbte Haare, die ihm über ein Auge hingen. Er sah in irgendeiner Form bedrohlich aus, schien einen leeren Blick zu haben, als er hereintrat und sich an die hintere Wand lehnte, weit weg von Semir und den Kommissaren nur beobachtete. Der sah mittlerweile wieder klarer, sein mulmiges Magengefühl kehrte zurück, doch er war paranoiderweise über diese Abwechslung auch irgendwie dankbar. „Na, Herr Kommissar, haben sie sich gut eingelebt?“, fragte Kerler mit zuckersüßer Stimme, während er um Semirs Stuhl herumwanderte. Der versuchte den Typen nicht aus den Augen zu lassen und meinte sarkastisch „Die Aussicht könnte besser sein.“ Kerler lachte hinter ihm und lag ihm beide Hände auf die Schulter. Ein elektronischer Ton erklang, offenbar bekam Kerler gerade eine Nachricht auf sein Handy, die er schnell durchlas. „Keine Sorge, mein Chef ist schon auf dem Weg zu ihnen, Herr Gerkhan. Ausserdem…“, sagte er und blickte auf den schwarzgefärbten Typen an der Wand. „…werden sie bald Gesellschaft hier haben, zumindest für kurze Zeit.“ Der bewegungslos dreinblickende Kerl begann zu lächeln und stieß sich von der Wand ab. „Hol ihn dir.“, sagte sein Chef und steckte das Handy weg. „Nimm Frank und Niko mit.“, rief er ihm noch hinterher. In Semirs Kopf arbeitete es fieberhaft, und nun wurde es ihm richtig unbehaglich. Was lief hier. „Was ist hier los?“, fragte er erregt und mit einem leichten Drohen in der Stimme. „Ach, nur eine kleine persönliche Angelegenheit zwischen meinem Mitarbeiter und ihrem jungen Kollegen. Nichts, was uns in irgendeiner Form beeinflusst…“ Ein düsteres Lachen kam über Kerlers Lippen. „Außer, sie haben Probleme damit, Blut zu sehen.“, setzte er dahinter und ließ einen erschrockenen Semir zurück… das Licht ging wieder aus, und die Tür schloß sich hinter Kerler.
Dienstestelle – 21:45 Uhr
Kevin sah André mehrere Minuten an. Kein Laut drang über seine Lippen, während sein Gegenüber dem Blick standhielt. Leugnen war aussichtslos, André wusste wie Menschen auf Entzug aussahen, sich verhielten. Er wusste, dass Kevin immer noch Drogen nahm, wieder Drogen nahm obwohl er bereits clean war. „Das ist eine lange Geschichte…“, wich Kevin aus. Er wollte nicht erzählen, nicht schon wieder. Es hatte ihn heute morgen erst Überwindung gekostet, mit Ben darüber zu reden. Warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe.
André dachte nicht daran. Er bewegte sich auf Kevin zu, stützte sich seitlich neben ihm auf den Schreibtisch und zischte mit ruhiger, aber seiner eindringlichen Stimme: „Mann, Kevin! Du warst doch weg von der Scheiße. Du warst doch weg von der Gang, du hast jetzt einen Beruf. Warum?“ Aus Andrés Stimme klang Wut, ein wenig Verzweiflung, vielleicht auch Enttäuschung. Enttäuschung über Kevin, und vielleicht über ihn selbst, dass er letztendlich bei Kevin doch versagt hatte. Kevin sah André nicht an, er hielt seine Abschottungsmauern aufrecht und ließ seinen ehemaligen Mentor nicht in sein Innerstes sehen. Er hatte die Arme auf den Schreibtisch gestützt und den Kopf auf seine gefalteten Hände, und spürte Andrés Atem, der seitlich neben ihm stand und nahe gerückt war mit seinen Worten. „Nicht alles was man sieht, ist wahr.“, meinte der junge Kommissar abweisend. André seufzte, doch er gab nicht auf. „Ich will dir doch nur helfen. Ich hab dir doch auch damals geholfen! Du…“, doch dann wurde er von Kevin unterbrochen, der ruckartig von seinem Stuhl aufstand, und in Andrés Richtung rief, der sich dabei ebenfalls vom Tisch aufrichtete. „Du kannst mir aber nicht helfen. Du nicht, Semir nicht, Ben nicht und keiner von denen da draußen! Verdammt nochmal!“ Kevin stand dabei mit dem Rücken zum Außenfenster und war so erregt, dass er während dem ausgerufenen Fluch ein Wasserglas, das bei Semir auf dem Tisch stand, in die Hand nahm und mit voller Wucht gegen die rechte Wand feuerte, dass es in 100 Scherben zerbarst. Für einen kurzen Moment herrschte Stille, der ein oder andere Beamte der noch im Großraumbüro arbeitete schaute überrascht durch die Glasscheibe herein, konnte aber nur sehen, wie André neben Semirs Schreibtisch stand, und Kevin anstarrte, der auf der anderen Seite des Schreibtisches mit dem Rücken zur Außenscheibe stand, sich dann aber umdrehte, mit dem Hintern an den Schreibtisch lehnte und sich kurz durch die Augen rieb, bevor er durch die Fensterscheibe starrte. „Ich kann mir ja selbst nicht helfen.“, meinte er mit leiser, resignierender Stimme.
André sah auf Kevins Rücken und sagte nichts mehr. Wo es damals ein Gruppenzwang war, dass er in diese Szene hineinrutschte, musste es diesmal etwas schwerwiegenderes sein. Ein Trauma, ein Vorfall, Depressionen… jedenfalls nichts, was er als ehemaliger Polizist oder Karate-Trainer lösen konnte. Kevin brauchte andere Hilfe, doch darauf musste er alleine kommen.
Das Telefon auf Semirs Tisch klingelte. Kevin sah sich um und sah die Nummer der Chefin auf dem Display erscheinen, bevor er den Hörer in die Hand nahm. „Ja?“, meldete er sich, nachdem sein Atem sich ein wenig beruhigt hatte. „Kommen sie bitte sofort in mein Büro, und bringen sie Herrn Fux mit.“, erklang die leicht erregte Stimme seiner Kurzzeit-Vorgesetzten. Noch bevor Kevin Antwort geben konnte, hatte sie aufgelegt.
Versteck – 21:00 Uhr
Semir wagte nicht mal zu atmen. Die Schritte, die er eben noch deutlich hörte, waren verstummt. Leere und stumme Dunkelheit hielt ihn weiter umhüllt, während der Kommissar stocksteif auf seinem gefesselten Stuhl sass und die Luft anhielt, die Ohren spitzte. War da noch was? Redete da jemand. Seine Augen bewegten sich hin und her, als wolle er versuchen die Worte zu sehen, die sich schwach in seinen Gehörgang krochen. Ja, da redete doch jemand… Semir konnte immer mal wieder einen Ton, ein halbes Wort und ein kurzes Husten hören. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Wenn das jemand war, der ihn suchte, musste er irgendwie auf sich aufmerksam machen… rufen, schreien, Krach machen. Sollten es aber die Kerle sein, die ihn hierher verfrachtet hatten, Kerler oder sonst wer, dann würde das Rufen sicher unangenehm für ihn enden. Mit aller Macht konzentrierte er sich weiter darauf, die Stimme zu identifizieren, Wörter zu verstehen, doch es hatte keinen Sinn. Die Stimmen waren zu weit weg, die Wände waren zu dick. Irgendwann wurde es auch wieder still, und wieder machten sich Schritte neben ihm und über ihm auf. Semir war sich sicher, dass es mehrere Leute waren, denn das „Tick-Tack“ der Schritte war unregelmäßig. Enttäuscht und doch erleichtert stellte er fest, als es wieder ruhig wurde… 1 Minute, 2 Minuten, 5 Minuten. Nein, er hörte nichts mehr. Egal, wer auch immer hier gewesen war, er war weg.
Die Hoffnung schwandt langsam, es kam Semir vor, als würde er schon tagelang hier sitzen. Nein, das konnte nicht sein. Er spürte kein Hunger- oder Durstgefühl, also konnte er noch nicht so lange hier sitzen. Und Ben würde sicher niemals aufgeben seinen Freund zu suchen… ein Aufgeben kam nicht in Frage.
Industrieruine – zur gleichen Zeit
Kevin und Ben blickten in das hell erleuchtete Gesicht von André. Beide waren überrascht, und konnten sich diesen Zusammenhang nicht erklären. „Warum sollte sich Horn für Bergers Tod rächen?“, fragte Kevin, immer noch leise sprechend, in Andrés Richtung. „Berger und Horn waren sehr eng befreundet… enger, als wir es damals annahmen. Erst später, als ich für Horn gearbeitet habe, hab ich erfahren, wie eng ihre Beziehung war.“ „Scheisse…“, murmelte Ben und sah auf den Boden. Hintergrundinformationen, die ihnen einfach fehlten, die ihnen aber nützlich sein konnten… sie mussten mit André zusammenarbeiten. Aber vor allem musste jetzt die Chefin informiert werden. „Warst du hier überall?“, fragte der Polizist dann, mit halbwegs gutmütiger Stimme in Richtung André. Der nickte. „Ich wusste, dass Horn diese Ruine gehört. Ich laufe schon seit 2 Stunden hier drin rum. Hier ist nichts und niemand.“ Ben schaute fragend in Kevins Richtung… es war eine stumme Frage an seinen Kollegen, eine Frage wie „Vertraust du ihm?“. Kevin antwortete mit einem Nicken und zustimmenden Blick. Erstaunlich, wie sich die beiden nach so kurzer Zeit verstanden, dachte Ben. „Okay. Wir sollten zur Dienststelle fahren. Die Chefin weiß noch gar nichts von Semirs Verschwinden. Und dann müssen wir genau überlegen, wie wir weitermachen.“ André nickte zustimmend, und die drei Männer verließen das Gelände.
Dienstelle - 21:30 Uhr
Noch von unterwegs hatte Ben Anna Engelhardt angerufen und sie gebeten, dringend ins Büro zu kommen. Die Chefin stellte keinerlei fragen, sondern versprach, sich sofort auf den Weg zu machen. Sie hatte einen kurzen Weg aus der Stadt und saß bereits im Büro, als die drei Männer auf der Dienststelle ankamen. Ben bemerkte, dass Kevin wieder so erschöpft aussah wie gestern Abend, doch er sagte nichts. Unter Adrenalin war Kevin fit, doch immer wenn es zu solchen Ruhepausen kam, wurde es anstrengend für ihn. „Ich rede alleine mit der Chefin.“, meinte Ben und ging geradeaus ins Büro. Kevin nickte dankbar, und ließ sich auf den Drehstuhl fallen, auf dem Semir sonst saß. André trat ins Büro, und es kamen erneut alte Erinnerungen hoch. Das Poster des BMWs, das früher auf seiner Seite hing musste teuren Flatscreens weichen. Er sah zu Kevin, der kurz den Kopf in seine, auf dem Tisch, aufgestützten Hände legte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du den Weg eines Polizisten einschlägst.“, meinte André mit seiner ruhigen kratzigen Stimme. Kevin blickte auf und sah seinen ehemaligen Trainer an. „Menschen ändern sich.“ „Das meine ich nicht. Ich wusste, dass du vom Charakter her ein guter Kerl bist.“, entgegnete André auf Kevins kurze Antwort. „Aber ich wusste auch, was du schon auf dem Kerbholz hattest. Aber es ging mich damals nichts an, weil es nicht mein Bereich war.“ Kevins Blick wich gen Boden, und er fuhr sich mit einer Hand durch die abstehenden Haare. André hatte er damals vieles anvertraut, denn er wusste nicht, dass er Polizist war. „Es ist nie was herausgekommen?“, fragte André, der sich wie immer nicht an einem Platz halten konnte und ein wenig durch den Raum tigerte. Kevin schüttelte stumm den Kopf. Wenn das, was er damals getan hatte, irgendwo in einer Akte stehen würde, wäre er nie Polizist geworden. Kevin dealte mit Drogen, er schlug zwei Gang-Mitglieder krankenhausreif, brach mit der Gang in mindestens 6 Häuser ein. Erst vor einigen Tagen bekam er mit, dass er alles einem Polizisten erzählt hatte, und nicht einem vertrauenswürdigen Karate-Trainer. Doch André hörte nicht als Polizist, sondern als Karate-Trainer zu. Er konnte Kevin gut leiden, er hatte Respekt davor, wie schnell Kevin von den Drogen wegkam, obwohl er auf dem Sprung zum tödlichen Heroin war, und wie er sich von der brutalen Straßengang lossagte. Er hatte einmal gesagt: „Ich hoffe, dass ich es nicht bin, der dich mal abführen muss… es würde mir wirklich leid tun.“ Diese Worte hallten gerade in Kevins Kopf nach. „Weiß Semir davon?“, fragte André dann, und ließ Kevins Blick schnell zu seinem Gegenüber hochschnellen. „Nein… nein. Das soll niemand wissen.“, sagte er schnell. „Ich darf dir nichts über Vertrauen zu Partnern erzählen.“, sagte der großgewachsene Karate-Kämpfer in die Richtung des jungen Polizisten, mit dem Hintergedanken daran, dass er sich so sehr in Semir getäuscht hatte, was dessen Gefühle zu Andrés vermeintlichen Tod angingen, „aber ich kenne Semir. Er wird es niemandem erzählen.“ Kevin wich dem Blick aus, und schaute durch das Fenster in die schwarze Nacht. Er sah sein Gesicht, seine müden Augen und die leichten Ringe, dass er ein wenig erschrak. André wusste, wie Drogensüchtige auf Entzug, oder kurz davor aussahen… er kannte sie von damals, wenn sie ins Training kamen. „Trotzdem…“, sagte er und schaute zu André zurück, der ihn immer noch ansah. Der ehemalige Polizist erkannte, was Kevin vermutete, und sprach es geradeheraus an. „Und warum bist du rückfällig geworden? Du warst doch weg von dem Zeug…“
Industrieruine – 20:45 Uhr
Ben hielt den Dienstwagen in einiger Entfernung zum Eingang. Es war stockfinster in dieser Gegend, mehrere alte verlassene Industrieruinen reihten sich hier aneinander. Sie stammten von einem Bauboom eines Großaktionärs, der sich allerdings verspekuliert hatte. Kevin fragte sich noch während der Fahrt, wieso dieses Foto an der Wand hing…
Ben hatte nur eine Taschenlampe im Auto und nahm diese in die Hand, während die beiden Männer an den Zaun gelangten, der das Gelände rundherum absperrte. „Sollten wir nicht besser Verstärkung holen?“, flüsterte Ben, als die beiden Männer am Zaun angelangt waren und der Kommissar mit der Taschenlampe nach einem Zugang zum Gelände suchte. „Wenn wir die rufen und das ganze nachher eine Ente ist?“, fragte Kevin rein rhetorisch zurück, der keine Veranlassung für Verstärkung sah. Doch Ben ließ erst mal nicht locker. „Und wenn da drin 15 Mann auf uns warten? Was dann?“ Kevin seufzte auf und drehte sich zu seinem Kollegen um. „Je länger wir warten, desto länger ist Semir irgendwo gefangen.“, meinte er ungeduldig, und fand eine Stelle, an der der Zaun nur ca 2m hoch war… niedrig genug um darüber zu klettern. Gerade wollte der schlanke Kevin sich am Zaun hochziehen, als er wieder die Stimme von Ben hörte: „Und die Engelhardt ist immer noch nicht eingeweiht…“ Kevin blieb in der Stellung stehen, Arme nach oben und die Hände auf die Ziehkante gelegt. „Können wir jetzt vielleicht gehen?“, fragte er genervt und sah direkt in den Schein der Taschenlampe. Ben gab auf… ja, auch er wollte Semir so schnell wie möglich befreien, doch ganz geheuer war ihm die Sache nicht. Sein Bauchgefühl vermutete eine Falle…
Wie ein Wiesel zog Kevin sich an der Kante zum Zaun nach oben und schwang ein Bein darüber. Mit einem leichten Kraftakt schwang er seinen Körper darüber und kam wohlbehalten auf der anderen Seite an. Ben reichte ihm durch den Zaun die Taschenlampe, und Kevin leuchtete für seinen Kollegen den Weg. Ebenso elegant wie Kevin warf sich auch Ben über den Schutzzaun und nahm die Taschenlampe wieder entgegen.
Leicht geduckt liefen die beiden Polizisten nun an das Gebäude, ein asphaltierter Weg, offenbar ein Weg für LKW-Lieferungen zeigte ihnen den Weg direkt zu einem großen, halboffen stehenden Tor. Dort angekommen zogen die beiden Männer ihre Waffen, Kevin nickte Ben zu, dass der mit der Taschenlampe vornweg gehen sollte. Die Waffe mit der rechten Hand nach vorne gerichtet, die Taschenlampe mit der linken Hand überkreuz, so leuchtete Ben sich langsam durch die große Halle. Kevin war dicht hinter Ben, hatte die Waffe in beiden Händen nach oben gerichtet. Es war finster, seine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Umgebung und immer, wenn der Lichtschein der Taschenlampe die Dunkelheit zerschnitt war es schwierig, etwas zu erkennen. Sie achteten darauf, so wenig Geräusche durch ihre Schuhe wie möglich zu machen, doch immer wieder knackte und knirschte es. Sand, Steinchen und Glasscherben säumten ihnen den Weg. In der Halle war nichts, was verdächtig schien, zwei Türen zweigten sich zu Büros ab. Hier leuchtete Ben auf den Türgriff, Kevin stieß die Tür auf um dann auf die Knie zu gehen, damit Ben über ihn in den Raum leuchten konnte. Alles war verwahrlost und verlassen, voller Staub bedeckt. „Hier war seit Jahren nichts lebendiges drin.“, meinte Kevin flüsternd.
Plötzlich blieben beide Polizisten stocksteif stehen. Sie hörten Schritte, das Klacken von Schuhen auf einer Metalltreppe. Ben konnte im Lichtschein der Taschenlampe Kevins beinahe konzentriertes Gesicht sehen und würde wohl im Leben nicht zugeben, dass sein Herz gerade heftig gegen den Brustkorb stieß. Auch Kevin, den normalerweise nichts aus der Ruhe bringen konnte, vermittelte diese Ruhe nur nach außen. Auch er war im Inneren erschrocken und die Ungewissheit dieser Ruine machte das Atmen schwer. Das Klacken bewegte sich langsam von ihnen weg, und es bewegte sich… nach unten. Ja, es war als würde sich das Geräusch von den beiden weg und nach unten bewegen, als würde jemand sich im Dunkeln Schritt für Schritt eine Kellertreppe heruntertasten. Ben und Kevin verließen das Büro zurück in die Halle und leuchteten herum. Irgendwo musste sich ein Zugang zum Keller des Gebäudes befinden. „Da hinten.“, flüsterte Kevin als er zwei Geländer sah, die nach unten im Boden verschwanden. Als sie sich auf den Punkt zu bewegten wurde das Klackern wieder etwas lauter, bis es abrupt aufhörte.
Die beiden Polizisten kamen am Geländer an, tatsächlich gingen hier Metallstufen nach unten in die pechschwarze Dunkelheit. Kevin trat mit den Schuhen auf die Stufe, es macht das gleiche Geräusch, das sie eben vernommen hatten. „Mach die Lampe aus…“, sagte Kevin leise und mit einem leisen Klicken erlosch die einzige Lichtquelle. Er wollte nicht, dass dieses Etwas, was in den Keller geschlichen war, durch den Lichtschein merkte, dass es verfolgt wurde. Doch während die beiden Männer vorsichtig die Truppe runterstiegen war ihnen klar, dass derjenige durch die Geräusche alarmiert wurde.
Die Treppe war tief und führte unten den Boden der großen Halle. Als sie zu Ende war, drückten sich Ben und Kevin mit dem Rücken an die rechte Wand und tasteten sich vorsichtig vorwärts. Kevin ging vor, die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit nur langsam, mit der rechten Hand an die Wand gelegt konnte der junge Polizist spüren, wann es zu einer Biegung kam. Nach einigen Metern spürte er die Kante, dass ein Weg nach rechts abzweigte. Er hielt die Luft an und sah zu Ben… im Dunkeln konnte er die Konturen seines Gesichtes ausmachen, und eines konnte er ablesen… Ben hörte auch das, was Kevin gerade vernahm. Ein Atmen… ein leises, unterdrücktes Atmen hinter dieser Biegung. Dort stand jemand, der offenbar auf die Polizisten wartete. Es gab jetzt kein Zurück mehr, sie mussten wissen, wen sie verfolgten. Es konnte kein Zufall sein, dass sie dieses Gebäude in Kerlers Büro sahen, hierher fuhren und sofort auf jemanden trafen… das war mit Sicherheit kein Penner oder Stadtstreicher. Kevin tippte sachte auf die Taschenlampe, ein Signal an Ben diese anzuschalten, wenn sie sich zum Gang drehten. Die beiden Polizisten dachten, dass ihnen das Herz zum Halse rausspringen wollte… „Jetzt“, flüsterte Kevin nur und drehte sich in die Öffnung während er auf die Knie ging und die Waffe in die Dunkelheit richtete… jedoch nur für eine Sekunde, den die Dunkelheit wurde sofort von Ben erhellt, der schräg hinter Kevin stand, Waffe und Taschenlampe ebenfalls in die Öffnung und auf die Person gerichtet, die seinen Revolver auf die beiden Polizisten richtete und in den Schein der Taschenlampe blinzelte. „André…“, raunte Kevin leise als er sah, wer da auf sie wartete. Der junge Polizist atmete hörbar aus, die ganze Anspannung fiel von den Schultern als er den ehemaligen Partner von Semir erblickte. Erleichtert ließ er die Waffe sinken und stand wieder auf. Auch André ließ den Revolver sinken und legte eine Hand über die Augen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte er zischend. „Das gleiche könnten wir dich fragen…“, gab Kevin, immer noch in gedämpfter Stimme zur Antwort und bemerkte dann, dass Ben die Waffe immer noch auf André richtete. Beschwichtigend legte Kevin seine linke Hand auf dessen Waffe und drückte die Mündung in Richtung Boden. „Hey… alles klar?“ „Nix ist klar.“, blaffte Ben und ließ die Waffe sinken. Man merkte ihm die Anspannung deutlich an. „Er hat was mit den Entführern zu tun. Er steckt mit ihnen unter einer Decke.“, knallte der Polizist seinem Gegenüber hin und erntete dafür ein resignierendes Wegblicken von André. „Mein Gott, ich hab mit denen nichts zu tun, verdammt.“, sagte er und seine Stimme schallte durch den Gang. „Warum sollte ich Semir sonst hier suchen, hä?“
Die drei Männer standen sich gegenüber… im Keller einer verlassenen Industrieruine, in der ausser ihnen wohl nur Ratten zugegen waren. Nur das Atmen der drei war zu hören… Kevin immer noch davon, dass die Anspannung abgefallen ist, Ben und André vor Erregung. Ben wandte sich ab, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und wusste nicht mehr wo ihm, vor lauter Sorge um Semir, der Kopf stand. „Wenn du Semir wirklich suchst, dann müssen wir zusammenarbeiten.“, sagte Kevin ruhig in Andrés Richtung. „Wir waren bei Kerler, und der sagte dass sie mit Semir das haben, was sie wollten. Die sind nicht hinter dir her. Du aber wüsstest, warum sie hinter Semir her sind.“ André schaute zu Boden, er ging einige Schritte hin und her weil er nachdachte. Es ging ihm vieles durch den Kopf, viele Fragen und Antworten die er bereits rausgefunden hatte. Doch es kam keine Antwort dabei raus, während Ben ungeduldig neben Kevin stand. „Semir hatte Berger damals doch erschossen.“, sagte Ben mit erregter Stimme. „Kann es sein, dass Berger noch lebt und sich an Semir rächen will?“ André stoppte plötzlich und sah in den Schein der Taschenlampe ohne zu blinzeln. Er hatte Berger in den 14 Jahren nicht ein einziges Mal mehr gesehen. „Nein… Berger ist tot.“, sagte er mit eisiger Miene, und Ben und Kevin waren enttäuscht… es wäre die Lösung des Rätsels gewesen. „Aber…“, sagte André danach und ließ die beiden Polizisten wieder aufhorchen. „Horn will sich für Bergers Tod an Semir rächen…“