Beiträge von Campino

    Sparkasse – Gleiche Zeit

    Ben ging seinem vorauseilenden Kollegen hinterher in das Gebäude der Sparkasse Köln. Sie hofften, ihre Vermutung dass sich Isabelle dort aufhielt würde sich bewahrheiten, ansonsten müssten die beiden Polizisten die junge Frau schnellstens zur Fahndung ausschreiben. Kevin blieb in der Eingangshalle stehen und sah sich um, Ben gesellte sich neben ihm, leicht rot im Gesicht aufgrund seines falschen Verdachtes gegen Kevin. Er hatte das Kokain nicht genommen, wie er vermutet hatte, scheinbar war er einfach nur ein guter Schauspieler, der die psychischen Probleme einfach weggedrängt hatte, die ihn in der WG vorher zusammenbrechen ließen. Der Polizist mit dem Wuschelkopf wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, als Isabelle Rother aus einer der Türen zu den Büros herauskam und zielstrebig einen Bankautomaten ansteuerte. Sofort setzte Kevin sich, nachdem er die Frau kurz auf dem Foto gegen geprüft hatte, in Bewegung. Ben presste die Lippen zusammen und folgte ihm. „Frau Rother?“, fragte Kevin zunächst vorsichtig, obwohl er sich fast sicher war, dass es sich um die gesuchte Isabelle Rother handeln musste. Sie drehte sich auch sofort um und bestätigte die Frage mit einer kurzen Gegenfrage: „Ja?“ „Peters, Kripo, Mordkommission.“, stellte sich Kevin kurz vor und zeigte, wie Ben seinen Dienstausweis. „Jäger, Autobahnpolizei.“ Isabelle schaute sich kurz unsicher um und erkannte dann die beiden Polizisten, denen sie gestern noch mit Kerler zusammen eine Falle gestellt hat. „Ähm…“, begann sie zu stottern. „Bleiben sie ganz ruhig, wir wollen sie nicht verhaften.“, würgte Ben den kurz überlegten Fluchtversuch sofort ab und hob beschwichtigend die Hand. „Aber wir müssen sie mitnehmen. Ihre Mitbewohnerinnen sind eben ermordet worden, und wir haben den Verdacht, dass sie ebenfalls stark gefährdet sind.“ Mit einem Schlag wich Isabelle Rother jegliche Lebensfarbe aus dem Gesicht. Ihre EC-Karte, die sie gerade noch in der Hand hielt, fiel zu Boden und verwirrt, geschockt blickte sie von einem Gesicht ins andere. Ben machte keine Umschweife, kein feinfühliges Rantasten. „Aber… was… wieso…“, begann Isabelle zu stottern und ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern. „Bitte, kommen sie mit uns auf die Wache. Wir müssen sie unter Personenschutz stellen.“, sagte Ben ruhig, während Kevin nur zufällig einen Blick aus der Glasfront hinter sich auf den Parkplatz warf.
    Isabelle leistete keine Widerworte, zu groß war der Schock, zu groß diese Überraschung… und zu groß die Angst vor den Männern, die ihren Freundinnen das angetan hatten. Die junge Frau verließ mit Kevin und Ben das Bankgebäude und stieg mit ihnen zusammen in den Dienstwagen. Ben hatte gerade die hintere Tür zugemacht, als er Kevin nochmal ansah, bevor der auf der Beifahrerseite einsteigen konnte. „Kevin, es tut mir leid dass ich dich verdächtigt habe.“ Jetzt war es raus, Ben hatte Kevin zugetraut, Drogen genommen zu haben. So groß die Veränderung und so eindrücklich, Ben’s Erlebnis in Kevins Wohnung. Der junge Polizist, dessen abstehenden Haare sich ein wenig im kalten Wind bewegten, sah ihn ohne Ausdruck an. „Ist schon okay.“, sagte er und stieg in den Wagen ein. Sein Kollege spürte, dass ihm eine Tür zugeschlagen wurde, eine Tür die er heute morgen erst feinfühlig geöffnet hatte um hinter Kevins Mauern zu schauen. Er presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick reignierend, als er in ebenfalls in den Wagen einstieg.


    Dienststelle – 16:30 Uhr

    Auf dem Weg zur Dienststelle hatte Isabelle Rother in Kurzversion erfahren, dass vermutlich die Leute hinter ihr her waren, für die sie den kleinen Ablenkungsjob auf der Autobahn gespielt hatte. Die junge Frau konnte es nicht glauben, hatte Christina doch gesagt, dass sie Stefan sehr gut kenne und man ihm vertrauen kann. Jetzt war sie tot und Isabelle hockte auf der Rückbank, die Beine an den Leib gezogen und das Gesicht tränenverschmiert. Sie tat Kevin leid, der ruhig und recht einfühlsam mit ihr sprach. Irgendwann verstummte sie aber, und nur ein leises Schluchzen war vom Rücksitz auszuhören. Der junge Polizist schätze sie, wie ihre Freundin Christina als recht naiv ein, ein Mädchen das vor allem durch ihre Schönheit bei Männern punkten konnte, vom harten Leben aber nicht viel Ahnung hatte. Beide waren sie einander auf den Leim gegangen und hatten den falschen Menschen vertraut, während die dritte Frau in der WG offenbar nur durch einen dummen Zufall mit hineingezogen wurde.
    Auf der Dienststelle brachten sie die Frau in ihr Büro. Als sie an Andrea vorbeitrotteten sah Ben sich überrascht um. „Ist Semir nicht da?“, fragte er die Sekräterin der Dienststelle überrascht. Die wiederrum schaute Ben ebenso überrascht an und meinte: „Nein… ich dachte er wäre mit euch unterwegs.“ Ben schaute verständnislos und zückte sein Handy um nochmals Semirs SMS zu lesen. Sie war vor über 2 Stunden und implizierte, dass Semir zur Dienststelle zurückkehren würde. Während Kevin mit behutsamer Stimme nochmal das Protokoll von Isabelle aufnahm ging Ben nach draussen, dabei Semirs Nummer wählend. Es klingelte mehrmals, niemand hob ab. Ben sah misstrauisch auf das Display, wartete einige Minuten und versuchte es erneut… wieder nahm niemand ab. Semir war normalerweise mit seinem Handy verwachst und ließ es äusserst selten irgendwo liegen. „Hmm, vielleicht hat er es im Auto vergessen.“, sprach sich Ben selbst eine Begründung zu. Kurz verharrte er nochmal draußen, sein Gedanke war nicht zufriedenstellend… doch er schüttelte entschlossen den Kopf und ging wieder in die Dienststelle hinein. Semir ist ein erwachsener Mann, um den man sich keine Sorgen machen musste, wenn er mal zwei Stunden zu spät war. Er ging zu Kevin ins Büro, der sich von Isabelle gerade das Protokoll unterschreiben ließ. Sie sah immer noch verstört aus, verängstigt. Ben ließ sich auf seinen Platz fallen, und es war komisch gegenüber Kevin, und nicht Semir sitzen zu sehen, der jetzt zum Telefon griff. Er informierte zwei Beamten zum Personenschutz und orderte noch eine Seelsorgerin an, die sich ein wenig um Isabelle kümmern sollte.

    Einige Zeit später klingelte bei Ben das Telefon. Er hatte sich gerade in einigen Gedanken verloren und schreckte fast ein wenig hoch. „Ja?“, meldete er sich und vernahm die Stimme seiner Chefin. „Jäger, würden sie mit Herr Peters mal bitte in mein Büro kommen?“, fragte sie höflich und doch mit einer Tonlage, die keinerlei Widerworte duldete. „Sind schon unterwegs.“, gab Ben zur Antwort und lag im Aufstehen den Hörer auf den Apparat. „Wir sollen mal zur Chefin.“, gab er an Kevin weiter, der von seinem Stuhl aufblickte und sich, in etwas gemächlicheren Tempo, Ben anschloß.
    Anna Engelhardt sass hinter ihrem Schreibtisch und hatte die Arme vor der Brust überkreuzt, als ihr Mitarbeiter, und ihr Teilzeitmitarbeiter ins Büro trat. Sie sah beide erwartungsvoll an. „Und, meine Herren? Wie weit sind wir?“, wollte sie wissen. Sie war bereits über den Doppelmord informiert, und wollte nun erfahren, welcherlei Hintergründe die beiden Beamten herausgefunden haben. „Also wir vermuten, dass Kerler unliebsame Zeugen loswerden wollte.“, begann Kevin ohne Aufforderung von Ben. „Das kann ich mir denken, Herr Peters.“, antwortete die Chefin mit gefährlichem Lächeln und samtweicher Stimme. „Haben wir Beweise, die Herr Kerler belasten?“ Ben räusperte sich ein wenig: „Bis jetzt haben wir nur das Messer, das wird untersucht. Und ob Kerler die Tat selbst ausgeführt hat.“ Anna Engelhardt seufzte ein wenig missmutig auf und stand dabei von ihrem Stuhl auf. „Also haben wir bisher eher nur Mutmaßungen, sowohl bei dem Toten auf dem Rastplatz, als auch bei den beiden Frauen.“, sagte sie, und ihre Stimme war schon ein wenig deutlicher, vor allem deutlich genervter zu vernehmen. Ben bewegte den Kopf ein wenig hilflos hin und her, bevor erneut Kevin das Wort ergriff: „Es ist doch momentan ganz klar dass die Typen hinter André her sind. Vielleicht müssen wir einfach warten, bis sie es nochmal versuchen.“ Beim Namen „André“ legte sich Bens Stirn in Falten und er erinnerte sich an die SMS zurück. Die beiden hatten Streit… Straftat von André… In Bens Kopf arbeitete es. „Das ist normalerweise nicht die bevorzugte Art zu arbeiten, aber ich glaube, sie haben recht.“, meinte Anna Engelhardt und nickte den beiden Männern zu. Ein Signal, dass sie vorerst zufrieden war und die beiden Männer entließ. „Ich würde gerne Feierabend machen, Chefin.“, meinte Ben plötzlich und für Kevin unerwartet. Die Chefin nickte nur und meinte: „Okay, sie waren gestern lange unterwegs. Gehen sie nur, aber bleiben sie auf Abruf.“ Ben nickte ebenfalls und ging mit schnellen Schritten aus dem Büro. Kevin sah seinem Kollegen nur erstaunt hinterher, und meinte zu Ben nur: „Wo willst du denn so plötzlich hin?“. Als schmallippige Antwort bekam er von Ben nur zu hören: „Ich hab noch nen Termin.“, dann war er bereits in die Kälte entschwunden.

    Keller - 15:30 Uhr

    Schwärze, nichts als Schwärze umgab Semirs Ohnmacht, hervorgerufen durch das Chloroform auf dem schmutzigen Lappen, der ihm ein Kerl ins Gesicht gedrückt hatte. Er konnte sich noch an den Streit mit André erinnern, dass der weggegangen war. Ab da war ein schwarzes Loch für den türkischen Kommissar. Es war, als würde er im Halbschlaf vor sich hindösen, als er plötzlich und unerwartet aus der Ohnmacht gerissen wurde, in Form einer kalten Dusche mit Wasser, das ihm einer der Kerle ins Gesicht schüttete. Panisch riss Semir die Augen auf, doch er sah nur verschwommene Gesichter. Den Mund riss er auf, um Luft zu schnappen weil sein Körper auf das Wasser nicht vorbereitet war und dementsprechend ein wenig vom Wasser eingeatmet hatte. Er hustete, würgte ein wenig Wasser hervor und wollte sich nach vorne beugen als er bemerkte, dass er auf dem Stuhl auf dem er saß, fixiert war. Hände waren an die Rückenlehne gefesselt, die Fußgelenke jeweils an ein Stuhlbein gekettet. Der Holzstuhl, auf dem er sass knarzte bedrohlich als Semir an den Fesseln zerrte, die sich tief in seine Haut schnitten. Nur nach und nach konnte er ein Gesicht erkennen, das vor ihm stand. Ein bulliger Typ, ein typisches Gangster-Gesicht das der Polizist in seiner Zeit als Kommissar schon so oft gesehen hatte. Schlägernase, vernarbte Wangen, breit und kräftig. Er stellte gerade den Eimer auf den Boden und grinste feist. Semir erkundete mit den Augen die Umgebung, doch ausser vier kahlen Stahlbetonwänden, einer Birne als Lichtquelle und einem vergitterten Fenster war nichts zu sehen. "Stefan, er ist wach.", rief der feiste Kerl durch eine offene Tür und Semir wurde sofort alles klar. Kerler musste den Streit beobachtet haben, und schlug zum passenden Zeitpunkt zu. Verdammt, hätte er doch nur Ben mitgenommen, bevor sie in das Bordell gegangen sind. Dann wäre das nicht passiert, dachte Semir missmutig und sah, wie Stefan in den Kellerraum kam. "Ah, so sieht man sich wieder.", begann der freundlich und lächelte Semir an, der seinerseits eher weniger Grund zum Lächeln hatte. Seine Handgelenke schmerzten und von der kurzen Ohnmacht war ihm ein wenig übel. "Schön, dass wir sie überreden konnten, uns ein wenig Gesellschaft zu leisten." "Kerler, was wollen sie von mir?", fragte Semir, nachdem sich seine Gedanken soweit geordnet hatten, dass er klar denken konnte. Kerler ging ein wenig um ihn herum. "Was denken sie denn, Herr Kommissar?", fragte er geheimnisvoll, obwohl für Semir der Fall klar auf der Hand lag. "Vergessen sie es.", sagte der sofort obwohl er wusste, dass er unrecht hatte. "André wird sich niemals von ihnen erpressen lassen." Tief im Innersten wusste Semir allerdings, dass André sofort springen würde, wenn Kerler ihn anrief und sagte, dass man Semir in ihrer Gewalt hätte... das heißt, vor 14 Jahren wäre er sich sicher gewesen, dass es so war. Heute allerdings... plötzlich kamen Semir Zweifel. Würde er?
    Kerler begann zu lachen und ging herüber zu seinem feisten Kumpanen, der grinste. "André? Sag mal...", meinte Kerler und stieß seinen Kumpel in die Seite. "Willst du den Bullen gegen André eintauschen?" Semir schaute zwischen den beiden Männern verwirrt hin und her. Was hatte das zu bedeuten? "Käme mir nie in den Sinn.", meinte der Boxer-Typ mit dunkler Stimme. "Da sehen sie es, Herr Kommissar.", meinte Kerler wieder katzenfreundlich und Semir hatte von diesem Spielchen schnell die Schnauze voll. Zusätzlich breitete sich ein extrem ungutes Gefühl in seinem Magen aus, das sich langsam zu einem Brechreiz entwickelte, je länger er darüber nachdachte. Kerler kam wieder auf ihn zu und beugte sich mit dem Gesicht zu Semir: "Nein nein, Herr Kommissar. Sie sind genau der Richtige..." Der Blick des Polizisten folgte dem seines Gegenübers und die Verwirrtheit wurde größer in Semirs Augen. "Was zum Teufel wollen sie von mir?" Kerler stellte sich nun hinter Semir, dem dieses Spiel wahrlich unangenehm war, denn er war allen heimtükischen Attacken des Mannes quasi hilflos ausgeliefert. "Denken sie mal nach: Was ist denn vor ungefähr 14 Jahren passiert?", begann Kerler ein Frage-Antwort-Spielchen mit Semir zu spielen, dessen Gedanken rasten. Es hatte also doch etwas mit dem Einsatz auf Mallorca zu tun, also auch mit André. Aber trotzdem wusste Semir keine eindeutige Antwort auf Kerlers Frage, der deswegen präziser wurde. "Etwas, was meinem Chef überhaupt nicht gefallen hat." Semirs Augen huschten flink über den kalten Estrich, auf dem seine Füße standen, als suche er die Antwort auf dem schmutzigen Boden. Sein Mund stand leicht offen, und ein leichter Schweißfilm hatte sich auf seiner hohen Stirn gebildet. Meinte er mit "Chef" etwa Ralf Horn? Dem konnte man doch nichts nachweisen... der wurde überhaupt nicht belangt. Welche Rechnung könnte der... Moment.

    Ein kurzer Gedanke überfiel Semir, aber das konnte nicht sein. Warum hätte der Kerl sich dann so lange Zeit gelassen? Kerler verfestigte Semirs wässrige Gedankengänge als seine Lippen einen Namen formten. "Carlos Berger." Das durfte einfach nicht wahr sein. Das KONNTE nicht wahr sein. Semirs Augen weiteten sich panisch und Kerler grinste, als die Melodie eines Klingeltons erklang. Der Mann hinter Semir wischte sein Handy aus der Jeans und verließ den Raum, den der Boxer-Typ wieder verschloß und Semir zurückließ. "Ja, was gibts?", fragte Kerler den Mann am anderen Ende der Leitung. "Stefan! Ich bin jetzt gerade zur Sparkasse gefahren, wo diese Isabelle ihr Konto hat. Leider waren die Bullen schneller als ich und sind schon da.", hörte er die ruhige und gelassene Stimme von Peter Becker am Telefon. "Was soll ich tun?", fragte er dann noch hinterher, während er in seinem Auto saß, auf dem Parkplatz der Sparkasse stand und so optimalen Blick auf den Geldscheinautomat hatte, an dem Isabelle stand und nun mit den beiden Polizisten sprach. "Gar nichts. Das ist jetzt nicht mehr so wichtig. Wir haben den Bullen, den wir gesucht hatten.", sagte Kerler ruhig, und nickte für sich leicht. "Okay. Dann komme...", begann Peter und verstummte. In der Bank hatte sich in diesem Moment Kevin umgedreht und sah aus der großen Glasfront der Sparkasse, ohne Peter direkt anzusehen. "Das gibts doch nicht...", murmelte der völlig perplex durch das Handy in Stefans Ohrmuschel. "Peter... was ist?", fragte der nach und legte die Stirn in Falten. Was hatte sein Freund denn jetzt wieder gesehen. "Sag mal, haben wir im Zimmer des Bullen noch ein Plätzchen frei für einen Kollegen?", fragte der Beobachter mit einem breiten Grinsen und Stefan lachte kurz auf. "Wenn du mir nen guten Grund nennst können wir da bestimmt was machen.", sagte er und ging im hell erleuchteten Keller neben dem von Semir auf und ab. "Ich muss das aber mit Ralf abklären.", setzte er noch hinzu, doch das genügte Peter erstmal der ebenfalls mit guter Laune nickte. "Alles klar. Ich komme dann erstmal zurück.", sagte der junge Mann, der gerade Anfang 30 war, legte auf und startete den Motor seines Wagens.
    Auch Stefan Kerler legte auf und wandte sich zu seinem bulligen Freund. "Vielleicht bringt uns Peter noch einen Besucher mit...", verkündete er verheißungsvoll.

    Ben's Dienstwagen - 14:45 Uhr

    Kevin sah nach der Frage von Ben wie gebannt durch die Frontscheibe des Wagens. Es vergingen einige Augenblicke bis er schließlich antwortete. "Was meinst du?" Er sagte es, ohne Ben wirklich anzusehen, dem zunehmend mulmig um die Magengegend wurde. "Die Art und Weise, wie du dein Problem manchmal vergisst.", sprach er ein wenig in verschlüsselter Sprache. Der Polizist wollte Kevin nicht einfach vor die Füße werfen, dass er ihn verdächtige, das beschlagnahmte Koks genommen zu haben, als er eben draussen war. Jetzt drehte Kevin sich zu Ben und sah ihn aus seinen blauen Augen an. Ben hatte das Gefühl, die Augen waren härter und kälter als sie noch heute morgen waren als Kevin recht verzweifelt, und recht zurückgezogen mit ihm sprach. Seine Augen hatten sich ein wenig zu Schlitzen verengt, Ben wiederrum hielt dem Blick stand und wartete auf eine Antwort. "Ich weiß nicht was du meinst.", blockte Kevin mit einer perfekt gespielten inneren Sicherheit ab. In seinem Innersten allerdings brodelte es, es lief ihm kalt und heiß den Rücken hinunter. Sollte Ben in seiner Wohnung doch mehr bemerkt haben, als er zugab. Sollte er einen Verdacht haben? Doch warum äusserte er ihn jetzt erst? Kevin blickte nach dem Satz wieder geradeaus und auch Ben wandte sich von Kevin ab. Der Polizist mit dem Wuschelkopf biss sich auf die Lippen und drehte den Zündschlüssel um. Der Wagen startete brummend, doch Ben kam noch nicht zum Fahren ohne erneut Fragen an Kevin zu richten. "Du bist eben so gefasst wieder nach oben gekommen..." Eigentlich war es keine Frage, sondern eine Aussage, die eine Antwort von Kevin erforderte. "Ich hab nur einen Moment Luft gebraucht.", gab Kevin schmallippig zur Antwort und sah Ben erneut nicht an. "War es wegen den Frauen? Weil es so war wie bei deiner Schwester?" Kevin biss krampfhaft die Lippen aufeinander. Was wusste Ben schon, dass er sich jetzt zum Psychologen berufen fühlte? Kevin empfand die Fragen so, als würde ihn jemand in die Enge treiben, wie ein wildes Tier das dann aggressiv reagierte. In diesem Moment sah er nicht Bens Hilfeangebot. "Hör mal zu...", sagte Kevin plötzlich mit ungewohnter Schärfe in der Stimme und nun sahen sich die beiden Männer wieder an. "Nur weil ich dir heute morgen etwas von mir erzählt habe, heißt das nicht dass du mein Psychologe und ich dein Patient bin, kapiert? Wenn ich dir etwas erzählen will, werde ich das schon von mir aus tun. Und jetzt fahr!" Als Kevins halb zischende, halb polternde Stimme verklungen war erfüllte kurzes Schweigen den Fahrzeugfond. Ben sah Kevin ein wenig fassungslos an, konnte er seinen emotionalen Ausbruch nicht ganz verstehen. Er tat Kevin aber erstmal den Gefallen und fuhr nun in den fließenden Verkehr ohne noch etwas zu sagen, während sein Nebenmann den Kopf an die Kopfstütze legte und aus der Seitenscheibe sah.

    Der Verkehr rollte nur langsa, zur betreffenden Bank brauchten die beiden Beamten sicherlich eine halbe Stunde. Eine Zeitspanne, die unglaublich lange wirkte, wenn man sich anschwieg und nur seinen Gedanken nachhing. Ben krampfte seine Hände um das Lenkrad, als wolle er es zerdrücken. Es setzte sich wie ein Puzzle vor seinen Augen zusammen, was er heute über Kevin erfahren hatte. Er wusste nicht mehr das die Dusche lief... war der Blackout etwa nur von Alkohol? Warum lag seine Waffe in der Dusche. Und warum war er von einem auf den anderen Moment wieder so gefangen nach dem Zusammenbruch in der WG... war er etwa so ein guter Schauspieler? Mit einem kurzen Seitenblick musterte er den jungen Polizisten, der weiter stumm aus dem Seitenfenster sah. Ben schnürte es fast die Kehle zu, so sehr brannte ihm eine Frage auf der Zunge. Er konnte nicht anders, und ließ sie einfach raus, nach draussen an seinen Kollegen. "Hast du das Koks auf der Dienststelle schon abgegeben?", fragte er beiläufig denn interessiert. Kevin bewegte den Kopf nicht, doch die Objekte auf die er sich draussen konzentrierte waren auf einmal nicht mehr wichtig. Ohne Schärfe in der Stimme sagte er zu Ben: "Du warst doch die ganze Zeit bei mir." Auch eine Art und Weise "Nein" zu sagen. Ben schluckte und nahm die Augen nicht vom Straßenverkehr weg. "Das heisst, du hast es noch?", versicherte er sich. Er konnte den Verdacht einfach nicht so aussprechen. "Ja klar hab ich es noch.", sagte Kevin ruhig und spürte schon worauf Ben hinauswollte. Unbewusst fuhr Kevins Hand in seine Manteltasche und er rieb sich die Zähne aufeinander. Ben beobachtete mit kurzen Seitenblicken Kevins Reaktion und blieb erneut still. Sein Atem ging schneller genauso wie sein Herzschlag. War Kevin etwa ein ausgezeichneter Lügner?

    Als sie auf deim Parkpkatz der Bank schlussendlich anhielten, ließ Ben endgültig die Katze aus dem Sack. "Zeig es mir.", sagte er bestimmt und mit Nachdruck. Kevins Kopf drehte sich wie in Zeitlupe zu Ben und ein kalter Blick traf den Kommissar. Ein Blick, der plötzlich voll Distanz und Misstrauen gefüllt war, der sich tief in Ben hineinbohrte der ein wenig hilflos wirkte nach seiner Forderung. Kevin öffnete den Gurthalter und ließ die Tür aufschnappen, während sein Kollege sich wieder zu ihm gedreht hatte und bewegungslos wartete. Einen Fuß ließ der junge Kommissar nach draussen gleiten, der zweite folgte sogleich und Kevin stand an der frischen Luft und sah über den Parkplatz. "Kevin?" Ben verdächtigte ihn wirklich das Koks genommen zu haben. Er traute Kevin zu, Drogen zu nehmen und der war nun gewarnt... und musste gut aufpassen. Im Inneren war er aber froh, dass er vorhin seinem inneren Schweinehund widerstanden hatte. Er beugte sich wieder hinunter zu Ben in den Wagen, griff in seine Manteltasche und warf Ben das kleine weiße Beutelchen auf den Schoß. Dann knallte er die Tür des Wagens zu und atmete hörbar aus, bevor er sich zum Eingang der Bank bewegte.
    Ben sah im Auto ein wenig fassungslos und bewegungslos auf das kleine Päkchen mit dem weißen Pulver, das ordentlich verschloßen war, und garantiert noch nicht geöffnet war. Auch er atmete hörbar aus und fuhr sich durch die langen Haare. "Scheisse...", murmelte er und sah Kevin durch die Frontscheibe hinterher. Er hatte ihn zu unrecht verdächtigt und sein Kollege war über das Misstrauen nun wohl verständlich verstimmt. "So eine Scheisse..", fluchte Ben nun hörbar lauter, steckte das Päkchen ins Handschuhfach und stieg ebenfalls aus dem Auto aus.

    WG – 14:10 Uhr

    Kevin brauchte ein bisschen Zeit. Er sass, kauerte schon fast am Boden, den Rücken und Kopf an die kalte Wand des Hauses gelehnt, die Arme um die Beine geschlungen, als Ben wieder zurück gegangen war. Er schien ein wenig, wie ein kleines Kind, das sich in einer Ecke verkroch, sich am Boden kauerte weil es Angst vor etwas hatte. Angst vor der großen Welt, oder einem Schatten in seinem Kinderzimmer. Ein wenig konnte der junge Polizist das Zittern seiner Hände an den eigenen Knien verspüren, die er berührte und umfasst hielt. Sein Atem hatte sich ein wenig beruhigt, aber noch immer sah er vor sich die beiden toten Frauen in ihrem Blut, sah er immer noch vor sich seine Schwester, die vergewaltigt und abgeschlachtet wurde, während er bewegungsunfähig am Boden lag… zu verletzt um ihr zu helfen, aber nicht verletzt genug um ihn Ohnmacht zu fallen oder zu sterben. Wollten die Kerle sich an Kevin rächen, so hatten sie den Punkt der Messerstiche excellent gewählt…
    Langsam richtete Kevin seinen zitternden Körper wieder auf. Er spürte kalten Schweiß auf der Stirn, als er sich mit der Hand an der Mauer nach oben tastete und wieder auf den Füßen stand. Ein wenig musste er sich anlehnen, griff in seine Manteltasche um ein Kaugummi herauszuholen, um den ekligen Geschmack des Erbrochenen aus dem Mund zu bekommen, als seine Finger gegen die kleine 5g-Tüte in seiner Manteltasche stießen. Langsam beförderte er das Beutelchen mit dem weißen Teufelszeug ans Tageslicht, und seine Hände begannen erneut zu zittern…

    Ben war währenddessen wieder nach oben gegangen. Er war betroffen von Kevins Zustand, dem der Tod seiner Schwester offenbar mehr Probleme machte, als er selbst wohl jemals zugeben würde. Ben hatte selbst zwei Freundinnen durch Mord verloren, doch konnte er seine Trauer vor allem in der Musik verarbeiten. Ausserdem hatte er immer Semir zum Reden, Kevin dagegen schien überhaupt niemanden gehabt zu haben, oder jetzt zu haben. Er spürte, dass das Gespräch mit in Kevins Wohnung eine Erleichterung für Kevin war, dass es ihm gut tat sich mal etwas von der Seele zu reden… auch wenn Ben nach wie vor den Glauben hatte, dass Kevin ihm etwas verschwieg. Ein klein wenig Misstrauen blieb bei Ben, er kannte Kevin ja erst wenige Tage.
    Ein Vibrieren in Bens Hosentasche und ein kleiner Signalton kündigten eine SMS an. Während er die Treppenstufen nach oben stieg, wischte er sein Handy aus der Jeans und las die SMS von Semir. „Na super…“, sagte er zu sich selbst. Semir hatte sich mit André gestritten und war der Meinung, dass dieser etwas verheimliche. Offenbar war da doch mehr als nur der gezwungene Wechsel zur anderen Seite. Ben nahm Rücksicht auf Semir, für den dieses Wiedersehen eine psychische Ausnahmesituation war… doch ganz überzeugt war der Autobahnpolizist von Anfang an nicht von Andrés Geschichte. Er behielt es für sich weil er vor Semir nicht eifersüchtig wirken wollte, aber er würde Semir seine Bedenken heute Nachmittag auf dem Revier deutlich machen. Ben kehrte zurück in die Wohnung, und sprach mit dem Chef der Tatort-Beamten, der die Leichen untersuchte. „Das könnte die Tatwaffe sein.“, sagte der weißhaarige Mann, der schon viele Leichen gesehen hatte in seinem langen Dienstleben, und hielt ein blutverschmiertes Messer in einer Plastiktüte nach oben. „Es fehlt aus dem Messerblock… eventuell war der Mord gar nicht auf diese Weise geplant.“ Ben nahm die Tüte in die Hand und meinte dann: „Also ein Profi war das nicht… der würde doch keine solche Sauerei hinterlassen.“ Er ließ seine Augen nochmal über den Raum wandern.
    An der Eingangstür blieben seine Augen haften. „Da bist du ja wieder… alles okay?“, fragte er seinen Kollegen Kevin, der wieder an der Tür erschien und bemüht war, ruhig zu lächeln. Seinen Zustand konnte er aber nicht verbergen. Unter seinen Haaren hatte sich ein Schweißfilm auf der Stirn gebildet, er war blass und seine Augen leicht glasig. Ben sah ihn nun doch besorgter an als er wollte, doch Kevin schien äusserlich plötzlich ruhiger zu sein und ging durch den Raum. „Das Fenster war verschlossen?“, fragte er dann interessiert. „Als wir kamen war es das.“, antwortete ihm der weißhaarige Beamte und nickte. „Dann hat der Täter die Tür als Fluchtweg benutzt.“, meinte Ben und sah zu Kevin. „Dann muss ihn doch jemand gesehen haben.“ Sein Kollege zuckte nur mit den Schultern, und erschien ein wenig abwesend.

    Ben erhob sich wieder und ging zu einem der uniformierten Beamten. „Wer hat die Leiche eigentlich gefunden?“, fragte er ihn, und der Mann mittleren Alters zeigte auf einen weiteren Mann, der ihm Flur stand und eine Zigarette rauchte. Er trug einen Blaumann, Wollmütze und kariertes Hemd. „Der Hausmeister. Bemerkte, dass hier eine Tür offen stand.“, sagte der Beamte kurz und knapp. Ben dankte und ging zu dem Hausmeister, der offenbar wenig beeindruckt war, was sich in der Wohnung zu getragen hatte. „Ben Jäger, Kripo Autobahn. Sie haben die Frauen gefunden?“ Der Mann nickte: „Richtig. Bin den Flur entlang und mir ist aufgefallen, dass die Tür halb offen stand. War mir bei den Mädels nie aufgefallen, und ich wollte nach dem Rechten sehen.“ „Haben sie jemanden bemerkt, das Haus verlassen?“, fragte Ben interessiert. Wenn der Hausmeister die Frauen gefunden hatte musste die Tat gerade passiert sein, denn so lange waren die Polizisten ja noch nicht weg. Doch der Hausmeister schüttelte zu Bens Enttäuschung den Kopf. „Nein… ich kam von oben unterm Dach. Als ich die Frau gefunden habe, habe ich sofort die Polizei gerufen.“ Bens Augen senkten sich wieder zu Boden und er seufzte leicht. Das waren wenig Anhaltspunkte, auch wenn er im Inneren sicher war, dass dieser Doppelmord etwas mit dem Überfall auf ihn und Kevin zu tun hatte.
    Kevin kam aus der Wohnung heraus und hielt einen Ordner in der Hand. „Schau mal, Ben. Der Ordner lag offen in einem der Zimmer. Diese Seite war aufgeschlagen.“ Er hielt Ben den Ordner hin, der einen Ausdruck der Sparkasse Köln über einen abgeschlossenen Bausparvertrag. „Ja und?“, fragte er dann ein wenig verständnislos in Kevins Richtung. Was sollte das mit dem Mord zu tun haben, vor allem weil der Vertrag auf Isabelle Rother lief, und ihr laut Aufdruck auch der Ordner gehörte. „Wenn sie hier Unterlagen rausgenommen hat, kann es doch sein dass sie einen Banktermin hat. Isabelle Rother ist in Gefahr, da der Killer sie hier nicht angetroffen hat.“, half Kevin ihm ein wenig auf die Sprünge und war über Ben’s etwas fassungslosen Ausdruck im Gesicht überrascht, während der ihm in die Augen sah. Den Polizist mit dem Wuschelkopf kam ein ungeheuerlicher Gedanke, während er nickte und fast abwesend meinte: „Wir sollten hinfahren.“

    Als die beiden Polizisten die Treppenstufen runtergingen war Ben’s Kopf voll Gedanken. Eben saß Kevin noch wie ein Häufchen Elend in der Straßengasse, und nun schien sein Zusammenbruch ganz weit weg. Sollte ihn die Arbeit wirklich so sehr ablenken? Oder hatte Kevin selbst nachgeholfen, sich abzulenken? Als der ihm den Ordner von Isabelle Rother gezeigt hatte, wurde Bens Erinnerung geweckt, als Semir ihm mal Kevins Lebensgeschichte erzählte, dass er in seiner Jugend in Kontakt mit Drogen gekommen war. Und dass der junge Polizist das 5g-Päkchen Koks in seinen Mantel gesteckt hatte, als er es im Zimmer von Christina König gefunden hatte. Sollte er etwa tatsächlich rückfällig sein, und das Koks genommen haben, während er in der Gasse saß? Sollte das stimmen musste Ben etwas tun… mit Semir reden, mit der Chefin darüber reden. Ein Polizist im Einsatz, der ein nicht minderschweres Alkoholproblem ausserhalb des Dienstes hatte war schon ein Geheimnis, was Ben schwer fiel für sich zu behalten. Doch sollte Kevin drogenabhängig sein, so könne er das nicht unter den Tisch fallen lassen.
    Als die beiden Polizisten ins Auto gestiegen waren drehte Ben sich zu Kevin herüber und legte einen Arm über das Lenkrad. „Kevin…“, begann er vorsichtig und sah den jungen Polizisten an, der aus der Frontscheibe sah. „Hast du mir in deiner Wohnung wirklich alles erzählt?“

    Campino: Stimmt, nur würde es zumindest zeigen, dass RTL auch mal richtig überzeugen kann in dem Sinne, dass sie etwas machen, mit dem keiner gerechnet hat. Letzten Endes wird aber Ben sowieso nicht sterben.

    Cobra 11

    Es gibt aber auch andere Möglichkeiten mit denen RTL überraschen kann. Und wenn man mal sieht, was mit den beiden vorherigen Partnern und André passiert ist, wäre ein Tod auch keine wirkliche Überraschung...

    Ich fand den Film überhaupt nicht gut... 30 Minuten Katastrophe und 1h Teenie-Romanze, die auch noch völlig überzeichnet dargestellt war...

    Mein Tip: Lest das Buch... das ist um Längen besser, da viel mehr wert auf die Nachwehen der Katastrophe gelegt wird, statt auf die Romanze, die nur ein ganz kleiner Nebenpart ist.

    Rotlicht-Viertel - 14:00 Uhr

    Die beiden Freunde standen sich fast gegenüber, André leicht zu Semir gedreht, der in direkt Stellung zu seinem ehemaligen Partner. Er hielt den Stoff von André's Winterjacke am Ärmel in der Hand, an dem er ihn gerade festgehalten hatte, nachdem sie das Bordell verlassen hatten. Der großgewachsene Ex-Kommissar schaute Semir in die Augen, Semir tat es ihm nach seiner Frage gleich. Es war ein kurzer Schweigen, als könne André nicht glauben was Semir gerade von ihm verlangt. "Was willst du von mir hören?", fragte er gereizt. "Glaubst du dem Typen mehr als mir?" Mit einer kurzen Bewegung seines Arms schüttelte der Semirs Hand ab, der den Stoff dann auch losließ und sich mit der Zunge kurz über die Lippen fuhr. Er wollte nicht "ja" sagen, aber ein klares "Nein" ging ihm auch nicht über die Lippen. Der türkische Polizist sah verzweifelt aus, als er André ein wenig hilflos ansah. "Ich will wissen was hier vor sich geht. Was hat Horn gegen dich in der Hand?" André's Antwort kam, nach Semirs Ermessen einen Augenblick zu spät. Früher hatte er keine Sekunde gezögert Antwort zu geben, wenn er zu Unrecht beschuldigt wurde, jetzt brauchte er einen Augenblick Bedenkzeit. "Horn hat gar nichts gegen mich in der Hand. Die Typen sind hinter mir her, und Kerler will dich gegen mich aufbringen.", sagte André und bemühte sich innigst, ruhig zu bleiben.
    Der Kondensdampf stieg vor den beiden Kommissaren nach oben, wenn sie redeten, sie standen in der Nähe von Semirs Dienstwagen auf dem Parkplatz, nur unweit des Bordells weg. Dass sie durchs Fenster beobachtet wurden, bemerkten sie nicht, zu viel waren sie mit sich selbst beschäftigt.

    "Dann sag mir doch endlich was genau du dort hinten getrieben hast." bohrte Semir mit Nachdruck weiter, und zwang André erneut zu einer kurzen Denkpause, in der er auch kurz die Augen senkte. "Das habe ich dir schon gesagt.", antwortete er schmallippig und gereizt. Die beiden Männer, die sich einst blind vertrauten, trauten sich nun gegenseitig nicht über den Weg. André verheimlichte Semir etwas, da war sich der Polizist sicher. Und Semir traute André nicht, diese Fremdheit die bereits seit gestern zwischen ihnen stand wurde mit dem Satz von Kerler noch größer. Wenn André wirklich für Horn gearbeitet hatte, über mehrere Jahre, dann kann seine Weste einfach nicht sauber sein, das konnte Semir sich nicht vorstellen. "André...", begann Semir leise und eindringlich, er suchte selbst nach Worten, fühlte sich hilflos. "... wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, kann ich dir nicht helfen." 14 Jahre lang glaubte er, André sei tot. Gestorben als Polizist, als sein Freund dem er blind vertrauen konnte. Jetzt plötzlich, unerwartet, stand André wieder vor ihm und war verändert... war nicht so wie vorher. Und Semir wusste nicht, wen er vor sich hatte, einen Mann, von dessen Leben er nur 4 Jahre genau kannte, die Jahre dazwischen er aber nicht wusste, was er getrieben hatte. André konnte die Wahrheit sagen, dass er sich im Hintergrund hielt, einige Botenfahrten machte, Geldübergaben durchführte. Er konnte aber auch lügen, dass er Körperverletzungen oder schlimmeres beging. Sein Herz wollte das nicht glauben, sein Kopf allerdings machte Semir urplötzlich klar, dass er einen fremdem Mann vor sich hatte. Ein Mann, der sich in 14 Jahren grundlegend verändern konnte. Dieses Gefühl schnürte Semir fast die Kehle zu, auch als er an den Mord von Timo Kressner dachte.
    "Und ich kann mir nicht helfen lassen, wenn du mir nicht vertraust.", gab André zur Antwort in Richtung Semir, der nun selbst ein wenig die Geduld verlor. Die Dinge, die er gerade noch dachte, fanden plötzlich den Weg an die Oberfläche. "Wie soll ich dir vertrauen? Versetz dich mal in meine Lage!", sagte er nun bestimmt lauter zu seinem Kollegen. "Du tauchst nach 14 Jahren plötzlich wieder hier auf, und erzählst mir deine Geschichte. Weißt du, was sich in 14 Jahren alles verändern kann?" Plötzlich erschrack Semir. Es waren genau die Worte, die André gestern benutzte, die ihn so sehr trafen. Dass man sich ändert, in 14 Jahren... das man "vergisst." Wieder sahen sich die beiden Männer an, beide in ihrer Unsicherheit gefangen. Warum konnten sie sich nicht unter besseren Umständen wiedersehen, unter Umständen, dass sie sich in den Arm fielen, erzählten was sie getrieben haben in der Zeit und in alten Erinnerungen schwelgen. Nein, sie standen sich gegenüber in einem Nebel von Misstrauen, in dem Semir einfach nichts von Andrés Geschichte erkennen konnte.

    Der großgewachsene André hob den Kopf und schaute auf Semir herab. Der kannte diesen Blick, wenn André die Mundwinkel ein wenig nach unten verzog, und die Augen etwas zusammenkniff. "Ich dachte du würdest mir glauben. Ich hab dir alles erzählt.", sagte er mit festem Blick. Zu gerne würde Semir ihm vertrauen, doch sein Kopf verbietete es ihm. Sein Verstand, sein kriminalistischer Sachverstand appelierte mehrmals an ihn, hier zu misstrauen, zu hinterfragen. Fast immer lag er damit richtig. Jetzt sagte er traurig: "Ich kenn dich nicht mehr, André. Du wirkst so... so fremd." Keiner wich dem Blick des anderen aus, als André auf diese harten Worte nur kurz nickte. "Dann ist es wohl besser, wenn du einfach emotionslos deinen Job machst...", sagte André mit einer Prise Arroganz, auch wenn seine wahren Gefühle durch die Worte durchschimmern, denn er war von Semirs Worten getroffen, vor allem wenn er an die zwar unangenehme, aber doch vertraute Atmosphäre in Semirs Haus gestern abend zurückdachte. Sein Freund sah ihn hilflos an, als er den Worten von André weiterlauschte. "Du hast meine Aussage warum ich am Tatort war, und den Schmauchspuren-Test. Wenn du einen Haftbefehl hast, weißt du wo du mich findest."
    Nach diesen Worten drehte sich André um, vergrub die Hände in der Winterjacke und ging mit schnellen Schritten davon. Semir stand verloren auf dem Parkplatz, senkte nun die Augen und trat von einem Fuß auf den anderen. Dieses Wechselbad der Gefühle machte ihn fertig, dieses Wechselbad zwischen alter Vertrautheit und latenter Unsicherheit und Misstrauen. Wie konnte er André nur glauben... war es möglich, dass André ihn ausnutzte? Er brauchte Ruhe, er musste mit jemandem reden darüber, am besten mit Andrea.

    Gerade wollte Semir in sein Auto steigen, als er ein knirschendes Geräusch hinter sich hörte. Doch bevor er sich umdrehte spürte er, wie eine große kräftige Gestalt ihn von hinten packte und einen stinkenden Lappen auf den Mund presste. Noch bevor Semir sich wirklich wehren konnte, wurde ihm schwindlig und schwarz vor Augen. Das Chloroform verfehlte seine Wirkung nicht, und langsam ließ die Gestalt den Polizisten zu Boden gleiten. Seine Hände fuhren in Semirs Hosentaschen und fischten sein Handy heraus. Er navigierte das Handy ins Menü der versendeteten Kurzmitteilungen und las sich einige SMS an Ben aufmerksam durch, um das Schreibmuster, sowie die Abschieds- und Begrüßungsgewohnheiten zu erfassen. Mit schnellen Fingern durchsuchte er die Kontakte nach "Ben" und verfasste eine schnell geschriebene Nachricht an den Empfänger.

    'Hey Ben. War mit André in einem Bordell des Verdächtigten Stefan, doch es kam nichts dabei raus. André verhielt sich merkwürdig und Stefan erwähnte Straftaten die André begangen hatte. Habe ihn darauf angesprochen und es kam zum Streit. André verheimlicht uns was. Bis gleich im Büro. Semir!'

    Die SMS wurde versandt und der Typ lächelte zufrieden. Dann packte er den leblosen Körper von Semir, zog ihn über den kalten Boden zu einem SUV und packte den Kommissar in den Kofferraum.

    Habe mich jetzt mal bis zu Kapitel 12 durchgelesen. Liest sich sehr gut, du schreibst wirklich angenehm und detailreich.

    Bin mal gespannt, inwiefern die beiden Helden in den Entführungsfall hineingezogen werden, und Bonrath und JEnny waren ja wirklich zur falschen Zeit am falschen Ort.

    WG – 13:45 Uhr

    Der Innenstadtverkehr war recht überschaubar, als die beiden Kommissare mit Blaulicht und Sirene zwei rote Ampeln überfuhren. Beide sprachen kein Wort, weder Ben der konzentriert am Steuer saß, noch Kevin, der aus dem Seitenfenster sah und sich in die Faust biss. Beide hatten die gleichen düsteren Gedanken, der da war, dass sie die Frauen besser hätten schützen müssen. Sie hatten ihren Gegner unterschätzt, und zwar gewaltig. André hätte die Gefahr vielleicht eher einschätzen können, doch ihn nahmen sie zum Verhör nicht mit.

    Als Ben den Wagen vor der WG auf der Straße stoppte standen bereits zwei Streifenwagen und zwei RTW vor der Wohnung herum. Ein schwarzer Mercedes-Kombi kam gerade angefahren, als sich Ben und Kevin unter der Absperrung durchbückten und in den Hauseingang liefen. Einige der Wohnparteien standen draussen auf der Straße unter Schaulustigen, und es war ein Wirrwarr aus Gerede, Funkknacken und hin und wieder eine Sirene, die ankam oder wegfuhr. Ben ging voran die Treppen nach oben in Richtung der Wohnung, in der sie vor einer Stunde erst waren. Sein Blick fiel in den Hauseingang, von wo er aus bereits einen Fuß im Wohnzimmer am Boden liegend erkennen konnte. Er schluckte kurz und ging dann langsamen Schrittes hinein, als er das ganze Ausmaß sah. „Auch du heilige Scheisse…“, murmelte er und selbst Ben blieb ein wenig ein Klos im Hals. Am Boden lag Christina König, die Kleidung mit Blut durchtränkt, sowie der Teppich und der Boden, auf dem sie lag. Das Messer, mit dem man ihr die Kehle aufgeschlitzt hatte, lag noch im Blut, das noch leuchtend rot und recht frisch sein musste. Christinas Augen starrten an die Decke, voller Schreck und Furcht aus dem Moment, als sie nach Luft rang. Ben ging um die Leiche herum, beugte sich kurz herunter um eventuell bereits Spuren feststellen zu können, doch er verzog nur das Gesicht vor Ekel und sah zu Kevin. Der junge Polizist verhielt sich merkwürdig. Ihm war die Farbe aus dem Gesicht gewichen, er stand im Türrahmen und schien sich mit einer Hand an ihm festzuklammern, während seine blauen Augen auf die Leiche gerichtet waren. „Alles okay, Kevin?“ Ben’s Stimme klang ganz weit weg. Es war nicht die Leiche an sich, oder der Grad ihrer tödlichen Verletzung der Kevin zusetzte. Im Streifendienst hatte er bei Verkehrsunfällen viel schlimmere Dinge gesehen. Aber Bilder und Geräusche tauchten in seinem Kopf auf, von seiner Schwester, die genauso elendig erstickte wie die junge Frau, die hier auf dem Teppich lag. Er nickte nur ein wenig, mit halboffenen Mund und schloß die Augen. Ihm war heiß, brennend heiß und es kam ihm vor, als wäre die Luft stickiger als noch vor zwei Stunden.
    Ben ging an ihm vorbei durch die Tür, warf nur einen kurzen Blick auf seinen Kollegen und ging an den herumlaufenden Tatort-Beamten vorbei ins Badezimmer, wo die zweite Leiche gefunden wurde. Hier ging Kevin ebenfalls mit rein, und warf einen fassungslosen Blick auf die rothaarige Leiche… es war Sophie Esche und nicht Isabelle Rother. Der Killer hatte die falsche Frau getötet, auch sie lag in einer Lache von Blut, halb in der Dusche und halb auf dem Boden. Offenbar hatte der Killer sie gerade beim Duschen erwischt, die innenliegende Wand sowie die Duschabtrennung war voll von Blutspritzern. Kevin spürte, dass ihm übel und schwindlig wurde, in seinem Kopf drehte sich alles und das Bild vermischte sich zu einer Fratze. Für einen Moment glaubte er, Janine würde vor ihm liegen, tot und missbraucht im Dreck. Ben’s dumpfklingende Stimme nahm er nicht wahr, sie vermischte sich mit Janines Schreien nach Kevin. Dass der junge Cop nichts gegessen hatte und noch einiges vom Whiskey im Magen an hatte, begünstigte seinen elenden Zustand, genauso wie manche Nebenwirkungen der kleinen Pillen. Er ging einen Schritt rückwärts, schien zu fallen und hielt sich gerade noch am Türrahmen fest. „Kevin?“ Ben sah das Unheil fast kommen, und er wollte einen Schritt auf Kevin zumachen, doch er schien seinen Kollegen mit der erhobenen Hand aufhalten zu wollen, und presste ein: „Ich muss kurz an die Luft.“, heraus. Er ries sich zusammen, versuchte halbwegs geradeaus und im schnellen Gang den Weg nach draußen anzutreten. Vorbei an einigen Kollegen, raus aus dem Haus und unter der Absperrung an den Schaulustigen vorbei, geradewegs in die kleine Gasse neben dem Haus, wo Christina König gestern noch versuchte zu fliehen. Dass Ben ihm folgte, merkte er nicht, und als er sich unbeobachtet fühlte, ließ er alles raus. Mit einer Hand gegen die Hausmauer gestützt erbrach er das bisschen, was er von gestern Abend noch im Magen hatte, den Whiskey und Gallensaft. Kevin atmete heftig, seine Augen brannten und sein Kopf schien platzen zu wollen. Vor 10 Minuten auf der Dienststelle fühlte er sich noch recht wohl, überraschend nach seinem gestrigen Absturz, doch die Bilder, die die beiden Leichen in seinen Kopf riefen überrannten den psychisch instabilen Polizisten.

    Als würden seine Beine nachgeben, drehte Kevin sich nun mit dem Rücken an die Wand und glitt an dieser langsam nach unten bis er mit angezogenen Knien am Boden saß, als Ben sich endgültig in der Gasse sehen ließ. Er sah, wie sein Kollege geradeaus auf die gegenüberliegende Wand starrte, allerdings nicht aktiv, sondern eher ins Leere. Den Mund halboffen, schwer atmend als wäre er gerade einen Marathon gelaufen.

    Ben kam näher und wusste zunächst nicht genau, wie er reagieren sollte. Er hätte Kevin keine Probleme zugetraut, wenn er Leichen sehen würde, auch wenn die beiden Frauen in der Wohnung tatsächlich nicht appetitlich aussahen… aber nein, Kevins Zusammenbruch musste andere Gründe haben. Und dann erinnerte er sich plötzlich an einen Satz von Kevin in dessen Wohnung, der ihm plötzlich im Kopf wiederhallte, als der junge Polizist mit hilfloser Stimme sagte: „Sie haben ihr einfach die Kehle durchgeschnitten.“ Jetzt war für Ben der Fall klar, und er ging neben Kevin in die Hocke und sah den, für ihn immer noch fremden und gleichzeitig so vertrauten Mann eindringlich an, der es fast nicht zu merken schien, dass Ben so dicht neben ihm war. „Du hast dich an deine Schwester erinnert?“ Es war eine Frage, die gleichzeitig eine Aussage war, sie klang nicht zaghaft, sondern bestimmt aber sehr einfühlsam, und unaufdringlich. Kevin nickte schwach, ohne den Blick von der Wand zu nehmen, ohne das Atmen zu verlangsamen.

    Ben schaute umher und dachte nach. Wenn er Kevin anbieten würde, ihn nach Hause zu fahren… nein, das wäre keine gute Idee. Entweder würde er es aus Stolz ablehnen und sofort wieder mit nach oben kommen, oder aber er nahm an, und Ben müsste ihn alleine lassen… das wollte er nicht. Stattdessen legte er dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter, und meinte mit beruhigender Stimme: „Nimm dir die Zeit die du brauchst, okay?“ Mehr sagte er nicht, und er wusste dass Kevin ihn verstehen würde. Ben ließ ihm die Freiheit ohne Druck wieder nach oben zu kommen, wenn er sich beruhigt hatte, und er blieb noch einen Moment neben ihm um zu warten, ob Kevin vielleicht etwas von der Seele reden wollte. Doch außer ein weiteres Nicken kamen keine Worte aus dem Mund des Polizisten, der schon so vieles durchmachen musste. Nach einigen Minuten erhob Ben sich und ging langsam wieder in die WG zurück, während Kevin den Kopf gegen die Wand nach hinten legte, und die Augen schloss… und sich wünschte, wieder seine Waffe in die Hand zu nehmen…

    Viele Leser scheinen Feeds halt leider für überflüssig zu halten. :(

    Das meine ich ja nicht mal. Ich will keine gezwungenen Feeds, das meine ich nicht. Es hat mich sehr gefreut dass einige neuer Feeder dazu gekommen sind, die jetzt aber wieder weg sind, und dachte es gibt dafür einen Grund.

    Aber kein Ding... freue mich über jeden Feed :thumbup: